Die Klimajugend im Medien-Clinch
Die Klimabewegung ist eine Herausforderung für die Demokratie, für die offene Gesellschaft, für die ordentlichen Bürgerinnen und Bürger. Die Aktivisten und Sympathisanten ziehen mit penetranter Regelmässigkeit durch die Strassen der Städte. Sie tun das am schulpflichtigen Freitag. Und sie rufen dabei unüberhörbar: «Wir sind hier! Wir sind laut! Weil man uns die Zukunft klaut!» Das stört. Und es provoziert Reaktionen, die uns auch Hinweise geben auf die innere Zerbrechlichkeit unserer direkten Demokratie.
Zu viel Demokratie
Hans Rentsch ist einer, der uns solche Hinweise gibt. Er ist Ökonom, ehemaliger Projektleiter bei der marktliberalen Denkfabrik Avenir Suisse und Autor. Seine politischen Texte veröffentlicht er gerne im «Schweizer Monat», einem Leibblatt der neoliberalen Intelligenz. Er hat sich von der jungen Klimabewegung aufstören lassen, und ihr einen offenen Brief geschrieben, den die «NZZ am Sonntag» am 16. März 2019 abgedruckt hat. Um es vorweg zu nehmen: Da bricht sich gewaltiges Unbehagen Bahn. Denn die Klimabewegung ist für ihn schon ein Zuviel an vernetzter Basisdemokratie. Und sie verbindet, so Rentsch, den demokratischen Gestaltungsanspruch auch noch mit einem gewaltigen Mangel an Kompetenz. Das ist für den Autor die wohl schlimmste mögliche Kombination.
Im «Schweizer Monat» schreibt Rentsch im Juli 2018 unter anderem am Beispiel von AHV und Energiegesetz über «die direkte Demokratie als Reformhindernis» (In: Schweizer Monat, Ausgabe 1058, Juli 2018 ). Und so meint er angesichts des uneinsichtigen Stimmvolks, das dem Parlament und seinen Experten immer wieder schmähliche Abstimmungsniederlagen bereitet: «Die Frage, ob es nicht auch ein Zuviel an direkter Demokratie geben könnte, muss erlaubt sein.» Und: «Mit den neuen Online-Kanälen geht der Trend eher hin zu noch mehr Direktpartizipation.» Aber, so Rentsch: «Der Glaube, dass mehr direkte Demokratie auch in einem Land, in dem ein Bürger jährlich über zehn Vorlagen auf Bundesebene und zig weitere auf kantonaler und kommunaler Ebene abstimmen soll, strikt besser ist, muss man als Form des politischen Extremismus interpretieren.»
Zu wenig Kompetenz
So bricht es im offenen Brief an die «liebe Klimajugend» schliesslich ganz unverhohlen aus ihm heraus. Diese Jugend verbreite «naive Ideen», sie leide an einem «eklatanten Informationsmangel», und auf ihrer Seite stehe auch noch «die ausgebildete Pianistin Simonetta Sommaruga, die sich bei der Departementsverteilung die Leitung des UVEK geschnappt habe, das heisst: sie «gebietet jetzt über die Klimapolitik». Man sieht: Da regiert geballte Inkompetenz! – Dabei könnte man bei Abstimmungen doch «Personen, die bestimmte politökonomische Grundkenntnisse nachweisen…, ein erhöhtes Stimmengewicht verleihen.» Und für die Klimapolitik könnte man Experten wie den Nobelpreisträger Steven Chu hinzuziehen, der im März 2015 als Mitglied des «Copenhagen Climate Council» an der ETH in Zürich «eine Lanze für die Kernkraft» brach. Das war nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima (2011). Schon als Energieminister von US-Präsident Obama hatte Chu die Kernenergie vorangetrieben, und er liess für die Förderung von Gas auch die Frackingtechnik zu. Die CO2-Reduktion hatte trotz aller Risiken und schädlichen Folgen für Chu die absolute Priorität.
Da prallen Weltbilder aufeinander, Gesellschaftsbilder und Menschenbilder.
Regierung der Weisen
Wo Rentsch und andere die Macht einigen wenigen Weisen in die Hand legen wollen, fordern Klimaaktivisten mehr demokratische Mitwirkung. Im Energiebereich zum Beispiel wird der Ruf der Aktivisten nach Veränderung des Systems im Kampf gegen die Klimaerwärmung auch konkret: dezentrale Produktion mit nachhaltiger Technologie erlaube dezentrale Entscheidungsprozesse mit mehr demokratischer Beteiligung. Dieser Logik folgt erklärtermassen zumindest ein Teil der 23’000 Wissenschaftler, die im Netzwerk der «scientists for future» die grundlegenden Forderungen der Klimabewegung unterschrieben haben.
Die politische Klimadebatte wird damit ganz schnell auch zu einem Machtkampf in den Medien, mit den Medien und um die Medien. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit und Gestaltungsmacht, mit der massive wirtschaftliche und politische Interessen verbunden sind. Und die Klimajugend sieht sich in diesem Machtkampf sehr schnell mit den verschiedensten einschlägigen Methoden konfrontiert:
Kampf um Deutungshoheit und Medienmacht
Methode 1: Wenn die direkte Demokratie mit ihrem Entscheidungsprozess (Volksabstimmung nach dem Grundsatz: «Eine Person, eine Stimme») missliebige Ergebnisse bringt, wird sie gerne zum untauglichen System erklärt.
Dieser Gedanke hat seine Anhänger vom Silicon Valley bis in die Teppichetagen von Schweizer Industrieunternehmen, sei es mit Verweis auf die Komplexität neuer Technologien oder auf den schnellen Wachstums–Erfolg autoritärer Systeme.
Methode 2: Die Diffamierung andersdenkender Gegner als unwissend und inkompetent, wie sie Rentsch praktiziert, ist ein klassisches Element des rhetorischen Machtkampfs. Ihre Anwendung ist bei Schüler*innen und Studierenden besonders einfach, weil die sich erkennbar noch in einem Lernprozess befinden. Im Unterschied zu manchen Erwachsenen.
Methode 3: Die selektive Information, also die Auswahl von Informationselementen zu Gunsten der eigenen oder zu Lasten der gegnerischen Interessen – also die interessengeleitete Information – ist heute bereits gängige Praxis. Sie findet insbesondere bei Themen statt, welche die Eigeninteressen der Berichtenden stark berühren.
Es geschieht allerdings, dass die Kritik auf den selektierenden Autor zurückfällt, wenn er es mit scharfsinnigen Gegnern zu tun hat, wie sich etwa zeigt in der Replik der «Klimajugend» auf die offenen Briefe von Hans Rentsch oder von Alain Pichard und Thilo Schneider (siehe Methode 5).
Zur selektiven Information gehört es auch, wenn mögliche Risiken und Nebenwirkungen von Technologien wie Fracking oder Kerntechnologie ausgeblendet werden. In solchen Fällen liegt die Selektion vielleicht auch an den blinden Flecken im Bewusstsein grosser Wissenschaftler, die im Glauben an die eigene Gottähnlichkeit gar nicht mehr auf die Idee kommen, solche Technologien könnten ihnen ausser Kontrolle geraten.
Gesteuerte Information
Methode 4: Die (offene) Unterdrückung von Information ist eine verschärfte Form der Selektion und damit des publizistischen (Klima-)Machtkampfs.
Die «Weltwoche» hat auch dafür das einschlägige Beispiel geliefert. Der angeblich links-liberale Bieler Reallehrer Alain Pichard hat zusammen mit dem freien Autor Thilo Schneider (FDP) aus Aschaffenburg den Einstieg dazu geliefert mit dem Aufruf an die «Klimajugend»: «Seid nicht Greta, seid Steve Jobs». Ihr Appell ist eine Mischung aus gutem Zureden – «Es geht Euch doch gut» –, ein Ansporn zum fleissigen Lernen und zum Ende des Streiks, und darin verpackt ein Lob des Wachstums mit technischen Lösungen – im Ganzen also ein Versuch zur sanften Disziplinierung und zur Rückgewinnung der hellen jungen Köpfe für die hippe Wachstumswirtschaft. Die «Weltwoche» hatte die «Klimajugend» gleich schon zu einer Replik eingeladen, selbige aber dann nicht veröffentlicht.
Die «Klimajugend» hatte in ihrer Antwort einen Zusammenhang hergestellt zwischen Wohlstand und Verantwortung, zwischen Reichtum hier und Armut dort, und sie hatte Kritik an der «Willenlosigkeit der Schweizer Politik» geübt. Die Redaktion fand diesen Text «nicht adäquat für Weltwoche-Leser» und kippte ihn aus dem Blatt. Man kann ihn jetzt nachlesen auf der Plattform «Watson.ch», die über den ganzen Vorgang berichtet.
Methode 5: Fake News sind das etwas raffiniertere Mittel im publizistischen Machtkampf. Sie produzieren die erwünschte Fehlinformation und dienen beim bewussten Einsatz in erster Linie der Stärkung der eigenen und/oder der Schwächung der gegnerischen Position. Das kann in der «grossen» Politik stattfinden, aber auch in der Auseinandersetzung mit einer neuen sozialen Bewegung wie der weltweiten Klimakampagne, die von ihren Gegnern als zunehmend stark und daher als gefährlich eingestuft wird.
Es ist naheliegend, dass in der Klimadebatte (häufig politisch rechts stehende) Medien die Gelegenheit ergreifen, die Glaubwürdigkeit einer charismatischen Figur wie Greta Thunberg zu untergraben, indem sie ihr fälschlich unterstellen, sie habe sich zugunsten der Atomkraft im Kampf gegen die Erderwärmung ausgesprochen. Die Berliner TAZ beschreibt in vielfältigen Details, wie diese Falschmeldung publiziert und ausgeschmückt wurde, im «Blick», «Bild», Jan Fleischhauer im «Spiegel», in «focus», «Welt», «Tichys Einblick» oder «Russia Today». In Wirklichkeit hatte Thunberg auf einen Bericht des Weltklimarats (PCC) hingewiesen, in dem die Frage der Kernenergie diskutiert wurde, und erst nach zwei Tagen hinzugefügt, sie sei persönlich gegen die Nutzung der Atomkraft.
Methode 6: Der Angriff auf das demokratische Mediensystem ist bisher die höchste Stufe im politischen Machtkampf um die Klimafrage. Es ist, wie Francis Fukuyama feststellt, ein klassisches Kennzeichen autoritärer populistischer Organisationen.
Die SVP verfolgt bekanntlich die Strategie, bei Siegen sich selber zu feiern und bei Niederlagen die Schuld bei anderen zu suchen – Bundesrat und Parlament zum Beispiel, welche die SVP-Wähler*innen angeblich in die politische Resignation treiben. Oder die Medien, die angeblich mit ihrer «Klimakampagne» das Thema hochkochen.
Aber nun hat SVP-Präsident Albert Rösti die Schuldzuweisung für die Niederlage bei den Wahlen im Kanton Zürich mit einer massiven Drohung gegenüber der SRG verbunden. «Es scheint, als brauche es jetzt eine Initiative zur Halbierung der Rundfunkgebühren, um die SRG auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen», wird er im «Tagesanzeiger» zitiert, und: «Ich würde ein solches Projekt unterstützen».
Es genügt dem Präsidenten der SVP offenbar nicht, dass der Service public der SRG sich immer wieder vor den mächtigen Bundesratsparteien verbeugt. Die SRG muss im vorauseilenden Gehorsam die Interessen der grössten Partei des Landes immer im Auge behalten. Sonst, das ist die Drohung, sonst werden massiv die Mittel gekappt. Man kann das fast nur als Angriff auf die Programmautonomie und die Unabhängigkeit des Service public verstehen, also auf das demokratische öffentliche Mediensystem der Schweiz. Die SVP stellt sich offenkundig vor, dass die Medien in der Schweiz ihren Interessen besser dienen, wenn die SRG massiv verkleinert würde.
Zu neuen Verhältnissen
Der Gegenzug: Die Schaffung von Gegenöffentlichkeit ist die logische Folge eines Prozesses, in dem eine gesellschaftliche Bewegung sich in der bestehenden Medienöffentlichkeit nicht mehr wirklich wiederfindet. Das war offenbar die Wahrnehmung der Klimaaktivisten auch in der grossen SRF-«Arena», die den Gegensatz von «grünen Träumen» und harter politischer «Realität» plakatierte. Eine «quotenorientierte Unterhaltungssendung» sei diese Polit-Diskussion, erklärte mir ein Teilnehmer, und in der Sendung stellte ein Klima-Aktivist fest, dass die Politik nicht bereit sei, «über die eigenen, festgefahrenen Grundsätze nachzudenken und zu diskutieren».
Die «Klimaarena», welche die Klimabewegung eine Woche später selber produzierte, hat dann allerdings auch bestätigt, dass das Format der «Arena» als Ganzes für eine weiterführende politische Diskussion über komplexe Themen nicht geeignet ist. Es ist im Kern auf Kontroverse angelegt, und die grosse Zahl der Beteiligten lässt einen fruchtbaren Austausch kaum zu. Will man neue Inhalte auf neue Weise in den alten oder den neuen Medien bearbeiten, wird man andere, auch neue Formate entwickeln müssen.
Es kostet überhaupt eine grosse Anstrengung, sich aus den alten Verhältnissen herauszuarbeiten und neue Verhältnisse zu schaffen. Aber die neuen Verhältnisse entstehen, weil die alten Verhältnisse nicht mehr wirklich funktionieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die Reaktion auf Gretas AKW-Kommentar ist wirklich reichlich seltsam – von den Unterstützern der Klimajugend wie von ihren Gegnern. Greta hat eine aus ihrer Sicht funktiert Meinung geäussert. Sie wird von vielen Leuten geteilt, diese können eine Pro-AKW-Haltung auch begründen. Einziges Problem daran: Eine Top-Klimaaktivistin sagt sowas nicht. Wenn sie es doch tut, gibt es Risse im Idol.
Wer verlangt, dass sich ein Vorbild in allen Punkten mit der eigenen Meinung deckt (die Befürworter) oder hinter einer Abweichung die Demontage wittert (die Gegner), der sucht eine Heilige, eine Führerfigur. Er kann Widersprüche nicht aushalten. Was mit Basisdemokratie so ungefähr gar nichts zu tun hat.
Nur gut, dass Greta es gar nicht so gemeint hat, nicht?
Nicht zu viel Demokratie ist der Bremsklotz auf dem Lösungsweg, sondern der Kapitalismus mit seiner Forderung nach Wachstum.
Gut, dass Jugendliche sich für eine bessere Zukunft einsetzen. Ihre Streikstunden als «unentschuldigte Absenzen» taxieren: Das können nur interessengebundene Politiker. Was aber wäre zu tun? In der Tat: Neue Gesetze bergen die Gefahr, dass noch mehr vom Gleichen produziert wird. So florieren dank der Klimadebatte die Geschäfte mit Styropor und Flammschutzmitteln zur Wärmedämmung – dummerweise ist das Zeug für uns ziemlich giftig. Und auch die Atomlobby wittert wieder Morgenluft. Was sich diese Lobbys erlauben, um die «Greta» und alle Jugendlichen ins Abseits zu stellen, zeigt gerade die Gefahren, wenn nur von der Politik «Handeln» gefordert wird: noch mehr giftige Abfälle statt einer lebenswerten Zukunft für unsere Kinder.
Greta Thunberg hat es vorgemacht: Sie reiste mit dem Zug von Stockholm nach Davos statt mit dem Flugzeug. Und was macht ein Teil der demonstrierenden Jugendlichen: statt die Konsequenzen zu ziehen und zu zeigen, dass es ihnen ernst ist mit der Änderung ihrer Lebensweise, machen sie ihre Maturareisen immer noch mit dem Flugzeug. Es braucht eine radikale Umkehr auf allen Ebenen: Das fängt schon beim Essen an, beim Freizeitverhalten, beim Reisen, beim Einsatz für eine klimafreundliche Produktionsweise, für Bauen mit Holz aus den Wäldern der Region (nicht aus Schweden oder Afrika!) Die besten Minergiehäuser bestehen aus Holz! Und noch vieles mehr, was schon heute problemlos möglich ist. Glaubt ja nicht, das komme alles durch die Politik!
Der Vorwurf, Jugendliche dürfen nicht während der Schulzeit streiken, ist absurd. Man stelle sich einmal vor, Bauarbeiter, Zugführer, Piloten, etc. würden in der Freizeit streiken. Keiner würde sie noch ernst nehmen.