Neuer Trend: Virtuelles Trauern macht unsterblich
Der Tod ist im 21. Jahrhundert ein schwieriges Ereignis geworden, das man häufig verdrängt. Viele Leute sind geschieden oder so alt geworden, dass sie einsam und allein sterben. Vorbei sind damit die Zeiten, wo ein ganzes Dorf von seinen Toten Abschied nahm und sie beim Leidmahl nochmals in ihren Lebensleistungen würdigte.
Wie die Menschen des 21. Jahrhunderts, auch wenn sie sich allein gelassen fühlen, trotzdem in einer Gemeinschaft mit ihrem Tod umgehen können, hat der ehemalige Journalist und Medienmanager Helmut Markwort mit dem von ihm mitinitiierten Gedenkportal «Stayalive», gezeigt. Bei «Stayalive» kann man sich schon während der Lebenszeit seine eigene virtuelle Gedenkstätte schaffen, mit Bildern, Filmen, Lieblingsrezepten und Dokumenten, die das eigene Leben kundtun. Originalton Stayalive: «Hinterlegen Sie Fotos und Dokumente für die Ewigkeit. Bleiben Sie mit Verstorbenen in Verbindung. Setzen Sie Ihr eigenes Denkmal.»
Botschaften verschicken nach dem Tod
Man schafft sich damit selbst eine Gedenkstätte, die nach dem Tod des Kunden freigeschaltet wird. Diese kann dann von Angehörigen und Freunden besucht und mit weiteren Kommentaren und Dokumenten versehen werden. Damit «Stayalive» vom Tod des Kunden erfährt, stellt das Portal ein PDF mit Aktivierungscode zur Verfügung, das bei den wichtigen Dokumenten zuhause aufbewahrt werden kann.
Zudem können die Kunden in einem gesicherten virtuellen «Tresor» wichtige Dokumente oder Kontodaten lagern, die nach dem Tod einem vorab definierten Personenkreis zugeschickt werden. Über Google Maps lassen sich die realen Friedhöfe miteinander verknüpfen, um eine Art digitales Familien- oder Gruppengrab zu schaffen.
Behörden, Redaktionen und Private lancieren digitale Gedenkseiten
Schien vor zehn Jahren die Idee von solchen virtuellen Totenportalen noch reichlich skurril und abwegig, so hat sich die Idee mittlerweile durchgesetzt. Fast in jeder Gemeinde, bei jeder Zeitung und in jedem Kanton gibt es Portale, wo der Eintrag der verstorbenen Angehörigen auf dem Netz verewigt werden kann. Beim kürzlichen Tod meines Bruders war das Gedenkportal für die Toten von Anfang bei der Beratung durch den Bestatter als wichtige Option dabei. Es wurde zusammen mit den Angehörigen eine Todesanzeige erstellt, die neben dem Zeitungsinserat auch ein zentraler Bestandteil des Gedenkportals ist. Dazu kann man auf dem Portal virtuelle Kerzen anzünden, Fotos hinzufügen, den Angehörigen kondolieren, Einzelbilder oder ganze Bildersammlungen aufschalten etc.
Auch Zeitungen nutzen diese Möglichkeit zum Gedenken, welche über eine prosaische Todesanzeige hinausgehen. So kann man etwa auf dem Portal der «Luzerner Zeitung» Texte, Musik und Videos zu den Toten aufschalten. Neben vielen lokalen oder von Zeitungen unterhaltenen Gedenkportalen gibt es auch einfache Seiten wie «www.todesanzeigenportal.ch», wo Todesanzeigen aus der ganzen Schweiz abgerufen werden können.
Die neue Öffentlichkeit des Todes
War die Trauer noch im Mittelalter ein Teil des öffentlichen Alltags gewesen, so hat sich der Tod seither in den Bereich des privaten und stillen Trauerns zurückgezogen. Erst im Netzzeitalter scheint sich hier mit der Öffentlichkeit des Internets so etwas wie eine Wende abzuzeichnen. Es entsteht eine neue Öffentlichkeit des Trauerns.
Allerdings ist dieser Trend gerade erst im Entstehen begriffen. Meist sind auf den einzelnen Gedenkseiten noch wenig Informationen zu finden – die Todesanzeige, ein Bild und eine virtuelle Gedenkkerze. Doch es ist absehbar, dass sich die Gestaltung solcher Seiten in nächster Zeit stark ausweiten wird. Das ganze Leben kann in solchen Gedenkportalen zusammengefasst wiedergegeben werden. Je mehr solche Angebote bekannt werden, umso mehr können sie als neue Form von «sozialen Medien» standardmässig nach Todesfällen benutzt werden.
Digital anstatt physisch
Man kann sich sogar fragen, ob der Gang zum Grab, wie er zum Beispiel an Allerheiligen gepflegt wird, mit der zunehmenden Beliebtheit digitaler Gedenkportale abgelöst werden könnte. Vielleicht wird man sich an solchen Gedenktagen in Zukunft lieber an den Computer setzen anstatt aufs Grab und den Friedhof zu pilgern. Auf dem virtuellen Portal zündet man eine weitere Kerze an und erinnert sich an die geliebten Nächsten über die vorhandene Chronik und die Bildersammlungen und Videos, die dort vorhanden sind. Und man fügt vielleicht noch weitere Fotos oder Erinnerungstexte aus der Vergangenheit hinzu. Das kann auch noch 50 Jahre nach dem Tod geschehen, wenn das physische Grab längst aufgehoben ist.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Heinz Moser war Professor für Medienpädagogik an der Universität Kassel. Er hat gerade das Buch «Einführung in die Pädagogik - Aufwachsen im digitalen Zeitalter, Wiesbaden 2019», veröffentlicht. Springer-Verlag, 27 Euro.
Unsterblich? Eines der bedeutendsten deutschen Gedenkportale, http://www.portaldererinnerung.de hat nach über zehn Jahren vor Jahresfrist geschlossen, weil es nicht allen Datenschutzbestimmungen nachkommen konnte. So sind über 100 von mir geschriebene Nachrufe, meist auf Schweizer und Schweizerinnen, untergegangen.
Gespenstig ….