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Nomi Prins 2016 bei einem Vortrag in Grossbritannien © Videoscreenshot

Ungleichheit: «Flow Up» statt «Trickle Down»

Daniela Gschweng /  Die Reichen werden immer reicher, in mittleren und unteren Einkommensgruppen herrscht derweil Stillstand – nicht nur in den USA.

In den USA nehme Ungleichheit langsam groteske Formen an und niemand nehme Notiz davon, schreibt die Finanzexpertin, Journalistin und Autorin Nomi Prins in einem Kommentar auf «Tom Dispatch».

Beispiel? Die US-Amerikaner des reichsten einen Prozents haben ein 40mal höheres Einkommen als 90 Prozent der Bevölkerung. Die 0,1 Prozent reichsten US-Amerikaner «verdienen» sogar 198 mal mehr als die unteren 90 Prozent. Diese deutlich weniger verdienenden 90 Prozent aber tragen die Lasten von Dreivierteln aller privaten Schulden in Höhe von insgesamt 13‘500 Milliarden Dollar. Und: Wer bereits wohlhabend ist, hat nicht nur grössere Chancen auf ein hohes Einkommen, finanzielle Potenz wird auch immer mehr zur Grundlage politischer Macht. Ausnahmen wie die populäre Demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez bestätigen diese Regel. Der Präsident der USA ist nicht zufällig Milliardär.

Die Ungleichheit kam in kleinen Schritten

Den ohnehin schon Wohlhabenden das Geld, dem durchschnittlichen Bürger die Schulden: «Wer da hat, dem wird gegeben», sagt sich da mancher, aus Unmut oder Resignation. Gemeint ist: wer reich ist, der wird fast von selbst immer reicher und mächtiger.

Das sei nicht einfach so, sondern es sei so gekommen, in kleinen Schritten, sagt Prins. Sie verweist auf den Unterschied zwischen Besitz und Einkommen. Einem US-Amerikaner, der das Mediangehalt von jährlich 31‘000 Dollar verdient, blieben nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungen ungefähr 26‘000 Dollar, führt sie an. Hätte er keinerlei Ausgaben, bräuchte er 38 Jahre, um eine Million zu sparen. Hat jemand diese Million von Anfang an, bekommt er bei einem Zinssatz von 2,25 Prozent und abzüglich Steuern jedes Jahr 19‘000 Dollar – ohne mehr dafür zu tun, als gelegentlich zur Bank zu gehen und die Steuererklärung auszufüllen.

«Wer da hat, dem wird gegeben», ist ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium und taucht als «Matthäus-Effekt» zum Beispiel in der Soziologie wieder auf. Dort bezeichnet es einen kleinen Vorteil, der sich nach einiger Zeit zu einem grossen Vorsprung auswächst.

Von einem Crash zum nächsten – wie die Banken reicher wurden

Ob es im «Land der unbegrenzten Möglichkeiten» Zeiten gab, in denen die Startbedingungen für alle gleich oder wenigstens ähnlich waren, darüber lässt sich streiten. Lange waren zumindest die Aufstiegschancen intakt. Im «vergoldeten Zeitalter» von 1870 bis zur Jahrhundertwende erlebte das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung durch technologischen Fortschritt, aber auch da gab es Korruption und grosse Armut.

In die Jahre danach, beschreibt Prins, fiel das erste Bail-Out. 1907 bekamen die Banken Geld, um die Wirtschaft zu retten und einen Run auf die Banken zu verhindern. Die so unterstützten Grossbanken segelten damit in den historischen Crash von 1929, die kleinen Häuser, bei denen vor allem die Durchschnittsbürger ihre Ersparnisse hatten, gingen unter. 1935, immerhin, wurde die Sozialversicherung eingeführt.

Alle Zahler sind gleich – ausser den Reichen

Das Zitat «wer da hat, dem wird gegeben» wird heute allerdings falsch verstanden. Das biblische Gleichnis, aus dem der Satz entnommen ist, besagt, dass jemand, der im geistlichen Sinne «viel hat», umso mehr verpflichtet ist, etwas daraus zu machen – zum Wohle aller. Übertragen auf die materielle Ungleichheit in den USA passierte aber genau das Gegenteil.

Die Sozialversicherungsbeiträge, zu denen Angestellte 6,2 Prozent ihres Einkommens und die Arbeitgeber nochmals soviel beitragen, sind bei 132‘900 Dollar gedeckelt. Die, die besonders zum Wohle aller beitragen könnten, tun das also nicht. Donald Trump prahlte 2016 damit, er gebe nur 0,002 Prozent seines Einkommens für Sozialversicherungen aus. Nach Recherchen der «New York Times» hat er seit seiner Geburt in heutige Vermögenswerte umgerechnet 413 Millionen Dollar an Vermögen und 140 Millionen Dollar an Darlehen von seinem Vater bekommen.

Wachstum, das nur wenigen nützte

Auch in der letzten Finanzkrise 2007/2008 reagierte die Nationalbank, wie schon 80 Jahre vorher. Die Federal Reserve Bank, kurz Fed, kaufte für 4‘500 Milliarden Dollar Anleihen und Pfandbriefe, um die Last der Banken zu verringern, und reduzierte den Zinssatz auf Null. Geld wurde billig, Banken konnten leichter neue Kredite aufnehmen.

Seither habe sich der Dow Jones verdreifacht, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei jedoch nie über drei Prozent gestiegen. Die Ungleichheit sei damit deutlich schlimmer geworden. Wer Geld hatte, investierte es in die durch die Krise abgewerteten Aktien oder kaufte Immobilien. Vier Fünftel der US-Amerikaner kauften jedoch keine Aktien, sondern mussten und müssen schauen, dass das Geld bis zum nächsten Gehalts-Scheck reiche, sagt Prins.

Die Fed habe die grössten Finanzhäuser und Unternehmen der USA mit insgesamt 16‘000 Milliarden Dollar unterstützt, zitiert sie Bernie Sanders. «Das ist Sozialismus für die Reichen und ‹kommt-alleine-klar› für alle anderen», sagte er. Der grösste Teil des US-Wohlstands liege nun bei Grossbanken, Spekulanten und den globalen Unternehmen, schreibt Prins. Die Hälfte der US-Aktien gehöre einem Prozent der Bevölkerung.

Die Mauer im Portemonnaie

Die «Räuberbarone» des «vergoldeten Zeitalters» hätten wenigstens viel für den Fortschritt getan, sagt Prins. Beispielsweise hätten sie die Eisenbahn im Land finanziert. Die Generationen nach ihnen gründeten und finanzierten Silicon Valley (die erste IT-Blase platzte um die Jahrtausendwende). Trumps bisher einziger Beitrag zur Infrastruktur sei dagegen die Ankündigung einer Mauer an der mexikanischen Grenze. Die wesentlich schlimmere Mauer, sagt Prins, entstünde inzwischen zwischen denen, die viel haben, und dem grossen Rest.

Die USA seien mit diesem Problem allerdings keineswegs allein. Auch weltweit nimmt die Ungleichheit nicht etwa ab, sie steigt seit Jahrzehnten. Ungleichheit wirkt sich nachteilig aus auf die Gesellschaft, auf die Gesundheit der Bevölkerung und auch auf die Lebenserwartung, listet zum Beispiel die Seite «inequality.org» auf. Im schlimmsten Fall führt sie zu Instabilität und zu Konflikten. Sogar die Fed macht sich mittlerweile Sorgen. «Einkommensungleichheit kann zu einer niedrigen Gesamtnachfrage, Deflationsdruck, übermässigem Kreditwachstum und finanzieller Instabilität führen», steht in einer im Dezember 2018 veröffentlichten Studie der US-Nationalbank.

«Schlimmer als im letzten Jahrhundert»

«Wir haben gesehen, wie das Geld einfach durch Banken und massive Spekulationen weiter nach oben fliesst, während das Wirtschaftsleben derjenigen, die nicht an der Spitze der finanziellen Nahrungskette stehen, weitgehend stagniert oder schlechter geworden ist», sagt Prins. Das Ergebnis sei eine weitreichende Ungleichheit, wie sie im letzten Jahrhundert noch unvorstellbar gewesen wäre.

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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts in «The Nation» und anderer Quellen erstellt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Nomi Prins ist eine US-Journalistin und Autorin, die sich mit US-Wirtschaftsthemen befasst. Die ehemalige Bankerin ist die Autorin der Bücher «Collusion: How Central Bankers Rigged the World» und «All the Presidents' Bankers: The Hidden Alliances that Drive American Power».

Zum Infosperber-Dossier:

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Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

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Grösser werdende soziale Kluften gefährden demokratische Rechtsstaaten.

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5 Meinungen

  • am 26.03.2019 um 14:06 Uhr
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    Auch in der Schweiz «verdienen» die Reichen immer mehr. Der Swisscom Chef Schaeppi und SBB Boss Meyer kassieren zwar gar nicht so viel, wenn man ihre Löhne mit der Gage von Sergio Ermotti der UBS (14,1 Millionen Franken) und Tidjane Thiam der Credit Suisse (12,7 Millionen) vergleicht. Schaeppi und Meyer arbeitet sicher nicht x-mal weniger oder schlechter als diese beiden Herren der Grossbanken. – Wie hoch sind die Löhne der Putz Frauen und Männer bei der Swisscom, SBB, der UBS und der CS?

    Neben dem viel zu hohen Salär von Andreas Meyer wären auch noch die Investitionen der SBB Pensionskasse zu kritisieren. Diese meine SBB Pensionskasse investiert unsere Gelder in Unternehmen die an der Produktion von Atombomben, Streubomben und Antipersonenminen beteiligt sind, Waffen, die in der Schweiz verboten sind.
    Die «direkte und indirekte Finanzierung der Entwicklung, der Herstellung oder des Erwerbs von verbotenem Kriegsmaterial (ABC-Waffen)» ist klar nach dem Kriegsmaterialgesetz untersagt. In diesem Gesetz ist nicht davon die Rede, dass als offiziell deklarierte Kernwaffen-Staaten, wie mir meine SBB Pensionskasse schrieb, von diesem Finanzierungsverbot ausgenommen sind.

    Allgemein bekannt und dokumentiert ist, dass wir in den letzten Jahrzehnten mehrmals an einem atomaren Schlagabtausch der Grossmächte vorbeigeschlittert sind. Wir haben in den letzten Jahrzehnten Glück gehabt, dass ein Atomkrieg zwischen den USA und Russland oft in letzter Minute verhindert werden konnte.

  • am 26.03.2019 um 16:32 Uhr
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    Statt «Wer hat, dem wird gegeben» sagt es der Volksmund etwas vulgärer, aber auch deutlicher: «Der Teufel sch….t immer auf den gleichen Haufen"

  • am 27.03.2019 um 05:36 Uhr
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    „Mittelstand in den OECD-Ländern unter Druck

    Die meisten Menschen in den OECD-Ländern leben in Haushalten mit mittleren Einkommen und zählen sich selbst zum Mittelstand. Diese Mittelschicht beurteilt ihre wirtschaftliche Lage zunehmend als gefährdet. Es gibt Anzeichen dafür, dass die mittlere Einkommensgruppe während der letzten 30 Jahre in den meisten OECD-Ländern kleiner geworden ist und an wirtschaftlichem Einfluss eingebüsst hat. Für junge Leute und Familien mit Kindern ist es heute schwieriger, in den Mittelstand aufzusteigen. Die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt werden immer unsicherer, weil Stellen für mittelqualifizierte Arbeitskräfte und Standardjobs durch den technologischen Wandel und die Globalisierung verloren gehen. Der Mittelstand kommt durch höhere Lebenshaltungskosten und gestiegene eigene Ansprüche zunehmend unter Druck, was teilweise zu einer starken Verschuldung führt. Damit die Mittelschicht wieder Vertrauen fasst, sind wirksame politische Massnahmen erforderlich. Handlungsbedarf besteht namentlich in der Bildungs-, der Steuer- sowie der Wohnpolitik.“ (M. Förster/H. Levy, Die Volkswirtschaft 12/2017, Seite 24)

  • am 27.03.2019 um 09:13 Uhr
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    Seit mindestens zwanzig Jahren haben wir in der Schweiz für Mittelständler abwärts Nominallohn-Stagnation(1). Die KK stieg, der LIK stieg ein wenig und das Wohnen stieg enorm(2). Gleichzeitig verdoppelte sich in dieser Zeit das BIP(3) und verdreifachte sich die Geldmenge M1(4). Wo ging der ganze, gemeinsam erwirtschaftete Wohlstand hin? Der Besitz an Boden, Gewässer, Firmenanteile … und das Privatrecht zur Geldschöpfung führen zu Mieten, Pachten,… und Zinsen welche das erwirtschaftete Vermögen ungleich verteilen. Nicht durch Arbeit wird man reich, sondern durch reich sein wird man reicher. Am Anfang des Kapitalismus reichte es, wenn nur Afrika, teile Asiens und Südamerikas für den Wohlstand anderer bluteten, aber die Exponential-Kurve im Zins führt dazu, dass immer mehr bluten müssen für den Reichtum immer weniger. Wir fallen in die Grube, die wir gegraben haben. Dieser Vorgang bleibt bestehen, solange der Kapitalismus und das aktuelle Geldsystem bestehen bleiben.

    (1) https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/loehne-erwerbseinkommen-arbeitskosten/lohnentwicklung/serie-1939-100.html
    (2) https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/preise/mieten/index.assetdetail.7626774.html
    (3) https://www.google.com/search?q=bip+schweiz&rlz=1C1GCEU_deCH819CH819&oq=bip+schweiz&aqs=chrome..69i57j0l5.3307j1j8&sourceid=chrome&ie=UTF-8
    (4) https://data.snb.ch/de/topics/snb#!/cube/snbmonagg?fromDate=2000-01&toDate=2019-02&dimSel=D0(B,VV),D1(B,S0,ET,GM1,S1,GM2,T,GM3)

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