Kaiserin_Sissi_Film

Orbans Traum: Sissi, die 9 Geschwister und 4 eigene Kinder hatte (aus dem Film mit Romy Schneider) © Erma

Ungarinnen: Gebärprämie und Zustupf fürs Grossraumauto

Jürg Müller-Muralt /  Ungarns Regierungschef Viktor Orban will Frauen ködern: zweifelhafte Wirkung, diskriminierend und frauenfeindlich.

«Die national-christliche Regierung ist nicht nur in ihren Worten, sondern auch in ihren Taten familienfreundlich», schreibt die konservative ungarische Zeitung Magyar Hirlap. Die regierungskritische Zeitung Pester Lloyd dagegen bezeichnet den gleichen Vorgang als «frauenfeindlichen Plan, eines reaktionären Ständestaates würdig». Es geht um die von Ministerpräsident Viktor Orban kürzlich angekündigten bevölkerungspolitischen Massnahmen, welche die Ungarinnen mit beachtlichen finanziellen Anreizen ermuntern sollen, mehr Kinder zu gebären.

Subventioniertes Grossraumfahrzeug

Das angekündigte Paket sieht vor, dass jede Frau unter dem 40. Altersjahr, die zum ersten Mal heiratet, einen Kredit von 31 400 Euro zur freien Verfügung erhält. Nach der Geburt des ersten Kindes wird die Rückzahlung des Kredites drei Jahre lang ausgesetzt. Nach dem zweiten Kind wird ein Drittel des Kredites erlassen, nach dem dritten Kind der gesamte Kredit. Zudem werden die Kreditprogramme für den Wohnungserwerb ausgeweitet. Weiter erhalten Familien ab drei Kindern beim Kauf eines mindestens siebensitzigen Fahrzeuges einen staatlichen Zuschuss von gegen 8000 Euro. Frauen, die vier oder mehr Kinder geboren haben und aufziehen, sollen lebenslänglich von der Einkommenssteuer befreit werden.

Eine Expertin zweifelt

Grundsätzliche Zweifel, ob solche Massnahmen überhaupt wirken, äusserte Kerstin Ruckdeschel im Echo der Zeit von Radio SRF: «Wer keine Kinder möchte, wird sich auch durch finanzielle Anreize nicht umstimmen lassen». Ruckdeschel befasst sich beim deutschen Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung mit Fragen des Geburtenrückgangs in Europa. Mit Geld könne man die Rahmenbedingungen verbessern, das sei das, was Familienpolitik machen sollte. Doch Familienpolitik «kann keine Kinderwünsche generieren», sagte Ruckdeschel.

Intellektuelle Verengung

Ungarn hat eine tiefe Reproduktionsrate und liegt mit 1,45 Geburten pro Frau (2016) unter dem europäischen Durchschnitt. Verschärft wird das Problem durch die Abwanderung: Seit dem Amtsantritt Orbans 2010 sind rund 800’000 Ungarinnen und Ungarn vor allem nach Westeuropa ausgewandert, in erster Linie qualifizierte Fachkräfte. Als Hauptgründe gelten prekäre Arbeitsbedingungen und schlechte Verdienstmöglichkeiten. Abschreckend wirkt auf viele auch die zunehmende ideologische Verengung im Bildungswesen und die Einschränkungen im Hochschulbereich. Paradebeispiel ist die Central European University (CEU), eine gemäss diversen Rankings besten Universitäten weltweit. Da sie vor 25 Jahren von Orbans Intimfeind George Soros gegründet worden war, wurde sie in den letzten Jahren derart unter Druck gesetzt, dass sie nach Wien umgezogen ist.

Auf ethnische «Reinheit» bedacht

Nun will Orban die dramatische Abwanderung und den Geburtenrückgang in seinem Land natürlich nicht etwa durch Zuwanderung kompensieren, wie das, wenigsten teilweise, die meisten Staaten tun. Orban ist auf ethnische «Reinheit» bedacht und sagt das auch unverblümt: «Wir Ungarn denken anders. Uns geht es nicht einfach um Zuwachszahlen, sondern um ungarische Kinder.» Die deutsche Tageszeitung taz spricht denn auch von «völkischen Plänen» des ungarischen Regierungschefs.

Staatlich subventionierte Mittelschicht

Die familienpolitischen Massnahmen sind aber auch zutiefst unsozial und diskriminierend. Den Kauf von Wohnungen, Häusern und Autos können sich nur Leute ab einem gewissen Einkommen leisten. Wer wenig hat, dem nützen auch die Zuschüsse nichts. Profitieren werden also jene Schichten, die sich Auto und Haus ohnehin leisten können, «also eine Art staatlich subventionierte Mittelschicht, die ungarische Traumfamilie, die dann aus Dankbarkeit auch für Orban wirbt und ihn natürlich auch wählt. Die Stärkung dieser ständestaatlichen Strukturen ist das eigentliche Ziel dieser Familienpolitik», schreibt der Pester Lloyd.

Zentrale Frauenrolle: Gebärerin und Mutter

Orbans Programm ist auch hochgradig frauenfeindlich. Der Pester Lloyd zählt folgende Gründe auf: «Frauen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht gebären können, aus Gründen der Lebensplanung nicht wollen, Wiederverheiratete oder Mütter ohne Trauschein werden ausgeschlossen, sind nach Orbans Ideologie also weniger wert als arbeitsame, gebärfreudige Frauen.» Und es gibt noch ein anderes Problem: Frauen, die das Muttergeld erhalten, aber kein finanzielles Sicherheitsnetz haben, werden unter Umständen in eine lange finanzielle Abhängigkeit gelockt – denn der Kredit wird nur dann nicht rückzahlbar, wenn die Frau drei Kinder auf die Welt gestellt hat.

Zwar handelt es sich erst um Ankündigungen Orbans, die Einzelheiten und der genaue Mechanismus dieses Bevölkerungsprogramms sind noch nicht bekannt. Aber die Stossrichtung ist klar: Die ungarische Frau hat vor allen anderen individuellen, beruflichen und gesellschaftlichen Wünschen eine ganz bestimmte Rolle zu erfüllen: die Rolle der Gebärerin und Mutter.

– – – – – – – – –

Zum Bild oben: Die Österreichisch-Ungarische Kaiserin Elisabeth Amalie Eugenie (1837 – 1888), besser bekannt unter dem Namen Sissi, war die Tochter von Max Joseph in Bayern, der mit seiner Frau Ludovika zehn Kinder hatte. Sissi selber hatte drei Töchter und einen Sohn, das erste Kind schon im zarten Alter von 17 Jahren. Das Bild stammt aus dem Film «Sissi» mit Romy Schneider in der Hauptrolle aus dem Jahr 1955. (cm)


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6 Meinungen

  • am 16.02.2019 um 12:21 Uhr
    Permalink

    Wenn ich diesen Bericht lese kriege ich Gänsehaut! Die einen nennen es Ködern (was für ein grässliches Wort in diesem Zusammenhang), andere Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen, die nach einer ersten Fassung noch anzupassen sind. Ein Angebot von dem jede/r selbst entscheiden kann ob sie/er davon Gebrauch machen will. Um hier Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung zu finden braucht es eine gehörige Portion Fantasie; oder ein ultra-liberales Wirtschaftsdenken wo der Mensch primär als Produktionsfaktor gesehen wird. Dem Schreiber scheint Produktivität über Allem zu stehen. Ein Familienmensch scheint er nicht zu sein.

  • am 16.02.2019 um 12:41 Uhr
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    Orban scheint sich an der Familienpolitik der Nazis im Dritten Reich zu orientieren, die Parallelen sind offensichtlich:
    "Den ersten, besten und ihr gemäßesten Platz hat die Frau in der Familie, und die wunderbarste Aufgabe, die sie erfüllen kann, ist die, ihrem Land und Volk Kinder zu schenken», notierte Josef Goebbels kurz vor der «Machtergreifung» 1932 in seinem Tagebuch. Und Hitler verteufelte zwei Jahre später die kleinen emanzipatorischen Errungenschaften aus der Weimarer Republik als «jüdische Erfindung». Die einzige Aufgabe, um die sich Frauen im Dritten Reich aus seiner Sicht zu kümmern hatten, war die Zeugung möglichst vieler «arischer» Kinder, um ganz im Sinne seiner Blut- und Bodenideologie die «völkische Substanz» zu vergrößern.
    Aus dem Berufsleben versuchten die Nazis Frauen systematisch zu verdrängen. Ab 1933 durften an vielen Universitäten nur noch zehn Prozent der Immatrikulationen an Frauen vergeben werden, und in einigen Bereichen wie der Justiz kam es zu Berufsverboten für Frauen.
    https://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article107325314/Die-Familien-Ideologie-im-Dritten-Reich.html

  • am 16.02.2019 um 13:39 Uhr
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    Dem Führer Kinder schenken. Mutterkreuze ziehen wohl heute nicht mehr.
    Von einem Nehmerland kann die EU leider keinen Unexit erwarten.
    Sollen sich die Orban-Fans doch vom AltRight-Libertarian Trump-Lager durchfüttern lassen.

  • am 16.02.2019 um 16:04 Uhr
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    Eine erschreckende Vorstellung angesichts der Übervölkerung und Übernutzung der Erde. Kann nur denken, wer gleich Katastrophen wie Kriege als Selbstverständlichkeit mitwünscht.

  • am 16.02.2019 um 18:40 Uhr
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    Auch 30 Jahre nach dem Zerreissen des Eisernen Vorhangs scheint das Bild von Ungarn im Westen von alten Klischees zu leben. Sissi war Kaiserin der damaligen K&K-Monarchie und ihre Wahl zur Königin von Ungarn kein Ausdruck der Freiheit… Der ungarische Ministerpräsident wird also wohl kaum von ihr träumen…. Ungarns Entwicklung der letzten Jahre ist in vieler Hinsicht eine Erfolgsgeschichte. Wieso sollte eine Politik, die die Gründung und das Leben in Familien zu ermöglichen und zu unterstützen versucht, «unsozial» und «diskriminierend» sein? Zur Lebensform «Familie» wird niemand gezwungen, niemand wird dadurch «diskriminiert». Ungarische Frauen werden nicht auf die Rolle der «Familienfrau» festgelegt, sondern können sich – zusammen mit ihren Partnern – frei entscheiden, ob sie eine Familie gründen möchten oder nicht. «Sie» lassen sich auch nicht (kollektiv und ideologisierend) auf die Rolle von «Gebärerinnen» festlegen – welche Sprache! Der Artikel gibt einseitig die Sicht von linkskritischen Zeitungen wie dem Pester Lloyd wieder, entspricht aber nicht der modernen ungarischen Wirklichkeit. Schade – wann wird Ungarn als das wahrgenommen, was es ist: Ein Land mit Selbstbewusstsein und – sprechen wir nicht von «Massen», sondern von Personen, hoher Integrationsfähigkeit. Das wird bestätigen, wer das Leben (nicht nur) in der Hauptstadt kennt.

  • am 18.02.2019 um 21:18 Uhr
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    Auch De Gaulle hatte aktive und bis heute wirksame Familienpolitik betrieben. Es gibt dümmere Ideen als Familienpolitik zu machen.

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