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Im Flug in die Natur: "Heisser Sand und ein verlorenes Land" © cc

Dürfen Klimastreikende mit dem Flugzeug auf Maturareise?

Hanspeter Guggenbühl /  Soll – etwa beim Klimaschutz – jeder bei sich selber beginnen? Oder muss die Politik ran? Ohne das eine geht das andere nicht.

25 von 30 Basler Gymnasium-Klassen absolvierten 2018 ihre Maturareise mit dem Flugzeug. Das ermittelte die Basler Zeitung (BaZ). Damit fragt sich: Dürfen Gymnasiasten streiken mit der Forderung, die Schweiz müsse den CO2-Ausstoss bis 2030 auf Null senken, und gleichzeitig die Matura mit einer Flugreise feiern? Eine ähnliche Frage könnten wir auch Erwachsenen stellen: Wer ist glaubwürdiger, wenn er oder sie ein Verbot von CO2 verursachenden Kurzstrecken-Flügen fordert – der nach Berlin jettende Tourist oder die Touristin, welche die 845 Kilometer von Zürich nach Berlin schon immer mit der Bahn zurücklegte?

Wenn es um die wünschbare Praxis geht, klaffen die Meinungen auch an den Mittelschulen auseinander. Im Basler Gymnasium St. Leonhard hätten Schülerschaft und Lehrerkollegium gemeinsam entschieden, in Zukunft auf Flugreisen zu verzichteten, meldete die BaZ weiter. Gleichzeitig zitiert sie einen Klimastreikenden, der solch selektive Flugverbote ablehnt, mit den Worten: «Unser Fokus liegt auf Politik und Wirtschaft, weil sie hauptverantwortlich sind für diese Klimakrise. Wir wollen das grosse Ganze angehen.»

Persönliche oder politische Veränderungen

Die Kontroverse ist so alt wie die Umweltdebatte, welche Linke schon in den 1980er-Jahren in Wohngemeinschaften und Hausgenossenschaften führten. Die einen pochten auf persönliche Veränderungen, befanden, angesichts von Luftverschmutzung und Ozonloch über der Antarktis lege der Besitz eines Autos oder Tiefkühlers nicht mehr drin. Andere empfanden diese Moralisten als naiv, betonten, die Verhältnisse, ob in Sachen Umweltschutz oder globale Gerechtigkeit, liessen sich nur mit politischen Mitteln verändern. Ähnlich inkonsistent argumentieren Liberale: Einerseits pochen sie auf Freiheit und Eigenverantwortung, andererseits diskreditieren sie Aufrufe zum eigenverantwortlichen Verhalten, sei es im Verkehr oder Energiekonsum, als Bevormundung und Gesinnungsterror.

Den Zwiespalt finde ich auch in eigenen Texten: «Es geht hier nicht um Moral, es geht um Volkswirtschaft», schrieb ich in einem Kommentar über die Treibstoffproduktion aus Nahrungsmitteln in Brasilien. Dass Hunderttausende von agraralkohol-betriebenen Autos an Millionen von Hungernden vorbei fahren, war in meinen Augen zwar moralisch verwerflich. Politisch wirkungsvoller schien mir aber die Information, dass die Benzinplantagen auch energetisch unsinnig und volkswirtschaftlich unrentabel waren, und diese Einschätzung war wohl richtig.

In der realen Politik ist Moral tatsächlich kein starkes Argument; das zeigen etwa die langjährigen Misserfolge im Kampf gegen Waffenausfuhrverbote oder Steuerumgehungen. Ökonomische Hebel wirken stärker als ethische Grundsätze. Wer es dennoch wagt, das Verhalten von Wirtschaft oder Konsumenten an moralischen Prinzipien zu messen, wird schnell abgestellt. «Bitte kein Moralin», heisst es dann. Das sind die linguistischen Spielarten. Wenn einem die Moral zuwider wird, nennt man sie Moralin, und gute Menschen diskreditieren wir mit der Substantivform.

Privat vorleben, politisch umsetzen

Es stimmt. Persönliches Tun oder Lassen im Einklang mit einer politischen Idee allein ändert wenig an den bestehenden Verhältnissen. Die Gutwilligen sind die Dummen, solange keine Gewähr besteht, dass alle andern das Gleiche im Interesse des Ganzen ebenfalls tun oder lassen (müssen). Um den Gang der Dinge in eine gewünschte Richtung zu lenken, braucht es entsprechende politische Ziele und Mittel, brauchen wir ökonomische An- und Abreize sowie in vielen Fällen klare Gebote und Verbote. «Der Mensch ist nur soweit gut, als wir ihn daran hindern, Schlechtes zu tun», sagte jeweils der Kultursoziologe Victor J. Willi, der sich den Kampf «gegen Selbstgerechtigkeit und Moralismus» auf seine Lebensfahne schrieb.

Doch was ist – politisch – schlecht oder gut? In welche Richtung wollen wir die Verhältnisse verändern? Welche Prioritäten soll die Politik im Konflikt zwischen unterschiedlichen Interessen setzen? Um solche Fragen zu beantworten, oder um nur schon darüber streiten zu können, benötigen wir ethische Werte und Massstäbe. Und wir brauchen Individuen, die zeigen, dass sich solche Werte im Leben umsetzen lassen, und wie das in ihrer Praxis funktioniert. Eine Klimaaktivistin, die mit der Bahn an einen Kongress reist, lehrt mehr über die Entbehrlichkeit von Flugreisen als ein um die Welt jettender Umweltprediger. Politikerinnen, Wissenschaftler oder Autorinnen, die persönlich leben, was sie politisch verlangen, belegen, dass ihre politischen Forderungen im Alltag bestehen können. Das Private ist politisch. Damit sich privat Vorbildliches allgemein durchsetzen kann, braucht es politische Verbindlichkeit. Ohne das eine ist das andere nichts.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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6 Meinungen

  • am 10.02.2019 um 12:00 Uhr
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    Ein interessanter Beitrag – wie immer bei Hanspeter Guggenbühl. Nur am Schluss wurde ich stutzig. Menschen «die persönlich leben, was sie politisch verlangen, belegen, dass ihre politischen Forderungen im Alltag bestehen können.» In der WOZ bin ich kürzlich in einem Artikel über die Gilets jaunes dem klugen Begriff «in unökologischen Strukturen gefangen» begegnet. Ohne eine Änderung dieser Strukturen können Forderungen nach einer radikal ökologischeren Lebensweise im Alltag eben oft nur schwer bestehen.

  • am 10.02.2019 um 16:03 Uhr
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    Den Klimastreikenden sei dank, auch den KlimaSenioren, dass der Sachverhalt
    -gesunde Mitwelt-, auch für zukünftige Generationen, stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist, jenseits grosser Staats-Politik und mächtiger Interessen.
    Maturanten die sich für die Erhaltung der Biosphäre einsetzen, werden ja eher das Problem haben, dass sie von der Mehrheit ihrer Konsum- u. Spass-orientierten Mitschüler überstimmt werden. In einer liberalen Gesellschaft sollten Mitwelt-orientierte die Freiheit haben, an einer Matura-Flugreise nicht teilnehmen zu müssen. Die Mehrheit der Mitschüler und die Obrigkeit sollten Verständnis für eine andere -Haltung- haben.
    Das Menschenrecht auf Leben ist eines der höchsten Rechtsgüter in einer demokratisch verfassten Gesellschaft.
    Der Schutz der lebensnotwendigen Mitwelt ist also keine Frage der Moral, niederangigerer Werte oder Rechte.
    Bayerische Direktoren haben auf den Schulstreik nicht mit Zwängereien der Obrigkeit reagiert. Am Freitag dürfen die Lehrer den Sachverhalt Klima vertiefen und dazu auch moderierte Diskussionen unter den Schülern zulassen. Das bay. Schulgesetz gibt diese Lösung her. Immer wenn es besonders relevante gesellschaftliche Ereignisse gibt, kann vom eigentlichen Lehrplan abgewichen werden, ausserdem haben bay. Lehrer sowieso mehr Freiheiten ausserhalb eines Kernkanons. Da lernen die Schüler was fürs Leben.

  • am 10.02.2019 um 23:17 Uhr
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    Die weitverbreiteten falschen Anreize und die institutionalisierten krassen Verstösse gegen die Kostenwahrheit zerstören insbesondere im öffentlichen Verkehr ökologische Angebote; Beispiel: vor dreissig Jahren gab es in Europa ein gut ausgebautes Netz von komfortablen Nachtzügen. Wegen der unsäglichen Dumpingfliegerei haben diese Züge «nicht mehr rentiert», und sie wurden abgeschafft. Ich fordere, dass diese Nachtzüge wieder eingeführt werden. Es ist offensichtlich unsinnig und zynisch, von mir zu verlangen, ich solle mit dem Nachtzug nach Lissabon, Stockholm oder Edinburgh reisen um diese Forderung dort zu vertreten, wenn es diese Nachtzüge gar nicht mehr gibt! Ich kann meine Forderung ja gar nicht leben! Nach London oder nach Glasgow fahre ich, wenn ich es irgendwie einrichten kann, mit dem Zug. Ich fordere Kostenwahrheit in der Fliegerei; trotzdem reise ich ab und zu auch zum Dumpingpreis mit dem Flugzeug.

  • am 10.02.2019 um 23:59 Uhr
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    Natürlich ist man nicht glaubwürdig, wenn man Wasser predigt und Wein trinkt.
    Wenn man aber z.B. bei schlechten Gemeindefinanzen sich aktiv für eine Steuererhöhung einsetzt und diese dann durch die Mehrheit abgelehnt wird, wird man kaum im Alleingang mehr Steuern zahlen.
    Analog kann man sich für Klimaschutz einsetzen, aus der begründeten Einsicht, dass es eine riesige Anstrengung und Umdenken der Allgemeinheit braucht, ohne deswegen im Alleingang in einer Einzimmerwohnung bei 16 Grad zu leben.
    Oder, dass die Flugpreise z.B. durch CO2-Abgabe stark erhöht werden, ohne freiwillig einen Aufpreis welcher Art auch zu bezahlen.
    Wenn man das nicht darf, dann wird so mancher aufhören, sich für notwendige verbesserte Spielregeln einzusetzen und sagen: «Après moi le déluge!"

  • am 11.02.2019 um 08:17 Uhr
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    Unbequeme Wahrheiten werden leider so lange wie möglich verdrängt.
    Langsam, aber sicher, sind die Verdränger in der Minderheit und die junge Generation, die es auch stärker betrifft, will die unbequeme Wahrheit über die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen nicht länger selber verdrängen und von anderen verdrängen lassen.
    Dieser Aufwach-Prozess ist in vollem Gange.

    Aber natürlich gibt es viele Hürden für Veränderungen, welche der Natur und der Nachhaltigkeit Priorität einräumen wollen, vor allem in einem neoliberalen Wirtschafts-und Geld-System wie in der Schweiz. Dieses steht in krassem Widerspruch zu dem, was wir zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen tun sollten.
    Es opfert unsere Zukunft dem blinden Profit. Natürlich auch, um die bestehenden Macht-Strukturen möglichst lange zu erhalten.
    Es wird sich sehr schnell verändern müssen oder es wird untergehen, weil die Menschheitsfamilie keine Alternative zur Entschleunigung und zu alternativen Energien hat.
    Es ist eine Frage von Sein oder Nichtsein.
    Dieser Erkenntnis hält unser exponentielles Wachstumssystem nicht mehr lange stand.
    Wandel beginnt bei uns, sollte aber möglichst schnell auch in der Politik beginnen, weil sonst immer mehr Zwänge entstehen und unsere Freiheit von Naturgesetzen bestimmt wird.
    Ohne gegenteilige Beeinflussung durch die Mainstream-Medien hätten wir das schon viel früher verstanden.

  • am 11.02.2019 um 09:07 Uhr
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    Sich moralisch innerhalb unserer Gesellschaft zu bewegen, ist so gut wie unmöglich. Die Sachzwänge (Arbeit, Mangel an Grundbesitz der Allgemeinheit, Wachstumsdruck der Wirtschaft, gesellschaftlicher Druck, etc) innerhalb der Gesellschaft führen automatisch dazu, dass wir unmoralisch leben müssen (hoher Verbrauch an Ressourcen, Verbrauch von schädlicher aber günstiger Energie, Kauf von vergiftetem Essen,etc). Natürlich geht es auch anders. Es gibt Menschen die einen naturverbunden, sehr einfachen Lebensstil pflegen. Menschen, die sich aus der Gesellschaft verabschiedet haben. Wer sich nicht von der Gesellschaft verabschieden will oder kann, kann unmöglich moralisch leben. Deshalb ist ein weit gehender Umbau unserer Gesellschaft unumgänglich. Christina Felber, Entwickler der Gemeinwohlökonomie, zitierte mal einen Zuhörer eines Vortrags von ihm: «Die Gemeinwohlökonomie lässt die Menschen so sein, wie sie gerne währen.» Ob sie das tatsächlich schaffen würde, weiss ich nicht. Der Spruch macht aber deutlich, dass wir aktuell kaum so leben können wie wir wollen, sondern so wie wir müssen. Wir haben eine Gesellschaft in der Verbrauch, Ausbeutung, Durchsetzen und Ignorieren gefordert werden. Innerhalb dieser Logik verhalten sich die Menschen rational, auch wenn es objektiv und ökologisch komplett irrational ist. Der Fingerzeig auf andere führt zu nichts, kann man selber ja kaum besser sein. Es gilt, die Sachzwänge zu erkennen und gesellschaftlich zu lösen. Überwindung des Kapitalismus

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