Umweltanwälte verklagen französischen Staat
Der französische Verband der Umweltanwälte «Notre affaire à tous» hat zusammen mit den drei Nichtregierungsorganisationen «Foundation for Nature and Mankind (FNH)», «Greenpeace» und «Oxfam» eine Beschwerde gegen den Staat erhoben, weil dieser seinen Verpflichtungen bei der Bekämpfung des Klimawandels nicht nachkomme.
Bis am 9. Januar hatten 1’986’370 Menschen eine entsprechende Petition unterschrieben. Die grosse Reichweite ist auch einer Gruppe Journalisten zu verdanken, die das Projekt begleiten. Ausserdem schlossen sich prominente Persönlichkeiten und französische Internetstars der Bewegung an. In einem Video demonstrieren sie ihre Unterstützung:
Bereits am 18. Dezember leiteten die Initianten beim französischen Staatsrat ein Verfahren ein. Damit öffneten sie die Tür zur Antwort auf die Frage, ob der französische Staat jemals für seine Untätigkeit beim Klimaschutz verurteilt werden kann.
Klagen häufen sich
Die Initianten des Projekts bezeichnen das Verfahren als «Fall des Jahrhunderts». In der Tat gilt das Vorgehen der Umweltaktivisten in Frankreich als Premiere. Nicht aber in anderen Ländern. Umweltschützer wählten zum Beispiel in Pakistan, Kolumbien, Belgien, Norwegen, auf den Philippinen und in Peru den Gang über die Justiz. Auch in Deutschland verklagten Umweltaktivisten die Bundesregierung wegen ihrer «völlig unzureichenden Klimapolitik».
Am Anfang dieser Welle von Klimaklagen stehen die Niederlande, wo Klimaschützer eine Klage gegen den Staat gewannen und ihn damit zwangen, den Ausstoss klimaschädlicher Treibhausgase bis zum Jahr 2020 deutlich zu senken. Das Urteil gilt als historisch: Es ist das erste erfolgreiche Verfahren von Klimaschützern gegen einen Staat – und es zeigte Wirkung bis in die Schweiz. Im Jahr 2016 haben 459 Seniorinnen in Bern symbolisch die erste Schweizer Klimaklage eingereicht. Inzwischen sind rund 1200 Klimaseniorinnen an der Klage beteiligt.
Leere Versprechen statt griffige Massnahmen
In Frankreich erinnerte kürzlich Damien Carême, Bürgermeister von Grande-Synthe, an die Dringlichkeit von Massnahmen gegen den Klimawandel. Gegenüber dem Online-Portal «mediapart» wies er darauf hin, dass sich seine Stadt auf Meereshöhe befindet und bei steigendem Meeresspiegel und erhöhten Niederschlägen direkt bedroht sei. Falls sich das Klima weiter im vom Weltklimarat (IPCC) angekündigten Tempo verändere, werde es seine Stadt in fünfzig bis sechzig Jahren nicht mehr geben. Damit ist ein ähnliches Szenario wie in den Niederlanden möglich, wo ebenfalls Überflutungen drohen.
Zwar betonte der Weltklimarat in seinem letzten Bericht über eine Welt, in der die Temperatur um mehr als 1.5 Grad steigt, die absolute Dringlichkeit zu handeln. Trotzdem haben die Staaten, die sich im Dezember 2018 zur UN-Klimakonferenz in Polen trafen, die Dringlichkeit von Massnahmen noch immer nicht begriffen. Am Beispiel von Frankreich: Die Klimaziele werden regelmässig und deutlich verfehlt, die versprochenen Massnahmen glänzen durch Abwesenheit oder greifen nicht, der Unmut eines Teils der Bevölkerung wächst.
Obwohl die Temperatur in Frankreich seit 1900 um rund 1.4 Grad gestiegen ist und die Republik im europaweiten Vergleich der Länder mit den meisten Treibhausgasemissionen vorne mitmischt, besuchte Umweltminister François de Rugy die UN-Klimakonfernez während nur einem Tag, auch Staatssekretärin Brune Poirson hielt sich nur unwesentlich länger in Polen auf.
In der Bevölkerung rumort es
Für die Initianten der ersten Klimaklage in Frankreich hat der Temperaturanstieg nicht nur schädliche Folgen für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit, die Sicherheit und die soziale Gerechtigkeit. Der französische Staat habe sich aber verpflichtet, seiner Verantwortung im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Klimawandels nachzukommen, sagen die Initianten von «Notre affaire à tous» gemäss «mediapart». Der Staat erfülle seine Verpflichtungen nicht, woraus sich ein unrechtmässiges Nicht-Handeln des Staates ableiten lasse. Nun sei es an der Bevölkerung, die Trägheit der öffentlichen Verwaltung zu bestrafen und sie zum Handeln zu zwingen.
Um ihr Ziel zu erreichen, unternimmt «Notre affaire à tous» mehrere Schritte: Am 18. Dezember reichten sie beim Präsidenten der Republik und den betroffenen Ministern einen «vorläufigen Entschädigungsantrag» ein. Das vorläufige Ersuchen unterstreiche die Unfähigkeit des Staates, «konkrete und wirksame Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu ergreifen» und betone «Frankreichs Nichteinhaltung seiner zahlreichen Verpflichtungen und Ziele». Erhalten die Umweltverbände darauf keine Antwort, wollen sie im Februar eine Beschwerde beim Pariser Verwaltungsgericht einreichen.
Frankreich hinkt Zielen hinterher
Die Initianten der französischen Klimaklage stellen im Klimaschutz der Republik fünf Hauptmängel fest: Nicht-Verringerung der Treibhausgasemissionen, unzureichende Entwicklung von erneuerbaren Energien, fehlende Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, zu grosse Lücken zwischen den angekündigten Massnahmen und den tatsächlich dafür eingesetzten Mitteln sowie eine sehr lange Verzögerung bei der Vorbereitung auf die Anpassung an den Klimawandel.
Tatsächlich stiegen die französischen Emissionen in den Jahren 2016 und 2017 wieder an. Ausserdem sieht die im Dezember 2018 aktualisierte «nationale Strategie zur Verringerung des CO2-Ausstosses» (SNBC) eine Überschreitung des ursprünglich geplanten CO2-Budgets von sechs Prozent vor. Auch beim Einsatz erneuerbarer Energien oder bei der Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden, liegt Frankreich meilenweit hinter seinen eigenen Zielen zurück.
Der Kontrast zwischen den angekündigten Massnahmen und den effektiv erbrachten Leistungen des Staates ist noch grösser. Gemäss dem Institut für Klimaökologie (I4CE) müsste Frankreich jährlich zusätzliche zehn bis dreissig Milliarden Euro investieren, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Weiter sind in der aktualisierten SNBC die energetische Sanierung von 300’000 Wohnungen pro Jahr vorgesehen – obwohl die Ziele nur mit der jährlichen Sanierung von 500’000 Wohnungen pro Jahr erreicht würden.
Schliesslich hatte Frankreich im Jahr 2011 einen ersten nationalen Plan zur Anpassung an den Klimawandel verabschiedet, der gemäss «Notre affaire à tous» bei der Umsetzung aber keinen verbindlichen und spezifischen Regulierungsbestimmungen unterliegt.
Weitere Klagen sind möglich
Zwar fordern «Notre affaire à tous» und seine Unterstützer vom französischen Staat eine Entschädigung für moralischen Schaden, für den Schaden, den die Mitglieder erlitten haben und eine Entschädigung für die ökologischen Schäden an der Umwelt. Aber die Initianten wollen dem französischen Staat nicht einfach finanzielle Sanktionen auferlegen. Ihnen geht es in erster Linie darum, den Staat zum Handeln zu zwingen.
Das Hauptziel ist die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau, das den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1.5 Grad über dem vorindustriellen Niveau begrenzt.
Beim historischen Klimaentscheid in den Niederlanden stützte sich der Entscheid insbesondere auf Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Schutz des Rechts auf Leben der Bürger sowie auf Artikel 8, der die Verpflichtung zum Schutz des Rechts auf Achtung ihres Heim- und Privatlebens begründet. Damals schloss das Gericht: «Wenn die Regierung weiss, dass eine reale und unmittelbare Gefahr besteht, muss der Staat Vorsichtsmassnahmen ergreifen, um die Verletzung dieser Rechte so weit wie möglich zu verhindern (…).»
In einem Artikel in der Zeitschrift «Droit de l’environement», der dem historischen Entscheid in den Niederlanden gewidmet ist, sagt Marta Torre-Schaub, Forschungsdirektorin, Spezialistin für Klimawandel sowie Umwelt- und Gesundheitsrecht am Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS), dass «dieses Argument die Tür für künftige rechtliche Schritte öffnet, die auf diesen Grundrechten basieren».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
In der Schweiz muss man die FDP und die SVP ebenfalls für Ihre Untätigkeit anprangern denn damit werden Kosten in Mia Höhe in Zukunft für die Industrie und die Steuerzahler anfallen. Es gefährdet in ungeahnten Höhen die Tier- und Pflanzenwelt, die nächsten Generationen und nicht nur schädliche Folgen für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit, die Sicherheit und die soziale Gerechtigkeit in der Schweiz
Frankreich steht bezüglich CO2-Ausstoss pro Kopf gar nicht so schlecht:
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/167877/umfrage/co-emissionen-nach-laendern-je-einwohner/
Frankreich: 4.38 t/Einwohner in 2016
(Etwa wie die Schweiz, 4.53; viel weniger als Deutschland: 8.88)
Übrigens gehören in einem Rechtsstaat solche Entscheidungen schlicht und einfach der Politik! Dass sogar in der Schweiz (direkte Demokratie, Volksinitiative) eine «Klimaklage» entsteht, ist besonders widerwärtig.
Vielen Dank für die Berichterstattung, im Gegensatz zu vielen anderen Medien. Allerdings entsteht für mich als Leser eine merkwürdige Diskrepanz zwischen den aktuellen Protesten in Frankreich und der hier erhobenen Forderung. Präsident Macron hat ja seine Spritsteuererhöhung mit dem Klimaschutz begründet und gilt (oder galt zumindest vor den Gelbwesten-Protesten) als eine der letzten grossen Hoffnungen, was engagiertes staatliches Handeln gegen die Klimakrise betrifft. Wie passt das nun zusammen? Auf dem von Ihnen verlinkten deutschen Klimaportal, das jetzt klimareporter.de heisst, finde ich mit dem Suchwort ‹Gelbwesten› zumindest Ansätze einer Auseinandersetzung (wenn man die Leserkommentare einbezieht), ansonsten ergibt eine Internetsuche z.B. nach ‹Klimaklage+Gelbwesten› absolut nichts. Ist das nicht aber eine äusserst wichtige Frage: Wie kann starker, schneller Klimaschutz gehen, ohne dass die Gesellschaft auseinanderfliegt?