Merkwürdiges Demokratieverständnis von Volksvertretern
Die Wintersession des Schweizer Parlaments dauert noch bis am 20. Dezember. Während 19 Tagen kommen National- und Ständerat im Bundeshaus zusammen, diskutieren, beraten Geschäfte und kümmern sich um die anstehenden Probleme und damit um das Wohl der Schweiz. Für die gewählten Volksvertreter bedeutet das vor allem Stress. Der Sitzungs-Marathon ist Pflicht, oft dauert er bis spät in die Nacht.
Politik geht durch den Magen
Immerhin müssen die Parlamentarier während dieser Zeit nicht kochen – wenn sie es geschickt anstellen. Denn für ihr leibliches Wohl sorgen Unternehmen, Verbände und andere Lobbyisten, die nicht nur – aber vor allem – während den Sessionen omnipräsent sind und unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Schweizer Politik beeinflussen und mitbestimmen. Dazu laden sie die Parlamentsmitglieder auch zu Apéros, Steh-Lunches und anderen kulinarischen Anlässen ein, die meistens in teuren Nobel-Hotels oder -Restaurants stattfinden.
Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben die Qual der Wahl, die Einladungen der Lobbyisten stauen sich in ihren elektronischen Postfächern. So recherchierte lobbywatch.ch über 50 Lobby-Veranstaltungen, die alle während der zwölf Tage dauernden Wintersession stattfinden. Lobbywatch.ch schreibt dazu: «Wir gehen davon aus, dass es nicht alle sind, aber wir stellen fest, dass wohl stimmt, was uns kürzlich ein Nationalrat gesagt hat: Wer sich gut organisiert, muss während der Session nie kochen.»
Politik im Hinterzimmer
Die Lobby-Organisationen kümmern sich nicht aus Sorge um das leibliche Wohl der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Sie nutzen die Gelegenheit und umgarnen die politischen Entscheidungsträger. Sie wollen Einfluss nehmen auf den politischen Entscheidungsprozess und präsentieren dazu nicht nur ihre Sicht der Dinge, sondern seitenlange Argumentarien, die an die Politikerinnen und Politiker abgegeben werden. Denn Verbände und Unternehmen erreichen ihre Ziele nur, wenn sie möglichst viele politische Schwergewichte in ihren Reihen wissen.
Das Politik in Hinterzimmern gemacht wird, zeigt die Vergangenheit. Das prominenteste Beispiel ist die Kasachstan-Affäre. Aber es gibt auch andere. So zum Beispiel das Geschäft über die Beschaffung des Kampfjets Gripen, bei dem der schwedische Botschafter Per Thöresson massiv lobbyiert hatte. Oder die Vorentwürfe zum Tabakproduktegesetz, das aufgrund des massiven Lobbyings der «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Präventionspolitik» (AWMP) immer weiter verwässert wird. Die Liste ist lang, die Dunkelziffer hoch.
Erfolgreiche Lobbyisten stecken ihr Terrain früh ab. So zum Beispiel der französische Flugzeughersteller «Dassault Aviation», welcher der Schweiz seine Jets verkaufen will. Bereits Anfang 2017 eröffnete man an prominenter Lage in Bern ein Verbindungsbüro, obwohl der Beschaffungsprozess noch nicht einmal in den Startlöchern steckte.
Transparenz im Parlament ist ungenügend
Der Idealfall für Verbände und Unternehmen: Ihre Mitglieder, Geschäftsführer und Verwaltungsräte sitzen selber im National- oder Ständerat. Eigentlich müssten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier diese Interessensbindungen offen legen. Aber niemand kontrolliert die entsprechenden Listen, sie sind unvollständig und Sanktionen gibt es nicht.
Es sind die Teammitglieder von lobbywatch.ch, die diese Verbindungen recherchieren und offen legen. Das Fazit der Organisation: Ein Jahr vor den eidgenössischen Wahlen lässt die Transparenz im Parlament weiterhin zu wünschen übrig. «Nur ein knappes Viertel der Ratsmitglieder legt offen, wie viel sie mit ihren Mandaten verdienen.»
Dabei ist die SP die transparenteste Partei, es folgen die Grünen. An dritter Stelle steht die BDP – gefolgt von den anderen bürgerlichen Parteien, die anscheinend nicht viel von Transparenz halten. Am wenigsten Transparenz gibt es bei der CVP. Lobbywatch.ch analysierte die Zahlen und stellte fest: «Nicht einmal jedes zehnte (CVP-)Fraktionsmitglied hält es für nötig, seine Finanzen offenzulegen.»
Allerdings brauchen sich die Politikerinnen und Politiker nicht zu fürchten, die Rahmenbedingungen bestimmen sie selber. Sie lehnten auch in der laufenden Legislatur erneut eine ganze Reihe von Transparenz-Vorstössen ab.
Intransparentes «Götti-System» bleibt bestehen
Darunter auch die parlamentarische Initiative «Eine Regelung für transparentes Lobbying im eidgenössischen Parlament», welche die Akkreditierung von Lobbyisten, eine eventuelle Begrenzung der Lobbyisten im Bundeshaus, ein öffentliches Register der Akkreditierungen inklusive der Nennung jedes Mandats und Arbeitgebers, sowie griffige Sanktionen bei Regelverstössen verlangte. Der Staatspolitischen Kommission des Ständerats (SPK-S) gehen diese Forderungen zu weit, sie will bloss kosmetische Korrekturen vornehmen.
So bleibt das intransparente «Götti-System» erhalten, bei dem jeder Parlamentarier und jede Parlamentarierin zwei Zutrittsberechtigungen an Gäste vergeben kann. Diese «Gäste» müssen sich nur mit Name und Funktion auf einer Liste eintragen. Auch hier gibt es keine Kontrollen, Lobbyisten lassen Tätigkeiten und Mandate offen und verstecken sich hinter dem Begriff «Gast».
Dieses System führt zu einer absurden Nähe zwischen Parlamentsmitgliedern und Lobbyisten. Es sind die einzelnen Politikerinnen und Politiker, die entscheiden, welche Lobbyisten ins Bundeshaus gelassen werden – und welche nicht. Ausschlaggebend ist die persönliche Beziehung.
Basar um Zutrittsberechtigungen
In einer Vernehmlassungsantwort zum «Bundesgesetz über die Bundesversammlung» und die «Regelung für ein transparentes Lobbying im eidgenössischen Parlament» schreibt lobbywatch.ch: «Diese Art der Vergabe von Zutrittsberechtigungen ist demokratiepolitisch höchst fragwürdig, weil vollständig intransparent. Auch wenn bis heute nicht mit Dokumenten belegt, hält sich doch seit Jahren hartnäckig das Gerücht, dass Lobbyisten mitunter für Zutrittsausweise Parlamentariern Geldbeträge anbieten. Mehrfach überliefert ist auch das teils aggressive Buhlen von Lobbyisten bei Parlamentariern um Erhalt eines Zutrittsausweises. Dieser Basar ist einer parlamentarischen Demokratie unwürdig.»
Dazu kommt die Regelung, wonach allen ehemaligen Parlamentarierinnen und Parlamentariern eine lebenslange Zutrittsberechtigung für das Bundeshaus ausgestellt wird. So recherchierte lobbywatch.ch, dass im Jahr 2018 insgesamt 431 Ex-Ratsmitglieder ungehinderten Zugang zum Bundeshaus haben. Sie dürfen sich frei bewegen und müssen ihre Beweggründe nirgends nachweisen. Eine Vorzugsstellung, die auch zu Lobby-Zwecken genutzt wird.
«Kein Interesse» an Transparenz
Kürzlich publizierte lobbywatch.ch die Broschüre «Herzlichen Dank, ich habe kein Interesse». Darin veröffentlicht die Organisationen einige Antworten von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die von lobbywatch.ch auf fehlerhafte oder inexistente Interessensbindungen hingewiesen wurden. Ein Auszug:
- «Machen Sie doch, was sie wollen; für mich ist es ohne Belang. Zudem gehöre ich noch weiteren Vereinen an, wie etwa dem Vogelschutzverein Gipf-Oberfrick…» Nationalrat, SVP
- «Hier eine Antwort, so gut ich dies machen kann: Ihre Auswahl ist etwas willkürlich, es gäbe noch viele Vereinsmitgliedschaften, die aber wenig Bedeutung haben.» Nationalrätin, CVP
- «Das mit der Mitgliedschaft ‹asuw› muss ich völlig vergessen haben. Das war mir überhaupt nicht mehr präsent. Kann mich überhaupt nicht daran erinnern.» Nationalrätin, FDP
- «(…) Sie wissen ja schon, dass ich die Arbeit von lobbywatch – wie im Vorjahr – als dilettantisch empfinde. (…)» Nationalrat, SP
- «Herzlichen Dank, ich habe kein Interesse.» Nationalrat, SVP
Trotz solchen Aussagen betont lobbywatch.ch in der Broschüre, es gebe auch selbstkritische Politikerinnen und Politiker, die ihre Mandate auf Nachfrage überprüfen würden. Andere Parlamentsmitglieder würden aufgrund der Nachfrage erst auf mögliche Interessenkonflikte aufmerksam gemacht und würden die Mandate daraufhin verlassen. Dann gebe es sogar Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die künftige Mutationen von sich aus melden würden.
Misstrauen in der Bevölkerung
Nichtsdestotrotz würden aber viele Politikerinnen und Politiker mit Unverständnis und Ignoranz reagieren. Eigentlich ein No-Go für gewählte Parlamentsmitglieder, die dem Volk verpflichtet sind. Als Folge waren 2016 in einer repräsentativen Umfrage zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung der Ansicht, vermögende Personen würden in der Schweiz zu viel Einfluss auf politische Entscheidungsträger ausüben.
Zwei Drittel der Befragten dachten, dass mindestens ein Teil der Parlamentsmitglieder in Korruption verwickelt ist und stellten die Integrität der Schweizer Parlamentsmitglieder in Frage.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Mitglied bei Lobbywatch.
Wer auch immer im Dunstkreis des Staates (d.h. subventioniert wie beispielsweise heilpädagogische Einrichtungen oder reguliert wie beispielsweise Pensionskassen) arbeitet, erhält von den Aufsichtsbehörden schärfste Corporate Governance-Anordnungen verpasst. So etwas wie Selbstverwaltung, eine urschweizerische Organisationsform, ist in diesen Bereichen nicht mehr möglich. Nur schon die Vermutung von Befangenheit führt zu Massnahmen. Die Einzigen, für die Corporate Governance nicht gilt, sind die Parlamentarier. Wo Gremienmitglieder sonst in Ausstand treten müssen, sind Parlamentarier als Versicherungs-, Landwirtschafts-, Pharma-, Rüstungs- usw. -Vertreter besonders aktiv. Dass Parlamentarier in der Regel ohne Problembewusstsein sind, zeigt sich daran, dass sie immer wieder treuherzig behaupten können: Nein, nein – ich wurde nie beeinflusst, war immer nur meinem Gewissen verpflichtet.
Ein deutscher Politiker sagte im Fernsehen «Die gewählt sind, haben nichts zu entscheiden und die entscheiden, sind nicht gewählt» Dieser Satz gilt zu 100% für den EU-Moloch und in abgeschwächter Form für alle parlamentarische Demokratien. Der Wähler hat seine Stimme «abgegeben». Die Politiker entscheiden oft nicht in seinem Sinne. Als Korrektur haben wir dann, einzigartig auf der Welt, die Volksabstimmung.
Habt Ihr die Umfrage noch vor der ominösen Sommer-Session 2018 gemacht?
Kommen da nicht diverse krasse Fälle von Lobbyismus dazu?
– Wie war das doch gleich mit dem Schnell-Schuss beim ‹Sozialdetektive-Gesetz›?
– Und wie kamen die Änderungen beim Versicherungsgesetz insachen ‹einseitiges Recht auf Vertragsänderungen› zustande?
– Und zur Erinnerung: Wieso stimmten wir damals gegen die Einheitskasse bei der Krankenkasse, was diese Form von Lobbyismus gestoppt hätte, welche jetzt über die Verwaltungsräte von gut 50 Krankenkassen leider möglich wurde.
Die Empörung diverser Politiker bei der Doppeladler-Affäre der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft war völlig fehl am Platz. Die Parlamentarier sollten sich ein Beispiel nehmen an Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka. Die haben beide Nationalflaggen auf ihren Fussballschuhen, Schweiz und Kroatien. Das Nenne ich Transparenz.
Wenn es nach mir ginge, müssten alle Parlamentarier nur dann Zutritt zum Parlament bekommen, wenn sie auf ihrer Kleidung gut sichtbar die Namenszüge aller Mitgliedschaften und vertretenen Unternehmen tragen. Kurz: so wir es von den Sportlern mit den Namen der Sponsoren gewohnt sind.
Guten Tag, Wahltag ist Zahltag. Wer seine Pfründe nicht offenlegen will, ist unwählbar.
Auch die intransparente Parteienfinanzierung ist juristisch legitimierte und institutionalisierte Korruption.
Die Vollgeld Initiative entblösste die CH Politik komplett. Der Kaiser war nackt und viele werden das nicht vergessen.
Vielen Dank für Ihren Artikel über Lobbywatch. Wie dieser, fasst der Titel von Temps présent, der RTS vom 6.09.2018 das Problem treffend zusammen : Attention, Ce parlement peut nuire à votre santé! – Den Bürger/innen wäre für die Parlamentswahlen 2019 nützlich, falls Sie Voten zitieren könnten, die sich für die Zurückweisung des Tabakproduktegesetzes breitgemacht haben, dessen jetzige zweite Version noch schlimmer ist als die erste, beispielsweise : J. Dittli, B. Pezzatti, R. Clottu. Ihre Ansichten zur Tabakepidemie zeugen von Kenntnis und Besorgtheit um die Gesundheit der Jugend und haben zum jetzigen zweiten Entwurf des Tabakproduktegesetzes geführt, das ein regelrechtes Tabakförderungsgesetz ist. Aber viele stimmen im Parlament gegen die Interessen der Bevölkerung, ohne sich erkennbar zu äussern. Bei den letzten Parlamentswahlen konnte man in Le temps beiläufig erfahren, dass Nationalrat Claude Beglé einen Beitrag für seine Wahlkampagne von der Tabakindustrie erhalten haben soll, er ist aber vermutlich nicht der einzige, und die Bearbeitung von CVP politikern (deren von PR agenturen beeinflussten Positionierungen zum Niedergang der «Partei der Werte» beigetragen haben) führen ,- mit der Transparenzinitiative- zum Schluss: So kann es nicht weitergehen. Denn es ist altbekannte Tatsache : Korruption gedeiht nur im Klima des Schweigens. Und die Schweigenden sind Komplizen, was wiederum die Ablehnung für jegliche Offenlegung der Verbindungen erklären könnte.
Ihnen und Lobbywatch herzlichen Dank, Herr Tscherrig. Für die Demokratie ist es nämlich gefährlich, wenn eine Mehrheit der Wähler den Parlamentariern misstraut. Glücklicherweise existiert in der Schweiz aber auch eine Lobby, die das regeln kann – die der Initiativen. Wenn jedoch nur etwa die Hälfte der Wahlberechtigten abstimmt, dann nützt diese Lobby nicht. Leider wird dabei der Satz zu oft vergessen, dessen Missachtung die französische Aristokratie vernichtete: Avec le droit est le devoir – Wer Rechte hat, hat Verantwortung. Mit anderen Worten, wer wahlberechtigt ist, hat die Verantwortung zu wählen, egal auf welcher Seite er/sie steht.
Demokratie = Moneykratie. Alle sind kaüflich, Politiker, Journalisten gleich wie die Nu…en, die Frage ist nur der Preis und der bestimmt den Service, siehe Krankenkassenprämien der CEO‘s sowie immer neue erfundene Kosten. Nennen wir es doch einfach DIKTATUR.
Das ist einer der Gründe warum ich nicht wähle. Ich gebe keinem Politiker und keiner Partei meine Stimme. Lediglich bei Volksabstimmungen wähle ich, jedoch wird hier durch Medien extrem gelenkt. Am Ende läuft alles zu Gunsten der Corporates. Das ist so ziemlich in der ganzen westlichen Welt der Fall.