Invalide plagen, Investoren beschenken
«Der Kanton Bern kann sich die Senkung der Gewinnsteuern von 21,64 auf 18,71 Prozent leisten», freute sich die Berner Finanzdirektorin Beatrice Simon (BDP) Ende Oktober gegenüber der «Berner Zeitung». Simons «Senkung» ist faktisch eine «Schenkung». Und eine grosszügige: 161 Millionen Franken sollen die 6000 grössten der insgesamt 37‘000 Berner Firmen pro Jahr weniger an Gewinnsteuern zahlen müssen.
Entsprechend üppiger werden die Grossaktionäre und Manager dieser Konzerne im Kanton dann wohl mit Dividenden und Boni bedient. Begründung der Machthabenden in Bern für diese Neuerung: «Ohne Steuerreduktion wird riskiert, dass sich Unternehmen nicht im Kanton Bern niederlassen oder wegziehen.»
Kranke, Lernende, Behinderte zahlen die Zeche
Am 25. November kann die Berner Bevölkerung über eine entsprechende «Steuergesetzrevision 2019» abstimmen. Ein Komitee namens «Keine Steuergeschenke für Grosskonzerne» hat gegen die Vorlage erfolgreich das Referendum ergriffen. Es argumentiert: «Die Drohung, dass gewinnstarke Unternehmen in Steuerparadiese abwandern und Arbeitsplätze verloren gehen, ist blosse Angstmacherei.»
Wird – Steuergesetz hin oder her – sicher nicht «wegziehen»: Die Grossfirma CSL Behring baut ihren Standort im Berner Wankdorf für 300 neue Arbeitsplätze derzeit gerade massiv aus. Foto: N. Ramseyer
Die Steuergeschenke «auf Kosten der Bevölkerung» seien weder nötig noch könne sie der Kanton sich leisten, sagen die Gegner der Vorlage. Eine vernünftige «Gegenfinanzierung» fehle zudem gänzlich. Die üble Folge davon: Schon 2017 habe der Kanton «zum Teil harte Leistungskürzungen in der Spitex, in der Bildung, im Jugend-, Alters-, und Sozialbereich und bei Menschen mit Behinderung durchgesetzt».
Mit dem Sparhobel gegen die Schwächsten
Konkret trifft dies knallhart in Bern etwa die Stiftung Rossfeld, ein «Kompetenzzentrum für Menschen mit körperlicher Behinderung ohne kognitive Einschränkungen von fünf bis 65 Jahren». In der überregional aktiven Institution betreuen 270 Mitarbeitende 330 Behinderte. Ende Oktober dann die Hiobsbotschaft in allen Berner Medien: «Die Stiftung Rossfeld verkleinert ihre geschützte Werkstatt und gibt die interne Berufsbildung auf. Sie baut 35 Stellen ab. Betroffen sind auch neun Angestellte mit einer körperlichen Behinderung.»
Zynischerweise stand diese Meldung in der BZ vom 30. Oktober auf der selben Seite 11, auf der Finanzdirektorin Simon auch frohgemut verkündete, wie gut sich doch der Kanton das jährliche, 161 Millionen schwere Steuergeschenk für Grossfirmen und Aktionäre leisten könne. Wohingegen die BZ in ihrer Ausgabe vom 31. Oktober dann vermelden musste: «Das Sparprogramm der Stiftung Rossfeld hat für die 19 betroffenen Behinderten schmerzhafte Folgen. Sie verlieren entweder ihre Stelle oder müssen Lohneinbussen in Kauf nehmen.» Und dies massiv: «Statt Lohn gibts nur noch ein Sackgeld.» Der Grund: Von den 70 Beschäftigten der geschützten Werkstätte im Rossfeld sollen neun entlassen werden, und zehn Leute werden in die Tagesstätte der Institution versetzt. Es sind Querschnittgelähmte, Personen mit Muskelschwund oder an Multipler Sklerose Leidende. Sie verdienen jetzt in der Werkstätte Stundenlöhne von bis zu 30 Franken. Die Tagesstätte hingegen zahlt gemäss BZ «pro Tag lediglich ein paar Franken».
161 Millionen «kann sich der Kanton leisten» – 210‘000 Franken nicht
Die Verantwortlichen der Stiftung betonten, diese Restrukturierungen, die erst geplant und in Vernehmlassung seien, hätten der Digitalisierung wegen auch mit der abnehmenden Nachfrage nach Leistungen der geschützten Werkstätte zu tun. Und es werde einen Sozialplan geben. Sie verweisen auf die neue Gesetzgebung, die «eine Quersubventionierung der Werkstätte durch andere Bereiche der Stiftung», wie Schule oder Wohnen nicht mehr erlaube. «Der Gesetzgeber» akzeptiere dies nicht mehr. Es ist der selbe Gesetzgeber, der das neue Steuergesetz mit jährlichen Geschenken in Millionenhöhe für Grossaktionäre gemacht hat.
Im Rossfeld hingegen stellt man fest: «Der Kanton kürzt konstant Leistungen.» Dennoch gehe es der Institution gut. Sie baut derzeit 45 neue Wohnungen für Behinderte. Aber bei einem Umsatz von 20 Millionen Franken resultierte letztes Jahr halt ein Defizit von 210‘000 Franken. Diese 210‘000 Franken will sich der Kanton für Invalide offenbar nicht mehr «leisten». Für Investoren Steuergeschenke über 161 Millionen jährlich hingegen schon.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Danke für diesen Beitrag. Ich lebe mit einem Handicap und bin nicht mehr «Wirtschaftsfähig» deswegen. Also engagiere ich mich seit Jahren als «Behinderter» ehrenamtlich im Sozialbereich, dies auch mit einem gewissen Erfolg. Nun, seit bald 9 Monaten suche ich in Basel eine neue Wohnung. Wer sich nicht bei der Pro Infirmis und der IG-Wohnen die nötige Unterstützung dafür einholt, bekommt höchstens eine Wohnung an übelster Lage. Gegenwärtig bin ich seit 9 Monaten von Baustellen umgeben, in einer schlecht isolierten Wohnung. Eine weitere Baustelle kommt demnächst dazu, die Strasse wird 1 Jahr lang saniert. Ich habe alle meine Zimmer zur Strassenseite, die guten Wohnungen mit Zimmer in den Hof bekommen andere. Dies obwohl ich beste Voraussetzungen als guter Mieter mitbringe, schuldenfrei, nicht vorbestraft, aktiv im Sozialbereich (Benevol Rot-Kreuz-Zertifiziert). Inklusive bester Referenzen. Behindert zu sein weckt Vorurteile. Wer dazu nicht direkt sichtbar behindert ist, noch umso mehr. Die Begriffe wie «Scheininvalide» «Sozialbetrüger» «Hungerleider» sind tief drin in den Köpfen derjenigen, die einfach einen zahlenden Mieter wollen. Stiftungen und subventionierte Projekte sind von diesen Vorurteilen nicht ausgeschlossen. Das ist nicht immer so, doch es ist auffällig sogar im SP-Kanton Basel-Stadt erleb, erfahr und beobachtbar.
Das Stimmvolk hat es in der Hand, der bernischen Finanzdirektorin zu zeigen, wo der Hammer hängt ! … Also: Stimmzettel entsprechend ausfüllen – und nicht vergessen, am übernächsten Sonntag zur Urne zu schreiten. Ausschlafen gilt nicht ! Der Brunch kann warten !
Wenn ich daran denke, dass der Kanton Bern 1,27 Milliarden aus dem NFA erhält und mein Kanton der zweithöchste Einzahler ist, dann kann ich dem Referendum nur viel Erfolg wünschen!
Irgendwie zynisch. Die Wirtschaft stellt uns 50+ auf die Strasse weil wir zu teuer sind. Die vom «2. Arbeitsmarkt» stellt der Kanton Bern raus um die Wirtschaft zu «fördern». Ich finde, wir derart «Entsorgte» sollten auch mal Generalstreik machen. Wir gehen nicht mehr für 4 – 20 Fränkli Trostgeld pro Stunde arbeiten. Wir wollen wie alle übrigen Schweizer am Erwerbsleben zu lohnenden Löhnen ein Einkommen bekommen. Wenn ihr Wirtschaftheinis wie der Kanton uns nicht mehr wollt – wir verzichten darauf quersubventionierend als Billiglöhner herzuhalten. Dann füttert uns halt durch und importiert Euro-Bürger.