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Armut in Griechenland: Trotz EU-Hilfszahlungen – die Aussichten sind katastrophal © linmtheu/flickr

Griechenland: Die Lüge von der «überwundenen» Finanzkrise

Ernst Wolff /  Die Aktienkurse grosser griechischer Banken stürzten letzte Woche ein. Eine Zahlenakrobatik soll einen Kollaps verschleiern.

Wer in der vergangenen Woche die Vorgänge im griechischen Bankensystem verfolgt hat, der rieb sich verwundert die Augen: Die vier grössten Geldinstitute – Piräus Bank, Eurobank, Alpha Bank und National Bank – erlebten an der Athener Börse ein wahres Erdbeben.


Aktien-Index der Athener Börse: Seit Mai im Sinkflug, namentlich wegen der Bankenaktien. Grössere Auflösung der Grafik hier.
Schon seit Mai und insbesondere seit Anfang September kriselt es im Bankensektor des Landes, doch in den ersten Oktobertagen verschärfte sich die Situation dramatisch: Die vier Institute mussten Einbussen von bis zu 40 Prozent hinnehmen, der Aktienkurs der Piräus Bank brach um fast 30 Prozent ein, der Athener Bankenindex fiel auf den tiefsten Stand seit 31 Monaten.
Wie konnte das sein? War Griechenland nicht erst im August unter grossem Beifall der Politik aus dem Euro-Rettungsschirm entlassen worden? Und hatten die vier Grossbanken nicht erst im Mai einen Stresstest der EZB bestanden?

Stresstests: PR-Instrument der EZB
In der Tat sind gerade einmal sechs Wochen vergangen, seit EU-Ratspräsident Donald Tusk dem griechischen Volk mit den Worten
«Ihr habt es geschafft!»
per Twitter zur Rückkehr an die internationalen Finanzmärkte gratulierte. EU-Finanzkommissar Moscovici sprach von einem
«symbolischen Schlussstrich unter eine existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets».
Und die EZB attestierte den vier systemrelevanten griechischen Grossbanken vor knapp einem halben Jahr, sie könnten auch schwere Turbulenzen ohne grössere Schäden überstehen.
Wer allerdings meint, dass derartige Stresstests irgendeine Aussagekraft über den tatsächlichen Zustand von Geldinstituten haben, der sei daran erinnert, dass die griechischen Banken in den vergangenen acht Jahren dreimal bankrott gingen –, und jedes Mal hatten sie zuvor die Stresstests der EZB bestanden.
Im Grunde sind solche Tests nichts anderes als ein PR-Instrument, mit dem die EZB die Öffentlichkeit über den wahren Zustand des Finanzsystems hinwegtäuscht. Selbst wenn sie mit grösster Sorgfalt und Ernsthaftigkeit durchgeführt würden, wäre ihr Ergebnis weitgehend unbrauchbar. Denn mehr als 40 Prozent der Bankgeschäfte werden heute von unregulierten Schattenbanken – hauptsächlich von Hedgefonds – getätigt, und die Grossbanken haben den riskantesten Teil ihrer Geschäfte längst in diesen Bereich ausgelagert. Insbesondere der Handel mit hochriskanten Derivaten entzieht sich fast gänzlich jeder Kontrolle, da es sich um sogenannte «Over-the-Counter-Geschäfte» handelt, die in den Bilanzen der Geldhäuser gar nicht auftauchen. Kein Wunder also, dass die Ergebnisse der Stresstests im Grunde wertlos sind.

Sogar ein Laie würde bei einem Blick auf die Bilanzen der griechischen Grossbanken skeptisch werden: Diese Geldhäuser hielten zur Jahresmitte 2018 faule Kredite (Kredite, die seit mindestens 90 Tagen nicht mehr bedient wurden oder ausfallgefährdet sind) in Höhe von 88,6 Mrd. Euro in ihren Büchern. Dieser Wert entspricht knapp der Hälfte aller vergebenen Darlehen und übertrifft den von der EU geforderten Höchstwert um das Neunfache.

Unseriöse Zahlenakrobatik
Was die Entlassung Griechenlands aus dem EU-Rettungsschirm betrifft, so reicht auch hier ein Blick auf Zahlen und Fakten, um die Euphorie der EU-Bürokraten als Farce zu entlarven: Griechenland hat seine Probleme seit 2010 bereits dreimal nur mit fremder Hilfe überstanden und innerhalb von acht Jahren Kredite von insgesamt 289 Mrd. Euro aufgenommen. Der Schuldenberg des Landes liegt inzwischen bei rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung – der mit Abstand höchste Wert in Europa.
Um die Illusion einer Rückzahlung aufrechtzuerhalten, haben die Gläubiger des Landes die Schulden immer weiter gestreckt. So haben die Kredite des Europäischen Rettungsfonds ESM mittlerweile eine Restlaufzeit von 32 Jahren, die EFSF-Kredite wurden im Juni dieses Jahres sogar bis 2060 auf 42 Jahre verlängert. Ausserdem wurden Zinszahlungen, die eigentlich für 2022 angesetzt waren, um weitere 10 Jahre bis Ende 2032 gestundet.
All das ist nichts anderes als unseriöse Zahlenakrobatik, mit der das Eingeständnis, dass Griechenland und seine Banken längst hoffnungslos überschuldet sind, umgangen wird. Denn Griechenlands Finanzsektor ist ein Teil des völlig ausser Kontrolle geratenen internationalen Finanzcasinos, und ein Bankrott würde wegen der engen Verflechtung griechischen und ausländischen Kapitals und wegen der unkalkulierbaren Risiken für den Euro und im Derivatebereich mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Einbruch des gesamten Systems führen.

Die Aussichten sind katastrophal
Wie wird es weitergehen? Die Regierung in Athen arbeitet bereits zusammen mit dem Euro-Rettungsschirm ESM und dem griechischen Bankenverband an einem «Interventionsplan», also einem klassischen Bail-Out mit Hilfe von Steuergeldern aus der EU. Ein von der EU mittlerweile vorgeschriebener Bail-in (also die Beteiligung von Anteilseignern, Anlegern und Aktionären) wird offenbar gar nicht erst erwogen, weil man die politischen und sozialen Konsequenzen fürchtet.
Zudem versuchen die in Schieflage geratenen Banken derzeit, die faulen Kredite zu bündeln und zu Niedrigpreisen zu verscherbeln. Zwar gibt es genügend Hedgefonds, die bereits darauf warten, zu Minipreisen zuzugreifen. Das aber wird den Markt zusätzlich schwächen und eine weitere Spirale nach unten in Gang setzen.
Gelöst werden die Probleme Griechenlands also auf keinen Fall, aber zwei Dinge sind schon jetzt sicher: Die nächsten Hilfszahlungen werden kommen müssen, und bezahlen wird dafür in erster Linie die arbeitende griechische Bevölkerung. Davon leben 35 Prozent bereits jetzt an oder unter der Armutsschwelle, die Mittelschicht wird inzwischen von einer Steuerlast von bis zu 75 Prozent erdrückt, und die Senioren werden im Januar eine weitere (die 23.) Rentenkürzung – diesmal um 18 Prozent – hinnehmen müssen.
Egal, von welcher Seite man die Entwicklung in Griechenland betrachtet: Was sich dort abspielt, ist nichts anderes als eine von der Regierung in Zusammenarbeit mit ungewählten Bürokraten der EU und der EZB organisierte Insolvenzverschleppung auf Kosten der Mittelschicht und der schwächsten Teile der Bevölkerung – und das zugunsten der internationalen Finanzindustrie.
Eigentlich gerettet wurden Grossbanken in Deutschland, Frankreich, Italien und andern Ländern, welche ihre Milliardenkredite an Griechenland sonst hätten abschreiben müssen.
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Infosperber-DOSSIER: «Griechenland nach der Kapitulation»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist. Von ihm erschienen sind die Bücher
«Finanz Tsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht», edition e. wolff, 27.90 CHF.
und «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», Tectum-Verlag, 26.90 CHF.

Zum Infosperber-Dossier:

Tsipras

Griechenland nach der Kapitulation

EU, EZB und IWF erzwangen Rückzahlungen an die fahrlässigen Kreditgeber – auf dem Buckel der Bevölkerung.

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2 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 12.10.2018 um 14:24 Uhr
    Permalink

    Vollständig einverstanden. Es wäre an der Zeit, dass unsere «lieben und netten», welche der EZB weiter für ihre katastrophale Geldpolitik zujubeln, endlich aufwachen würden und die neokoloniale Politik der EU gegenüber Griechenland zugeben würden.

    Italien wird nicht mehr auf diese billige Art abgespiesen werden können.

  • am 15.10.2018 um 10:21 Uhr
    Permalink

    Die EU (EZB) ist interessiert, pro Monat 60 Milliarden Euro neu zu drucken und als «Sicherheit» und Gegenposition dafür griechische und italienische Schuldpapiere aufzukaufen. Das geht nur solange «gut», bis der Euro selber total zusammenbricht.

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