Bauern vertreiben die Vögel aus dem Kulturland
Das Lied der Feldlerche ist im östlichen Mittelland kaum noch zu hören. Das Braunkehlchen, das sich schon lange in Bergwiesen zurückgezogen hat, wird auch dort selten. Der Neuntöter ist im ganzen Land auf dem Rückzug. Die drei erwähnten Vogelarten gehören zu jener Gruppe von Kulturlandbewohnern, deren Bedürfnissen die Bauern Rechnung tragen sollten, und die kürzlich in einem Rundbrief der «Artenförderung Vögel Schweiz» besondere Erwähnung fanden.
Dass die Bestände vieler heimischer Vogelarten dahinschwinden, ist bekannt. Die Schweizerische Vogelwarte in Sempach veröffentlicht, gestützt auf Beobachtungen Tausender Freiwilliger, jährlich ihren Swiss Bird Index (SBI). Dieser zeigt einen grossen Abwärtstrend bei den Vögeln, die in Feuchtgebieten und im Kulturland brüten.
Neu wird die bedrohliche Entwicklung besonders drastisch sichtbar. Denn jetzt liegt eine flächendeckende Bestandsaufnahme für alle Regionen der Schweiz vor, die sich mit jener aus den 1990er Jahren vergleichen lässt. Die Grundlagen für beide Zeitperioden lieferten Freiwillige mit Erhebungen im Feld, die sie nach Vorgaben der Vogelwarte ausführten. Daraus resultierten der Brutvogelatlas 1993-96 und jener für die Jahre 2013-16, der im November erscheinen wird.
Die Feldlerche verlässt die Felder
Aus vielen Teilen des Mittellandes verschwunden: Die Feldlerche. Bild: S.Johnsen/flickr.
Schon der Brutvogelatlas 1993-96 registrierte die Schwierigkeiten der Feldlerche: Sie sei in vielen Wiesen und Feldern selten geworden oder gar verschwunden. So wurde bereits vor zwanzig Jahren bilanziert: «Seit den siebziger Jahren haben die Feldlerchenbestände als Folge der landwirtschaftlichen Intensivierung und der Zersiedlung der Landschaft zum Teil dramatisch abgenommen.» Gleichzeitig wies die Vogelwarte damals hoffnungsvoll auf neue Erkenntnisse hin, nämlich «dass die Feldlerche positiv auf Extensivierungsmassnahmen wie Biolandbau, Flächenstilllegungen, extensive Wiesennutzung und ökologische Aufwertungsmassnahmen wie Buntbrachen und Ackerschonstreifen reagiert». Viele Bauern haben seither, motiviert und unterstützt vom Vogelschutz und den Direktzahlungen des Bundes, solche Massnahmen umgesetzt. Gross ist deshalb die Enttäuschung aller Beteiligten: Der Einbruch ging auch nach 1996 genauso dramatisch weiter.
Das Braunkehlchen verabschiedet sich am Berg
Auch in den Bergen bedroht: Das Braunkelchen. Bild: M.Sommerhage/flickr.
Für das Braunkehlchen, das wie die Lerche am Boden brütet, meldete der Brutvogelatlas 1993-96 ebenfalls einen starken Rückgang gegenüber den 1970er Jahren. Während die intensive Bewirtschaftung diesen Wiesenbrüter aus dem Mittelland verdrängte, boten ihm Bergwiesen oberhalb von 1200 Metern über Meer noch einigen Raum. «Die Förderung von extensiv genutzten Wiesen mit spätem Mähtermin wird sich in den Alpen günstig auf die Brutmöglichkeiten auswirken», prophezeiten die Autoren damals. Aber auch hier folgte der Hoffnung die Ernüchterung: Das Braunkehlchen hat auch in den Bergen massiv an Terrain verloren, weil intensives Wirtschaften in den letzten zwanzig Jahren überall, also auch bei den Bergbauern, dominiert.
Der Neuntöter bleibt fern
Zeigt sich seltener: Der Neuntöter. Bild: L.Stöckli/flickr.
Für den Neuntöter, der in Dornbüschen brütet, wenn diese von insektenreichen Wiesen umgeben sind, sah die Bilanz in den 1990er Jahren erfolgversprechend aus. Der Vogelschutz hatte Anfang der 1980er Jahre eine Kampagne für neue Hecken lanciert, die grossen Erfolg hatte. Der Neuntöter kam vielerorts zurück. Deshalb schätzte man die Chance für die Erholung seiner Bestände als gut ein, wenn neben den Hecken auch wieder mehr Wiesen extensiv gepflegt würden. Doch dem kurzen Aufschwung folgte ein erneuter Niedergang: Die Bestände brachen an vielen Orten regelrecht ein.
Nur kleine Oasen in den grossen Agrarwüsten
Im Unterschied zum Kulturland scheint der Wald den Vögeln heute wieder bessere Lebensbedingungen zu bieten. Und auch im Siedlungsraum ist die Bilanz nicht derart schlecht. Warum also bleibt der Niedergang der Vögel und der gesamten Biodiversität im Landwirtschaftsgebiet ungebrochen, obwohl sich viele Bauern und Naturschützer für sie ins Zeug legen? Das analysieren Raffael Ayé (SVS/Birdlife Schweiz) und Simon Birrer (Vogelwarte Sempach) im Rundbrief «Artenförderung Vögel Schweiz» vom August 2018. Ihr Fazit lautet grob zusammengefasst: Die Inseln mit naturfreundlicher Nutzung im Meer der intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaft reichen bei weitem nicht aus, um eine Trendwende zu bewirken.
Im Detail belegen die Autoren dies mit Zahlen. Eine Studie hatte 1989 berechnet, im Mittelland bräuchte es auf 11 Prozent der Fläche hochwertige Lebensräume. Eine vor wenigen Jahren erstellte Studie nannte 10 bis 17 Prozent von der Talzone bis zur Bergzone zwei. Bauern haben einen Anreiz, einen Teil ihrer Flächen weniger intensiv zu bewirtschaften, weil sie nur dann Direktzahlungen der öffentlichen Hand beanspruchen können. Bezogen auf die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) nutzen die Bauern inzwischen 15,3 Prozent ihrer Böden nach den Vorgaben, die zum Bezug von Direktzahlungen berechtigen.
Doch schon lange ist klar, dass bei weitem nicht alle dieser mit öffentlichen Geldern geförderten Biodiversitäts-Förderflächen dem Anspruch genügen, einen guten Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu bieten. Effektiv macht der Anteil wertvoller Flächen in der Tal- und Hügelzone nur 5,1 Prozent aus, in den Bergzonen eins und zwei etwas mehr. Lebensräume, wie sie die Feldlerche und andere Vögel des Ackerlandes bräuchten, belegen gerade mal 1,3 Prozent der offenen Ackerfläche, beklagen Ayé und Birrer.
Die Anreize zu Gunsten der Biodiversität sind zu gering
Wie andere Landwirtschaftsanalytiker halten auch Ayé und Birrer die Beiträge für besonders wertvolle Strukturen im Kulturland, beispielsweise die Buntbrachen im Ackerland, für zu tief. Von den 2,7 Milliarden Direktzahlungen würden weniger als 14 Prozent speziell für die Biodiversität ausgerichtet. Dagegen beliefen sich die Versorgungssicherheits-Beiträge, die nicht an bestimmte Leistungen gebunden sind, auf rund 40 Prozent. Weitere Beiträge zur Absatzförderung und für Meliorationen förderten die stark mechanisierte, industrielle Produktion. So würden «diejenigen Bäuerinnen und Bauern benachteiligt, die naturfreundlich produzieren». Das gilt auch für den Vollzug bestehender Vorschriften: Wer als Bauer mit übermässig intensiver Produktion Regeln verletzt, muss kaum je mit juristischen Folgen rechnen.
Die Umweltziele wurden verfehlt
Im Prinzip wissen alle mit der Landwirtschaft befassten Stellen, dass sich in der Bewirtschaftung des Landes Entscheidendes zu Gunsten von Umwelt- und Naturschutz ändern muss. Seit 2008 sind die Umweltziele für die Landwirtschaft schriftlich festgehalten, in einer gemeinsamen Publikation der Bundesämter für Umwelt und Landwirtschaft. Diese greifen nicht nach den Sternen, sondern beruhen auf bestehenden rechtlichen Grundlagen. 2016 musste der Bundesrat aufgrund eines Postulats dazu Stellung nehmen, wie weit die dreizehn Ziele erreicht seien. Die ernüchternde Antwort: Keines der Ziele wurde vollständig erreicht. Die Reduktion der klimarelevanten Treibhausgase und des Stickstoffs ist ungenügend; der Bodenfruchtbarkeit wird zu wenig Acht gegeben; besonders hoch aber bleibt der Handlungsbedarf in Bezug auf die Biodiversität. Das erklärt, warum die Vögel, und unter ihnen speziell die Bodenbrüter, im Schweizer Kulturland immer seltener überleben können.
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Weitere Artikel zum Thema:
- DOSSIER: «Schutz der Natur und Landschaft»
- DOSSIER: «Naturfreundliche Gärten»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Wenn man Verhalten und Äusserungen eines Teils unserer Bauernschaft (Politik ect)
verfolgt, so könnte man meinen. sie sind die Stadtkinder und nicht die, die jetzt in
den Städten leben. Haben die Gifte, die sie tonnenweise verstreuen oder versprühen so
gewirkt.
Dabei haben wir gerade in der Schweiz einen hoch-dekorierten Spezialisten – Rudolf
Herren, Stiftung Biovision.
Beispiel von heute: von Heumilch.at bekomme ich einen Wettbewerb, verbunden z.B.
mit einer Darstellung des Qualitäts-Unterschieds zwischen eben Heumilch und üblicher
Milch. Warum erfährt man hier so wenig über solche Sachverhalte? Da heisst es
ja, Bio ist eine Masche für höheren Preis. Dass man aber gerade mit der besseren Qualität, viel mehr einspart, Und das lässt sich auf so viel übertragen. Aber billig ist wichtig, auch wenn es viel kostet.
Elisabeth
Danke für diesen Artikel. Alle in der Schweiz müssten ihn lesen können, damit die Gesellschaft endlich merkt, was mit unserer Natur geschieht.
Die Vögel verschwinden auch deshalb aus den Flächen der industrialisierten Landwirtschaft, weil diese durch übermässigen Pestizideinsatz die Insekten weitgehend vernichtet. Und all das gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, welche die Artenvielfalt und eine abwechslungsreiche Landschaft erhalten und fördern will. Wir brauchen endlich eine andere Landwirtschaft.
Aber wenn die jeweiligen Angstkampagnen der Wirtschaft und Massenmedien jede Volksinitiative bodigen, die das verwirklichen will, oder die Behörden Gesetze und Verordnungen nicht umsetzen, dann ist guter Rat teuer.
Merci für den wichtigen Artikel! Nur ist es verfehlt, alle Schuld den Bauern zu geben. Heute ist der Bauer gezwungen, die global-kapitalistische Diktatur mitzumachen, wenn er nicht untergehen will. M.E. sollten Bauern nicht mehr gezwungen werden, «Unternehmer» zu sein. Die Allgemeinheit sollte, wie beim Wasser (noch!) und bei der Luft (noch!) die Verantwortung für die Lebensmittel in der Schweiz voll übernehmen. D.h. wir geben den Bauern einen guten Lohn – etwa wie für Lehrer -, und dafür müssen sie hochwertige, nicht mit Bioziden, mit Hormonen, mit importierten Futtermitteln und mit Güllenmassen verseuchte Lebensmittel liefern. Ausserdem wären sie verantwortlich, für die Erhaltung und die Pflege wichtiger Naturlandschaften zu sorgen. Dann hätten wir auch wieder eine Biodiversität, die das Leben lebenswert macht.
Die Angstkampagnen (Nahrungsmittelpreise steigen) greifen gerade deshalb, weil der Konsument zuwenig Verantwortung übernimmt. Es ist für den Bauern schlicht unmöglich das Gewissen einer Vielfliegernation mit Dumpingpreisen für ÖKO-Lebensmittel reinzuwaschen.
So hilflos wäre der Konsument gar nicht, wenn er nur viel konsequenter CH-Bio-Nahrungsmittel wählen würde.