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SRG /SRF Zentrale in Zürich © SRF

Weg frei zur Demontage

Robert Ruoff /  Die Direktionen von SRG und SRF öffnen Tür und Tor für mehr Abbau und Regulierung.

Nachtrag: ‹Wir sitzen das aus, und in einem Jahr spricht niemand mehr darüber› – diese Haltung zu den politischen Protesten gegen die Umzugsentscheidung der SRG wird rapportiert aus den Chefetagen von SRG und SRF. Wie dem auch sei, es wäre eine Fehleinschätzung. Gesetzliche Verpflichtungen waren bereits in der politische Diskussion zum Zeitpunkt der Publikation des folgenden Artikels, und sie werden im Schlussteil auch erwähnt. Heute sind es bereits klare politische Absichten von links bis rechts. Das ‹autistische› Verhalten er SRG-Spitze dürfte ein Stück staatspolitische Regulierung zur Folge haben. R.

Es ging hoch zu und her im Fernsehzentrum Zürich-Leutschenbach, am gestrigen 21. September, vor der Aufzeichnung der «Arena». CVP-Präsident Pfister, SVP-Präsident Rösti, BDP-Präsident Martin Landolt, SP-Vizepräsident Beat Jans und Regula Rytz, Präsidentin der Grünen, hatten dem Moderator Grossniklaus mitgeteilt, dass sie in der Sendung Kritik am beschlossenen Umzug aus dem Radiostudio Bern nach Zürich äussern würden. Zu Wort kamen am Schluss der Sendung – macho, macho – dann allerdings nur die drei Männer, die schon während der Sendung an den Pulten in der vorderen Reihe gestanden hatten. – Das berichten Beteiligte.

Es war ein kleines Signal von grösserer Bedeutung. Die SRG- und SRF-Direktionen hatten gehofft, dass die Proteste schnell abflauen würden, und dass auch die Belegschaft sich mit dem Blick auf den prekären Arbeitsmarkt für Medienschaffende schnell auf das tägliche Pendeln aus Bern und Umgebung an den Stadtrand von Zürich einstellen würde. Die Politik würde sich ohnehin rasch wieder anderen Tagesgeschäften zuwenden.

Doppelspiel

Aber die Verstimmung wird nachhaltig sein. In Bern spricht man von einer «Demütigung einer ganzen Region». Und seit gestern liegt das Spiel offen auf dem Tisch, das die SRG-Führung in den letzten vier Monaten mit der Öffentlichkeit und der Politik gespielt hat. Laut Protokoll der Sitzung der Geschäftsleitung der SRG (das Infosperber vorliegt), hat SRG-Generaldirektor Gilles Marchand ausgeführt, das Umzugs-Projekt sei «aus fachlicher und medialer Sicht kohärent», aber «seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der jetzigen Form reicht nicht aus, um zu überzeugen». Und dann findet sich in dem gleichen Protokoll der Satz: «Ein Verzicht auf das Vorhaben ist nicht möglich, weil das Vorgehen gegen die SRG sonst Schule machen würde.»

Das heisst, dass Ende Mai bei der SRG-Spitze bereits entschieden war, das Umzugsprojekt kompromisslos durchzuziehen: Die traditionelle freund-eidgenössische Haltung, Verhandlungen strittig zu beginnen, um dann eine Lösung zu suchen und sie schliesslich auch zu finden, hatte von Anfang an keine Chance. Denn, auch das ist dokumentiert, die Bemerkung von Gilles Marchand war nicht nur dem Augenblick geschuldet. Sie findet sich als wiederkehrende Haltung auch drei Monate später in den Unterlagen für die Sitzung des Deutschschweizer Regionalvorstands der SRG vom 6. September 2018 (liegt Infosperber vor). Dort heisst es unter T (Threats) wie «Bedrohung»: «Verzicht auf Umzug unter politischem Druck führt zu nachhaltiger Lähmung der SRG». Zwei Feststellungen scheinen daher klar: «Verzicht war keine Option» (Tages-Anzeiger). Und: Eine nachhaltige konstruktive Partnerschaft mit der Politik sprengt offenbar das Vorstellungsvermögen der SRG-Führung.

Zutreffen dürfte allerdings die andere aufgeführte Bedrohung: «Kündigung von Leistungsträgern am Standort Bern führt zu Kompetenzverlust in der Radio-Information». Bei der Behandlung der Belegschaft als Manövriermasse, wie sie im Antrag Matter/Derighetti für die Sitzung des SRG-Verwaltungsrats (ebenfalls vom 30.-31. Mai 2018) zum Ausdruck kommt (liegt Infosperber vor), ist das auch nicht erstaunlich. Dort heisst es über den Umzug, «dass in einem worst case rund 25 Prozent der heutigen Berner Belegschaft den Umzug nicht mitmachen würden» Es würde also ein eigentlicher «Brain drain» stattfinden. Die Zahlen wurden in der Zwischenzeit offenbar niedriger angesetzt. Und: «Die Ungewissheit führt im Studio Bern derzeit zu erheblicher Unruhe.» Aber: «Erfahrungsgemäss nimmt ein solcher Unmut ab. sobald Klarheit herrscht.» Der Zyniker im Manager hat das Wort. Und das gebührenzahlende Publikum hat das Nachsehen.

Dilettantismus

Die Entscheidungen des SRG-Verwaltungsrats fallen überdies auf schwankendem Boden, und das ist schwerwiegend. Wenn man die verschiedenen Dokumente liest und nun auch die Ausführungen von SRG-Mediensprecher Edi Estermann im «Tages-Anzeiger» kommt man erstens zum Ergebnis: Die Beschäftigung mit den Zahlen lohnt sich gar nicht, denn sie sind heute anders als gestern, und sie werden morgen anders sein als heute.
Zweitens stellt man fest, dass das Betriebssystem des SRF-Newsrooms, an dem mehr als zwei Jahre gearbeitet und in den schon viel Beton verbaut wurde, bimedial angelegt ist: für Fernsehen und für die Online-Redaktion. Die Verbindung zum Radio ist vorgesehen über ein Dock (wie auch bei Sport, Kultur und Unterhaltung). Das dürfte grundsätzlich genauso anstandslos funktionieren wie heute bereits die Zusammenarbeit zwischen dem Radio und der Online-Redaktion. Soll das Radio mit seinem eigenen kleinen Newsroom nun in den SRF-Newsroom integriert werden, verlangt das eine grundlegende Überarbeitung des Newsroom-Konzepts. Sagte der Leiter des Newsroom-Projekts gegenüber der Radio-Belegschaft und im Gespräch mit dem Schreibenden. Die bimediale Organisation soll ja trimedial werden.

Über eine ausgearbeitete Alternative, etwa in Zusammenarbeit mit den höchst kompetenten Mitarbeitenden in Bern, hat weder der SRG-Verwaltungsrat noch die SRG- und SRF-Direktion ernsthaft nachgedacht.

Drittens verlor und verliert die SRG kein konkretes Wort darüber, wie denn der Service public unter den Bedingungen der Digitalisierung verwirklicht werden soll. Der programmatische Begriff «Service public» ging vielmehr im gesamten Betriebskonzept schlicht vergessen, und erst nach der Kritik auf «Infosperber» und in der «Medienwoche» wurde er mit ein paar dürren Worten nachgeschoben.

«Dilettantisch» nennt der Berner Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann auf Twitter dieses Verfahren. Aber die SRG ist kein Privatunternehmen, dessen Eigentümer ihre Entscheidungen auf eigenes Risiko treffen. Die SRG wird nicht nur öffentlich finanziert, sie hat auch den Auftrag, die Kommunikation im Dienste der Vielfalt und der direkten Demokratie zu gestalten. Damit wird sie tätig im Gestaltungsbereich der Gesellschaft und ihrer gewählten Vertreter in der Politik. Pocht sie zu Recht bei der Gestaltung ihres Programmauftrags auf ihre Unabhängigkeit und Autonomie, so muss sie bei der Gestaltung der Infrastruktur die legitimen Interessen von Politik und Gesellschaft nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch in ihre Entscheidungen integrieren.

Arroganz

Mit ihrem völlig selbstbezogenen Vorgehen haben die Führungsleute von SRG und SRF das Gegenteil dessen bewirkt, was sie anstrebten. Sie wollten den dauerhaften Druck der Politik vermeiden, und sie haben sich jetzt, darüber besteht kein Zweifel, den dauerhaften Druck der Politik eingehandelt. Die SRG hat, um es klar zu sagen, Vertrauen und Unterstützung verloren und Tür und Tor geöffnet für eine noch stärkere Demontage und Regulierung der SRG. Das kann im Prozess der anstehenden Gesetzgebung ohne viel Federlesens geschehen.

Peter Wanner hat sein «Voucher»-Modell bereits veröffentlicht: Die SRG soll von der Medienabgabe nicht mehr 1.2 Milliarden Schweizer Franken erhalten, sondern nur noch 900 Millionen. Der «Rest» von dreihundert Millionen soll nach den Wünschen der Gebührenzahlenden auf private Stationen verteilt werden, sagt der Multimedia-Verleger. Und das Modell von Roger Schawinski, das für Wanners Vorschlag als Muster diente, wird demnächst an die Öffentlichkeit kommen. Auch in diesem Fall wird die SRG nicht mehr nur hundert, sondern mehr als dreihundert Millionen Franken sparen müssen. Das ist dann nicht mehr weit entfernt von den Phantasien der Halbierungsinitiative. – Die Verankerung der regionalen Struktur der SRG in einem neuen Gesetz ist nur eine weitere Überlegung in der Politik, und daran denkt man nicht nur in Bern, Freiburg und Wallis. Die Führung von SRG und SRF hat die Büchse der Pandora geöffnet, in der das Unheil steckt. Und dies nur ein paar Monate nach dem Abstimmungserfolg gegen No-Billag.

Das kann nicht ohne Folgen bleiben

Die Mehrheit des SRG-Verwaltungsrats, der ohne Prüfung einer Alternative und ohne gefestigte wirtschaftliche und konzeptionelle Grundlagen dem Umzug zugestimmt hat, muss sich fragen lassen, ob sie die Konsequenzen ziehen oder nun doch ihre Verantwortung wahrnehmen will.

Der SRG-Direktor Ruedi Matter, der sich für unersetzlich hält und sein Erbe nicht nur in Beton giessen, sondern auch mit einer Personalpolitik festigen will, mit der er seine Leute in Bern und in Zürich in Kaderpositionen hievt und so die Nachfolgeregelung erschwert – Ruedi Matter sollte gehen, unverzüglich, nach dieser dilettantischen Operation, bevor er weiteren Schaden anrichtet.

Und die Generaldirektion ist aufgerufen, ihr technokratisches, zentralistisches Konzept der SRG als «Idée Suisse» gründlich zu überprüfen. Die SRG ist nicht die Schweiz. Die SRG organisiert einen wesentlichen Teil des Service public in der Medienschweiz. Sie repräsentiert die Schweiz. Aber diese Schweiz ist regional.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF

Zum Infosperber-Dossier:

SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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4 Meinungen

  • am 22.09.2018 um 12:31 Uhr
    Permalink

    Steckt in der geöffneten Büchse der Pandora wirklich das Unheil, wie der Autor schreibt? Mitnichten. Wir können heute ein schönes Lehrstück mitansehen, wohin es führt, wenn Strukturen nicht rechtzeitig angepasst werden. Wobei die Versäumnisse nicht nur bei den Führungsorganen der SRG liegen, sondern mehr noch bei der Politik. Lässt man andauernde kleine Erdbeben nicht zu oder löst sie nicht aus, so wird sich der Druck in einem grossen Beben entladen. Grösse, Kosten, Aufgaben und Struktur der SRG passen nicht mehr in die heutige Medienlandschaft. Der Druck kommt einerseits von den sich geänderten Mediengewohnheiten. Vielen genügt heute das Handy und «20 Minuten» als Informationsquelle. Man mag dies bedauern, aber die Realität hat immer recht gegenüber unseren Idealvorstellungen. Dazu wandern die Werbegelder in neue Kanäle, was wir alle beim Gebrauch des PC oder Handy täglich feststellen können. Auch hier hilft kein Mauern. Und zu guter Letzt ist heute der Bedarf an letztlich staatlich getragenen oder regulierten Medien bedeutend kleiner als möglicherweise früher. Also: Lieber jetzt beherzt reformieren als Überholtes bewahren zu versuchen.
    Das gegenwärtige Umzugsprojekt wird nicht das letzte Reformprojekt bei der SRG sein, und das ist gut so.

  • erich_schmid
    am 22.09.2018 um 14:32 Uhr
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    Ja, Matter muss gehen!
    Das Protokoll der SRG-Spitzensitzung zeigt ein ausgesprochen autoritäres Gehabe in den SRG-Gemächern, das die Öffentlichkeit für so einfältig verkauft wie die sagenhafte deutsche Spitzenpolitik um den rechtsradikal angehauchten Chef des Verfassungsschutzes. Das Muster ist das gleiche: Man glaubt Falsches durchsetzen zu müssen im richtigen Leben, um glaubwürdig zu bleiben und handelt sich damit das Gegenteil ein. Die SRG-Spitzen wollten präventiv dem Widerstand an die Gurgel und haben es allein deswegen verdient, dass er sich in dieser Sache auch formiert. Ich meine nicht Widerstand um jeden Preis, wie es heute von Rechts die Mode ist, sondern um diesen.

  • am 22.09.2018 um 18:57 Uhr
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    Herr Ruoff, ich bin erschüttert über die Arroganz, mit der die Umzugspläne umgesetzt werden sollen. Ihre Hintergrundserleuterungen festigen meine Meinung. Ein aus der Sicht des Radiohörers bestens und sehr kompetent arbeitendes Info-Team zu zerlegen, wiederspricht jeder weitsichtigen Planung. Und es wiederspricht den Bezeugungen zur ‹idée suisse›, die im Vorfeld der noBillag-Initiative gebetsmühlenartig von der SRG kommuniziert wurden.

  • am 23.09.2018 um 19:35 Uhr
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    Merci Herr Ruoff. Achso, bei diesem Umzug gehts garnicht um die Kosten, sondern zum die Zentralmacht. Ums Verwaltungsrats-Prinzip des Dürezieh. Um Arroganz also. Dabei haben wir die Billag-Intiative abgelehnt – mit Erfolg! – in der Meinung, ein gutes, föderales, dezentrales SRF-Radio von Heutemorgen über Rendevous bis Echoderzeit zu sichern. Inklusive Studio in Bern. Anmassende Verwaltungsräte im Service Public, hatten wir das schonmal?

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