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Ab 2019 gibt es in der Schweiz einen Ort weniger, der an den Wissenschaftler Louis Agassiz erinnert. © Montage: rts/wikipedia

Frauenrechtlerin statt Rassist: «Agassiz-Platz» umbenannt

Tobias Tscherrig /  Nach jahrelangen Bemühungen eines Komitees wurde der Agassiz-Platz in Neuenburg umbenannt. Die Deutschschweizer Medien schweigen.

Seit zehn Jahren kämpft der Historiker Hans Fässler mit dem Komitee «Demonter Louis Agassiz» für die Korrektur des Bildes, das die Öffentlichkeit vom einst gefeierten Gletscherforscher Louis Agassiz hat. Lange galt Agassiz in den Vereinigten Staaten und der Schweiz als renommierter Wissenschaftler, der vor allem wegen seinen bahnbrechenden Eiszeitstudien sowie seiner Arbeit als Fischkundler und Hochschullehrer geehrt wurde.

Nun ist das Komitee um Fässler seinem Ziel näher gekommen: Der Agassiz-Platz in Neuenburg wird umbenannt – weil sich der kontroverse Wissenschaftler nicht nur als Naturforscher, sondern auch als Rassist hervorgetan hatte. Zu Ehren kommt stattdessen die verstorbene FDP-Politikerin Tilo Frey.

Obwohl der Erfolg des Komitees in der gesamten Westschweiz thematisiert wurde, scheiterten die Medien der Deutschschweiz am Röstigraben: Die deutschsprachige Bevölkerung erfährt nichts von der Umbenennung des Platzes und damit auch nichts von Agassiz› Image, das ein Stück weit demontiert wird.

Brillanter Wissenschaftler und Rassist
Louis Agassiz ist im Jahr 1807 im Kanton Freiburg als Sohn eines protestantischen Pastors geboren. Er ging vier Jahre in Biel zur Schule und besuchte dann eine Universität in Lausanne. Seine Studien führten ihn unter anderem nach Zürich, Heidelberg und München. In Paris fand er in Alexander von Humboldt und Georges Cuvier zwei Mentoren, die ihn ermutigten, sich in Geologie und Zoologie weiterzuentwickeln. Schon bald erregten die Theorien und Forschungen von Agassiz weltweites Aufsehen. So regte etwa seine Eiszeittheorie Wissenschaftler aus ganz Europa und den USA dazu an, sich mit dem Konzept von Eiszeiten zu beschäftigen.

Aber es gibt noch die andere Seite des brillanten Wissenschaftlers. Nachdem Agassiz seine Karriere nach Harvard in die USA verlegte, wollte er die Minderwertigkeit von dunkelhäutigen Menschen beweisen. Dazu liess er Sklaven nackt fotografieren und vermessen. In Briefen, die der Naturforscher nach Hause in die Schweiz sandte, bezeichnete er farbige Menschen als «verderbte und entartete Rasse».

Als nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs die Sklaverei – zumindest offiziell – abgeschafft wurde, kritisierte Agassiz: «Wie ist das Stigma einer niederen Rasse auszurotten, wenn wir ihrem Blut einmal gestatten, sich ungehindert mit dem Blut unserer Kinder zu vermischen?» Deshalb verlangte er unter anderem nach Ghettos für die schwarze Bevölkerung.

Für Agassiz war klar: Es gibt eine «wissenschaftliche Rangfolge der Rassen». Es ist dieser Rassismus, dem Fässler und seine Mitstreiter den Kampf angesagt haben.

Gemeinde gibt nach: Frauenrechtlerin kommt zu Ehren
Nachdem sich die Gemeindebehörden von Neuenburg jahrelang gegen eine Namensänderung des Platzes ausgesprochen hatten, haben sie nun nachgegeben. «Wir beobachten in ganz Europa und anderen Teilen der Welt einen Anstieg der Fremdenfeindlichkeit. In Neuenburg wollen wir Gegensteuer geben», sagt Thomas Facchinetti, SP-Gemeinderat von Neuenburg, gegenüber dem Fernsehsender «rts». Ausserdem solle die Universität von Neuenburg nicht unter einer Adresse zu finden sein, die an einen kontroversen Wissenschaftler erinnere.

Der bisherige Agassiz-Platz wird ab 2019 nach der Neuenburger FDP-Politikerin Tilo Frey benannt. Frey, die als Tochter eines Schweizer Ingenieurs und einer Angehörigen der Fulani in Kamerun geboren wurde, gilt in der Schweiz als Pionierin. 1969 wurde sie als erste Frau in den Grossen Rat des Kantons Neuenburg gewählt. Dort setzte sie sich vor allem für soziale Anliegen ein: Auf ihrer Agenda standen etwa die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern, die Entkriminalisierung der Abtreibung und die verstärkte Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern.

Nur wenige Monate nach der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 wurde Frey als erste dunkelhäutige Person in den Nationalrat gewählt. Sie gehört damit zu den ersten zehn Frauen, die Einzug in die grosse Kammer hielten.

Komitee mit weiteren Erfolgen
Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Komitee mit seinen Forderungen nach Umbenennungen durchsetzt. Wie im März bekannt wurde, wird der «Europäische Verband der Erdwissenschaftler (EGU)» ihre Auszeichnung, die an verdiente Gletscherforscher vergeben wird, künftig nicht mehr als «Agassiz-Medaille» bezeichnen. «Der Name der Medaille widerspricht den Werten unserer Organisation», zitiert der «Tagesanzeiger» die Begründung des EGU-Präsidenten Jonathan Bamber.

Ein Erfolg für das Komitee, das in der Vergangenheit zum Beispiel versucht hatte, das 3946 Meter hohe Agassizhorn im Berner Oberland umbenennen zu lassen. Ausserdem wirbt es unter anderem bei der «Internationalen Astronomischen Union» für die Umbenennung des Kap Agassiz, das auf dem Mond liegt.

Kritik an Umbenennungen
Für das Komitee «Demonter Louis Agassiz» ist die Umbennenung von Medaillen und Orten Mittel zum Zweck. Damit wollen sie das Bild des renommierten Wissenschaftlers nachhaltig korrigieren und in den Köpfen der Menschen verankern, dass Agassiz auch Rassist war und bei Rechtsradikalen noch heute als Vordenker gilt. Um ihr Ziel zu erreichen, muss das Komitee noch einige Arbeit investieren: Weltweit sind zahlreiche Orte nach dem Schweizer Wissenschaftler benannt.

An den Umbenennungen gibt es allerdings auch Kritik. Gegenüber «rts» sagt der Historiker Jean-Pierre Jelmini: «Ich finde es schade, dass die Hälfte des Lebens eines Menschen, die andere Hälfte ausradiert.» Statt den Platz umzubenennen, hätte Jelmini das Anbringen einer Erklärung, die auf die beiden Gesichter von Agassiz verweist, als korrekter empfunden.

Auch für den «Laténium»-Direktor Marc-Antoine Kaeser ist die Umbenennung von Orten der falsche Weg. Er habe den Eindruck, dass wir Gefangene der Gegenwart seien, sagt Kaeser gegenüber «rts». Heute gebrauche man die Gegenwart oft, um die Vergangenheit zu verurteilen. Die Geschichte sei aber für etwas anderes da. «Wir müssen uns mit der Vergangenheit konfrontieren, um die Gegenwart zu befragen und uns eine andere Zukunft vorstellen zu können.»


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