Gestohlene Krebsmedikamente vom griechischen Fischmarkt
Am 23. August handelt die Schweizerische Heilmittelaufsichts-Behörde «Swissmedic». Zusammen mit der Kantonspolizei Zug durchsucht sie die Büroräumlichkeiten der Zuger Pharma-Handelsfirma «Hadicon AG», wie das SRF-Magazin «10vor10» berichtete. Die Hausdurchsuchung dauert mehrere Stunden, Material wird beschlagnahmt. Der happige Verdacht der Ermittler: Die «Hadicon AG» soll in einen internationalen Handel mit gestohlenen – und möglicherweise unwirksamen – Krebsmedikamenten verwickelt sein. Die Ermittlungen laufen, es gilt die Unschuldsvermutung.
Internationaler Händlerring aufgeflogen
Das Zentrum des Händlerrings ist Athen. Jahrelang stehlen griechische Kriminelle Krebsmedikamente aus Kliniken und verscherbeln sie an den deutsch-ägyptischen Doppelbürger Mohamed Deyab Hussein, dem in Athen eine unscheinbare Apotheke gehört. Diese soll als Drehscheibe benutzt worden sein, von hier aus gingen die Medikamente auf Reisen: Ein europaweites Netzwerk schleuste die Präparate zu Händlern aus Deutschland, den Niederlanden, Italien – und der Schweiz. In Griechenland sind inzwischen mehrere Verdächtige verhaftet worden.
Um nicht entdeckt zu werden, nutzt das Netzwerk verschlungene und abenteuerliche Wege. Die Ware soll unter anderem auf einem Fischmarkt zwischengelagert und in Koffern transportiert worden sein. «Wir wissen, dass der Transport von diesen Medikamenten nicht ordnungsgemäss verlaufen ist und das die Bedingungen für diese hochsensiblen Mittel – wie entsprechende Kühlung – nicht gegeben waren», sagt Pavlos Polakis, stellvertretender griechischer Gesundheitsminister, gegenüber dem ARD-Magazin «Aktuelle Stunde».
Werden Krebsmedikamente nicht richtig gekühlt, können sie ihre Wirksamkeit verlieren oder gar unliebsame Nebenwirkungen auslösen.
«Swissmedic» wusste lange von nichts
Wie genau das Zuger Unternehmen «Hadicon AG» in den Fall involviert ist, bleibt unklar. Gegenüber «infosperber» verweist «Swissmedic» auf das laufende Verfahren und gibt sich wortkarg: «Nur wenn die Arzneimittelsicherheit gefährdet und die Patientinnen und Patienten in der Schweiz unmittelbar tangiert wären, könnten wir (…) informieren. Im vorliegenden Fall gibt es dafür bis jetzt keine Anzeichen.»
Gemäss «Swissmedic» gibt es also keine Anzeichen dafür, dass die gestohlenen Krebsmedikamente auch in der Schweiz in Umlauf gelangt sind – obwohl die «Hadicon AG» Medikamente nicht nur in die Schweiz ein- und ausführen darf, sondern auch über eine Bewilligung zum Grosshandel mit Arzneimitteln innerhalb der Schweiz verfügt. Diese Bewilligungen werden von «Swissmedic» ausgestellt. Es ist auch die Heilmittelaufsichts-Behörde, welche die Pharma-Unternehmen anschliessend kontrollieren und überwachen muss.
Obwohl der Handel mit den illegalen Medikamenten bereits seit mehreren Jahren läuft und die «Hadicon AG» gemäss griechischen Ermittlungsbehörden allein im Jahr 2014 für knapp 1,7 Millionen Euro Medikamente aus den fraglichen Quellen geordert hat, weiss «Swissmedic» anscheinend erst seit Sommer 2018 «von den problematischen Medikamentenlieferungen aus Griechenland nach Deutschland und möglicherweise in andere Länder».
«König des internationalen Grosshandels»
Die «Hadicon AG» schreibt in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber «SRF», man verwahre sich gegen jegliche Vorwürfe. «Als Grosshändlerin kauft und verkauft Hadicon vorverpackte und versiegelte Originalmedikamente. Hadicon bezieht Medikamente grundsätzlich über Zulieferer, welche die lokalen regulatorischen Anforderungen erfüllen.»
Trotzdem gibt es weitere Indizien, die eine Beteiligung der «Hadicon AG» am internationalen Netzwerk zumindest vermuten lassen. Gemäss verschiedenen Medienberichten geht aus griechischen Ermittlungsakten hervor, dass der deutsche Geschäftsinhaber von «Hadicon», Klaus-Rainer Tödter, vom inzwischen verhafteten deutsch-griechischen Apotheker Mohamed Deyab Hussein zuweilen als «König dieses internationalen Grosshandels» bezeichnet worden ist.
Verschlungene Pfade schützen vor Schuldzuweisungen
Im Übrigen fällt die «Hadicon AG» nicht zum ersten Mal negativ auf. Wie die «NZZ» im Jahr 2012 berichtete, war das Unternehmen in eine dubiose Medikamentenbestellung involviert. Damals bestellte eine dänische Firma bei der «Hadicon AG» das Präparat Avastin. Die «Hadicon AG» bestellte das angeforderte Medikament bei einem ägyptischen Unternehmen, das die Bestellung offenbar in die Türkei weiterleitete. Schliesslich kam die Ware, lagerte während einiger Zeit im Zollfreilager von Zürich, bevor sie dann nach Dänemark geliefert wurde. Von Dänemark aus erreichten die Präparate Händler in Grossbritanien, bevor sie dann in den USA an Patienten ausgegeben wurden.
Im Nachhinein stellte sich heraus: Die Avastin-Präparate waren gefälscht. Damals behauptete «Hadicon»-Geschäftsführer Tödter in der «NZZ», man habe die Präparate von einem überprüften und lizenzierten Unternehmen in Ägypten gekauft, mit dessen Lieferungen es in der Vergangenheit noch nie Probleme gegeben habe. Ausserdem habe man keine Kenntnis über die Zulieferer des ägyptischen Lieferanten. Gegenüber dem «Spiegel» beteuerte Tödter selbst «Opfer eines Betrugs geworden zu sein».
Das ist die Vorgehensweise bei internationalem Medikamentenschmuggel: Länder wie die Schweiz werden dazu gebraucht, die Herkunft der Ware weiss zu waschen und eine glaubwürdige Lieferkette aufzubauen. Fliegt ein Händler auf, kann er auf die Zulieferer des jeweils Anderen und auf das internationale Verbot, verpackte Medikamente zu öffnen, verweisen. Damit wird es beinahe unmöglich, die wahre Herkunft der Präparate zu ermitteln.
Ermittlungen kommen nicht vom Fleck
So auch im Avastin-Skandal. Als die Nachrichtenagentur Reuters die von «Hadicon» angegebene Adresse des ägyptischen Lieferanten vor Ort suchte, führte sie die Reise in einen dicht besiedelten Vorort Kairos. Einen Hinweis auf die gesuchte Firma fand Reuters nicht. «Das Resultat passt nicht so recht zur Beteuerung des Hadicon-Leiters betreffend der guten Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Lieferanten», bilanzierte die «NZZ».
Auch an diesem Fall scheinen sich die Ermittler die Zähne auszubeissen. So bestätigt «Swissmedic» auf Nachfrage von «infosperber»: «Auch der zweite von Ihnen erwähnte Fall aus dem Jahr 2012 betreffend Avastin ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Ob es in diesem Verwaltungsverfahren zu einer gerichtlichen Beurteilung kommen wird, wird sich im Verlauf der nächsten Wochen und Monate weisen.»
Die «Hadicon AG» und der Fall «Hamburg»
Laut «Spiegel» interessierte sich die Hamburger Polizei bereits 2010 für die Zuger Firma «Hadicon AG». Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Rolf-Dieter Lampey, Inhaber des hamburgischen Unternehmens «Zyo Pharma», tauchte auch die «Hadicon AG» auf. Lampey hatte Krebsmedikamente aus Ägypten über die «Hadicon AG» importiert.
Nachdem die Polizei eine erste Razzia bei Lampey durchgeführt hatte und dabei auf illegale Importe gestossen war, habe Tödter ein handschriftliches Fax an Lampey gesandt: «Lieber Rolf, wie vereinbart versuchen wir derzeit euch zu helfen, die Ware weiter zu verkaufen. Bei Erfolg überweisen wir umgehend die erzielten Einnahmen. Gruss, Klaus».
Gesundheitsministerin nimmt den Hut
Während der aktuelle Fall der gestohlenen Krebsmedikamente in der Schweiz noch ein schwarzes Loch ist, sind die Behörden in Deutschland mehrere Schritte voraus. Dem brandenburgischen Zwischenhändler «Lunapharm Deutschland GmbH», der die gestohlene Ware in Deutschland weiterverkauft hatte, wurde die Lizenz entzogen. Ausserdem hat das brandenburgische Gesundheitsministerium eine Rückrufaktion der betroffenen Medikamente gestartet.
Längst hat sich der Fall in Deutschland zu einem handfesten politischen Skandal weiterentwickelt: Recherchen des ARD-Magazins «Kontraste» enthüllten, dass das Ministerium in Pottsdam bereits seit 2016 von dem illegalen Handel gewusst hatte. Trotzdem unternahmen die Beamten nichts. Im Gegenteil: Der zuständige Kontrolleur hatte 2017 eine entscheidende Inspektion bei der «Lunapharm Deutschland GmbH» im Voraus angekündigt.
Im Zuge der Recherchen von «Kontraste» und nach dem Einsetzen einer Task-Force kamen immer mehr Schlampereien der Kontrollinstanzen ans Tageslicht. Diese forderten schliesslich den Kopf von Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke). Am 28. August verkündete sie ihren Rücktritt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.