Der Spieler: Hinter den Verlagsnamen stecken Geschichten
25. bis 28. Oktober 2018 – diese Daten haben sich alle, die in der Welt der Gesellschaftsspiele Rang und Namen haben, in ihrer Agenda seit langem rot angestrichen: Die Internationalen Spieltage Spiel ’18 in Essen sind neben der Spielwarenmesse von Nürnberg eine der beiden jährlichen Pflichtveranstaltungen für die Branche. Seit Wochen herrscht denn auch nicht nur bei den Verlagen, sondern auch bei den zugewandten Orten der Ausnahmezustand, namentlich bei den Akteuren in den digitalen Medien. Und je länger die laufend aktualisierte Liste der Neuheiten wird, welche die Tausender-Marke schon längst überschritten hat, desto höher steigt das Spielfieber.
Bei mir allerdings nicht mehr. Nach über 30 Besuchen der weltweit grössten Publikumsveranstaltung für nicht-digitale Spiele lässt mich die Vorfeld-Aufregung eher kalt. Ich lasse mich vom Fieber erst anstecken, wenn ich eine Neuheit zum ersten Mal in Händen halten, das Spiel auspacken, seine Graphik auf mich wirken lassen und dann mit anderen spielen kann. Ich brauche dazu das sinnliche Erlebnis, zu dem auch das Menschengewimmel in den Hallen gehört. Die Lektüre noch so langer Neuheitenlisten reicht bei weitem nicht.
Vorne im Alphabet
Aber auch für mich gilt: Einmal Spieler, immer Spieler! So habe ich es nicht verklemmen können, in diesen Tagen hie und da einen Blick auf die vielen Ankündigungs-Tweets, -Blogs- und -Mails zu werfen. Dabei habe ich mich für einmal nicht auf die Neuheiten konzentriert, sondern auf die Namen der Verlage. Ein bisschen schräg zwar, aber unterhaltsam, und in den meisten Fällen aussagekräftiger als ein blosser Spiele-Titel. Vielfach verbergen sich dahinter auch spannende Geschichten.
Dass ich gleich am Anfang der alphabetisch geordneten Ausstellerliste auf einen Verlag namens «Abacusspiele» stosse, ist kein Zufall. Bei der Verlagsgründung im Jahr 1989 habe die Namensgebung eine grosse Rolle gespielt, sagt Inhaber Joe Nikisch und erzählt, wie man damals vorgegangen ist: «Damit später die Menschen unseren Verlag in Katalogen schneller finden würden, wollten wir einen Namen möglichst vorn im Alphabet. Google gab es damals vor fast 30 Jahren natürlich noch nicht, und so durchforsteten wir diverse Lexika nach einem geeigneten Namen.» Bei der Suche sei man auf den Abacus gestossen, das Rechengerät, das von römischen Soldaten benutzt wurde. Dabei hätten sie in weichen Lehmböden Vertiefungen geformt. Zum Rechnen seien Steine benutzt worden. Nikisch: «Den pfiffigen Soldaten fiel aber schnell auf, dass man mit den Vertiefungen und den Steinen auch etwas noch Interessanteres als Rechnen tun konnte, nämlich Spielen.» Die Spiele aus jener Zeit sind heute noch unter dem Namen «Mancala» oder «Kalaha» bekannt. Die Verbindung von Rechengerät und Spielen gefiel Nikisch und seinen Leuten – der Name war gefunden: «Abacusspiele».
Leicht zu merken
Nikisch hätte es sich auch einfacher machen und den Verlag auf seinen Familiennamen taufen können. «Nikisch-Spiele» beispielsweise, doch davon hätten Marketingberater aus phonetischen Gründen vermutlich abgeraten. «Adlung-Spiele», wie der Kleinverlag von Karsten Adlung heisst, ist in dieser Hinsicht doch ein wenig wohlklingender. Oder man hat wie Klaus Zoch das Glück, einen einprägsamen Nachnamen zu tragen. In diesem Fall gab es bei der Verlagsgründung keine lange Suche – «Zoch zum Spielen», im Alphabet zwar weit hinten, dafür aber leicht zu merken.
Bei der Gründung der traditionsreichen deutschsprachigen Spielverlage spielten Marketing-Überlegungen bei der Namenswahl eine untergeordnete Rolle. Der Ravensburger Verlagsbuchhändler Otto Maier taufte das 1883 gegründete Unternehmen schlicht «Otto-Maier-Verlag». Heute wird der Familiename nur noch für den Buchverlag verwendet, während die Spiele unter «Ravensburger» laufen. Der Name «Ravensburger Spiele» ist übrigens schon seit 1900 durch ein kaiserliches Patent geschützt. Auf den Nachnamen beschränkte sich Josef Friedrich Schmidt bei seinem 1907 gegründeten Verlag: «Schmidt Spiele» hiess er. Sein Sohn Franz Schmidt tat es ihm gleich, was zur Folge hatte, dass es bis zur Fusion im Jahre 1970 zwei «Schmidt Spiele» gab. Der gut eingebürgerte Name überlebte auch die Übernahme des Verlages durch die Berliner Blatz-Gruppe im Jahre 1997. Auf eine lange Familientradition verweist schliesslich der Name «Wiener Spielkartenfabrik Ferd. Piatnik & Söhne». Er verrät alles, was es über das 1824 gegründete Unternehmen zu sagen gibt: Firmengründer, Produkt und Standort. Im Essener Ausstellungskatalog ist es unter der Markenbezeichnung «Piatnik» aufgeführt.
In der Fabrik entstanden
Wer würde vermuten, dass sich im Namen des US-amerikanischen Spielwarenherstellers «Hasbro» die Firmengründer verewigt haben? Die Bezeichnung setzt sich zusammen aus Hassenfeld Brothers. Gemeint sind die Gebrüder Henry und Hillel Hassenfeld, die 1923 den Grundstein zu einem der weltweit grössten Playern auf dem Spielemarkt legten. Eine im Vergleich zur Namensgebung beim Hauptkonkurrenten «Mattel» geradezu banale Geschichte. Mattel wurde 1945 von Harold Matson, Elliot Handler und dessen Ehefrau Ruth Handler gegründet, angeblich in einer Garage, was vielleicht auch die Herkunft des Firmennamens erklärt: Dieser ist aus Matsons Kurznamen «Matt» und dem Rufnamen «Elliot» seines Partners zusammengebastelt.
Matson und die Handlers hätten ihr Unternehmen nach dem Entstehungsort auch «Garage Games» oder ähnlich benennen können. Genau das ist die Erklärung, weshalb die Schweizer Spielemarke «Game Factory» so heisst. «Als wir 2008 einen Namen brauchten, fiel die Wahl schliessich auf ‚Factory‘, weil sich unsere Büros, wo wir arbeiteten, in einem fabrikähnlichen Umfeld befanden», erinnert sich Redaktor Rolf Mutter. «Game Factory» ist eine Marke des Wädenswiler Spielwaren-Distributors Carletto. Diesem Namen stand bei der Gründung im Jahr 1986 das Firmenmaskottchen Pate, wie Carletto-CEO Peter W. Gygax sagt: «Der Name ‚Carletto‘ entstand ursprünglich als Ableitung unseres Logo-Tiers, das den Namen ‚Carlo‘ trug. Da Gygax kein wohlklingender Firmenname und international kaum aussprechbar war, entschied sich mein Vater für die Abwandlung von ‚Carlo‘ zu ‚Carletto‘.»
«Weil ich den Namen schön fand und er Raum für Fantasie lässt», antwortet Spieleredaktor Frank Heeren auf die Frage, weshalb sein 2012 mitbegründeter Verlag «Feuerland Spiele» heisse. Auf der Homepage von «Feuerland» wird denn auch an die Geschichte der Entdeckung Feuerlands durch Ferdinand Magellan im Jahre 1520 erinnert. Angesprochen wird hier die mit dem Spiel verbundene Welt der Phantasie. In eine ähnliche Richtung zielt der Verlagsname von «Days of Wonder». Eric Hautemont, einer der Unternehmensgründer, sagt: «’Days of Wonder› wurde von der Idee inspiriert, bei Kindern und Erwachsenen ein Gefühl für etwas Wunderbares zu wecken – ein Gefühl, das man als Kind bei der Entdeckung eines neuen Spiels erlebt hat.»
Magier, nicht Fische
Phantasie, Wunder, Magie – in «Drei Magier» sind die drei Begriffe zusammengefasst. Diesen Namen haben Kathi Kappler, Johann Rüttinger und Rolf Vogt 1994 ihrem damals gegründeten Kleinverlag gegeben. Der erste Vorschlag hatte «Kingfish» gelautet, englisch für Eisvogel, eine Vogelart, die in der Umgebung der Rüttingerschen Mühle im Altmühltal, stark verbreitet ist. Als der bekannte Spielautor Alex Randolph, der mit der Gruppe eng befreundet war, von der Idee hörte, reagierte er sofort: «Geht doch nicht, ihr seid keine Fische, ihr seid Magier!» Und so entstanden die «Drei Magier». 2008 verkaufte Rüttinger vorwiegend aus gesundheitlichen Gründen den Verlag an Schmidt Spiele, wo die Marke «Drei Magier» weiterlebt.
Um 2006 herum hatte Rüttinger die Absicht, sich mit einem Buchverlag ein zweites Standbein zuzulegen. Dafür brauchte er einen Namen. Dass dabei «Drei Hasen in der Abendsonne» herauskamen, ist eine eigene Geschichte: Die Jury «Spiel des Jahres» hatte 2006 die von ihm betreute «Nacht der Magier» zum «Kinderspiel des Jahres» nominiert. Rüttinger war mit der festen Erwartung an die Preisverleihung nach Berlin gefahren, den Titel zu gewinnen. Doch diesen bekam ein anderes Spiel, worauf Rüttinger zusammen mit seiner Frau Kathi Kappler und dem Illustrator Rolf Vogt total frustriert die Heimfahrt antraten. Rüttinger erzählt: «Es war eine schweigsame Fahrt bis zu dem Moment, als meine Frau uns kurz vor Bayreuth auf drei Hasen aufmerksam machte, die auf einer Wiese in die untergehende Sonne blickten.» Das sei der Geburtsmoment für den Namen des neuen Verlags gewesen. Vollends klar war nach Rüttinger die Sache, «als uns Rolf Vogt am andern Morgen das Logo mit den drei Hasen in der Abendsonne auf den Tisch legte, das er über Nacht entworfen hatte».
Zum Scherz habe ich übrigens meine beiden Namen in einen digitalen Namenfinder eingegeben. Herausgekommen ist unter anderem «SynesInTheBag». Ob ein Verlag unter diesem Label wohl den Markt erobern könnte?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.