Uri_Avnery

Uri Avnery © Haaretz

Uri Avnery – Urgestein Israels

Felix Schneider /  Uri Avnery setzte sich ein Leben lang für eine friedliche Lösung im Nahost-Konflikt ein. Dafür wurde er bewundert und gehasst.

Uri Avnery, einer der letzten Gründerväter Israels, Friedensaktivist, Journalist, Politiker, Buchautor, ist knapp 95-jährig in Tel Aviv gestorben. Mit ihm geht eine Epoche zu Ende, und er hinterlässt ein politisches Vermächtnis.

Wie war es möglich, dass Uri Avnery, der doch zeitlebens ein Einzelgänger war, eine derart enorme Wirkung entfalten konnte? Sicher, er hat Gruppen animiert, Parteien und den Friedensblock Gusch Shalom gegründet. Aber das waren Gruppen um ihn herum. Er war und blieb ihr Herz und Antrieb. Als Einzelmaske hat er zeitweise ganz Israel beschäftigt und internationale Berühmtheit erlangt. Wenn heute die einst verpönte Zweistaatenlösung allgemein anerkannt ist, wenn sogar Trump und Netanjahu von ihr reden (ohne sie realisieren zu wollen), so ist das ein Sieg, an dem Uri Avnery grossen Anteil hat: ein bitterer Sieg, denn zur gleichen Zeit ist die nun siegreiche Idee der Zweistaatenlösung nicht mehr realisierbar. Avnerys grösster Erfolg kommt zu spät und ist deswegen auch eine Niederlage.

Ostermann wird Avnery

Avnerys enormer Einfluss beruhte auf seiner Biographie, seiner Konsequenz und seiner Phantasie. Er war israelischer Patriot und überzeugter Zionist, und dafür hat er bezahlt. Sein Bruch mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit war resolut. Und das war keine Selbstverständlichkeit für den 1923 in Beckum/Westfalen geborenen und in Hannover aufgewachsenen Helmut Ostermann. Sein Vater, seine Mutter, seine Schwiegereltern, sie alle waren zwar Zionisten, gehörten aber zu den Jeckes, die auch in Palästina/Israel Jeckes blieben. Um das zu illustrieren erzählte Avnery eine Anekdote seiner Schwiegermutter. Sie war im hohen Alter mit einer Freundin konfrontiert, die ihr sagte: Jetzt lebst du seit 50 Jahren im Lande und kannst noch immer kein Wort Hebräisch. Schämst du dich nicht?» Die alte Dame sagte: «Natürlich schäme ich mich. Aber es ist leichter, sich zu schämen, als Hebräisch zu lernen.»

Nicht so Helmut Ostermann: Er gab sich mit 18 Jahren den Namen Uri Avnery. «Uri» bedeutet «Flamme» und Avner war der Feldherr König Davids. Ausserdem erinnerte ihn «Avnery» klanglich an seinen älteren Bruder Werner, der in die Britische Armee eingetreten war und sich dort umgebracht hatte. Uri trat als Jugendlicher in die Widerstands- und Terrorgruppe Irgun ein, um gegen die Briten für einen jüdischen Staat zu kämpfen. Er hat seine politische Karriere also auf der rechten Seite begonnen, bewunderte Zeev Jabotinsky und verstand sich als Revisionist. Zwar hat er eigenhändig niemanden umgebracht, aber er war für die Attentate der Irgun mitverantwortlich – und er hat diese Verantwortung später auch übernommen. Nach wenigen Jahren aber überwarf er sich mit dem Irgun. Ihn störte die Araberfeindlichkeit, die Ablehnung der Kibbuz- und Gewerkschaftsbewegung sowie die nationalistische Ausrichtung des Irgun. Er tat etwas Unmögliches: Er trat aus.

Terrorist oder Freiheitskämpfer?

«We were freedom fighters», schrieb Avnery später über seine Zeit bei der Irgun, und fügte dann den Schlüsselsatz hinzu: «In my eyes, the British authorities were a terrorist organisation. Back then, I learned that the difference between a freedom fighter and a terrorist depends on your perspective.» Hier liegt der Brennpunkt, von dem aus es Avnery möglich war, das israelische Establishment aufzumischen. Avnery beschrieb, wie z.B. Menachem Begin oder Yitzhak Samir, zwei Ex-Terroristen, sich weigerten zu verstehen, was Araber in den Untergrund trieb. Avnery hat seine Untergrundtätigkeit nicht verdrängt. In der Knesset rief ihm Begin zu: «Abgeordneter Avnery, wollen Sie unsere Freiheitskämpfer etwa mit diesen abscheulichen arabischen Terroristen vergleichen?» Ja, genau das wollte, das tat er und er wusste warum. Als politischer Feind konnte man Avnery attackieren, wirklich ausgrenzen konnten die Mächtigen in Israel ihn nicht, denn er war Fleisch von ihrem Fleisch. Er erinnerte sie an die eigene terroristische Vergangenheit, oder zumindest an die gewaltsame Entstehungsgeschichte ihres Staates.

Ein Staat, zwei Völker

Uri Avnery war damals überzeugt von der wunderbaren Idee eines einzigen Staates, in dem sich zwei Völker, die Juden und die Araber, vereinigen würden. Um diese Idee zu realisieren, gründete er 1946 eine politische Bewegung. Die jüdische und die arabische Nationalbewegung sollten sich vereinigen. Folgerichtig akzeptierte er den Teilungsbeschluss der UNO von 1947 nicht. Dann aber kam der Unabhängigkeitskrieg von 1948/49. Avnery zögerte nicht. Es ging um die Existenz der Juden und ihres Staates. Aus dem Friedenskämpfer wurde ein Frontkämpfer, der bald schwer verwundet wurde. Während des langen Aufenthalts im Spital bildete er seine Grundüberzeugung aus: Dass der Frieden mit den Palästinensern absolute Priorität hatte und nur über einen eigenen palästinensischen Staat erreichbar war. Als Veteran des Unabhängigkeitskrieges gewann er noch mehr an Glaubwürdigkeit und Resonanz. Ihn geistig auszubürgern – was immer und immer wieder versucht wurde – war ziemlich aussichtslos. Sein Kriegstagebuch «In den Feldern der Philister» wurde in vielen Sprachen zum Bestseller.

Konsequent und unermüdlich

Ein Staat für die Palästinenser – das galt damals für ziemlich verrückt. «Damals glaubten keine 10 Leute in der ganzen Welt daran», schrieb Avnery. Er verfolgte diese Idee konsequent, liess sich mehrmals in die Knesset wählen, riskierte Kopf und Kragen – genauer: eine Anklage wegen Hochverrats – als er im Geheimen verbotene Kontakte mit den Palästinensern aufnahm. Schliesslich war er der erste Israeli, der mit Yassir Arafat zusammentraf: in Beirut, im Juli 1982, mitten im Libanonkrieg. Avnery hat ein Leben lang in der grossen politischen Arena und im alltäglichen Kleinkampf für die Aussöhnung mit den Palästinensern gekämpft. Er scheute keine Kontroverse. Er liess sich auch von Attentatsversuchen nicht einschüchtern. Noch als Achtzig- und Neunzigjähriger konnte man ihn bei Demonstrationen oder bei der Verteidigung palästinensischer Olivenbäume antreffen.

Seinen Beitrag zur aktuellen Debatte um das Nationalstaatsgesetz hat er schon vor fünf Jahren geleistet: Damals beantragte er bei Israels oberstem Gericht, den Nationalitätseintrag auf seiner Identitätskarte von «Jüdisch» in «Israeli» zu ändern.

Vater der kritischen Presse

Natürlich hat auch die Tatsache, dass er ein genialer Journalist war, zu seinem Erfolg beigetragen. Tausende von glänzenden Artikeln, Kommentaren und Analysen in der linksliberalen Zeitung «Haaretz» und anderswo gaben vielen Menschen Stoff zum Denken und Handeln. Einer seiner Geniestreiche war der Kauf des Revolverblattes «Haolam Hazeh» («Diese Welt») und die Erfindung einer neuen Form von Journalismus: eine Mischung aus Pornographie, Gossip und Qualitätsjournalismus. Unerschrockene Recherchen, mutiges Aufdecken von Skandalen und Korruptionsaffären wurden sein Markenzeichen. Was Rang und Namen hatte las das Blatt – man trug es allerdings zumeist umhüllt von einer «seriösen» Zeitung mit sich herum. Als Ben Gurion das Blatt attackieren, aber nicht beim Namen nennen wollte, apostrophierte er es als «ein gewisses Wochenblatt». Avnery setzte den Ausdruck als Untertitel unter den Zeitungskopf und verwandelte so die Attacke in Reklame. In vieler Hinsicht, in Sachen Unabhängigkeit, Mut, Angriffslust, war Avnery Vorbild und Urvater des kritischen israelischen Journalismus. Und wenn das Land heute mit «Haaretz» über eine der weltweit besten Zeitungen verfügt, so hat er seinen Anteil daran.

Ohne Frieden kein Israel

Der Kern seiner politischen Wirkung aber liegt in der Verbindung von Zionismus und dem Willen zu einem echten Frieden in Würde mit den Palästinensern. Avnery kämpfte nicht für die Anerkennung der Palästinenser und für die Aussöhnung mit ihnen, obwohl er doch Patriot war, sondern WEIL er Patriot war. Er hat klar gesehen, dass ohne Frieden mit den Palästinensern Israel als demokratischer Rechtsstaat nicht wird leben können.
Die Gegenwart bestätigt ihn. Was wir bisher Israel nannten, geht unter: Krepiert im Konflikt mit den Palästinensern, in den Suizid getrieben von seinen Freunden. Was kommt, wissen wir nicht so genau: Irgendetwas zwischen populistischer Korruptionsherrschaft, Theokratie, illiberaler Demokratie, Apartheidregime. Ex negativo und mit Bitterkeit hat Uri Avnery Recht bekommen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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Eine Meinung zu

  • am 23.08.2018 um 12:43 Uhr
    Permalink

    (sorry 2. mal)

    Wir vermissen unseren Freund Uri Avnery.

    Er har auch in letzter Zeit jede Woche seinen Kommentar auf TRANSCEND MEDIA SERVICE veröffentlicht.

    Uri Avneri wollte leben bis ein Friede zwischen Israelis und Palestinensern da wäre. Noch ist dazu die Zeit nicht zuende.
    Nach dem diesjährigen Gazakrieg könnte endlich der Friedensschluss oder meinetwegen ein islamischer Langzeit-Waffenstillstand resultieren

    Dann wäre sein Lebenwerk vollendet.

    Mfg
    Werner T. Meyer Mitglied Transcend

    https://www.transcend.org/tms/?s=uri+avnery
    (… we found 261 results inlusive Verweise auf U.A.)

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