Fragwürdige Stromleitung durchs Wallis ins Formazza-Tal
Das Unterwallis weist mit seinen Speicherseen höchst potente Stromerzeugungs-Anlagen auf: Rund 6 Gigawatt (GW) Strom – entspricht in etwa der fünffachen Leistung des AKWs Leibstadt – können hier in kürzester Zeit erzeugt werden. 2019 soll der neueste dieser Pumpspeicherseen mit einer Leistung von 0,9 GW eröffnet werden: Nant de Drance.
«Versorgungssicherheit» vorgeschoben
Damit der erzeugte Strom überhaupt abgeführt werden kann und der Bau entsprechend Gewinn abwirft, sind neue Leitungskapazitäten nötig. Eine dieser Leitungen soll vom Unterwallis durchs Goms über den Passo San Giacomo ins Fomazzatal nach Mailand führen (siehe Infosperber: Widerstand gegen Stromleitung im Val Formazza). Während der Bau der Leitung durchs Goms bereits im Gang ist und zum Teil die Kabel in die Hochspannungsleitungen bereits eingezogen werden, ist die Leitungsführung in anderen Teilbereichen noch immer umstritten.
So etwa zwischen Chamoson und Chippis sowie der Binntal-Querung bei Grengiols. Die Schweizerische Netzgesellschaft Swissgrid begründet den Netzausbau mit der «Versorgungssicherheit» und hofft wohl, damit könnten Diskussionen um den Nutzen der Leitungen eher umgangen werden. Doch für den Verwaltungsratspräsidenten von Nant de Drance, Michael Wider, ist klar: «Der Schweizer Markt ist, soweit überhaupt vorhanden, nicht gross genug, um das Pumpspeicherkraftwerk rentabel zu betreiben.»
Die Gegner der Hochspannungsleitung von der Schweizer Grenze bis nach Mailand sind sich bewusst, dass es sich ausschliesslich um ein ökonomisches Projekt handelt. Entsprechend gross ist auch der Widerstand. Dazu weist der italienische Teil der geplanten Leitung Besonderheiten auf, die das Hochspannungsleitungs-Projekt als fragwürdig erscheinen lassen.
Gleichstrom-Leitung geplant
Unterhalb von Domodossola ist eine Konversionsanlage geplant, in der der Wechelstrom aus der Schweiz in Gleichstrom umgewandelt werden soll. Der Gleichstrom soll anschliessend über eine Freileitung bis nach Mailand geführt werden, wo wiederum eine Konversionsanlage geplant ist.
Der Vorteil der Stromübertragung mit Gleichstrom ist, dass keine elektromagnetischen Felder entstehen und die Transportverluste beträchtlich kleiner sind. Auch die Führung der Kabel in der Erde wirft weniger Probleme auf. Die Kabel müssen weniger tief verlegt und weniger stark abgeschirmt werden als im Boden vergrabene Wechselstromleitungen. Bei dem Milliardenprojekt von der Schweizer Grenze bis nach Mailand fallen rund 80 Prozent der Kosten für die Konversionsanlagen an, der Rest für den Leitungsbau.
Für den Wortführer der Gegner der Hochspannungsleitung durchs Val Formazza, Filippo Pirazzi, ist angesichts dieser Ausgangslage nicht verständlich, warum die Konversionsanlage nicht bereits in der Schweiz geplant wurde. Der Strom könnte in diesem Fall unter dem Boden in die Nähe von Mailand geführt werden, wie das bei anderen grenzüberschreitenden Hochspannungsleitungen geplant sei. Dazu würde beispielsweise eine Verkabelung über den Grossen Sankt Bernhard die Länge der Leitung um rund einen Drittel reduzieren.
Mangelnde internationale Zusammenarbeit
Und je weniger durchdacht das vorliegende Projekt für die Gegner erscheint, umso stärker akzentuiert sich der Widerstand: Verwiesen wird etwa auf die tiefgreifenden Folgen für das auf nachhaltigen Tourismus ausgerichtete Gebiet rund um die Alp Devero, den möglichen Einfluss auf die Gesundheit der Dorfbewohner im Formazzatal. Auch die Grösse der geplanten Konversionsanlagen ist ein Thema.
Zur Zeit werden Gutachten und Gegengutachten erstellt. Hunderte von Berichten wurden verfasst. Angesichts der häufig schwer überblickbaren juristischen Auseinandersetzungen rund um die Entschädigungsfragen sowie des Landschaftsschutzes ist vor dem Hintergrund der politisch wenig stabilen Situation in Italien noch mit längeren Auseinandersetzungen zu rechnen.
Jedenfalls hat die italienische Netzgesellschaft Terna erst kürzlich wieder eine Überarbeitung des bestehenden Projektes angeboten, um den Gegnern des Projektes entgegen zu kommen. Möglicherweise hat Swissgrid mit ihrem Festhalten an einem veralteten Projekt und der damit verbundenen mangelnden internationalen Zusammenarbeit der Schweizer Stromindustrie einen Bärendienst erwiesen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Wolfgang Hafner ist Wirtschaftshistoriker und beschäftigt sich seit Jahren mit den Energie- und Finanzmärkten.