Als Militärverweigerer zu Besuch im Stasi-Gefängnis
ktm. Als ich neulich das Stasi-Gefängnis «Berlin- Hohenschönhausen» besuchte, beschlich mich ein seltsames Gefühl von Vertrautheit. Der ehemalige Stasi-Gefangene Gilbert Furian führte eine Gruppe von zehn Leuten durch die eindrückliche Gedenkstätte, in der man noch alles so vorfindet, wie es damals war; von der Schreibmaschine des Stasi-Richters bis zur Notfallklingel in den Gefängniszellen. Das Stasi-Gefängnis war von 1951 bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 in Betrieb. Insgesamt wurden hier während vier Jahrzehnten rund 11`000 politische Gefangene inhaftiert, welche der DDR-Diktatur im Wege standen.
Nicht nur in der DDR wurden politische Gefangene im Kalten Krieg besonders intensiv «betreut», sondern auch in der Schweiz, wo mich die Militärjustiz 1986 wegen Militärdienstverweigerung zu einem halben Jahr Gefängnis unbedingt verurteilte und wo ich mit menschenrechtswidrigen Zuständen im Strafvollzug konfrontiert war.
Im folgenden Vergleich geht es nicht darum, die beiden damaligen Staatssysteme in der DDR und in der Schweiz auf dieselbe Stufe zu stellen, denn es gab einen wesentlichen Unterschied: Die Stasi-Gefängnisse waren Teil eines grossen, landesweiten Gefängnisses, nämlich der DDR-Diktatur. Die Schweizer Gefängnisse hingegen, in denen ich inhaftiert war, waren Teil einer offenen Gesellschaft inklusive Rechtsstaat und demokratischer Legitimierung. Umso bedenklicher sind die Erfahrungen, die ich mit der Militärjustiz und im Strafvollzug in der Schweiz in den 80er Jahren gemacht habe.
Stasi-Gefängnis (bis 1989) in Berlin (links); Untersuchungsgefängnis in Sitten (bis 1998)
1. Zwei politische Gefangene
«Meine beiden Kolleginnen sassen stumm und blass an ihren Schreibmaschinen, und mir zitterten die Hände.» So schildert der heute 73-jährige Gilbert Furian in seinem Buch «Mehl aus Mielkes Mühlen» die Situation, als er am 27. März 1985 gegen neun Uhr von vier Stasi-Beamten an seinem Arbeitsplatz abgeholt und ins Untersuchungsgefängnis «Berlin-Hohenschönhausen» des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) der ehemaligen DDR gebracht wurde, ohne freilich zu wissen, wo er sich befand und wann er wieder herauskommt.
Ihm war der Grund für die Festnahme sofort klar: Gilbert Furian hatte Ost-Berliner Punks interviewt und die Interviews zu einem Heft zusammengebunden und hundertmal kopiert. 90 Exemplare der DDR-kritischen Publikation verteilte er in der DDR an Verwandte, Freunde und Bekannte, zehn Exemplare sollte seine Mutter – die Rentnerin war und in den Westen reisen durfte – nach Stuttgart mitnehmen und dort verteilen. Sie wurde an der Grenze durchsucht und die Hefte wurden ihr abgenommen. Dann durfte sie weiterreisen und Furian wusste, was auf ihn zukommen würde.
Noch heute blitzen Angst und Wut in seinem Gesicht auf, wenn er den BesucherInnen des Stasi-Gefängnisses von diesem unheilvollen Tag und von den zahlreichen unglaublichen Vorgängen während der Haft erzählt. Trotzdem bleibt seine Stimme immer ruhig und seine Rede analytisch.
Furian sass von März bis Oktober 1985 in «Berlin-Hohenschönhausen». Heute ist er einer der 50 ehemaligen Gefangenen, welche die BesucherInnen durch die Gedenkstätte führen.
Er wurde von der Staatssicherheit zu zwei Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt, wovon er sieben Monate im Stasi-Gefängnis in Berlin verbrachte. Nach insgesamt 13 Monaten Haft wurde Furian von der Bundesrepublik Deutschland (BRD) freigekauft. Damit hätte er in die BRD ausreisen dürfen, aber er entschied sich, in der DDR zu bleiben. Furian war damals 40 Jahre alt und Sachbearbeiter für Inventuren und Versicherungen im Wärmeanlagenbau. Nach der Entlassung fand er eine Anstellung beim Chor des Berliner Doms.
Im folgenden Jahr, von Oktober 1986 bis Februar 1987, sass ich im Gefängnis in der Schweiz, und zwar mehrheitlich in Isolationshaft im Untersuchungsgefängnis in Sitten und in der Strafvollzugsanstalt in Crêtelongue bei Siders.
Im Mai 1986 war ich von der Schweizer Militärjustiz zu sechs Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt worden, nachdem ich bereits die Rekrutenschule und zwei Wiederholungskurse absolviert hatte. Das war damals eine der höchsten Strafen für Militärdienstverweigerer. Die Höhe der Strafe begründete die Militärjustiz damit, dass ich «politisch und gesellschaftskritisch» argumentierte, und nicht «ethisch» beziehungsweise «religiös», was strafmildernd gewesen wäre. Damit drückte mir die Militärjustiz offiziell den Stempel des politischen Gefangenen auf.
Ebenso haarsträubend war die Begründung für die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs, auf den ich grundsätzlich Anrecht hatte. Doch das Divisionsgericht 9A war der Meinung, ich lasse mich durch die Gewährung einer bedingten Strafe nicht «von weiteren Verbrechen (!) und Vergehen abhalten», da ich in meiner «Haltung als Dienstverweigerer» verharre:
Urteilsbegründung des Divisionsgerichts 9A, Mai 1986
Ich hatte vorher und nachher nie ein Verbrechen begangen. Und es gab überhaupt keine Anzeichen dafür, dass ich in Zukunft ein Verbrechen wie beispielsweise Raub oder Mord begehen würde. Trotzdem taxierten mich die Militärrichter mit ihrer Formulierung als potentiellen Verbrecher.
Mit diesem Urteil der Militärjustiz war ich gesellschaftlich gebrandmarkt und meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt waren stark eingeschränkt. Ich war damals 26 Jahre alt und Student.
2. Die Zellen
Auf dem Rundgang führte Furian auch in die Untersuchungs-Zellen des Neubaus des Stasi-Gefängnisses in Berlin, wo er eingesperrt war. Eine typische Stasi-Zelle sah in den 1980er Jahren so aus:
Alle Stasi-Zellen verfügten über eine Not-Klingel, wie Furian auf dem Rundgang demonstrierte. Als er einmal in einem gesundheitlichen Notfall klingelte, waren die Wärter innert kurzer Zeit bei ihm in der Zelle.
So sah die Zelle Nr. 39 im damaligen Untersuchungsgefängnis von Sitten aus, wo ich rund zwei Monate eingesperrt war. In den Zellen gab es keine Not-Klingeln. Wer Hilfe brauchte, musste sich mit Schreien und Rufen bemerkbar machen und hoffen, dass ihn die Wärter hörten. Das konnte lange dauern. Tag und Nacht war das masslos überfüllte Gefängnis von Klopfen und Schreien erfüllt. Erst nach meiner Entlassung wurden Notklingeln angebracht, nachdem ich diesen Missstand öffentlich kritisiert hatte. Das Gefängnis in Sitten wurde erst 12 Jahre später 1998 geschlossen.
3. Die Haft
Furian wurde sieben Monate im Stasi-Gefängnis nach den ausgeklügelten psychologischen Methoden der Stasi verhört und unter psychologischen Druck gesetzt, insbesondere um Namen weiterer Personen aus seinem Umfeld aus ihm herauszupressen. Er wurde in beengender Ungewissheit über die Dauer der Untersuchungshaft und des Ziels der Verhöre gelassen. Auch seine Angehörigen wussten nicht, wo er inhaftiert war. Angstzustände waren die Folge. Die physische Gewalt der 1950er Jahre war seit den 1960er Jahren durch «raffinierte psychologische Foltermethoden ersetzt» worden, wie in einer Broschüre der Gedenkstätte geschrieben steht.
Die Stasi-Mitarbeiter schreckten auch vor Zynismus nicht zurück: Um ihn besser zum Sprechen zu bringen, erhielt er gutes Essen und auf Wunsch gar «ein Kännchen Tee mit Zitrone», das dann seiner Mutter verrechnet wurde, wie er mit einem Lächeln berichtet. Furian und die anderen Stasi-Häftlinge wurden nie mit Namen angesprochen, sondern immer nur mit der Zellennummer. Auch auf dem Hofgang blieben die Häftlinge isoliert. Gymnastik war verboten, um die Psyche zu schwächen. Die Gefangenen wurden mehrmals täglich zum Verhör geholt.
Nach der siebenmonatigen Untersuchungshaft wurde Furian ins Zuchthaus Cottbus verlegt, wo er zusammen «mit Mördern und kleinen Scheckbetrügern» Teile für Fotoapparate drehen, bohren, fräsen und stanzen musste, wie er in seinem Buch «Mehl aus Mielkes Mühlen» schreibt.
Zu Beginn meiner Haft arbeitete ich in der Schreinerei in der Strafvollzugsanstalt in Crêtelongue bei Siders, wo wir den ganzen Tag Holzkisten produzierten. Als ein Häftling mit seiner Hand in eine ungesicherte Hobelmaschine geriet, welche ihm die Finger zerhackte, weigerte ich mich, an den veralteten, zum Teil lebensgefährlichen Maschinen zu arbeiten, bis ein Vertreter der «Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt» (Suva) diese kontrolliert hatte.
Noch am selben Tag wurde ich wegen Arbeitsverweigerung für 20 Tage in eine Isolationszelle im Keller des Gefängnisses gesperrt. Davon eine Woche 24 von 24 Stunden ohne die vorgeschriebene Stunde Hofgang. Die Wärter nahmen mir sogar die Socken ab und schickten mich mitten im November barfuss in die kalte Kellerzelle, wo nur eine dünne Matratze und eine Militärdecke lagen. Durch das vergitterte Zellenfenster tröpfelten Luft und Licht nur sehr spärlich herein, weil zusätzlich ein Blech mit kleinen gestanzten Löchern eingebaut war.
Anschliessend wurde ich zur Strafe im November und Dezember wochenlang auf einen Acker verbannt, um dort bei Minustemperaturen, bekleidet nur mit alten, ausgewaschenen Militärklamotten, Steine herauszupickeln. Die Kälte frass sich jeden Tag tiefer in den Boden, bis dieser so tief gefroren war, dass es unmöglich war, Steine freizubekommen.
Das Ziel war klar: Der körperliche und psychische Zusammenbruch, um mich zum Schweigen zu bringen und die anderen Häftlinge abzuschrecken. Zwei weitere Häftlinge, die sich meinem Protest angeschlossen hatten und ebenfalls diesem harten Strafregime unterworfen wurden, waren bereits nach einer Woche am Ende ihrer Kräfte. Die Arme des einen waren aufgeschwollen und schmerzten so stark, dass ein Weiterarbeiten auf dem Acker nicht mehr möglich war. Der andere litt an Durchfall.
Nach der wochenlangen Tortur auf dem Acker wurde ich in eine Einzelzelle im Untersuchungsgefängnis in Sitten verlegt, ohne für diesen illegalen Akt einen Grund zu erfahren. Denn ich war bereits verurteilt und hatte im Untersuchungsgefängnis nichts zu suchen. Auch dort wurde mir an zahlreichen Tagen widerrechtlich der Hofgang verweigert.
Am 9. Dezember 1986 kontrollierte ein Suva-Experte aufgrund meiner Intervention die Schreinerei in Crêtelongue und lieferte am 19. Januar 1987 einen Bericht ab, der meine Kritik bestätigte und rund zwei Dutzend Sicherheits-Mängel an den Schreinerei-Maschinen feststellte, insbesondere fehlende Schutzvorrichtungen. Von der Gefängnisdirektion verlangte der Suva-Experte die sofortige Behebung der Mängel.
4. Die Dunkelzellen
Furians Rundgang führte auch in den Keller des Stasi-Gefängnisses, in das sogenannte «U-Boot», wo in den 50er Jahren Stasi-Gefangene in Dunkelzellen eingesperrt waren. Nach dem Neubau des Stasi-Gefängnisses in den 60er Jahren und dem Übergang zur psychologischen Folter wurden diese Dunkelzellen nicht mehr benutzt.
Beim Stichwort «Dunkelzellen» wurde ich besonders hellhörig, denn laut Aussagen meiner damaligen Mitgefangenen existierten solche in den 80er Jahren auch im Untersuchungsgefängnis in Sitten und im Keller des Postens der Kantonspolizei in Sitten; letzterer nur einen Steinwurf vom Walliser Regierungsgebäude und vom Sitz des Bischofs entfernt. In diesen fensterlosen Kellerzellen gab es kein Tageslicht, keine Lüftung und keine Notrufanlage.
Ich prangerte diese menschenrechtswidrigen Zellen, in einem Artikel im «Walliser Boten» vom 7. Januar 1987 an. Doch nichts geschah. Fünf Jahre später starb in einer solchen Kellerzelle ein 60-jähriger, asthmakranker Mann. Verzweifelt hatte er mit Schreien versucht, Hilfe anzufordern. Weil kein Nacht-Wärter da war, konnte ihn niemand hören, ausser einem Häftling in der Nachbarzelle. Als das Bundesgericht eine Untersuchung der Todesursache verlangte, wurde dieser einzige Zeuge in den Balkan ausgeschafft.
Es verging nota bene mehr als ein ganzes Jahrzehnt bis diese Dunkelzellen Ende 1998 geschlossen wurden. Zuvor hatte das «Europäische Komitee zur Verhütung von Folter» (CPT) im Jahr 1996 Alarm geschlagen und vom Kanton Wallis die Schliessung der Kellerzellen verlangt, und zwar mit der Begründung:
Auch ein Expertenbericht zuhanden der Walliser Regierung kam 1998 zum Schluss, dass diese Dunkelzellen «aufgrund des fehlenden Zuganges zum Tageslicht und der fehlenden Lüftung gesundheitsschädigend sind».
5. Der Überwachungsstaat
Furian figurierte lange vor seiner Verhaftung auf der Liste der Stasi und wurde intensiv bespitzelt. Die DDR war eine Diktatur und die Überwachung der Bevölkerung war flächendeckend. Dafür sorgten 91‘000 hauptamtliche und 189‘000 inoffizielle Stasi-Mitarbeiter. Es gab 17 Stasi-Gefängnisse, die von der Zentrale in Berlin-Hohenschönhausen gelenkt wurden.
In der Schweiz flog 1989 der sogenannte Fichenstaat auf. Die Staatschützer hatten 900‘000 Fichen (Registerkarten) über kritische Personen und Organisationen angelegt. Obwohl die Schweizer Amateur-Ficheure ihren Vorbildern in der DDR nachzueifern versuchten, erreichten sie niemals deren zynische Perfektion.
Laut Auskunft des Bundesarchivs existierte über mich angeblich keine Fiche. Das ist höchst erstaunlich, denn die Staatsschützer haben in den Jahren von 1980 bis 1989 «vor allem Beobachtungen über linke und grüne politische Gruppierungen, Friedens- und Frauenorganisationen, Armeegegner und AKW-Kritiker» registriert, wie der PUK-Bericht (1989) festhält.
Auch im Kanton Wallis waren damals fünf Beamte vollamtlich für den Nachrichtendienst tätig, die direkt dem Kommandaten der Kantonspolizei und dem damaligen Justizdirektor Richard Gertschen (CVP) unterstellt waren, der durch meine Gefängniskritik arg ins Schleudern geriet und der sich im Kantonsparlament und gegenüber den Medien rechtfertigen musste.
Ob der Walliser Staatsschutz auch mich «betreute», kann leider nicht mehr festgestellt werden, weil «nach dem Fichenskandal und gemäss Beschluss des Walliser Staatsrates vom 24.05.1995 alle von der Kantonspolizei aufbewahrten kantonalen und eidgenössischen Akten im Bereich des Staatsschutzes vernichtet wurden», wie Markus Rieder, Sprecher der Kantonspolizei, auf Anfrage erklärt.
Nicht weniger erstaunlich: Auch mein Strafvollzugs-Dossier wurde vernichtet, wie Georges Seewer, Chef der Dienststelle für Straf- und Massnahmenvollzug, auf Anfrage bestätigt. Die Begründung: Nur die Dossiers mit den Familiennamen B und S werden archiviert.
6. Die Menschenrechte
Was Furian und die 11‘000 weiteren Stasi-Häftlinge erfuhren, verstiess offensichtlich gegen die Menschenrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit. Sie waren politische Gefangene, die aufgrund von Gesetzen inhaftiert waren, die auf diktatorischer Rechtssetzung beruhten. Was ihnen widerfuhr, war Unrecht und das wurde nach dem Fall der Mauer auch klar festgehalten.
Der ehemalige Stasi-Häftling Furian wurde wie viele seiner damaligen Mithäftlinge durch ein spezielles Gesetz für die menschenrechtswidrige Inhaftierung und für die Zwangsarbeit rehabilitiert. Und die Rolle der Stasi und der Stasi-Gefängnisse wurde historisch aufgearbeitet.
Im Gegensatz zur Inhaftierung der Stasi-Häftlinge war die Bestrafung der Militärdienstverweigerung in der Schweiz durch entsprechende Gesetze und die Bundesverfassung («Jeder Schweizer ist wehrpflichtig») demokratisch legitimiert.
Dennoch war in den 1970- und 1980er-Jahren die Wehrpflicht ohne die Möglichkeit eines Zivildienstes menschenrechtswidrig. Denn bereits damals stand die Bundesverfassung im Widerspruch zur übergeordneten «Europäischen Menschenrechtskonvention» (EMRK). 1967 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarats eine Resolution, die von den Staaten das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen verlangte, und zwar aufgrund des Artikels 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) der EMRK, welche von der Bundesversammlung am 3. Oktober 1974 genehmigt und 28. November 1974 in Kraft trat.
Ebenfalls im Jahr 1967 überwiesen Parlament und Bundesrat ein Postulat für die Schaffung einer Verfassungsgrundlage für den Zivildienst an die Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung. Bundesrat und Parlament hatten damit die menschenrechtswidrige Dimension des Problems erkannt. Trotzdem wanderten die Militärdienstverweigerer noch während mehr als zwei Jahrzehnten ins Gefängnis, weil das Schweizer Volk vor dem Hintergrund des Kalten Krieges 1977 und 1984 zwei Initiativen ablehnte, die sich für den Zivildienst einsetzten.
1987 erkannte auch die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) das Recht zur Militärdienstverweigerung als allgemeines Menschenrecht an. Aber erst im Jahr 1996 trat in der Schweiz das Zivildienstgesetz in Kraft.
Bis heute gibt es in der Schweiz weder eine Rehabilitierung der Militärdienstverweigerer noch eine historische Aufarbeitung der Militärdienstverweigerung. Der Bundesrat hat sich letztmals vor 20 Jahren zur Rehabilitierung der Militärdienstverweigerer geäussert und redete wortreich am Problem vorbei. Zwar gibt er in seiner Antwort auf eine Motion des damaligen SP-Nationalrats Peter Vollmer zu, dass «der klare Wille des Volkes», Militärdienstverweigerer zu bestrafen «heute unbestrittenermassen nicht mehr» bestehe.
Aber er fügte gleich hinzu: «Konsequenterweise müssten bei jeder grösseren Revision des Strafrechtes jene Personen oder Personengruppen rehabilitiert werden, welche nach dem älteren, strengeren Recht rechtskräftig verurteilt worden sind und nach dem neuen Recht freigesprochen werden müssten.»
Dabei verschweigt er die menschenrechtliche Dimension des Problems. In seiner langen Antwort auf die Motion kommt das Wort «Menschenrechte» kein einziges Mal vor. Damit entschärft er das Problem auf ganz normale Gesetzesrevisionen, denen in der Regel keine menschenrechtswidrigen Gesetze vorausgehen, und mogelt sich so trickreich um die zentrale Frage herum.
7. Die Museen
Das Stasi-Gefängnis steht seit 1992 unter Denkmalschutz und ist heute ein Museum, das jährlich von Tausenden von historisch Interessierten besucht wird. Alle Einrichtungen sind originalgetreu erhalten. Keine Farbe wurde entfernt und durch neue ersetzt. Wer sich als Besucher an die Wände lehnt, bekommt einen «Erinnerungs-Abdruck», wie Gilbert Furian vorwarnt. Die Erinnerung lebt und wird durch die Erzählungen der ehemaligen Stasi-Häftlinge wachgehalten.
Auch das Untersuchungsgefängnis in Sitten ist seit der Schliessung im Jahr 1998 ein Museum, in dem seither die verschiedensten Ausstellungen gezeigt werden. An die ursprüngliche Verwendung des Baus und der Räume erinnert bei einem Besuch im Juli nichts ausser dem Namen «Musée Ancien pénitencier» und der Aussenfassade.
Nichts erinnert im Innern an die finstere Zeit dieses Verlieses. Die Zellen sind alle frisch gestrichen. Wände, Fenster und andere Installationen verschwinden unter farbigen Holzwänden. Die Zellennummern wurden entfernt und die Notklingeln samt Kabeln abmontiert. Auf Nachfrage an der Rezeption am Empfang gibt es auch nichts Schriftliches über die Geschichte des früheren Gefängnisses.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war von 2000 bis 2010 Redaktor der «Roten Anneliese» und hat darüber das Buch «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» geschrieben. Im Kapitel «Erinnerungen an die Strafkolonie» nimmt er den Walliser Strafvollzug unter die Lupe.
Guten Tag – Dieser Artikel hat mich äusserst nachdenklich gemacht und mir gezeigt, dass meine Wut auf die Schweiz in der damaligen Zeit oft nicht ganz unbegründet war. Ende der 70ziger anfangs der 80ziger Jahre war ich beruflich öfters in Deutschland. Die Zollkontrollen auf der Schweizerseite waren masslos und absolut menschenunwürdig – fast jedes zweite Mal wurde ich von Kopf bis Fuss nackt begutachtet – es war widerlich wie sich die Zollbeamten aufgeführt haben und wie sie mit mir umgegangen sind. Ich war nie in irgend einer Art und Weise straffällig – ich war als Gestalter und Designer tätig und ich wurde immer wieder des Drogenkonsums verdächtig obwohl ich keine Drogen konsumiert und kaum Alkohol getrunken habe. – Heute bin ich etwas ruhiger geworden. Der aktuelle Artikel war wie ein Rülpser …. und wenn ich heute Artikel der SVP oder manchmal auch der EVP lese hat sich scheinbar in gewissen Dingen die Sichtweise wenig geändert. resp. es ist auf eine andere Art und Weise bedenklicher geworden. A. Aebi
Ich bin erschüttert. Die Leute, die den Militärdienstverweigerer Kurt Marti so behandelten, ordne ich ohne Bedenken in den Kreis gefährlicher Gewalttäter ein. Gewalttäter, die unter der schützenden Hand des Staates wirkten. Es wäre an der Zeit unsere Vergangenheit endlich aufzuarbeiten. Man kann diese Verbrechen an «Gesinnungshäftlingen» nicht mehr ahnden. Als Straftaten wären sie verjährt, aber sie wurden nie als solche klassifiziert. Aber man sollte solche Vergehen gegen Leib und Leben publik machen. Wenn es sein muss, mit den Namen der Kriminellen, die dafür verantwortlich sind.
Danke ! Mir erging es 1985 sehr ähnlich , als ich
anstelle vom Militärdienst einen Zivildienst antreten wollte .
Ab in den Knast dann 3 mal Verschoben , bei minus 20 Grad aufs Feld Geschickt und Altholz einsammeln .
Anfahrt im Groosen Moos im Offenen Traktoranhänger . Tee oder Heisgetränke hatte nur der Pfahl ( Knastslang für Wärter ).
Nebenbei im Treibhaus ohne Schutzausrüstung die Heißwasserohre mit giftigem Bleimenning zu Streichen gab mir noch den Rest .
Wir wahren damahls über 600 Leute die Verweigert haben um die Forderung nach einem Zivieldienst in der Schweiz nachdruck zu Verschaffen .
Freunde vom mir bekamen bis zu 8 Monaten Gefängnis .
Ich wollte nicht als Politischer Verurteilt werden also erzählte ich dem Richter meine Idee von Karma . Erschiesse niemanden wenn du nicht erschossen werden willst z.b. bekam dann schwere Gewissensnot zugesprochen und bin mit 3 Monaten bedingt noch gut gefahren ….
Blich Reporter schrieb dazu » Junger Bieler Verweigert den Wehrdienst , er Glaubt daran einst eine Pflanze oder ein Tier zu werden .
Auch ich war in Zellen wo im Winter auf der Innenseite Eis war .
Während Tagen wurde mir der Hofgang verboten oder ich wurde einfach vergessen .
Als Vegetarier wurde ich mit Gnagi verköstigt ,
Iss oder Lass es meinte der Wärter .
Und dann bist du als junger Mann der Gewalt ablehnt mit Pädophilen und Zuhälter in einem Raum 24 h eingelocht .
So ist es mir ergangen, doch wir haben Gewonnen , der Zivildienst ist da .