Dammbruch in den Beziehungen zwischen Washington und Ankara
Es sollte ein «deal» zwischen zwei starken Männern werden: Der amerikanische Präsident Donald Trump und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan hatten sich im Schatten der letzten Nato-Konferenz in Brüssel Mitte Juli zu einem ersten persönlichen Gespräch getroffen. «Ich mag diesen Burschen», rief gleich danach Trump und klopfte Erdogan kumpelhaft auf die Schulter.
Der türkische Präsident war sichtbar zufrieden. Nicht nur, weil der angeblich stärkste Mann der Welt ihn öffentlich derart lobte. Trump verlor bei jenem Treffen auch kein Wort darüber, dass in der Türkei seit zwei Jahren unter Erdogans Führung der Rechtsstaat konsequent abgebaut wird.
Dass Vermögens-Konfiskationen von Andersdenkenden fortgesetzt werden und Journalisten, Ärzte, Rechtsanwälte, Richter und Akademiker nach wie vor willkürlich verhaftet oder aus ihrer Arbeit vertrieben werden, auch dies war nicht der Rede wert. Trump zeigte sich nur um das Schicksal eines einzigen Inhaftierten der türkischen Anstalten interessiert: des US-Pastors Andrew Brunson.
Wie es sich für starke Männer gehört
Zwanzig Jahre lang hatte Andrew Brunson in der Türkei gelebt und beinah 10 Jahre lang die kleine evangelikale Kirche in der westtürkischen Stadt Dikeli bei Izmir geleitet, bevor er im Rahmen der grossen Säuberungen nach dem misslungen Putschversuch im Juli 2016 wie Abertausende andere türkische Bürger festgenommen wurde.
Die Staatsanwaltschaft warf ihm Mitgliedschaft in der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen und zugleich Verbindungen zur kurdischen PKK vor. Das wird in der Türkei nach dem Sommer 2016 beinahe allen Inhaftierten vorgeworfen. Die Mitgliedschaft in einer oder für hartnäckigere Fälle beiden «Terrororganisationen» gilt so was wie eine Generalanklage.
Dass der amerikanische Pastor fast zwei Jahre lang in türkischer Untersuchungshaft sass, regte aber Widerstand in den USA. Mächtige Mitglieder der Regierung Trump, darunter US-Aussenminister Mike Pompeo oder Trump’s Vize, Mike Pence, sind gläubige Anhänger der selben evangelikalen Kirche. Der Druck, Brunson rasch freizubekommen, nahm im US-Kongress zu.
Mitte Juli glaubte Trump, ihm und Erdogan sei in Brüssel, wie es sich bei starken Männern auch gehört, ein hervorragender Deal, ein ausgezeichneter «swap» gelungen. Wie die Washington Post enthüllte, hätte damals Erdogan die Freilassung von Pastor Brunson versprochen und Trump als Gegenleistung die Freilassung der türkischen Aktivistin Ebru Özkan garantiert.
Die Islamistin Ebru Özkan sass noch in Israel hinter Gitter, weil sie angeblich illegal Gelder für die palästinensische Organisation Hamas transportiert hatte. Wenige Tage nach dem Brüsseler Treffen bestätigten israelische Regierungskreise tatsächlich ein entsprechendes Telefonat des US-Präsidenten mit Premier Netanyahu. Am Tag, als Ebru Özkan in der Türkei eintraf, verordnete ein türkisches Gericht allerdings nicht die Freilassung des US-Pastors, sondern setzte Brunson unter Hausarrest.
Entrüstung und gegenseitige Drohungen
Die Entrüstung in der amerikanischen Regierung über einen Deal, der sich als falsch entpuppte, war gross. Trump sprach von einer «totalen Schande». Das State Department forderte in kaum verstecktem Befehlston: «Brunson muss freigelassen werden – und zwar jetzt.» Und Trump-Vize Pence drohte unzweideutig mit Sanktionen.
Es war, als wäre im seit langem schwellenden Konflikt zwischen der Türkei und den USA ein Damm gebrochen. In den USA wurde die Überzeugung, wonach die Türkei ausländische Bürger willkürlich festnehme, um diese später als Geisel für Gegenleistungen einzusetzen, zur Gewissheit.
Abgesehen aber vom Konflikt um den Pastor Brunson hat die Türkei Erdogans in Washington bereits viel an Wohlwollen und Glaubwürdigkei verspielt. Der türkische Präsident hat zu lange und zu oft versucht, Russland gegen die USA auszuspielen, um in Syrien seine Bedingungen durchzusetzen. Er hat in den letzten Jahren zudem mit einer betont anti-westlichen Rhetorik seine Wähler bewusst gegen die alten Freunde und Alliierten gehetzt.
Ungeachtet aller Warnungen der Nato und der USA bestellte er das hochentwickelte russische Raketen-System S-400 und liess hochmutig erklären, mit Iran weiterhin im Geschäft bleiben zu wollen. Erdogan habe es fertig gebracht, das Aussenministerium und den Kongress der USA gegen die Türkei aufzubringen, kommentierte der Türkei-Experte Aaron Stein.
Am Mittwoch hat die amerikanische Regierung Sanktionen gegen die türkischen Minister für Justiz und Inneres erlassen, die für die Verhaftung des Pastors verantwortlich waren. Ihnen wurde eine Einreise in den USA verboten. Mögliche Vermögen der beiden in den USA wurden eingefroren. Diese Sanktionen sind vorerst in erster Linie symbolischer Natur: nie zuvor haben die USA Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat der Nato verhängt. Sie könnten aber auch der Beginn von weiteren, schmerzhafteren Sanktionen sein. Am Mittwoch hat der Senat ein Gesetz verabschiedet, das den Verkauf der modernen amerikanischen Kampfjets F-35 an die Türkei vorerst verbietet.
Die Regierung in Ankara hat dementiert, dass es zwischen Trump und Erdogan je zu einem Deal gekommen sei. Nun schwören Regierung und Opposition in Ankara unisono, den Drohungen der USA nicht Folge zu leisten und amerikanische Minister mit Gegen-Sanktionen zu belegen.
Die Journalistin Hilal Kaplan, die wegen ihrer besonderen Nähe zum starken Mann der Türkei Erdogan bekannt ist, twitterte gar, die Türkei solle doch die Nato verlassen. Der veterane Journalist Sedat Ergin hatte seine Karriere vor 40 Jahre als Experte für Nato-Fragen begonnen. Wie er alarmiert schreibt, hatte er «die türkisch-amerikanischen Beziehungen nie so schlecht gesehen wie jetzt». Ergin plädierte dafür, die bilateralen Beziehungen auf Eis zu legen und warnte anderenfalls vor einem «Unheil».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine