Europa: Minderheiten unter Beschuss
«Die Rhetorik des Hasses und der Ausgrenzung hat dramatische Konsequenzen für die Menschenrechte. Die Diskriminierung von Minderheiten droht in vielen Ländern Normalität zu werden», warnte die Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» in ihrem Jahresrapport 2017/2018.
Auf dem Rücken der sogenannten «Flüchtlingskrise» bewirtschaften PolitikerInnen schamlos Ängste. Die Folge ist Hass, der sich in der Mitte der Gesellschaft verankert. Die Leidtragenden sind Minderheiten jeglicher Art.
«Schamlos drehen Regierungen das Rad der Zeit zurück und machen menschenrechtliche Errungenschaften zunichte, die über Jahrzehnte mühsam erkämpft wurden», analysiert Salil Shetty, Generalsekretärin von «Amnesty International». Beispiele für die Diskriminierung von Minderheiten gibt es viele: In Europa sind sie schon längst an der Tagesordnung, zum Beispiel in Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien.
Dabei erhielt die Europäische Union im Jahr 2012 den Friedensnobelpreis – für ihren «erfolgreichen Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte».
Seit der Machtübernahme durch rechtspopulistische Parteien spielt sich die systematische Diskriminierung von Minderheiten aber auch in unserer unmittelbaren Nähe ab. So zum Beispiel in Italien und Österreich, wie zwei erschreckende Beispiele zeigen.
Säuberung und Zensus
In Italien ist das Kalkül der Angstmacher aufgegangen. Ihre Politik machte den ultrarechten Lega-Chef Matteo Salvini zum Innenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten. Salvini, der zwischen arbeitenden Leuten und «Parasiten» unterscheidet sowie für mehr Gefängnisse, kürzere Prozesse und die Abschaffung von Hafterleichterungen eintritt, plädierte auch schon für Selbstjustiz.
Genüsslich schlachtet Salvini die Flüchtlingsthematik aus und treibt den Ausbau der Festung Europa voran. In Interviews sprach er gar von einer «Massen-Säuberung», die in Italien notwendig sei. «Strasse für Strasse. Quartier für Quartier.» Salvini war es auch, der Sinti und Roma zählen lassen wollte – obwohl es noch nie eine gute Idee war, wenn PolitikerInnen Menschen in Listen erfassen wollten. Man müsse «wieder das tun, was früher Zählung genannt wurde», sagte er dem Fernsehsender «Telelombardia».
Gesagt, getan: Das Parlament der von der Lega dominierten norditalienischen Lombardei hat grünes Licht für den Start einer Zählung der in der Region lebenden Roma und Sinti gegeben. Der Deckmantel: Mit einer genauen Erfassung sollen Massnahmen zur Bekämpfung illegaler Zustände ergriffen und das gute Zusammenleben gefördert werden. Salvini sagte, die Erhebung ermögliche die Ausweisung von Ausländern ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Roma mit italienischer Staatsangehörigkeit müsse das Land dagegen «leider behalten».
Ausländische Bedürftige kommen unter die Räder
Das Regierungsbündnis der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ trat mit dem Ziel an, ein neues Österreich zu schaffen. Im Klartext heisst das unter anderem: offene Anti-Migrationspolitik, Druck auf kritische Journalisten.
Vor allem bei der Migrationspolitik schöpfen Kanzler Sebastian Kurz sowie sein Vize-Kanzler und Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport, Heinz-Christian Strache, aus dem Vollen. Erst demonstrierte man in einer öffentlichkeitswirksamen Flüchtlings-Abwehr-Übung Stärke, nun geht es «den Ausländern», die bereits im Land sind, an den Kragen. Wer nicht Deutsch auf B1-Niveau sprechen kann, bekommt 300 Euro weniger als den Maximalbetrag von 863 Euro.
Von der Reform der Sozialversicherungen sind zwar auch die Ärmsten der ÖsterreicherInnen betroffen, trotzdem soll damit gemäss Strache vor allem «die Zuwanderung in unser Sozialsystem gestoppt werden.» Den vollen Bezug an Deutschkenntnisse zu koppeln, widerspreche aber einer EU-Richtlinie, sagte der Linzer Europarechtler Franz Leidenmühler in der Zeitung «Der Standard». Demnach müssen Asylberechtigte den gleichen Zugang zu Sozialhilfe haben wie Staatsbürger.
Register von Juden und Muslimen – für den Tierschutz
Das vergiftete Klima spüren Minderheiten in Österreich auch auf andere Weise: Juden und Muslime benötigen in Niederösterreich künftig möglicherweise eine Genehmigung, wenn sie koscheres Fleisch kaufen wollen. Das erwägt die Führung des österreichischen Bundeslandes. Dafür sollen die Konsumenten eine «persönliche Erklärung» abgeben.
Zusätzlich sollen sie nachweisen, dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören, die den Konsum von koscherem Fleisch verlangt. Dafür sollen Auszüge aus einem Mitgliederverzeichnis oder andere Dokumente «aus denen die Religionszugehörigkeit zweifelsfrei hervorgeht», beigelegt werden. Mit anderen Worten: Juden und Muslime sollen sich beim Kauf von koscherem Fleisch namentlich registrieren lassen.
Die geplante Massnahme begründet der zuständige FPÖ-Landesminister Gottfried Waldhäusl mit seinem Vorgänger Maurice Androsch (SPÖ), der das Gesetz eingeführt habe. Das ist Augenwischerei: Androsch wollte lediglich die Personen, die selber rituelle Schlachtungen durchführen, registrieren lassen.
Waldhäusl begründet seine Forderung auch mit dem Tierschutz. Ein logisches Argument, das Schächten von Tieren ist umstritten – und das zu Recht. Wie ein Register von Juden und Muslimen die Tiere schützen soll, bleibt dagegen schleierhaft.
Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) nannte das Vorhaben in der «Wiener Zeitung» einen «negativen Arier-Paragrafen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Wenn man jetzt fragt, woher all dieser «Erfolg» der rechtspopulistischen Parteien kommt, dann ist die Antwort: Das Internet hat zusammen mit den Onlineforen der Zeitungen, die ungefilterten Hass freischalten, zu diesem Zustand geführt, der Wutpolitiker und Wutjournalisten begünstigt. Die Klickraten sind ja heute ein Kriterium, und unter welchen Artikeln sich lange (oftmals gesteuerte) Empörungsschlangen bilden, die bestimmen auch, worüber öfters geschrieben wird. So wird eine bestimmte politische Agenda zur Priorität. Rechtspopulisten nutzen auch die Tatsache aus, dass sich auf Kosten einer Minderheit immer eine Mehrheit findet, so dass diese einen Konflikt auf dem Buckel von jener austragen wird. So kann man dann auch gegen Berufsgruppen vorgehen: gegen Künstler, gegen Lehrer, gegen «Staatsbesoldete» etc.