Wenn das Label zwischen den Zähnen klebt
An den Chiquita- oder Fairtrade-Kleber auf Schalenfrüchten wie Bananen haben wir uns gewöhnt. Wer ihn vor der Abfalltrennung nicht mühsam abkratzt und separat entsorgt, siebt ihn später geduldig wieder aus dem Kompost heraus. Doch immer öfter haften Markenzeichen oder Labels auch auf essbereiten Äpfeln, Birnen oder Pfirsichen.
«In aller Munde»
Muss das sein und warum? Das fragte der infosperbernde Journalist die Medienstelle der Ladenkette Volg, nachdem er wieder einmal einen bunten Kleber mit süss-säuerlicher Miene aus den Zähnen herausgeklaubt hatte. «Das Thema Nachhaltigkeit ist seit einiger Zeit in aller Munde und die Zahl der Anfragen zu diesem Thema ist richtiggehend explodiert», antwortete schriftlich Tamara Scheibli, Leiterin Kommunikation/Werbung der Volg Konsumwaren AG, die in vielen Dörfern über das Lebensmittel-Monopol verfügt.
Sagt man den klebenden Dingern jetzt «Nachhaltigkeit», fragte sich der Journalist. Dann las er gespannt weiter und erfuhr: «Volg hat generell eine sehr schlanke Administration und verfügt daher leider nicht über die nötigen personellen Ressourcen im Bereich Nachhaltigkeit, um Ihre Fragen fundiert und zeitnah zu beantworten.» Abschliessend grüsste Scheibli «frisch und fründlich» und liess den Journalisten mit offenem Mund stranden.
Europäischer Druck, Schweizer Tugend
Auskunftsfreudiger sind die Mediensprecherinnen von Migros und Coop. Aus ihren Antworten geht hervor: Ob Namen von Marken oder Labels direkt auf die Produkte geklebt werden, entscheiden entweder die Lieferanten oder das Marketing von Migros. Die meisten Detailhandels- Betriebe in Europa wünschten solche produktintegrierte Informationen. Die Schweiz und damit auch die Migros hätten «nicht genügend Einfluss, um die Handelsgewohnheiten in Europa zu ändern», schreibt Martina Bosshard, Sprecherin des Migros-Genossenschaftsbundes (MGB).
Sodann wandeln die beiden Detailhandels-Konzerne den europäischen Druck zur eigenen Tugend um: Die Kleber sparten Verpackungsmaterial, weil damit mehr – und auch biologische – Produkte in den Selbstbedienungsläden im Offenverkauf angeboten werden könnten, argumentieren Migros und Coop. Zudem dienten die Kleber den Kundinnen und Kunden als Orientierungshilfe, ergänzt Coop-Sprecherin Yvette Petillon. Offenbar genügt es den beiden Grossverteilern nicht, ihre offen verkauften Früchte und deren Eigenschaften auf den Schildern der Auslage zu kennzeichnen. Andererseits stösst diese «Orientierungshilfe» an Grenzen. Auf offen verkauften Kirschen oder Beeren zum Beispiel hat der scharf beobachtende Konsument noch keinen Kleber entdeckt.
Ob klebriges Papier oder Plastik: Schwer abbaubar
Uneinheitlich sind die Antworten auf die Frage nach der Materialwahl. «Die Aufkleber sind aus Kunststoff», antwortet Migros. Coop hingegen schreibt: «Der grösste Teil der Aufkleber wird aus Papier hergestellt. Der verwendete Klebstoff ist von der ISEGA (eine Forschungsgesellschaft. d.V.) zertifiziert.» Eine eigene Probe im Wasserbad zeigt: Einige Kleber bestehen aus bedrucktem Papier, andere aus unverwüstlichem Plastik.
Biologisch jedenfalls lassen sich alle Kleber weder im Mund noch auf dem Kompost einfach entsorgen. Das wissen wir von den Deutschen, die solche – materiell leicht- und politisch schwerwiegende – Themen jeweils gründlich prüfen. So gab es im Deutschen Bundestag eine Petition, die verlangte, dass auf Früchten oder Früchteschalen künftig nur noch biologisch abbaubare Etiketten zugelassen werden.
Der Petitionsausschuss des Bundestages lehnte dieses Begehren mit Beschluss vom 29. August 2017 ab. In seiner mehrseitigen Begründung räumte er zwar ein, die real existierenden Aufkleber liessen sich in der Bioabfallbehandlung nicht abbauen. Andererseits wäre die Herstellung von biologisch abbaubaren Klebern durchaus möglich. Trotzdem verzichtete der Parlamentsausschuss auf eine entsprechende Vorschrift. Dabei verwies er auf eine Mitteilung der Bundesregierung. Diese befand, Etiketten würden «sowohl gewichts- als auch volumenmässig bei der Bioabfallverwertung keine große Rolle spielen». Darum wäre ein Verbot von nicht abbaubaren Klebern «unverhältnismässig».
Von der Einweg- zur Rückgabe-Etikette
Bleibt die ironische Frage, ob Schweizer Grossverteiler erwägen, die Aufkleber künftig mit einer Gebühr zu belasten, wie sie das bei den Raschelsäcken bereits tun. Nein, antworten Migros und Coop ernsthaft. Immerhin haben wir Konsumentinnen und Konsumenten die Möglichkeit, die klebrigen Einweg- zu Rückgabe-Sticks umzuwandeln: Einfach die Kleber schon im Laden abkratzen, bevor wir die Früchte in den Raschelsack packen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Coop und Migros weigern sich seit Jahren beharrlich gegen die Verpackungsflut und Kleber etwas zu unternehmen. Coop verpackte Bio Gemüse mit der Begründung dass es sonicht zu Verwechslungen käme!!! Seit einigen Monaten ist auch nicht Bio Gemüse vermehrt verpackt. Statt weniger mehr mit unmöglichen Verteidigundsstrategien!!!
Danke für das Anprangern dieser Mini-Ärgernisse.
Ähnlich ärgere ich mich auch über Märkli, Punkte und Konsorten!
Ein für mich wichtiger Vorzug von Aldi, der auf solche Pflästerchen verzichtet, was sich im Preis niederschlägt.
Genau, diese Plastikkleber auf den Früchten sind ein Beispiel völlig unnötiger Verschmutzung durch Plastik. Richtigerweise wird heute gefordert beim globalen Plastikproblem an der Quelle anzusetzen durch Ersatz von Plastik durch abbaubare Materialen. Das sollten wir uns auch für unsere Kleidung merken. Synthetische Stoffe verlieren im Waschprozess Plastik-Mikrofasern, die im Abwasser landen. Dabei handelt es ich um grosse Mengen. Das lässt sich testen, wenn man diese Stoffe beim Waschen in einen Stoffsack sperrt. Erstaunlich, welche wie viele Plastikfasern sich hier ansammeln. Also: Entweder keine Kleider aus synthetischen Fasern oder eine Waschmaschine, die intelligenterweise Plastik durch einen Filter zurückhält.
Martin A. Liechti, Maur
Was mein alter Freund Hanspeter Guggenbühl hier ironisch kommentiert, hört ja nicht beim Bio-Apfel oder bei der Garantiert-Sizilien-Orange auf. Der Selbstklebe-Etikettier-Wahn hat schon lang und durchdringend Methode. Leere Confitüre- oder Salzgurkengläser zum Beispiel eignen sich hervorragend als Behälter für mancherlei und entlasten so das Glas-Recycling – aber erst, nachdem man die Gläser mühsam von Etiketten befreit hat, die in einer Weise hergestellt und aufgeklebt wurden, als gälte es, die tausendste Generation nach uns über den ursprünglichen Inhalt zu informieren.
Den Vogel abgeschossen aber hat eine Anfang Jahr in Kraft getretene EU-Verordnung, nach welcher die Säcklein an Selbstbedienungstheken für Gemüse und Früchte aus kompostierbarem Plastik bestehen müssen. Die Preiskleber aber, welche die Waage ausspuckt, sind die alten nicht abbaubaren Etiketten. Da geht die Kundschaft also nachhause, nutzt den Biosack als Kompostbehälter oder wirft ihn einfach so zum Kompost, und die Etikette macht dort was? Industrielle Verschmutzung. Und warum? Weil jene, welche heute über industrielle Abläufe entscheiden, von ihren Marketingabteilungen davor geschützt werden, logisch zu denken.
Danke für den Kommentar, Herr Studer! Solange das Marketing über die Mechanismen der Produktion entscheidet, so lange haben wir weder nachhaltige Wertschöpfungsketten, noch wird es zu einer Abkehr von der unsäglichen Kurzfrist-Gewinn-Strategie der Geplanten Obsoleszenz kommen.