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Verbindliche Richtlinien für Konzernverantwortung können Proteste gegen Rohstoffmultis ersetzen © IGU flickr

Die Konzernverantwortungs-Initiative kann Wunder bewirken

Markus Mugglin /  Kommt die Konzernverantwortung-Initiative vors Volk, oder gibt's einen Gegenvorschlag? So oder so sind die NGO auf Erfolgskurs.

Die Sache schien gelaufen zu sein. Der Bundesrat, die Wirtschaftsverbände Economiesuisse und SwissHoldings sagten kompromisslos Nein zur Konzernverantwortungs-Initiative. Sie wollten das Thema möglichst schnell durch das Parlament und vors Volk bringen. Das an den letzten Wahlen nach rechts gerückte Parlament würde dem Spuk gegen die angeblichen Interessen der Schweizer Wirtschaft ein schnelles Ende bereiten. Das Volk würde ihm folgen. Mit der Finanzkraft von Economiesuisse und SwissHoldings, dem Verband der Schweizer Multis, sollte das gegen die politisch wenig erprobten Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) mühelos gelingen.

Im Parlament wechselte der Kurs
Doch es kam anders. Zuerst im Ständerat. Seine Kommission sprach sich für einen indirekten Gegenvorschlag „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ aus. Die nationalrätliche Kommission wollte vorerst nichts davon wissen, schwenkte aber im Februar 2018 mit einer eigenen Formulierung auf den Kompromisskurs ein. Der Kurswechsel fand statt, obwohl SVP und FDP in der Kommission über die Mehrheit verfügen.
Noch ist es erst ein Entscheid der vorberatenden Kommission für Rechtsfragen. Ob der Nationalrat ihr in der Sommersession folgt, ist offen. Doch schon jetzt ist klar. Der Bundesrat und die Wirtschaftsverbände sind in der Defensive, das breite Bündnis der Konzernverantwortungs-Initiative mit inzwischen rund hundert Organisationen ist in der Offensive. Selbstbewusst kann es auf einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung verweisen. Denn laut einer Umfrage vom Herbst 2017 unterstützen 77 Prozent das Vorhaben, in der Westschweiz sogar über 90 Prozent.
Das überraschend klare Meinungsbild sorgte für Aufregung in der Wirtschaft und führte zur Spaltung. Der Westschweizer Verband „Groupement des Entreprises Multinationales“ mit fast hundert Mitgliedfirmen scherte aus der kompromisslosen Nein-Position aus. Dieser Verband mit vielen oft gescholtenen Rohstoffhandels-Unternehmen ermunterte sogar die Kommission des Nationalrates zum Gegenentwurf.
Skandale bereiten den Boden
Der Erfolg der Kampagne kommt nicht nur überraschend. Er hat eine lange Vorgeschichte mit vielen Skandalen: Im ausgehenden letzten Jahrhundert betrafen sie meist „Nestlé“ – wegen der Babynahrung, der Kinderarbeit auf Kakaofeldern in Westafrika oder der Kritik am Wassergeschäft des Konzerns. Obwohl manche Multis reagierten und sich heute vermehrt mit Themen der Nachhaltigkeit beschäftigen, nahmen die Skandalgeschichten nicht ab. Im Gegenteil. Beinahe im Wochenrhythmus werden wenig ruhmreiche Geschäftspraktiken schweizerischer Konzerne aufgedeckt.
Sehr oft gerät heute der weltweit grösste Rohstoffkonzern Glencore ins Visier – wegen sozialen Unruhen in Peru, Korruptionsvorwürfen in der Demokratischen Republik Congo, miserablen Arbeitsbedingungen in Australien, Lateinamerika, über Kanada bis Tansania. Wiederholt kritisiert wird auch die Grossbank CS, weil sie stark in klimaschädliche Kohle investiert, sich in den USA finanziell bei Unternehmen engagiert, die gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung die Dakota Access Pipeline vorantreiben, oder wegen der Verwicklung in eine grosse Korruptionsaffäre im armen Moçambique. Der Zementriese LafargeHolcim sieht sich ebenfalls mehrfach mit Vorwürfen konfrontiert, und immer wieder sorgen Rohstoffhändler wie Trafigura oder Gunvor und die Goldraffinerien mit undurchsichtigen Geschäften für negative Schlagzeilen. Jüngst gab es auch wieder Kritik an Nestlé wegen Geschäftsbeziehungen zum weltweit grössten Palmölproduzenten Wilmar, auf dessen Plantagen in Indonesien miserable Arbeitsbedingungen herrschen.
Angst ums Image allein bringt noch keinen Wandel

Diese Geschichten kontrastieren gegenüber den vielfarbigen Nachhaltigkeitsberichten der Unternehmen. Sie lassen daran zweifeln, dass sich die Unternehmen allein durch erlittenen Imageschaden umstimmen lassen. Es wird zwar oft betont, eine gute Reputation sei für jedes Unternehmen ein kostbares Gut. Geht sie verloren, käme das teuer zu stehen. Das sei Anreiz genug, um verantwortungsvoll zu handeln statt kurzfristig möglichst hohen Profit zu erzielen.
Doch die Realität sieht zuweilen anders aus. Geradezu exemplarisch steht dafür LafargeHolcim: Der Zementgigant versprach im vergangenen Jahr, ein globales Rahmenabkommen mit den Gewerkschaften zu unterzeichnen, um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz zu verbessern. Die Gewerkschaften waren hocherfreut. Doch das gilt jetzt nicht mehr. Die neue Konzernspitze will das Abkommen nicht unterzeichnen. Priorität hat jetzt eine starke Steigerung des Aktienkurses.
Langjähriger Aufbau von Mobilisierungsstrukturen
Doch nicht nur Skandale erklären den Erfolg der Konzernverantwortungs-Initiative. Dahinter stecken auch langjährige Erfahrungen in der Mobilisierung. Sie reichen zurück in die 1980er Jahre, als die Entwicklungsorganisationen erste Petitionen lancierten, ein Mal für die Erhöhung der Entwicklungshilfe, ein anderes Mal für einen Schuldenerlass der ärmsten Entwicklungsländer. Das Handwerk der Mobilisierung wurde gelernt und geübt. Organisatorische Kapazitäten wurden aufgebaut und erprobt. Ein letzter Probelauf war die 2012 mit 135‘000 Unterschriften eingereichte Petition „Recht ohne Grenzen“. Sie forderte verbindliche Regeln für die Respektierung der Menschenrechte und international anerkannter Umweltstandards durch international tätige Unternehmen. Inhaltlich nahm sie die Konzernverantwortungsinitiative vorweg.
Nachdem die Petition im Parlament äusserst knapp unterlegen war, lancierten die Nicht-Regierungsorganisationen die Volksinitiative. In nur einem Jahr sammelten sie deutlich mehr als die erforderlichen 100‘000 Unterschriften. Seither wird weiter mobilisiert. Bei der Einreichung der Initiative standen 77 Hilfswerke, Frauen-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und kirchlichen Organisationen hinter dem Begehren. Jetzt sind es rund hundert. Kaum jemals zuvor hat sich ein so breites Bündnis für eine gemeinsame Volksinitiative gebildet.
Jetzt fahren die Initianten eine Doppelstrategie. Sie verhandeln mit dem Parlament darüber, was der Gegenvorschlag erfüllen muss, damit sie die Initiative zurückziehen. Parallel dazu läuft die Kampagne für den Fall, dass es doch zur Volksabstimmung kommen sollte. Mit immer wieder neuen Recherchen über Geschäftspraktiken schweizerischer Konzerne ist der Abstimmungskampf längst in Gang.
Im Gleichschritt mit dem globalen Trend
Doch nicht nur Skandalgeschichten und die organisatorischen Fähigkeiten bilden den Rückhalt der Initiative. Die zentrale Rolle spielt die inhaltliche Stossrichtung. Sie ist keine schweizerische Erfindung, spiegelt vielmehr die internationale Debatte. Sie orientiert sich an den Prinzipien über Wirtschaft und Menschenrechte, die der UNO-Menschenrechtsrat im Jahre 2011 gutgeheissen hat. Die Initiative will in der Schweiz umsetzen, was global ausgedacht wurde. Es soll kein nationaler Sonderweg beschritten werden. Im Gegenteil. Die Schweiz würde einen Sonderweg einschlagen, wenn sie nicht willens wäre, den Unternehmen verbindliche Regeln zur Beachtung der Menschenrechte und der Umweltstandards aufzuerlegen.
Darauf hat auch der geistige Vater der UNO-Prinzipien, John Ruggie von der Harvard University, in einem Kommentar in der „Handelszeitung“ (22.03.2018) aufmerksam gemacht: Wenn die Schweiz einen fortschrittlichen Wandel einleite, stehe sie damit nicht allein da. Umgekehrt laufe sie „Gefahr, international ins Hintertreffen zu geraten“. Dass der Bundesrat mit seinem Nein zur Initiative das riskieren wollte, darüber hatte sich Ruggie in einem Brief ans Parlament „enttäuscht“ gezeigt.Die Kernelemente der Initiative mit Sorgfaltsprüfungspflicht, Berichterstattung und Haftung für die Verletzung von Menschenrechten und international anerkannte Umweltstandards sind inspiriert von den UNO-Leitprinzipien. Der Gegenvorschlag übernimmt diese Grundanliegen.
Der Vorwurf von Wirtschaftskreisen, die Initiative sei „Rechtsimperialismus“, zielt ins Leere. Die Schweiz würde anderen Staaten nicht ihre Rechtsordnung aufzwingen, sie würde vielmehr umsetzen, was auch andere Länder in ähnlicher Form tun: Frankreich mit seinem „Loi de vigilance“, Grossbritannien und Kalifornien mit den „Anti Slavery Act“, die Niederlande mit einem „Child Labour Due Diligence Law“, Kanada mit der Schaffung einer Ombudsperson, an die Klagen über Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen gerichtet werden können.
Mit der Orientierung an der internationalen Entwicklung unterscheidet sich die Konzernverantwortungs-Initiative beispielsweise vom Ansatz, den die vom Stimmvolk massiv verworfene Anti-Spekulationsinitiative der JuSo gewählt hatte. Diese ebenfalls entwicklungspolitisch motivierte Vorlage wählte einen Ansatz, der sich nicht an den Konzepten in anderen Ländern und Regionen orientierte. Sie fokussierte auf ein Spekulationsverbot, statt auf die Eingrenzung der Spekulationsgeschäfte. Ein nationaler Sonderweg hätte daraus resultiert, was im Abstimmungskampf wirksam als Schwäche bekämpft werden konnte.
Taktieren vor den Wahlen 2019
Wie das Parlament bei der Konzernverantwortungs-Initiative entscheidet, hängt aber nicht nur von prinzipiellen Fragen und dem Ruf der Schweiz als international herausragendem Standort multinationaler Unternehmen ab. Taktische Überlegungen kommen hinzu. Sie sind vermutlich ausschlaggebend dafür, warum bürgerliche Politikerinnen und Politiker mit dem Gegenvorschlag liebäugeln. Der Mitinitiant des Gegenvorschlags, Nationalrat Karl Vogler, nennt als Grund, dass die Wirtschaft einen Abstimmungskampf vermeiden wolle, in welchem sie sich gegen emotionale Anklagen zur Wehr setzen müsste. Für das nächste Jahr mit den eidgenössischen Wahlen dürfte das erst recht gelten.
Für Links-Grün wäre die Konzernverantwortungs-Initiative ein ideales Kampffeld. Sie könnte sich profilieren gegen die grossen multinationalen Unternehmen, die bis weit in bürgerliche Kreise hinein skeptisch gesehen werden. Insbesondere die Wirtschaftspartei FDP sähe sich in die Defensive gedrängt, ausgerechnet jetzt, nachdem sie in der Gunst der Wählerinnen und Wähler kräftig zulegen konnte und hofft, erneut die grosse Wahlsiegerin zu werden.
Der Gegenvorschlag der nationalrätlichen Rechtskommission bietet die Chance, diesen Abstimmungskampf zu vermeiden. Obwohl er Abstriche vornimmt, brächte er einen Kurswechsel. Alle grossen Unternehmen im Lande würden zu menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfungen verpflichtet und zusätzlich alle Rohstoffunternehmen wegen ihren besonderen Risiken. Der Kurswechsel wäre nicht von einem Erfolg an der Urne abhängig und würde schnell vollzogen. Die neuen Regeln könnten bereits 2020 gelten. Die Nicht-Regierungsorganisationen erwägen deshalb den Rückzug ihrer Initiative.
Deren weitgehende, wenn auch nicht vollständige Umsetzung mit einem Gegenvorschlag wäre eine politische Sensation. Was der Bundesrat in seiner Botschaft zur Konzernverantwortungs-Initiative geschrieben hatte, gälte nicht mehr nur theoretisch, sondern rechtlich bindend: Als Standort einiger der wichtigsten multinationalen Unternehmen würde sich die Schweiz tatsächlich, „besonders für die Achtung der Menschenrechte durch die Privatwirtschaft einsetzen“. Der geistige Vater der UNO-Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte John Ruggie wäre nicht mehr „disappointed“ wie nach dem Nein des Bundesrates. Er und mit ihm sehr viele wären bestimmt „very happy“.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Markus Mugglin ist Journalist und Autor von «Konzerne unter Beobachtung – Was NGO-Kampagnen bewirken können», erschienen im Herbst 2016 im Rotpunktverlag.

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3 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 12.06.2018 um 11:42 Uhr
    Permalink

    Ich habe ein Buch geschrieben über die Abzocker-Initiative, welches zwar nicht erscheinen konnte, aber eines weiss ich: Es gibt keine Initiative, die Wunder wirkt, obwohl im März 2013 das ZDF und sogar das russische Fernsehen das Gegenteil behaupteten… Man versteht nichts von schweizerischer Politik, wenn man glaubt, mit Initiative könne man zum Beispiel parlamentarische Mehrheiten oder gar den Justizstaat lahmlegen.

  • am 18.06.2018 um 17:14 Uhr
    Permalink

    # Pirmin Meier
    Da reib ich mir schon die Augen. Wozu dient denn das Initiativrecht? Lahmlegen vielleicht nicht, aber in die Schranken weisen wohl schon. Haben Sie einen verlässlichen Test zur Frage: wer versteht etwas von Politik?

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 9.07.2018 um 12:14 Uhr
    Permalink

    @Schenk. Bereits hat Bundespräsident Berset erklärt, Initiativen seien Anregungen, mit denen dann Bundesrat und Parlament das Angemessene tun würden, es herrscht längst nicht mehr die Meinung, dass Direktiven der direkten Demokratie durchgesetzt werden.

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