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Bis 2018 immer noch mehr rot als grün: Die Umsetzung der kantonalen Energie-Vorschriften harzt © aee

Bund will Energieversorgung wenden, aber die Kantone trödeln

Hanspeter Guggenbühl /  Weniger konsumieren, mehr erneuerbar produzieren. Diese Ziele verfolgt die nationale Energiestrategie. Doch die Kantone bremsen.

Das Schweizer Volk befürwortete am 21. Mai 2017 die nationale Energiestrategie. Damit sollen Bevölkerung und Wirtschaft ihren inländischen Energiekonsum pro Kopf bis 2035 nahezu halbieren und den Anteil der erneuerbaren Energie am verbleibenden Konsum deutlich erhöhen. Auch die Mehrheit der Stimmberechtigten in den Kantonen Luzern und Solothurn unterstützte diese gesamtschweizerische Wende.

Doch gestern Sonntag, 385 Tage nach dem wegweisenden nationalen Entscheid, kam der kantonale Rückschlag. Zumindest halbwegs: In Luzern blieben die Stimmberechtigten konsequent und stimmten mit 58 Prozent der Revision des kantonalen Energiegesetzes zu; dieses unterstützt die nationale Strategie. Im Kanton Solothurn hingegen versenkte das Stimmvolk die praktisch identische Energiegesetz-Revision mit einem Nein-Anteil von über 70 Prozent.

Kantone regeln rund die Hälfte des Energiekonsums

Diese Resultate sind relevant. Denn rund die Hälfte des inländischen Energiekonsums und 40 Prozent des CO2-Ausstosses entfallen auf Gebäude – von der Heizung über die Wasserversorgung bis zur Haustechnik. Den wesentlichen Anteil dieses Verbrauchs kann aber nicht der Bund beeinflussen. Denn es obliegt den Kantonen, die Energieversorgung im Gebäudebereich zu regeln. Und das soll so bleiben: Bei den Beratungen der nationalen Energiestrategie im Parlament bekämpfte die bürgerliche Mehrheit die Ausweitung der Bundeskompetenzen auf die kantonale Energiepolitik.

Auch die Kantonsregierungen wehrten sich stets gegen Versuche des Bundes, die Kompetenzen in der Energiepolitik auf die kantonale Gesetzgebung auszuweiten. Stattdessen wollten sie selber für eine gewisse Vereinheitlichung sorgen. Dazu erarbeitete die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren (EnDK) sogenannte «Mustervorschriften der Kantone für den Energiebereich» mit dem unsäglichen Kürzel MuKEn.

Was die Mustervorschriften verlangen

Die neuste Version, die MuKEn 2014, genehmigte die Energiedirektore-Konferenz im Januar 2015. Nachstehend die Eckpunkte dieser Empfehlung:

o In Neubauten dürfen pro Quadratmeter Energiebezugsfläche nicht mehr als 35 kWh Wärmeenergie oder umgerechnet 3,5 Liter Heizöl verfeuert werden. Zudem sollen Neubauten einen kleinen Anteil ihres Elektrizitätsbedarfs mit erneuerbarer Energie wie Solarstrom decken. Dieses 3,5- Liter-Haus entspricht etwa dem Minergie-Standard aus dem Jahr 2009. Technisch möglich sind aber längst Null-Energie-Häuser oder Gebäude, die sogar mehr Energie erzeugen als konsumieren.

o In Altbauten sollen die besonders viel Strom fressenden Elektro-Direktheizungen sowie rein elektrisch aufgeheizte Boiler innerhalb von 15 Jahren, nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, ersetzt werden, zum Beispiel durch Elektrowärmepumpen. Zudem müssen Hauseigentümer beim Ersatz von alten Öl- oder Gasheizungen zehn Prozent des Energiekonsums zusätzlich kompensieren, sei es durch Steigerung der Energieeffizienz mittels Wärmedämmung oder durch erneuerbare Energie, zum Beispiel Solarkollektoren für die Erwärmung des Wassers im Boiler. Auch diese Anforderungen liegen weit unter dem Stand der Technik.

Obwohl also bei Neubauten und Sanierungen weit mehr möglich wäre, gelten die MuKEn 2014, gemessen an den bisherigen kantonalen Energiegesetzen, als fortschrittlich. Würden sie im ganzen Land konsequent umgesetzt , liesse sich der Energiekonsum und CO2-Ausstoss in der Schweiz innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahren deutlich vermindern; jedenfalls stärker als durch andere Massnahmen, die heute im Fokus der Medien stehen (Umstieg auf Elektroautos, Subventionen für Gebäudesanierungen oder Fotovoltaik-Anlagen, etc.).

Die Macke der MuKEn: Bloss eine Empfehlung

Der Haken an dieser föderalistischen Energiewende: Bei den MuKEn handelt es sich um Empfehlungen. Wirkung entfalten sie erst mit Verzögerung, nämlich dann, wenn die Kantone diese Mustervorschriften mit entsprechenden Gesetzesänderungen umsetzen. Und hier hapert es, und das nicht nur im Kanton Solothurn. Das zeigt die aktualisierte Erhebung der Schweizerischen Agentur für Energieeffizienz und Erneuerbare Energie (AEE), siehe Grafik an der Spitze dieses Artikels:

Bis am 10. Juni 2018 haben erst fünf Kantone die MuKEn 2014 gesetzlich ganz oder teilweise umgesetzt, nämlich Basel-Stadt, Basel-Land, Obwalden, Waadt und neu Luzern (dunkelgrüne Felder). Die entsprechende Vorlage zurück gewiesen haben die Kantone Uri bereits im Parlament und neu Solothurn per Volksentscheid (rote Felder). [Grössere Auflösung der Grafik hier]. In allen andern Kantonen ist eine entsprechende Gesetzesrevision noch nicht beschlossen oder erst angekündigt (hellgrün und orange Felder) oder, wie die weissen Flecken auf der Schweizer Energiekarte zeigen, noch nicht einmal in Angriff genommen worden. Opposition von Hauseigentümern, Wirtschaftsverbänden, Freisinn und SVP, welche die Vorlage in den Kantonen Uri und Solothurn erfolgreich bodigten, ist auch in andern Kantonen zu erwarten.

Gegner setzen auf Freiwilligkeit und Subventionen

Nach der Abstimmung in Solothurn erklärten Gegnerinnen und Gegner von verbindlichen Energievorschriften treuherzig, sie seien nicht grundsätzlich gegen Energiesparmassnahmen, Klimaschutz und Erneuerbare Energie. Doch die entsprechenden Massnahmen müssten freiwillig bleiben und finanziell gefördert statt rechtlich durchgesetzt werden. Im Klartext: Die Energiewende ist gut, wenn wir nicht dazu verpflichtet werden, Subventionen kassieren können oder Steuergeschenke erhalten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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3 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 11.06.2018 um 09:30 Uhr
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    Energiesparen per se kann ja auch nicht die Lösung sein.

    Sie gehen ja auch nicht aus der Sonne, um im Schatten Energie sparen zu wollen, sondern weil Sie einen Sonnenbrand verhindern wollen.

    Vor Jahren wurden elektrische Heizungen als umweltfreundlich propagiert. Dann kam die «Wende». Übermässiger Stromverbrauch – was auch immer das heissen mag – wurde diabolisiert, Stromheizungen sollten verboten werden. Im Kt. FR hat schliesslich der Souverän diese Vorlage bachab geschickt.

    Infrastrukturänderungen sind eine Sache, die Zeit benötigt. Die geerbte Bausubstanz kann nicht alle paar Jahre, auf der Basis eines Geistesblitzes vollständig erneuert werden. Solche Änderungen brauchen Generationen.

    Den Hausbesitzern ständig neue Wunderregelungen aufzuzwingen, mag ein Zeichen der Zeit sein. Die Umwelt profitiert davon wenig, die Bauunternehmer allerdings schon.

    Die aktuelle Mode Elektro-Autos in den Himmel zu loben wird wohl nach neuen Atomreaktoren rufen. Die Öko-Bunker wird man dann wohl wieder aus ästhetischen Gründen in die Remise schöner Utopien verbannt haben.

    Solche Änderungen sollten ohne zusätzlichen Kosten für die Häuslebesitzer, allein auf der Basis verbesserter und auch kostengünstigerer Technologie sich von selbst durchsetzen können. Nicht auf der Basis eines staatlichen Diktates. Verordneter Fortschritt ist kaum sehr demokratisch, sondern bestens Diktatur der grossen Zahl.

  • am 11.06.2018 um 14:01 Uhr
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    Die Kantone trödeln? Nein! Das Volk hat entschieden, ob und wie innerhalb der föderalistischen Staatsordnung die Kantone die restriktiven MuKEn-Vorgaben des Bundes übernehmen sollen. Luzern hat gestern zugestimmt, trotz mehrheitlicher Ablehnung in vielen Landgemeinden. Solothurn hat diese unausgegorene und unrealistische Vorlage vernünftigerweise haushoch bachab geschickt.
    Die groteske Absurdität der Energiewende illustrierte TV SRF in seiner Hauptausgabe der Tagesschau: Da wird am Abstimmungssonntag in einem fünfminütigen Bericht anhand des E-Mobil-Rennens in Zürich mit entsprechenden Statements massiv Werbung für den Ausbau der Elektro-Mobilität in der Schweiz gemacht. Auf der anderen Seite müssen Elektroboiler mit grossem finanziellen und z.T. baulichem Aufwand (vorgeschriebene Eigenproduktion von Solarstrom) ersetzt werden. Dass die Solothurner Bevölkerung diesem schizophrenen Ansinnen nun einen Riegel geschoben hat, davon war in der Tagesschau von SRF natürlich kein Wort zu hören. Wen wundert’s?

  • am 12.06.2018 um 15:01 Uhr
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    Im Kanton Freiburg hat das Parlament so ein Gesetz ohne Gegenstimme durchgewinkt. Dann ergriffen Hauseigentümer das Referendum und siegten in der Abstimmung. Wie sollen Wohnblocks mit Eigentumswohnungen – sehr teuer – saniert werden? Schon als einzelner Eigentümer ist man ob der unterschiedlichen, sprich gegensätzlichen Ratschläge überfordert. Und wenn dann ein Dutzend Eigentümer sich einigen soll: Einer setzt auf Pellets, der nächste glaubt an Fernwärme, der dritte hat sich von einer Wärmepumpentechnologie überzeugen lassen, ein vierter will genau diese nicht, ein fünfter verträgt keine Bodenheizung, ein sechster besitzt eine Waldparzelle und hat sein Cheminée gerade aufgepeppt, was ihm völlig ausreicht, ein siebter hat eh immer zu heiss, ein achter verweigert sich, weil der Energieberater mit dem Elektroauto … dann sind da noch zwei, denen jegliches Kapital fehlt, und der letzte, der sich sowieso immer gegen alles ausspricht und der einfach nicht will – soll doch die Polizei kommen …

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