Das Netzwerk der Gleichstellungsgegner und Schwulenhasser
Im April veröffentlichte Neil Datta, Sekretär beim «Europäischen Parlamentarischen Forum für Bevölkerung und Entwicklung (EPF), den Recherchebericht «Wiederherstellung der natürlichen Ordnung». Darin beschreibt er «die Vision von religiösen Extremisten, die europäischen Gesellschaften gegen Menschenrechte im Bereich der Sexualität und der Fortpflanzung zu mobilisieren.»
In ihrem Kampf gegen Gleichstellungsgesetze agieren christliche Fundamentalisten weit konzentrierter, vernetzter und mit viel mehr Finanzen als bisher angenommen. Trotzdem berichten die Schweizer Medien – mit Ausnahme der «FrauenSicht» – nicht über die Thematik.
Netzwerk produziert konkrete Resultate
Im Zentrum des Rechercheberichts steht das Netzwerk «Agenda Europe», dem inzwischen über 100 Anti-Menschenrechts-, Anti-Frauenrechts- und Anti-LGBTI-Organisationen aus über 30 europäischen Ländern angehören. Es handle sich um ein «dem Vatikan nahestehendes, professionelles Netzwerk von Interessensvertretern, dessen Mitglieder sich im Geheimen treffen».
Die Strategie von «Agenda Europe» produziert konkrete Ergebnisse. Etwa die polnische Gesetzesvorlage zum Abtreibungsverbot, die Verbote von gleichgeschlechtlichen Ehen in mehreren mitteleuropäischen Ländern und über ein Dutzend «vergleichbarer Aktivitäten auf nationaler Ebene und in europäischen Institutionen».
Christlich inspirierte europäische Denkfabrik
Die Anfänge von «Agenda Europe» gehen auf einen anonymen Blog aus Brüssel zurück, der ab dem Jahr 2013 gesetzliche und politische Fortschritte im Bereich der sexuellen Gleichstellung kritisierte. Wenig später begannen fundamentalistische Redner, den Blog als «vielversprechende neue Initiative in der Bewegung» zu preisen.
Das Gründungstreffen sollte etwa 20 führende Personen aus der Lebensschutzbewegung sowie strategische Berater aus Nord-Amerika und Europa zusammenbringen, um eine christlich inspirierte europäische Denkfabrik zu entwickeln.
Strategie gegen Antidiskriminierungsgesetze
Die österreichische Theologin, Aktivistin und heutige ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler und der US-Amerikaner Terrence McKeegan leiteten das erste Treffen. Ein Jahr nach der Gründung erschienen 100 Aktivisten zu einem Treffen auf Schloss Fürstenried in München. 2015 fand in Dublin eine Konferenz statt, 2016 in Warschau.
Standen bei den Treffen 2013 noch Fragen à la «Wie können wir auf die Kultur wirken?» im Mittelpunkt, ging es ein Jahr später bereits um die Verteidigung der Heirat, um nationales Lobbying gegen Gleichstellung, Akkreditierung bei internationalen Institutionen oder um eine Strategie gegen Leihmutterschaft.
2015 präsentierte «Agenda Europe» weitere Strategien: gegen Sterbehilfe, für religiöse Freiheit, für die Heirat und die Familie – und eine Strategie gegen Antidiskriminierungsgesetze. 2016 tauschten sich die Mitglieder dann über Gesetzgebungen aus, die sie noch beeinflussen möchten oder bereits beeinflusst hatten. So zum Beispiel über die polnische Gesetzesvorlage zum Abtreibungsverbot und über eine Initiative gegen späte Abtreibung, die in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) präsentiert wurde.
«Wiederherstellung der natürlichen Ordnung»
Neben den jährlichen Treffen gilt der 134-seitige Leitfaden des Netzwerks «Wiederherstellung der natürlichen Ordnung: eine Agenda für Europa» als wichtiges Standbein. Die zusammengefassten Zielsetzungen: Kampf gegen die Rechte der LGBTI, gegen Abtreibung und Scheidung, gegen die Emanzipation von Frauen, gegen die Anti-Baby-Pille und gegen künstliche Befruchtung. Der Kampf wird aber nicht mit religiösem Glauben, sondern mit «natürlichen Gesetzen» begründet.
Europaweit seien alle Antidiskriminierungsgesetze und alle Regelungen zur Gleichstellung von Mann und Frau, zu gleichgeschlechtlichen Ehen, Lebenspartnerschaften oder zu Adoptionen durch Homosexuelle, abzuschaffen.
«Agenda Europe» will zudem Gesetze einführen, die Homosexualität und das Verbreiten von «Homo-Propaganda» unter Strafe stellen. Homosexualität wird mit «Sodomie» gleichgesetzt. Weiter soll der Irrglaube, wonach Homosexualität eine bewusste Wahl und deshalb auch «korrigierbar» sei, offiziell wieder eingeführt werden.
Verschärfte Rhetorik und klare Strategien
«Wir sollten keine Angst davor haben, unrealistisch oder extremistisch zu sein», schreibt das Netzwerk und beschreibt im Leitfaden ausführliche Kampfstrategien:
- Brauche die Waffen deiner Feinde und richte sie gegen ihn
- Wie unsere Gegner stellen wir unser Anliegen in den Fokus unserer «Rechte»
- Verleumde Gegner und Institutionen, die uns nicht förderlich sind
- Werde ein respektierter Gesprächspartner auf internationalem Niveau
Der christliche Glauben wird also mit Fokus auf die Menschenrechte dargestellt. Eine positive und proaktive Sprache steht im Zentrum. Die Mitglieder sollen sich über Diskriminierung und Gewalt sowie über die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch LGBTI-Aktivisten beklagen. Institutionen, wie etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, bringen dem Netzwerk dagegen keinen Nutzen und werden als «ideologisch motiviert» gebrandmarkt.
Blog zeigt Gesicht des Netzwerkes
«Agenda Europe» tritt mit einem eigenen Blog in Erscheinung. Zynisch schreiben anonyme Autoren über den Recherchebericht von Datta, den «Chef-Lobbyisten der internationalen Baby-Schlachtindustrie».
Das HIV-Outing von Thomas Neuwirth alias «Conchita Wurst» ist mit «Notorischer Sodomit ist HIV-positiv. Wer wollte das wissen?», betitelt. Weiter hadert der Blog mit der Abtreibungslegalisierung in Irland und bedauert das «neue Zeitalter der Dunkelheit».
Der Vatikan mischt mit
Datta kommt zum Schluss, dass «katholische Protagonisten und Institutionen mit direktem Link zur Hierarchie im Vatikan zu den zentralen Organisatoren von ‹Agenda Europe› gehören». So zum Beispiel Gudrun Kugler und Terrence McKeegan, die das Gründungstreffen des Netzwerks einberufen hatten.
Kugler ist Gast-Dozentin am vom Vatikan gegründeten Internationalen theologischen Institut (ITI) und hat für den Heiligen Stuhl bereits eine Reihe von Funktionen ausgeführt. McKeegan diente als Rechtsberater für die Ständige Beobachterkommission vom Heiligen Stuhl bei der UNO. Es gibt noch mindestens zwei weitere Mitglieder mit qualitativ ähnlich guten Verbindungen zum Vatikan: Grégor Puppinck und Luca Volonté.
Puppnick gehört zum «American Center for Law and Justice (ACLJ), einer evangelischen Organisation, die unter anderem Abtreibungsgegner vor Gericht vertritt. Auch er stand bereits in Diensten des Heiligen Stuhls. Volonté habe bei seiner Kandidatur zum Chef der EVP-Fraktion in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats offensichtlich Unterstützung vom Vatikan erhalten, analysiert Datta.
Politische Führer und Regierungsbeamte
«Agenda Europe hat ein Netzwerk von engagierten Anhängern kultiviert, die in einer Reihe von nationalen Parlamenten, dem Europarat, dem europäischen Parlament, politischen Parteien und der europäischen Kommission sitzen», schreibt Datta in seinem Recherchebericht. Dort sollen die Mitglieder die im Leitfaden formulierten Ziele umsetzen.
Er nennt einige Beispiele: den irischen Senator Ronan Mullen, den Italiener Luca Volonté und Zejlka Markic. Aus dem Europaparlament: Paul Moynan, Leo van Doesburg. Aus den europäischen Institutionen: Jakob Cornides und Jan Figel.
Enge Verbindungen in die USA
Die Veranstaltungen von «Agenda Europe» seien ein Schaulaufen der Grössen aus den Anti-LGBTI-Bewegungen aus ganz Europa, schreibt Datta. Auch Sophia Kuby, die Leiterin der Anti-Abtreibungsorganisation «European Dignity Watch» und Direktorin des europäischen Flügels der «christlichen» US-Organisation «Alliance Defending Freedom», soll im Netzwerk eine grosse Rolle spielen. Sie ist die Tochter der fundamentalistischen Autorin Gabriele Kuby, deren Buch «Die globale sexuelle Revolution», weltweit als Narrativ zur Bekämpfung einer vermeintlichen «Gender-Ideologie» gilt.
Weil die Anti-Gleichstellungs-Gemeinschaft in den USA als erfahrener gilt, sprechen auf den Treffen von «Agenda Europe» auch US-Koryphäen der Szene. Dazu gehören Brian Brown von der «National Organization for Marriage», Lila Rose von «Live Action», Marie Smith von «Priests for Life» und Sharon Slater von «Family Watch International».
Kaiserfamilie, mexikanischer Milliardär, russischer Oligarch
Da die Finanzierungsfrage an der Gründungsversammlung von «Agenda Europe» offen gelassen wurde, besitzt Datta keine gesicherten Informationen.
Er vermutet aber, dass einige Teilnehmer des ersten Treffens nur aufgrund ihrer guten Kontakte zu potenziellen Finanzquellen eingeladen wurden. So sass etwa ein Bekannter des mexikanischen Milliardärs Patrick Slim Domit am Tisch. Der Milliardär hat nicht nur die Anti-Abtreibungsbewegung in Mexiko mitbegründet, er ist auch der Sohn von Carlos Slim, einem der reichsten Männer der Welt.
Erzherzog Imre von Habsburg-Lorraine habe die ehemalige kaiserliche Familie von Österreich vertreten, die bereits früher durch die Unterstützung von Anti-Gleichstellungs-Bewegungen aufgefallen ist. Auch Oliver Hylton sei vor Ort gewesen. Hylton war einst Vermögensverwalter von Sir Michale Hintze, einem britischen konservativen Parteispender. Er unterstützt auch eine Denkfabrik, die den Klimawandel leugnet.
Am Treffen von 2014 nahm auch Alexey Komov teil. Komov ist nicht nur Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, sondern auch Programmbeauftragter der russischen Stiftung «Saint Basil the Great». Eine Stiftung, die konservative Anliegen unterstützt und die vom rechts aussen stehenden Oligarchen Konstantin Malofeev gegründet wurde.
Europaweite Lobbyarbeit soll zum Ziel führen
In seinem Recherchebericht bilanziert Neil Datta: Die Anti-Gleichstellungs-Bewegung ist strategisch und grenzüberschreitend in der europäischen Region organisiert. Die transnationale Organisation wird vom Vatikan geführt und schafft es, einen Konsens unter allen konservativen, traditionalistischen Playern zu schaffen.
Die andere Lektion sei die Einheit in Bezug auf eine präzise politische Agenda, mit welcher «Agenda Europe» das Recht und die Gesellschaft verändern wolle. So schienen Attacken auf liberale Gesetze in ganz Europa bisher meist ohne Zusammenhang. Dabei sind Initiativen zu Themen wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehen, Sexualerziehung, Zugang zu Empfängnisverhütung oder Schutz von Christen in Wirklichkeit Teil des Plans, die «natürliche Ordnung» wieder herzustellen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Vielen dank an Tobias Tscherrig für diesen wichtigen und informativen artikel.
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel Herr Tscherrig.
Mir erschliesst sich allerdings nicht, weshalb Menschen mit anderer Meinung als die Gleichgeschlechtlichenlobby und die Gleichschaltungslobby gleich Hasser sein sollen wie der Titel suggeriert.
Ebenso erschliesst sich mir nicht, weshalb der im Artikel erwähnte Herr Datta nichts zu den erwähnten global bestens organisierten Gleichgeschlechtlichenlobby, zur Gleichschaltungslobby oder z.B. zur Antifa sagt? Verfolgen ja alle dasselbe politische Ziel.
Ich begrüsse es sehr zu vernehmen, dass in der Politik auch mal etwas für die klassische Familie getan werden soll. Dies alles ohne Menschen wegen einer anderen Meinungen zu hassen.
Es ist an der Zeit, dass auch Menschen aus der schweigenden Mehrheit Ihre Meinung publiziert sehen und zwar von Menschen welche nichts vom aktuell herschenden und jobsichernden Oportunismus einer gefühlten Mehrheit der Politikerinnen und Politiker aller Parteien halten.