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Mit jungen Orang-Utas werden auf dem Schwarzmarkt lukrative Geschäfte gemacht. © pixabay

Alibiübungen schützen Orang-Utans nicht vor dem Aussterben

Tobias Tscherrig /  Orang-Utans sind trotz ihrem Schutzstatus, strikten Gesetzen und Pflegestationen vom Aussterben bedroht. Bald ist es zu spät.

Einst lebten Orang-Utans in ganz Südostasien: Ihr Lebensraum erstreckte sich vom südlichen China über Thailand, Vietnam bis nach Java. Heute existieren die rot-braunen Menschenaffen nur noch auf den Inseln Borneo und Sumatra. Auf Sumatra wurde der Gesamtbestand des Orang-Utans im Jahr 2016 auf noch etwa 14’000 geschätzt. Bei den Orang-Utans, die auf Borneo leben, sieht es nicht viel besser aus: Ungefähr 54’000 Exemplare soll es dort im Jahr 2016 noch gegeben haben.

Damit gab es im Jahr 2016 weltweit noch ungefähr 68’000 Orang-Utans. Ihre Zahl schrumpft weiter. Daran ist der Mensch schuld. Als Ausgleich hat er die Tiere gesetzlich geschützt, Naturreservate bestimmt und kümmert sich in Rehabilitations- und Auswilderungsstationen darum, dass die Menschenaffen nicht komplett ausgerottet werden. Nur – diese Strategie funktioniert nicht. Es ist eine Alibiübung.

Schutz als «Vorwand für die Regierung»
Gemäss einer Studie, die in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Plos One» erschienen ist, kostet die erfolgreiche Rehabilitation eines einzigen Orang-Utans mehr als 44’000 Dollar. Das sind beachtliche Kosten – wenn man bedenkt, dass mehr als Tausend Orang-Utans in den verschiedenen Rehabilitationszentren von Borneo gepflegt und auf ein erneutes Leben in der Wildnis vorbereitet werden.

So sagt Erik Meijaard, Professor an der Universität von Queensland in Australien und Co-Autor der Studie im Online-Magazin «reporterre», die Regierung brauche die Auswilderungsstationen nur als Vorwand, «um zu sagen, dass sie etwas unternehmen.» Meijaard: «Wir haben in den letzten 15 Jahren mehr als 100’000 wilde Orang-Utans verloren. In der gleichen Zeitspanne konnten wir ungefähr Tausend wieder in die Natur aussetzen.»

Man muss kein Rechengenie sein, um zu erkennen, dass die Schutzstrategie und die Schutzprogramme für Orang-Utans nicht funktionieren. Die Auffang- und Auswilderungsstationen helfen zwar einzelnen Tieren, ihr grösster Feind ist aber die Zeit. Der Mensch mordet schneller, als er heilt: Forscher rechnen damit, dass bis ins Jahr 2050 weitere 50’000 Exemplare der Menschenaffen sterben werden.

Werden die Ursachen nicht bekämpft, ist es schon bald zu spät: Wild lebende Orang-Utans werden von unserem Planeten verschwinden.

«Diese Strategie funktioniert nicht»
Eine dieser Auswilderungsstationen liegt im Semenggoh-Naturreservat auf Borneo. Sie päppelt beschlagnahmte Jungtiere und Waisen hoch und bereitet sie auf ein erneutes Leben in der Wildnis vor. Das Online-Magazin «reporterre» hat die Station besucht und beschreibt die Situation:

Zweimal am Tag werden die Orang-Utans im Semenggoh-Naturreservat beim Namen gerufen. Sie steigen langsam von ihren Bäumen herab und laben sich an den Früchten, die ihnen von den Rangers des Rehabilitationszentrums Semengoh bereit gelegt werden. Über zwanzig der Menschenaffen bewohnen dieses Reservat.

«Die Nahrung, die wir ihnen geben, ist eine Ergänzung», erklärt Murtadza, einer der Rangers des Zentrums. «Einige der Orang-Utans sind seit Jahren nicht zum Essen erschienen. Das ist ein gutes Zeichen, es zeigt, dass sie wieder wild werden.»

Allerdings werden einige der Orang-Utans nie wieder selbstständig leben können – trotz des intensiven Trainings, dass die Rangers mit ihnen durchführen.

Die Szene zeigt die Problematik: Die Auswilderung von Orang-Utans ist aufwändig und dauert oft jahrelang. Die sensiblen Tiere müssen begleitet werden, anders geht es nicht. Das ist eine Sisyphusarbeit und – angesichts des grossen Druckes, denen die Tiere ausgesetzt sind – ein nicht zu gewinnender Kampf.

So sagt Maria Voigt, Forscherin am anthropologischen Max-Planck Institut und Co-Autorin einer Studie, die Mitte Februar in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Current Biology erschienen ist, gegenüber «reporterre»: «Das ist eine Falle. Sicher, für die Orang-Utans machen die Zentren einen Unterschied aus. Diese Zentren kosten aber viel Geld. Geld, das besser für die Bekämpfung der Ursachen ausgegeben würde.»


Bilder vom «reporterre»-Besuch im Semenggoh-Naturreservat

Schutzstatus wird missachtet
Bei allen Gefahren, denen die restlichen überlebenden Orang-Utans ausgesetzt sind, ist klar: Sie sind eigentlich gesetzlich geschützt. So wird die Art, wie sie auf Sumatra vorkommt, von der Weltnaturschutzorganisation IUCN als «vom Aussterben bedroht» geführt. Die Orang-Utang-Population auf Borneo gilt als «stark gefährdet». Ausserdem werden Orang-Utans im Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) gelistet, wodurch zum Beispiel der Handel verboten ist.

Die Regierung von Indonesien hat Orang-Utans bereits vor 60 Jahren per Gesetz streng geschützt. Es ist verboten, Orang-Utas zu töten, sie zu fangen, zu halten oder mit ihnen zu handeln. Trotzdem blüht der Handel, Fachleute schätzen, dass jedes Jahr 1000 bis 2000 Exemplare nach Java oder Übersee geschmuggelt werden.

Auch das indonesische Umweltschutzgesetz gegen die Abholzung der Wälder würde eigentlich ausreichen. Trotzdem wurden zwischen den Jahren 2000 und 2012 über sechs Millionen Hektar Wald abgeholzt. Das hat zwei Gründe: Auf Indonesien werden Umweltverbrechen oft nicht geahndet. Indonesische Bürgerinnen und Bürger – für welche die Produktion von Palmöl Lebensgrundlage ist – und auch die internationalen Palmölunternehmen, kommen immer wieder ungestraft davon. Ausserdem kam die indonesische Regierung den Konzernen in der Vergangenheit oft genug entgegen und lockerte etwa den Schutzstatus von Waldgebieten.

Das Resultat kann auf Borneo beobachtet werden: Gemäss der Current Biology-Studie, sind zwischen 1999 und 2015 148’000 Orang-Utans von der Insel verschwunden.

Massaker und verstörende Gewalt
Die Jagd ist ein weiterer Grund für die drohende Ausrottung der Orang-Utans. Ihr Fleisch wird gegessen, Wilderer fangen Jungtiere und verkaufen sie auf dem Schwarzmarkt. Die Menschenaffen leiden aber auch an ihrer engen Verwandtschaft zum Menschen: Sie sind durch die Übertragung von Krankheiten gefährdet und können zum Beispiel an Tuberkulose, Cholera, Malaria oder Hepatitis erkranken. Verschlimmert wird das Problem, weil sich Orang-Utans sehr langsam fortpflanzen.

Zusätzlich verüben Bauern und Wilderer regelrechte Massaker an den Tieren. Etwa, wenn sie in die Palmöl-Plantagen einfallen. Die Urheber gehen oft mit grausamer Gewalt gegen die Orang-Utans vor: So haben Unbekannte Anfang Februar zum Beispiel mit einem Luftgewehr auf einen Orang-Utan geschossen – mehr als 130 Mal. Tierschützer fanden das Tier und wollten es retten, der Menschenaffe starb schliesslich an einer Infektion.

Es war nicht das erste Tier, das derart leiden musste. Hin und wieder werden enthauptete Orang-Utans gefunden. Und das, obwohl der Orang-Utan dem Menschen stark gleicht. Selbst der Name des Tieres erinnert daran, er bedeutet «die Menschen des Waldes». Seine Ähnlichkeit zum Menschen bringt den Tieren kein Glück: Sie werden unter unwürdigen Bedingungen als Haustiere gehalten, inzwischen werden sie gar in Bordellen angeboten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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