Olympiakandidatur: Christian Constantin hebt ab
Die rund 180’000 Exemplare von «Ich möchte Ihnen etwas sagen» haben einen weiten Weg hinter sich. Gedruckt wurden sie irgendwo in Europa, vor einigen Tagen lagen sie in den Briefkästen der Walliser Haushalte. Ihr Inhalt: die olympische Vision von Christian Constantin.
Zwar ist der FC Sion-Präsident nach der Prügelattacke auf Rolf Fringer aus dem Organisationskomitee von «Sion 2026» ausgetreten. Trotzdem will er «unseren Vorfahren zurückgeben, was sie für uns getan haben».
Die Botschaft von Constantin ist rasch erzählt: Ohne die Olympischen Spiele ist das Wallis dem Untergang geweiht. Wer sich gegen die Austragung der Spiele entscheidet, steht dem Fortschritt im Weg, verhindert Entwicklung. Viel Pathos, gewürzt mit Heimatliebe und unzutreffenden Vergleichen – Christian Constantin steigt vom Thron, präsentiert sich als «einer von uns» und greift ins Klo.
Schon «fast alles gebaut»
Der millionenschwere Bauunternehmer, der sein Geld unter anderem auch verdiente, indem er unrentable Berghotels zu Wohnungen umbaute oder vorausschauend Grundstücke am Strassenrand der ewig unfertigen Autobahn A9 kaufte, will gemäss seiner Aussage aus den Olympischen Winterspielen kein Kapital schlagen.
Aber Constantin wollte bauen. Etwa auf dem Gelände der ehemaligen Tamoil-Raffinerie in Collombey. Er plante eine als Athletensiedlung konzipierte Ökostadt für 20’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Pläne, die das Komitee schliesslich nicht weiterverfolgte.
Weil «unsere Vorfahren» die Olympischen Spiele bereits 1948 ins Wallis holen wollten, sei bereits alles gebaut, stehe alles bereit. «Oder fast», wie Constantin einräumen muss. In Zahlen ausgedrückt: 60 Millionen Franken sind alleine für die Infrastruktur von «Sion 2026» vorgesehen. Laut dem Kandidaturkomitee sollen die gesamten Spiele 2,4 Milliarden Franken kosten.
Brot und Spiele
Trotz der Höhe dieser Beträge rechnet Constantin fest damit, dass die kritischen Stimmen verstummen werden. Spätestens dann, wenn die Schweizer Skifahrer im Abfahrtshäuschen stehen.
Das ist das Prinzip von «Panem et circenses», von «Brot und Spiele».
Ein ganz normaler Bürger
In seinem Buch kämpft Christian Constantin nicht nur für Olympia, sondern auch gegen sein Image. Er will als einfacher Walliser wahrgenommen werden, vermag dann aber doch nicht, die Fassade blickdicht zu bauen.
Constantin karikiert sich selber. Er ist millionenschwerer Bau-Magnat, besitzt einen Fussballclub, kauft die neusten Ferraris, setzt Freunde in Helikopter. Daneben wirken seine Versuche, sich als gemeinen Bürger darzustellen, grotesk.
Olympia ist eine Blackbox
Der FC Sion-Präsident bricht eine Lanze für das Internationale Olympische Komitee (IOC). Dieses habe beschlossen,
Diese IOC-Aussage will nicht passen – nicht zu Constantin, der in der Vergangenheit mit gigantischen Bauprojekten auffiel. Ausserdem war er massgeblich an einigen der Querelen beteiligt, denen sich das OK von «Sion 2026» ausgesetzt sah.
Aber Constantin gibt nicht auf. Nun will er die Walliser bei ihrem Stolz packen, beschwört den Gemeinschaftssinn und zementiert das Wallis in seinem Buch als stures, unbeugsames und eigenständiges Stück Schweiz. Trotzdem schreibt Constantin auch davon, dass die Walliserinnen und Walliser seine olympische Vision brauchen – zur Identitätsfindung.
Dann wünscht sich der FC Sion-Präsident «Spiele, die das Land nicht erpressen.» Obwohl die Vergangenheit zeigt, dass das IOC seine – bis ins kleinste Detail eingreifenden Geschäftsbedingungen – durchsetzt. Bedingungen, die zurzeit noch nicht einmal bekannt sind. Damit verkommen die Beteuerungen des Kandidaturkomitees, die Olympischen Spiele würden nachhaltig organisiert, zur Farce. Weil niemand weiss, was das IOC für Bedingungen stellen wird.
Der Boss braucht die Anderen
Constantins Vision ist voller Widersprüche. Etwa wenn er schreibt, dass er für die Umsetzung seiner Vision «die anderen, die Gruppen, den gemeinsamen Elan, die Menschenmengen» brauche.
Anders war das vor fünf Jahren, als Fans des FC Sion den Präsidenten für seine Klubführung kritisierten und dann die Heimspiele im Tourbillon boykottierten. Constantin teilte ihnen mit, es sei ihm egal, ob 10’000 oder bloss ein Zuschauer das Stadion besuche. Die Atmosphäre interessiere ihn nicht. Nun, da er die Walliser für die Umsetzung seiner Vision braucht, schlägt er andere Töne an.
«Was haben wir zu verlieren, wenn wir diese Olympischen Spiele austragen?», fragt Constantin die Leserinnen und Leser. «Nichts», gibt er sich die Antwort. «Ich bin überzeugt davon, wir werden genügend finanzielle Garantien finden (…).» Andere sollen für ein allfälliges Defizit von «Sion 2026» geradestehen. Der Bund würde zur Kasse gebeten. Reicht das nicht, stehen aber die Gastgeberkantone in der Pflicht: Das IOC verlangt eine unbegrenzte Defizitgarantie.
Bei einem zu hohen Defizit müsste auch der Kanton Wallis in die Kasse greifen. Trotz der tiefroten Zahlen, die er in der näheren Vergangenheit mehrmals schrieb. In der Folge verordnete er sich empfindliche Sparpakete, erst seit kurzem ist das Budget wieder einigermassen im Lot.
Keine Rettung für den Tourismus
An den Kritikern von «Sion 2026» lässt Constantin kein gutes Haar. Ohne die Olympischen Spiele bleibe im Wallis alles wie es ist. «Vorhersehbar, festgeschrieben und für lange Zeit unabänderlich festgelegt.» Er könne sagen, dass die Berge neue Impulse und eine Perspektive brauchen.
Dagegen spricht die Erfahrung mit anderen Sport-Grossveranstaltungen. Die NZZ zitiert etwa eine Analyse des US-Ökonoms Jeffrey Owen aus dem Jahr 2012: «Es gibt bis jetzt keine Studie über Olympia oder ein anderes Sport-Grossereignis, die empirische Belege für signifikante ökonomische Wirkungen gezeigt hat.»
Zum Wohl der Jugend
Nicht zuletzt stellt Constantin die Jugend in den Mittelpunkt und preist den Vorteil für die Walliser Athleten, die in ihrem «Garten» an Olympia antreten könnten.
Worte von Christian Constantin, in dessen Super League-Team 33 Spieler unter Vertrag stehen, darunter nicht einmal eine handvoll Walliser. Aber beim internationalen Grossanlass «Sion 2026» will er den jungen Einheimischen plötzlich unbedingt eine Chance geben.
Tote Arbeiter als Werbeträger
Um die Olympischen Spiele in der Walliser Bevölkerung mehrheitsfähig zu machen, macht Constantin auch vor verstorbenen Arbeitern nicht Halt. So erwähnt er die Mattmark-Katastrophe. Dabei kamen Ende 1965 insgesamt 88 Menschen ums Leben, darunter 56 italienische Arbeiter.
Kein Wort über das Versagen des damaligen Hauptauftraggebers, der Zürcher Elektro-Watt AG. Kein Wort darüber, dass die Italiener vor allem eingestellt wurden, weil man sie ausnutzen und mit Kündigungsandrohungen ruhigstellen konnte. Kein Wort über die Schwäche der Behörden, die es nicht schafften, die Vorschriften durchzusetzen. Und erst recht kein Wort über die Walliser Justiz, die die Angeklagten sieben Jahre nach der Katastrophe vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freisprach und einen entsprechenden Expertenbericht noch bis zum Jahr 2022 zur Verschlusssache erklärte.
Stattdessen müssen die verstorbenen Arbeiter als Werbeträger für Constantins olympische Vision herhalten.
Was bleibt?
In seinem Buch agiert Christian Constantin so, wie er auch in der Super League auftritt: ungeduldig, hitzköpfig, übereifrig. In ellenlangen Sätzen und mit gewaltigen Sprachbildern preist er die Walliser Bergwelt. Der Leser fragt sich, warum er die so «lebendige, reale Natur» unbedingt einem Massenpublikum aussetzen will – und das während der ohnehin gut frequentierten Wintersaison.
Damit lässt Christian Constantin tief blicken. Er will derjenige sein, der dem Wallis die Olympischen Spiele schenkt. Es wäre seine Krönung – und ein Ausgleich dafür, dass der FC Sion die internationalen Träume seines Präsidenten nie befriedigen konnte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist im Wallis geboren.
In Graubünden liegt die Baumafia in den -hoffentlich – letzten Zügen. Im Wallis könnte so etwas doch nie vorkommen. Drum last die darbenden Bauindustriellen doch an den Olympia-Millionen teilhaben…..Die brauchen doch etwas Wirtschaftsentwicklungshilfe.