Ohne Zuckerzusatz, bitte!
Süsse Produkte besteuern – so wie Alkohol und Tabak –, um die Konsumenten vor Missbrauch abzuhalten: In vielen Ländern ist diese Idee im Vormarsch. In der Schweizer Politik überzeugt sie nicht. Die kleine Parlamentskammer lehnte am 6. März eine entsprechende kantonale Initiative ab.
Zu viel Zucker ist gesundheitsschädlich. Das ist bekannt, obwohl die Lebensmittelindustrie die Schädlichkeit verschweigen wollte, die durch die beträchtliche Menge Zucker verursacht wird, die sie ihren Produkten zufügt.
Seit 1980 hat sich die Zahl der fettleibigen Menschen in 73 Ländern mehr als verdoppelt. Die Schweiz steht ebenfalls auf dieser Liste. Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) sind derzeit fast 41% der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig, davon 10% fettleibig.
Diese Entwicklung hat schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Schweizerinnen und Schweizer, die eher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 oder sogar an einigen Krebsarten erkranken.
Übergewicht und Fettleibigkeit schaden auch dem Portemonnaie: 2012 kosteten sie laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Schweiz rund 8 Milliarden Franken. Kosten, die sich in einem Jahrzehnt verdreifacht haben.
Quelle: BAG / Grafik: Swissinfo
Um dieses globale Phänomen zu bekämpfen, von dem vor allem die reichsten Länder betroffen sind, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter anderem die Besteuerung von Süssgetränken. In einem Bericht, der 2016 veröffentlicht wurde, schätzte sie, dass eine 20-prozentige Erhöhung der Preise für Erfrischungsgetränke durch Steuern den Konsum dieser Produkte um 20 Prozent senken könnte.
Eine Studie des Forschungsinstituts der Schweizer Grossbank Credit Suisse, das sich für die Bekämpfung der Fettleibigkeit in den USA einsetzt, kommt zum Schluss, dass eine Zuckersteuer die beste Möglichkeit zur Kontrolle der Gesundheitskosten sei.
Die Schweiz ist nicht bereit
Mehr als dreissig Länder, darunter Frankreich, Grossbritannien und Südafrika, haben eine Steuer auf Süssgetränke oder eine ähnliche gesetzliche Regelung eingeführt. In der Schweiz stösst die Idee auf taube Ohren.
Der Kanton Neuenburg hat ein in der Bundespolitik selten verwendetes Instrument eingesetzt: eine Standesinitiative. Sie fordert die Einführung einer Abgabe auf Zucker, der beim Herstellungsprozess von Lebensmitteln zugefügt wird. Die Einnahmen aus dieser Abgabe wären dann zur Vorbeugung von Krankheiten im Zusammenhang mit dem Verzehr von Zucker und Süssungsmitteln verwendet worden. Die Werbung und der Zugang zu Lebensmitteln mit hohem Energiewert wären demnach ebenfalls eingeschränkt worden.
Unterstützt von Politikern der Linken und Rechten im Kanton hatte die Initiative im eidgenössischen Parlament bisher keine Chance: Der Ständerat (kleine Parlamentskammer) fegte den Vorstoss mit 24 zu 3 Stimmen bei 6 Enthaltungen vom Tisch. Er folgte damit der Empfehlung seiner Gesundheitskommission.
Zwischen 1850 und 2014 stieg in der Schweiz der durchschnittliche Zuckerkonsum pro Kopf und Jahr von 3 Kilogramm auf 39 Kilogramm (Agristat). Das Land liegt im globalen Barometer für Süssgetränke auf Platz 13 und konsumiert mehr gesüsste Getränke als 67 andere Länder, darunter Spanien, Österreich und Polen.
(Quelle: Observatoire du sucre, FRC)
Die Mehrheit der Ständeräte war der Meinung, derzeit bestehe keine Notwendigkeit für gesetzgeberische Massnahmen. Sie vertraut auf Massnahmen, die von der Regierung und den Lebensmittelherstellern bereits umgesetzt wurden. 2015 unterzeichneten der Bundesrat und rund zehn Schweizer Lebensmittelproduzenten eine Vereinbarung, die «Mailänder Erklärung», um den Zuckergehalt von Joghurt und Frühstücksflocken (Getreide-Müsli) zu reduzieren. Nach den ersten Ergebnissen ging dieser um 3 Prozent bzw. 5 Prozent zurück.
Das sei nicht genug, sagte der sozialdemokratische Ständerat Didier Berberat. Seiner Meinung nach ist ein Gesetz erforderlich. «Man kann den Alkoholismus nicht bekämpfen, indem man den Alkoholgehalt reduziert, oder das Rauchen, indem man den Nikotingehalt senkt», argumentierte er. Der Neuenburger, der mit einer Ablehnung gerechnet hatte, hält fest, dass viele Parlamentarier in Verwaltungsräten von Lebensmittelkonzernen sitzen. Das schaffe kein günstiges Umfeld für die Verabschiedung restriktiverer Massnahmen.
«Gesundheit ist eine Privatangelegenheit»
«Man muss aufhören, erwachsene und verantwortungsbewusste Konsumenten zu bevormunden», sagte Ernest Dällenbach, Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der Getränkebranche (ASG). Eine Erhöhung der Preise für Süssgetränke werde die Konsumenten nicht vor Missbrauch abhalten.
Die Ablehnung des Ständerats beruhigt Dällenbach nicht. Er ist überzeugt, dass die WHO den blossen Konsum von Zucker und nicht nur den Missbrauch bekämpfen wolle. «Gesundheit ist eine Privatangelegenheit. Wir müssen die individuelle Freiheit wahren und uns dabei auf die Sensibilisierung der Kinder konzentrieren», sagt er.
Viel versteckter Zucker
Die Westschweizer Konsumentenorganisation (FRC) bemängelt, dass zu viele Lebensmittel und Industriegetränke versteckte Zuckerarten enthalten, die für Konsumenten nur schwer zu erkennen sind. Barbara Pfenniger von FRC sagte kürzlich gegenüber der Westschweizer Tageszeitung «24heures»: «In der Schweiz müssen Nährwertangaben auf allen Produkten erscheinen. Aber anders als in der EU ist die Angabe des Zuckergehalts und der gesättigten Fettsäuren von dieser Vorschrift ausgenommen.»
Laut dem FRC sind die Anstrengungen zur Verringerung des Zuckeranteils in Frühstücksflocken für Kinder noch zu gering.
Quelle: Fédération romande des consommateurs (FRC) / Grafik: Swissinfo
Die Standesinitiative des Kantons Neuenburg zur Besteuerung von Süsswaren wird noch in der grossen Parlamentskammer (Nationalrat) debattiert. Dort dürfte sie kaum grössere Chancen haben.
Dieser Beitrag ist zuerst auf swissinfo.ch erschienen. Übertragen aus dem Französischen: Peter Siegenthaler
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Infosperber hat bereits mehrmals über dieses Thema berichtet. Siehe auch:
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.