Erich Gysling überholte 1968 russische Panzer in der CSSR
Red. Am 21. August vor fünfzig Jahren beendete der Einmarsch russischer Panzer in der damaligen Tchechoslowakei den Prager Frühling und die in ihn gesetzten Hoffnungen. Der damals junge TV-Redaktor Erich Gysling wurde am frühen Morgen geweckt und versuchte mit Tricks und Kniffen, ins Land zu kommen – mit Erfolg.
Prager Frühling – vor dem Eiswinter im Hochsommer
Fünfzig Jahre ist es her: in der von kalter, kommunistischer Diktatur im Griff gehaltenen Tschechoslowakei brach, erst leise krachend, dann lauter, das Eis. Ein Hauch von Reformwilligkeit durchzog das Land, alte Strukturen schienen aufzubrechen – und während die Moldau das Zentrum Prags bisweilen noch mit Eisschollen bedachte, gab es auf den Strassen, noch zögerlich, Parolen zu etwas Freiheit. Kommunismus, Demokratie, Beachtung der Menschenrechte, freie Medien – vieles schien möglich, ohne dass die «Ordnung» in revolutionärem Sinne aufgegeben werden müsse.
Wir, westliche Journalisten und TV-Kamerateams, versuchten, den Hauch von Reform mitzuerleben und mitzuteilen – und erhielten etwa ab Anfang 1968 tatsächlich von der Botschaft der CSSR in Bern immer unkomplizierter die Visa. Ich war damals bei der eben gegründeten «Rundschau», und wir brachten im Schnitt so alle vier bis fünf Wochen einmal eine eigene Reportage aus Prag. Hie und da kaufte man auch, zusätzlich, den Bericht eines anderen TV-Senders hinzu.
Im Sommer beantragte ich, einmal mehr, bei der Botschaft ein Visum. Ich erhielt es ohne Probleme und es lautete auf den 21. August als ersten möglichen Einreisetag. Ich bereitete mich auf die Abreise für kurz danach vor.
Am 21. August klingelte bei mir zuhause das Telefon um vier Uhr früh. Ein Mitarbeiter, Noldi Isler, rief mich an: «Die Russen sind in der CSSR einmarschiert». Befürchtet hatte man das schon Tage vorher, aber fast niemand erwartete es wirklich.
Ich kam wohl gegen sechs Uhr im Redaktionsbüro (damals an der Ecke Dufour-/Kreuzstrasse im Zürcher Seefeld Quartier) an. Das Team war kurz danach beisammen. Was konnten wir tun? Vielleicht war es meine Idee, vielleicht jene eines Redaktionsmitglieds: Wir könnten doch ein Kleinflugzeug chartern, das in die Nähe eines Grenzübergangs zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland fliegen würde – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden Viele über die damals nur lax kontrollierten Grenzen die Ausreise versuchen, bevor die Hardliner alles dicht machen würden, dachten wir.
Annemarie Schwyter, Mitglied der Redaktion, war bereit, zusammen mit einem Kamerateam, die «Expedition» zu realisieren. Ein Flugzeug fanden wir, per Telefon, ohne Probleme. Es flog in die Nähe von Fürth, kehrte am Nachmittag nach Zürich zurück – und am Abend konnten wir, mit journalistischer Eigenleistung plus Übernahme von Beiträgen ausländischer Stationen, eine Sondersendung von Stapel lassen.
Am Tag danach flog ich nach Wien, mit der Absicht, einen der Grenzposten zur CSSR passieren zu können. Die Erfolgsaussichten waren gering, das war mir klar – denn damals stand im Pass der Beruf und der lautete «Journalist». Vor dem Einmarsch der russischen Truppen war das kein Problem, vom 21. August an aber durchaus. Die Sowjets wollten keine ausländischen Zeugen dessen haben, was sie in Prag und im übrigen Land taten.
Ich mietete in Wien ein Auto und «klapperte» sämtliche Grenzübergänge ab, angefangen von jenem Richtung Bratislava (die Slowakei gehörte ja damals noch zur Tschechoslowakei, war also noch kein eigenständiger Staat) bis zu jenem Richtung Brno (Brünn). Das dauerte so eineinhalb Tage, danach gab ich auf, fuhr zurück nach Wien. Und rief, eigentlich schon resigniert, bei der Schweizer Botschaft in Wien an. Der «Diensthabende» kannte mich vom Namen, d.h. von den TV-Sendungen her und fragte, zu meiner Überraschung sehr zuvorkommend, ob ich etwa ein Visa-Problem hätte. Ja, habe ich, antwortete ich – und fuhr zur Botschaft. Im Nu hatte ich einen neuen Pass, diesmal mit dem Berufsvermerk «Angestellter» – was auch den Tatsachen entsprach, schliesslich war ich vom Fernsehen angestellt…
Ich fuhr zur Gesandtschaft der Tschechoslowakei und erzählte eine – fast wahre – Geschichte: Ich müsse meine Schwester in Prag abholen. Meine ältere Schwester hatte sich tatsächlich noch wenige Tage vorher, als Touristin, in Prag aufgehalten, aber die betreffende Reisegruppe war nun eben mit einem Bus in die Schweiz zurück gefahren worden. Ich konnte nur hoffen, dass sich das noch nicht bis zu den Beamten in der Gesandtschaft in Wien herumgesprochen hatte, und so war’s auch tatsächlich. Oder die «Diensthabenden» schlossen absichtlich ihre Augen. Jedenfalls erhielt ich in den neuen Pass ein Visum, mit dem Vermerk: «Abholen der Schwester in Prag».
Ich fuhr wieder zum Grenzübergang Richtung Brünn. Im letzten Dorf auf österreichischem Boden steckte ich alle Dokumente, die noch einen Hinweis auf meinen Beruf als Journalist enthielten, in ein Couvert, schickte Alles ab. Alles, bis auf den Pass und Fahrausweis, in dem der journalistische Beruf (leider) immer noch vermerkt war. Aber diesen Ausweis würde ich ja, nahm ich an, weiter kaum brauchen…
Der tschechische Grenzwächter musterte mich mit vielsagendem Lächeln – «Abholen der Schwester in Prag…» . Aber er konnte keinen Anlass finden, mich zurück zu weisen. Also fuhr ich in das von den Russen halbwegs besetzte Land hinein.
So gegen 15 oder l6 Uhr, ich war von Brünn nur noch geschätzte vierzig Kilometer entfernt, erkannte ich vor meinem Mietwagen eine Panzerkolonne. Acht oder vielleicht zehn Kriegsgeräte. Sie bewegten sich langsam, und ich wusste, dass ich sie überholen musste – denn um 18 Uhr begann der Ausnahmezustand, da musste man in einem Hotel angekommen sein. Was tun? Ich fuhr ein paar Minuten lang hinter den Panzern her, dann kam ich zur Meinung, dass sie nicht auf ein Auto zwischen ihnen schiessen konnten – die Geschützrohre schienen (schienen zumindest…) nicht unbeschränkt beweglich zu sein. Ich wagte zunächst mal den «Sprung» zwischen die beiden hintersten, und das verlief problemlos. Also weiter, einen nach dem anderen überholend. Es schien die Fahrer in den Panzern nicht zu irritieren, sie rückten nicht zusammen, liessen soviel Platz, dass ich ungehindert die Kolonne passieren konnte – dann ging’s weiter nach Brünn.
Es war jener Tag, da die russischen Invasoren ihre Truppen auswechselten. Man hatte höheren Ortes erkannt, dass russische Soldaten aus dem europäischen Teil der UdSSR mit der Bevölkerung in der Tschechoslowakei schnell ins Gespräch kamen und dass es ihnen wie Schuppen von den Augen fiel, dass sie sich auf einer militärischen Invasions-Operation befanden und nicht, wie man ihnen vorher mitgeteilt hatte, ein Volk vor einem westlichen Aggressor retteten. Also holten die Russen schnell, per Flug, Truppen aus den zentralasiatischen Teilen der Sowjetunion herbei, unter ihnen möglichst viele junge Männer, die schlecht russisch sprachen und sich daher auch eher schlecht als recht mit den Tschechen unterhalten konnten. In diese Verlegung hinein war ich auf der Fahrt von der Grenze nach Brünn geraten.
Ich kam dann doch erst kurz vor 18 Uhr im Zentrum an und suchte das erstbeste Hotel, am Platz vor dem Bahnhof auf. Ein Zimmer bekam ich sofort, das Hotel war ja wohl praktisch leer. Unten im Restaurant tat ich so unauffällig wie möglich, aber uns «Westler» erkannte man eben doch sofort. Ein junger Mann trat an meinen Tisch und fragte, sehr leise: «Sind Sie Journalist?» Ich gab’s zu. Worauf er fragte, ob ich mit ihm in die Altstadt kommen wolle, er hänge Plakate gegen die Russen auf und ich könne ihm, wenn ich möchte, dabei helfen.
Ich war damals 32 und fand, dass dies einen interessanten Abend abgeben könnte. Also zogen wir zu Fuss los und klebten Plakate an. Einmal tauchte ein kleines Panzerfahrzeug auf, aber wir hatten kein Problem, uns in einen Hausdurchgang zurückzuziehen.
Am nächsten Tag wollte ich mit dem Mietwagen nach Prag fahren – ich schaffte es nur bis Tabor. Schon aus Distanz war zu erkennen, dass Beamte (Tschechen oder Russen) echt strenge Personenkontrollen durchführten, und mir wurde klar, dass man dabei auf meinen Fahrausweis mit dem Journalisten-Hinweis stossen würde und meine Chancen, weiter zu fahren, gleich null waren. Also fuhr ich retour nach Brünn und quartierte mich wieder in «meinem» Hotel ein.
Am Morgen danach eskalierten die Spannungen. Es gab auf dem Platz vor dem Bahnhof kleinere Protestgruppen vor einem Russenpanzer, dann aber kam es (ich konnte das nur aus Distanz beobachten) einen Dialog. Kurz danach aber schoss ein Panzer in eines der oberen Geschosse eines Hauses unmittelbar beim Platz. Ohne weitere Folgen allerdings – dort, wo die Kugeln eingeschlagen hatten, wohnte offenkundig niemand. Die Strassenbahnen fuhren bald wieder, die Menschen mussten zur Arbeit oder von der Arbeit retour nach Hause. Eine merkwürdige Mischung von Normalität und Absurdität.
Ich fuhr zurück zur tschechisch-österreichischen Grenze. Und traf dort, bei der Ausreise, den gleichen Beamten wie bei der Einreise. «So, so – Abholen der Schwester – wo ist sie denn?» Also erzählte ich eben die Geschichte vom Bus, der schweizerische Touristen abgeholt hatte. Der Mann glaubte mir kein Wort, ich hatte ein mässig schlechtes Gewissen und fuhr weiter nach Wien.
In einer «Rundschau»-Sondersendung berichtete ich über das Erlebte – ohne Bilder allerdings, denn ein Kamerateam hatte ich für diese «Spritztour» ja nicht mitnehmen können.
Hilfe von einem ehemaligen Trainer von GC
Vielleicht zehn Tage später besuchte mich in der Redaktion ein etwas über 60jähriger Herr – er stellte sich als Willi Treml vor, «ehemaliger Trainer von GC», jetzt pensioniert und in diesem Unruhezustand tätig als Organisator von Reisen für Sportvereine. Deutsch-Prager, wie er anfügte. Er könne mich problemlos in die Tschechoslowakei bringen, sagte er, als Sportfunktionär zum Beispiel. Ich glaubte ihm zunächst nicht – alle schweizerischen Journalisten waren bei der Botschaft der Tschechoslowakei auf einer schwarzen Liste. Doch dann machte ich mich in Wien kundig und entdeckte, dass bei der dortigen tschechoslowakischen Gesandtschaft diese Liste – aus unerfindlichen Gründen – nicht existierte. Also lag der Gedanke nahe: Treml fliegt nach Prag, ich nach Wien. Er schickt mir ein Telegramm mit einer Einladung. Ich bewaffne mich damit (und, klar, wieder mit dem Alternativ-Pass, der bei der Schweizer Botschaft in Wien deponiert war), fahre zur CSSR-Gesandtschaft und warte, ob man mir ein Visum ausstellt.
Ein Berufskollege, damals tätig für den Tages-Anzeiger, Andreas Kohlschütter, hatte ähnliche journalistische Interessen wie ich. Und so bildeten wir, für mehr als eineinhalb Jahre, ein Team: Treml / Kohlschütter / Gysling – und in Prag ein Kameramann, der, weil er sich für die Reformpolitik und gegen die Russen-Invasion ausgesprochen hatte, vom tschechischen Fernsehen entlassen worden war.
Was ich anfänglich nicht geglaubt hatte, stellte sich als wahr heraus: Willi Treml hatte in Prag hervorragende Kontakte zu prominenten Sport-Clubs. Für die Wintersaison Eishockey (Dukla Prag), für die Sommermonate Fussball. Von Prag aus liess er jeweils Telegramme mit Kurz-Botschaften an ein (von mir vorgeschlagenes) Hotel in Wien schicken, konkret an’s Hotel Bristol.
Kollege Kohlschütter und ich fuhren vom Flughafen Schwechat aus zum Hotel und fragten den Concièrge mit Unschuldsmiene, ob er wohl für einen von uns ein Telegramm erhalten habe – wir würden später einchecken. Ja, da war eben ein Telegramm angekommen. Eines lautete zum Beispiel: «Kommen Sie sofort für Verhandlungen über das nächste Turnier nach Prag». Unterschrieben mit einem Promi-Namen von Dukla-Prag. Dann machten wir den Umweg via Schweizer Botschaft, wechselten die Pässe und fuhren zur diplomatischen Vertretung der Tschechoslowakei.
Unterwegs sprachen wir, etwas besorgt, über die Möglichkeit, dass man uns bei der CSSR-Gesandtschaft in ein Gespräch über Fussball respektive Eishockey verwickeln würde – wovon wir beide keine Ahnung hatten. Nun ja, beschlossen wir, der Eine sagt eben, er sei erst kürzlich bei der betreffenden Organisation angestellt worden (Ich: «Angestellter»), der Andere, er sei als juristischer Berater (Andreas Kohlschütter hatte, korrekt, «Rechtsanwalt» im Pass eingetragen) eben auch noch eher unerfahren… Zu einem entsprechend schwierigen Meinungsaustausch kam es jedoch nie: wir reichten unsere Pässe unter einem Klappfenster durch, garniert mit dem Telegramm aus Prag – und schon wurden die Visa eingestempelt.
Landeten wir in Prag, war unser Willi Treml im Flughafen zur Stelle. Er organisierte für uns einmal sogar einen Spezial-Transfer zum Hotel Jalta – mit einem Tatra-Plan-Auto des Geheimdienstes und mit zwei ahnungslosen Geheimdienstlern im Wagen. Die hatte er mit Gesprächen über Eishockey oder Fussball um den Finger gewickelt: Zwei seiner Freunde würden eben ankommen, ob sie sie nicht…
Die Möglichkeiten zur Kommunikation zwischen meinem Kollegen Kohlschütter und mir im Hotel Yalta waren eingeschränkt – wir wussten, Alle in Prag wussten, dass die grösseren Hotels total mit Abhörgeräten verwanzt waren. Also sprachen wir innerhalb des Hotels nur Unverdächtiges – für alles Weitere beschrieben wir Zettel, die wir uns austauschten. Auch mit dem Kameramann konnte ich mich nur verschlüsselt unterhalten – konkret: wir trafen uns, scheinbar zufällig, an irgend einer Strassenecke. Danach arbeitete er eigenständig.
Allerdings nicht immer: Kohlschütter und ich waren recht gut mit den Autoren Pavel Kohout und Vaclav Havel bekannt. Bei einer unserer «Expeditionen» nach Prag trafen wir Vaclav Havel in seinem Stammcafé, dem Slavia. Havel war empört: Der Geheimdienst hatte ihm eben einen Mini-Spion in die Decke seiner Wohnung einbauen wollen, und das sei, sagte er, ja selbst gemäss Richtlinien des Regimes illegal. Eigentlich möchte er diese Story veröffentlichen, am liebsten in der Parteizeitung «Rude Pravo». Aber das sei chancenlos – es sei denn, die Redaktion würde dazu genötigt. Beispielsweise dadurch, dass die Geschichte irgendwo im Westen publiziert würde.
Kein Problem, sagte ich ihm – wir kommen zu Ihnen in die Wohnung, filmen das Ganze, strahlen es in Westeuropa aus. Einverstanden?
Ja, er war spontan einverstanden. Bei ihm zuhause machten wir eine Art von «re-enacting» – er schilderte, wie er am betreffenden Nachmittag, lautlos schreibend, in seiner Wohnung sass und dann hörte, wie oben, im Dachgeschoss, zwei oder drei Typen sich über ihn unterhielten und wie dann mit einem Bohrer ein winzig kleines Loch in die Decke der Wohnung getrieben wurde. «Dann kam der Ansatz eines Rohrs zum Vorschein» – Er sei dann auf den Balkon gerannt, habe auch gesehen, wie zwei oder drei Männer über das Dach des vielleicht fünfstöckigen Hauses nahe an der Moldau zu flüchten versuchten. Dann holte er das Mini-Spion-Gerät aus der Wohnungsdecke heraus.
Wir filmten ihn mit all seiner Empörung, er zeigte, vor der Kamera, das Mini-Spion-Gerät.
So, nun hatten wir die Story «im Kasten». Wie weiter, stellte sich die Frage?
Man filmte damals mit dem 16-mm-Format, also noch nicht elektronisch. Eine Reportage von wenigen Minuten produzierte mehrere Filmrollen plus Tonspur. Das heisst, schon das Dokumentieren der eben geschilderten Begebenheit zeitigte als Resultat ein Filmmaterial von vielleicht einem Kilogramm. Wie könnten wir dieses Material, noch unentwickelt, ausser Landes bringen?
Willi Treml hatte «die» Lösung: er übernahm unsere Filmrollen in einer Metallhülle und liess sie bei einer Frau, die er gut kannte, einbacken – in die grösste in den Läden verfügbare Dose von «Karlsbader Hüppen». Mit diesem Konfekt versehen, Durchmesser der runden Schachtel so um die dreissig Centimeter, fuhr er zum Flughafen – und sagte den dortigen Beamten noch, sehr selbstbewusst: Seht ihr, was ich für Eure sonst darnieder liegende Export-Wirtschaft leiste?
Er flog direkt zurück nach Zürich, ich via Wien.
Die Reportage mit Vaclav Havel lief kurz danach in mehreren westeuropäischen Ländern. Sie war für Havel zumindest kurzfristig nützlich: Die Parteizeitung Rude Pravo musste aufgrund der Publikation im Westen seinen Protest publizieren, und ihm verschaffte das, für einige Monate, Ruhe vor der Verfolgung durch die Geheimdienste.
Wie riskant waren diese journalistischen «Expeditionen» für uns, für Andreas Kohlschütter und mich? Mässig gefährlich, meine ich rückblickend. Im schlimmsten Fall hätte man uns vielleicht für ein oder zwei Tage inhaftieren oder allenfalls gleich an die Grenze gefahren. Verglichen mit dem, was Journalisten / Fotografen / Kameraleute heutzutage riskieren, ist das harmlos: im vergangenen Jahr kamen 65 Journalist/Innen und andere Medienmitarbeiter ums Leben, und aktuell sind mehr als 130 Medienleute allein schon in der Türkei in Haft – einige von ihnen bereits länger als ein bis eineinhalb Jahre!
———————————————————————————-
- Lesen Sie in den folgenden Tagen den Erlebnisbericht von Urs P. Gasche, der drei Monate nach dem russischen Einmarsch als Student nach Prag reiste, und den Erlebnisbericht des deutschen Kameramanns Detlef Ruge mit ein paar Erinnerungen an die damaligen Flüchtlinge, von Christian Müller.
———————————————————————————
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Ein sehr spannender Bericht
Alles noch in bester Erinnerung! Auch die Reaktionen der allzu eidgenössisch verklärten Schweizer-Politiker, die fragten, «warum schiessen die Tschechen nicht"?
Andreas Kohlschütter versuchte sie in einem denkwürdigen Artikel im TA mit Titel: «Widerstand ist mehr als schiessen» zu belehren. Wer weiss, vielleicht bekommen wir den klugen Text ja nochmals zu lesen.
Nun, ich fuhr 1969 mit einem Schulkameraden mit einem VW Käfer via Fürth im Walde nach Prag und wurden nachts um 22.00 Uhr von einer Kolonne russischer Panzer am Stadtausgang von Pilsen während gut einer Stunde aufgehalten. Danach ging die Fahrt weiter nach Prag und „Slapi“. Am Wenzelsplatz lernten wir zwei deutsche Studentinnen aus der DDR kennen und einen Tag später wurden die beiden Damen von Sicherheitskräften verhört. Das war unser erster Eindruck ein Jahr nach dem Versuch der Befreiung.
Vaclav Havel war Irak-Krieg-Befūrworter.