Bundeskanzler Kurz und seine schwierige Koalition
Ist Sebastian Kurz ein «Schweigekanzler» oder ein «Mozart der Politik»? Mit beiden Begriffen ist Kurz schon bedacht worden. Doch beides zusammen – schweigen und Mozart – geht aus logischen Gründen nicht. Aber auch inhaltlich fällt der Vergleich mit dem Komponisten durch: Kurz mag zwar ein Virtuose der Macht sein, aber kein solcher der wohlklingenden Töne. Denn er macht allzu oft dann Pause, wenn es seinen Einsatz brauchte. Etwa, wenn der ÖVP-Kanzler seiner Koalitionspartnerin FPÖ den Marsch blasen sollte.
Bleibt also Schweigekanzler. In dieser Disziplin beginnt er, an einen seiner Amtsvorgänger anzuknüpfen: Wolfgang Schüssel. Dieser übte sich in taktischer Zurückhaltung in der ersten ÖVP/FPÖ-Koalition in den Nullerjahren, als es in der Zusammenarbeit mit der FPÖ oft turbulent zuging. «Schweigekanzler» wurde in Österreich gar zum Wort des Jahres 2005, und zwar wegen «der zurückhaltenden Mitteilungsbereitschaft seitens des Regierungschefs zu manchen aktuellen politischen Fragen», wie die Jury ihren Entscheid damals vornehm-zurückhaltend begründete. Ein Regierungschef kann selbstverständlich nicht dauernd seinem Koalitionspartner am Zeug herumflicken. Nur geht es hier um eine schwer rechtsextremistisch verseuchte Partei.
Historikerkommission hat «keinen Sinn»
Zwar hat die FPÖ kürzlich eine parteieigene Historikerkommission eingesetzt (siehe Infosperber-Beitrag). Was sie allerdings bringen soll, bleibt fraglich. «Keinen Sinn» hat eine Historikerkommission für die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG), wie sie Ende Februar 2018 in einer Medienmitteilung schreibt. Die Geschichte der FPÖ sei in zahlreichen Publikationen dokumentiert. Eine erneute Aufarbeitung «eignet sich auch nicht als Feigenblatt für antisemitische Vorfälle der Gegenwart. (…) Was wirklich nottut, ist die Durchleuchtung der Strukturen des gesamten Parteigefüges, einschliesslich der Vereine, Organisationen und parteinaher Medien wie ‹Zur Zeit› und ‹Aula›.» Gerade das gehört jedoch nicht zum Auftrag der Historikerkommission. Die deutschnationalen Burschenschaften etwa, denen viele FPÖ-Politiker angehören, sollen nicht untersucht werden, da es sich um private Vereine handle.
Radikalisierte Zeitschrift als FPÖ-Plattform
Der Fall der Zeitschrift Die Aula ist typisch für das Verhältnis der FPÖ zu radikalen Institutionen: Offiziell gehören sie nicht zur Partei, sie dienen aber als «Vorfeldorganisationen». Die Aula ist eines der ältesten Medien des österreichischen Rechtsextremismus nach 1945 und ein zentrales publizistisches Scharnier zwischen der FPÖ und allen ausserparlamentarischen Strömungen des Rechtsextremismus. Nach Einschätzung des Dokumentationszentrums des österreichischen Widerstandes (DÖW) hat sich die Zeitschrift in jüngster Zeit noch radikalisiert und «in Themen- und Autorenauswahl mehr und mehr auf die engere rechtsextreme Szene» beschränkt. Als Autoren und Interviewpartner tauchen immer wieder auch Exponenten der neonazistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) auf.
Die Zeitschrift betreibt offene rassistische und antisemitische Agitation. Vor rund drei Jahren hat das Blatt die Überlebenden des österreichischen Konzentrationslagers Mauthausen als «Landplage», «Kriminelle» und «Massenmörder» tituliert. «Auch mit NS-Apologie macht man von sich reden, manchmal werden dabei auch die Grenzen zum ‹Revisionismus› überschritten oder eindeutige politische Statements in Form des Vertriebs von NS-Literatur abgegeben. Zudem werden (verurteilte) Neonazis zustimmend als ‹Volkstumskämpfer› oder ‹Nationale› verharmlost», hält das DÖW fest. Trotz dieser zunehmenden Radikalisierung der Aula zählt die FPÖ zu ihren wichtigsten Inseratekunden. Auch stellen sich FPÖ-Politiker weiterhin für Interviews zur Verfügung – der FPÖ-Parteichef und heutige Vizekanzler Heinz-Christian Strache allein im Jahr 2016 drei Mal.
Sebastian Kurz präsentiert sich auf seiner eigenen Website gleich mehrere Male mit einem Hund …
Antisemitismus wird zur Normalität
Besorgniserregend ist für den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, allerdings nicht nur die Entwicklung innerhalb der FPÖ, sondern auch innerhalb der österreichischen Gesellschaft allgemein. «Antisemitismus wird immer mehr zur Normalität», sagte Deutsch bei der Präsentation des Antisemitismus-Berichts 2017 in der Zeitung Kurier. Der Bericht listet 503 gemeldete Vorfälle auf – im Vergleich zu 2014 eine Verdoppelung. Signifikant ist gemäss Deutsch die immer stärker werdende Enthemmung der Täter, «sie leben ihre Ressentiments direkt aus.» Antisemitismus gibt es von rechter, linker und muslimischer Seite, wobei 62 Prozent der Fälle nicht einzuordnen sind. Von den ideologisch erkennbaren Fällen sind 64 Prozent rechts, 27 Prozent islamistisch und 8 Prozent links zu verorten.
Dass durch die Migration ein islamisch geprägter Antisemitismus um sich greift, ist ein gesamteuropäisches Phänomen. Vor zehn Jahren habe es ihn in Österreich noch gar nicht gegeben, sagte Oskar Deutsch in einem Interview mit der Kleinen Zeitung. Doch nach wie vor ist der hausgemachte Antisemitismus das weitaus grössere Problem. Seit der Regierungsbeteiligung der FPÖ sei das Klima «viel aufgeheizter». Deutsch machte auch klar, dass die Israelitische Kultusgemeinde keine Kontakte zu FPÖ-Ministern pflegen werde. Zur Gedenkveranstaltung im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen im kommenden Mai sei lediglich das Regierungsteam der ÖVP eingeladen.
… das schafft Sympathien – und der Vorteil: Hunde stellen keine heiklen Fragen.
Sebastian Kurz in unkomfortabler Lage
Die erst seit knapp drei Monaten amtierende Regierung steht also unter erheblichem Druck und unter scharfer Beobachtung. Bundeskanzler Sebastian Kurz läuft Gefahr, in den Strudel seines rechtsextremistisch kontaminierten Koalitionspartners hineingezogen zu werden. Vizekanzler Strache und seine FPÖ-Minister werden wohl kaum ganz darauf verzichten wollen, ihre Stammwählerschaft bei Laune zu halten und bis an die Grenze des Erträglichen oder darüber hinaus zu gehen. Die grosse Frage lautet, wie Kanzler Kurz auf lange Sicht mit dieser ungemütlichen Partnerschaft umgeht: Setzt er seinen Ministern klare rote Linien? Wie verhält sich Kurz, wenn die FPÖ-Historikerkommission lediglich eine peinliche propagandistische Reinwaschung präsentiert und damit hinter dem heutigen Kenntnisstand zurückbleibt? Oder wenn, umgekehrt, doch noch mehr belastendes Material ans Tageslicht kommt, das auch seine Ministerriege schwer belastet? Hat er dann den Mut zum Bruch? Oder wird er definitiv zum Schweigekanzler?
Ob allerdings der österreichische Bundeskandler den Maulkorb dort anbringt, wo es politisch längst angezeigt wäre? (Alle vier Bilder von Sebastian Kurz› eigener Website).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine