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Roger Schawinski (Radio 1), Pietro Supino (Präsident Tamedia), Gilles Marchand (GD SRG) © R.

Drei Männer in der Medienschweiz

Robert Ruoff /  Die SRG-Debatte ist am Ende. Gefragt ist die Mediendebatte.

Doch, auch eine Frau hat eine sichtbare Rolle gespielt in der No-Billag-Debatte in der Deutschschweiz: Ladina Heimgartner. Aber die Hebel, an denen sie sitzt als stellvertretende Generaldirektorin der SRG., werden erst öffentlich wahrnehmbar werden, wenn die Initiative abgelehnt wird: sie ist zuständig für das strategische Projekt der SRG über ihren «Beitrag der SRG für die Gesellschaft». Diese Leistung will die neue SRG-Führung präziser beschreiben und offen legen.

Aber jetzt waren es noch einmal die Männer.

Da ist Gilles Marchand, der Mann der Überraschungen. Er ist 2001 (auch für ihn) überraschend Direktor des Westschweizer Fernsehens geworden, 2010 dann Direktor der Radio Télévision Suisse. Überraschend war für die Öffentlichkeit auch seine Wahl zum Generaldirektor der SRG. In der Deutschschweizer Medienöffentlichkeit hat er sich im No-Billag-Wahlkampf eher zurückgehalten. Die schwierigste Aufgabe hat er noch vor sich.

Tamedia-Präsident Pietro Supino ist der Ururenkel des Tamedia-Gründers Wilhelm Girardet, eines deutschen Buchbinders und Zeitungsverlegers. Supino freut sich pünktlich zur No-Billag-Abstimmung über das 125-Jahr-Jubiläum des «Tages-Anzeigers» der am 2. März 1893 zum ersten Mal erschien. Den Tamedia-Verlag hat Supino im Schatten des Kampfes um die SRG zum führenden privaten Schweizer Medienhaus gemacht. Für den Unternehmer Supino ist das zweifellos ein Erfolg.

Roger Schawinski hat sich, überzeugt von seiner Überzeugungskraft, noch einmal in die Schlacht geworfen. Und er hat sich damit Verdienste erworben. Zunächst mit einer Klarstellung: «Ich führte von Beginn weg nicht einen Kampf gegen die SRG, sondern gegen das Monopol der SRG und für mehr Medienvielfalt.» Damit meinte er seine Rolle als Medienpirat und als kritischer SRG-Kritiker. Und das zweite, wohl noch grössere Verdienst, holte er sich mit einer gesellschaftspolitischen Feststellung. Auch im Kampf um den Service public in den Medien gehe es um das libertäre Ziel, erklärte er: «Mehr Freiheit, weniger Staat!»

Schawinski hatte und hat als Medienschaffender, als kommerzieller Medienmanager im In- und Ausland und als Medienunternehmer, alle Glaubwürdigkeit, wenn er daran erinnert, dass Freiheit nicht gleichzusetzen ist mit einem total deregulierten heiligen Markt. Die Freiheit des Unternehmers war ihm immer ein hohes Gut. Aber No Billag ist ein Signal für eine Gesellschaft ohne Gemeinschaft, in der sich jeder gerade noch nach Massgabe der persönlichen Zahlungsfähigkeit einrichten kann und muss. Und das läuft in der Medienlandschaft auf den berühmten Satz von Paul Sethe hinaus: «Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.»

Paul Sethe, Mit-Gründer und Herausgeber der urliberalen «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», meinte zu seiner Zeit 200 reiche Leute in Deutschland. Heute gilt die Zahl der 200 für die ganze globale Medienwelt, die vielleicht von gerade noch 200 reichen Leuten beherrscht wird.

Zwischen Demokratie und autoritärer Herrschaft

Der Kampf um die Unabhängigkeit, um die Vielfalt und das Engagement der Medien für Demokratie muss immer aufs Neue ausgefochten werden. Jedesmal, wenn neue Technologien sich durchsetzen, wächst neue Hoffnung auf mehr freie Meinungsäusserung, offene Diskussion und Kommunikation zwischen selbstbestimmten Menschen. Und immer wieder wird sie enttäuscht.

Bert Brecht, der deutsche Dichter, hat vor gerade mal 90 Jahren einen «Vorschlag zur Umfunktionierung des Rundfunks» gemacht: «Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar grossartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heisst, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.»

Dem ist bis heute nichts hinzuzufügen.

Ausser die wirkliche Geschichte, die sich immer wieder als Widerspruch zwischen demokratischen Möglichkeiten und hierarchischen oder bürokratischen oder wirtschaftlichen Realitäten erweist. Der Kampf um eine unabhängige, vielfältige und demokratische Öffentlichkeit mit einer Medienorganisation, die einen Journalismus ermöglicht, der sich für die Gesellschaft und die Menschen engagiert, ist heute auch in der Schweiz wieder in eine entscheidende Phase getreten.

Der verzerrte Markt

Kurt W. Zimmermann, den Verlegern wohlgesinnter Chefredaktor des «Schweizer Journalist», schreibt in der neuesten Ausgabe des Fachmagazins: «Die Schweizer Presseszene hat mit Beginn des Jahrs 2018 die wichtigste Neuordnung ihrer Geschichte erfahren. Es gibt nur noch drei grosse Zeitungsgruppen. An ihnen hängen praktisch alle bezahlten Tageszeitungen. Es gibt kaum noch selbständige Redaktionen mehr, die ihr Blatt in Eigenregie herstellen. Es gibt in der Schweiz im bezahlten Pressemarkt damit noch drei Chefredaktoren, die den gesamten Markt kontrollieren.» (Schweizer Journalist, 02/03, 2018). Die drei sind Christian Dorer für die «Blick»-Gruppe. Pascal Hollenstein für den Zusammenschluss der NZZ-Regionalmedien mit den AZ Medien des Aargauer Verlegers Peter Wanner; er deckt den Raum von Zürich, Aargau und Baselland bis nach Solothurn/Bern ab und umfasst 19 Zeitungen, ausserdem Radios und Fernsehstationen, die von St. Gallen über Zürich und Aarau bis Bern eine Kette mit nationalem Anspruch bilden können.

Und der Dritte ist Arthur Rutishauser, der bei Tamedia zuständig ist für den Deutschschweizer Mantel der neun deutschsprachigen Abonnementszeitungen von Tamedia.

Neben den drei Zeitungsgruppen von Ringier/«Blick», NZZ-Regional und AZ Medien und Tamedia gibt es nur noch die NZZ und die «Basler Zeitung»-Gruppe mit Christoph Blocher und seinem erweiterten Netz im Hintergrund (unter anderem mit seinen 25 Anzeigern mit rund 800’000 Lesern). Und Walter Frey (SVP) mit seinen Gemeindezeitungen rund um Zürich. Undsoweiter.

Dazu schreibt Kurt W. Zimmermann: «Das ist in ganz Europa eine einzigartige Konstellation. Wenn man Meinungsvielfalt so definieren würde, dass man die Zahl der Chefredaktoren auflistet, die frei über ihre Inhalte entscheiden können, dann kommt man in der Schweiz noch auf fünf Köpfe: Arthur Rutishauser, Pascal Hollenstein, Christian Dorer, Eric Gujer, Markus Somm. Alle anderen Schriftleiter im Zeitungsgeschäft werden ausserhalb ihres Regionalteils von Drittstellen versorgt» – also auch bei Zeitungen wie dem «Bieler Tagblatt», den «Schaffhauser Nachrichten» oder anderen, die nicht zu einer der grossen Zeitungsgruppen gehören.

Der Blick auf Tamedia allein zeigt: In der Westschweiz haben die drei redaktionell vereinigten Zeitungen «Le Matin», «Tribune de Genève» zusammen mit «20min» einen Leseranteil von gegen 75 Prozent (gemäss der ausgezeichneten Analyse von Simon Schmid in der «Republik» vom 24. Januar 2018). In der Deutschschweiz produziert die Dachredaktion mit Sitz in Zürich das gleiche inhaltliche Angebot für den überregionalen Teil von neun Deutschschweizer Abonnements-Zeitungen, vom «Tages-Anzeiger» bis zum «Thuner Tagblatt».

Insgesamt hat Tamedia in der ganzen Schweiz einen Leseranteil von etwa 48 Prozent nach der Rechnung des Medienexperten Ueli Custer (gemäss «Republik»). Das ist knapp die Hälfte der Schweizer Leserschaft. Und diese Leserschaft wird jeweils in der Suisse romande und in der Deutschschweiz überregional mit identischen Inhalten bedient.

Das sei unerheblich für den Durchschnittsleser, der sowieso nur eine Zeitung lese, schreibt Chefredaktor Zimmermann. Deutlich differenzierter sieht das der Medienjournalist Nick Lüthi in der «Medienwoche»: «Führungspersonen, Entscheidungsträger oder Politiker, erkennen sehr wohl den befürchteten ‹Einheitsbrei› und können ihre Meinung nicht mehr so breit abstützen wie zuvor ..(…)…», und: «In Zukunft wird sich die Situation eher noch verschärfen.»

Ende August 2017 – noch vor dem Joint Venture zwischen NZZ-Regionalmedien und AZ Medien – lesen wir in der Titelzeile zur NZZ-Kolumne des Medienpublizisten Rainer Stadler: «Die grosse Pressevielfalt, welche die Schweiz einst auszeichnete, ist Geschichte.»

Die internationale Verflechtung

Aber der Tamedia-Präsident Pietro Supino schaut weit über die engen Grenzen der Schweiz hinaus. Er baut an einem zukunftsfähigen digitalen Multimediahaus in einem internationalen Mediennetz. Denn die Zukunft liegt im Internet. Und weil dieser «Vektor», dieser Verbreitungskanal multimedial ist, muss Supino die SRG schwächen oder benutzen, damit Tamedia auch nach 125 Jahren weiter wachsen kann.

Dabei betreibt der Tamedia-Präsident ein doppeltes Spiel, politich und unternehmerisch:
Als Präsident des Schweizer Verlegerverbands VSM (Verband Schweizer Medien) wirbt er bei geneigten Politikerinnen und Politikern für die Forderung, die SRG dürfe keine eigenständigen Online-Angebote machen, sondern nur das klassische Fernsehprogramm auch im Internet anbieten, weil sonst die privaten Medienhäuser in der Existenz bedroht seien.

Wer diese Forderung liest und sich schon einmal mit der Medienentwicklung halbwegs ernsthaft beschäftigt hat, weiss: das bedeutet «No Billag» auf anderem Weg, denn das Publikum für das traditionelle Fernsehen stirbt weg. Gerade noch 14 Prozent der 18-24jährigen betrachten das Fernsehen als wichtigste Informationsquelle für News. Das heisst: ein Service public, der die Jugendlichen erreichen will, muss ins Internet, und wenn er nicht im Internet aktiv sein darf, kann er seinen Auftrag nicht mehr erfüllen.

Aber die privaten Medienhäuser ohne Leistungsauftrag wie Tamedia hätten damit freie Bahn für den kommerziellen Ausbau.

Und genau diesen Ausbau betreibt Pietro Supino als Unternehmer mit einem aggressiven Vorstoss in den kommerziellen Markt. Zwei Tage vor Weihnachten gaben die Mediengruppe Tamedia und das Vermarktungsunternehmen Goldbach Group bekannt, dass sie sich auf ein Übernahmeangebot von Tamedia für Goldbach verständigt hatten. Und dies während laufender Verhandlungen, bei denen SRG-Generaldirektor Gilles Marchand und SRG-Präsident Jean-Michel Cina sich bereit erklärt hatten, die SRG-Anteile an Admeira an Tamedia zu verkaufen.

Dieser Handel wäre ein Schritt gewesen zu der Branchenlösung für alle Medienunternehmen, welche die Verleger immer gefordert hatten. Aber offenkundig will der Verlegerpräsident nun sein eigenes Unternehmen gross machen. Und der Kauf der Goldbach Group hat hohes Entwicklungspotential. So trägt er jetzt bei zum Abfluss von Werbeertrag zu den Anbietern der ausländischen Werbefenster. Ein Teil bleibt allerdings in der Schweiz bei Tamedia/Goldbach.

Die Tamediagruppe erwirbt für den Freundschaftspreis von 216 Mio. nahezu die Hälfte des Umsatzes auf dem Markt der Fernsehwerbung in der Schweiz. Das Medienhaus steigert seine Möglichkeiten auf dem Wachstumsmarkt der Online-Videos, und es wird zu einem enorm leistungsfähigen Anbieter zielgerichteter Werbung (targeted advertising), und zwar über die ganze Breite der Werbeträger von der Aussenwerbung über Print, Radio, Fernsehen und Online, insbesondere auch auf dem wachstumsträchtigen Sektor der Online-Videos.

Es überrascht deshalb auch nicht, dass Tamedia nun auf die Übernahme der Gratis-Videos der SRG verzichtet, weil sie keinen ausreichenden Mehrwert böten. Tamedia ist darauf schlicht nicht mehr angewiesen. Durch die Übernahme der Goldbach Group etabliert Tamedia eine noch engere Beziehung zu den grossen deutschen kommerziellen Medienhäusern RTL und ProSiebenSat.1, die mit rund 2.5 Mia. CHF (RTL.de) und 4.4 Mia CHF (ProSiebenSat.1) einen Umsatz ausweisen, der das Jahresbudget der gesamten SRG (1.6 Mia.) um ein Mehrfaches übersteigt.

Tamedia als digitales, multimediales Radio-Fernsehen-Unternehmen

«Die Kombination Tamedia, Goldbach und Neo Advertising (Aussenwerbung) bietet uns die Möglichkeit, unseren Kunden in der Schweiz und im Ausland künftig reichweitenstarke 360-Grad-Angebote in den Bereichen TV, Radio, Print und Online sowie Aussenwerbung zu bieten. Das ist eine Chance für den Schweizer Medienmarkt, denn davon profitieren nicht zuletzt auch unsere journalistischen Angebote. Insbesondere im Digitalbereich wollen wir in den beiden Nachbarländern … mit unseren neuen Partnern ProSiebenSat.1 und RTL jeweils Investitionen in Schweizer Programminhalte prüfen», sagt Tamedia-CEO Christoph Tonini.

Toninis Strategie verändert die Lage auf dem Schweizer Medienmarkt grundlegend. Es geht nicht mehr nur um Werbung. Es geht um Radio- und Fernsehproduktion auf dem neuesten Stand der Technik in einem globalen Mediennetz. Mit einem führenden Schweizer Player.

Der neue Tamedia-Partner ProSiebenSat.1 hat im Mai 2017 mit dem global tätigen amerikanischen Medienunternehmen Discovery ein Joint Venture abgeschlossen für gemeinsame Angebote im Internet-Fernsehen. Die Medienpartner benutzen dafür eine Technik, die es erlaubt, Fernsehformate direkt zu den Endverbrauchern zu bringen, sei es auf Internetmonitore (Laptops, Smartphones) oder auf internetfähige Fernsehgeräte (sogenannte OTT-Technik, also Over The Top, direkt zum Nutzer). Abonnemente werden direkt zwischen Nutzer und Anbieter abgeschlossen, in diesem Fall also mit ProSiebenSat.1 oder Discovery – oder eben zu gegebener Zeit mit Tamedia.

Seit Oktober 2017 sind diese Dienste aktiv, und Anfang Februar 2018 haben ProSiebenSat.1 und Discovery mitgeteilt, ein neues Streamingangebot für den deutschen Markt biete «Medienunternehmen und Werbekunden neue Möglichkeiten, um den Zuschauer über alle Bildschirme zu erreichen. Folgende Sendeinhalte sind über die 7TV App und die digitalen Plattformen zugänglich: ProSieben, SAT.1, kabel eins, DMAX, sixx, ProSieben MAXX, SAT.1 Gold, kabel eins Doku und TLC. Ausserdem gibt es eine Eurosport-Zone mit Sporthighlights und Videos.» Eurosport strahlte als Tochter des Rechteinhabers Discovery auch die Bilder der Olympischen Spiele in Südkorea aus.

Alle die erwähnten Programme von Sat.1 bis Eurosport werden in der Schweiz von der Goldbach Group vermarktet.

Tamedia hat «mit diesen neuen Partnern» Zugang zu professionellen Produktionstechniken, zu Übermittlungstechniken auf dem höchsten Stand der Technologie und zu enormen Programmquellen. Discovery ist als Unternehmen hervorgegangen aus der Liberty Media-Gruppe von John C. Malone, der immer noch im Discovery-Board of Directors sitzt. Das ist ein global vernetztes Unternehmen.
John C. Malone ist als Medienunternehmer ein lebenslanger Konkurrent von Rupert Murdoch. Aber Malones politische Haltung gilt ebenfalls als libertär. Für die Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident hat er mehrere hunderttausend Dollar gespendet (Wikipedia). In der Schweiz und Europa ist er auch präsent mit UPC («My Sports»), einer Tochter von Liberty Global.

Die Machtverschiebung

Es hat im Schatten der No-Billag-Debatte eine Machtverschiebung stattgefunden in der Schweizer Medienlandschaft. Bei der Presse hat sich eine geballte Konzentration vollzogen, mit drei grossen Zeitungsgruppen neben dem Blocherschen «Basler Zeitung»-Konglomerat und der NZZ. Im Mittelland zeichnet sich mit dem Joint Venture von NZZ-Regionalmedien und AZ Medien eine Multimedia-Gruppe ab, die sich zur (sprach-)nationalen Konkurrenz der SRG entwickeln könnte. Dieser Prozess wird weitergehen, mit weiteren Rationalisierungen und Stellenabbau. Und die 125 Jahre alte Tamedia-Gruppe, die sich vor wenigen Jahren von Fernsehen und Radio verabschiedet hatte, entpuppt sich nun als neuer Multimedia-Player im Werbe- und Programm-Markt mit potenten internationalen und globalen Partnern.

Man kann sich fragen, ob unter diesen Voraussetzungen eine Bestimmung wie der Art.93, Absatz 4 der Schweizer Bundesverfassung noch anwendbar ist: «Auf die Stellung und Aufgabe anderer Medien, vor allem der Presse, ist Rücksicht zu nehmen», heisst es da. Müsste es nicht eher heissen: auf den öffentlich finanzierten Service public (der SRG) ist Rücksicht zu nehmen. Denn die Presse hat sich schon selber in hohem Masse von ihrer Vielfalt verabschiedet. Und auf dem Markt wachsen aus den Relikten der Presse einige wenige Multimedia-Unternehmen, die in sehr absehbarer Zeit als audiovisuelle Online-Anbieter den Service public vielleicht existentiell in Frage stellen werden, wenn dieser nicht auftragsgerecht ausgestattet ist. Der Service public mit seinem Leistungsauftrag, seiner Verpflichtung auf Vielfalt und Sachgerechtigkeit und Fairness, erscheint unter diesen Bedingungen aber über weite Strecken als wirklicher Garant der Vielfalt und Unabhängigkeit, von der unsere Demokratie lebt.

Die Frage liegt jedenfalls auf der Hand, ob die alten Vorstellungen von einer Schweizer Medienordnung im Dienste einer vielfältigen direkten Demokratie noch taugen. Man wird über – selbstverständlich staatsunabhängige – Medienförderung für die Sicherung von Vielfalt intensiver nachdenken müssen, aber auch über die Stärkung der inneren Pressefreiheit, die gerade da nicht immer gewährleistet erscheint, wo unternehmerische Interessen von Medienhäusern berührt sind.

Die simple Forderung, die SRG müsse abspecken, die bis ins linke Lager unterwürfig nachgebetet wird, kann als medienpolitischer Wegweiser jedenfalls nicht genügen.

Tonart-Wechsel

Eine SRG, die als Agentur für private Medienunternehmen dient, ansonsten maximal weggespart wird und möglichst kostenlose News-Inhalte und Video-Clips als Werbeträger liefert, kann bei allem Verständnis nicht das Zukunftsmodell für die SRG sein. Und die Forderung des Verlegerverbandes, die SRG müsse (ausschliesslich) auf Information fokussiert und im Online-Angebot auf die Ausstrahlung ihres traditionellen analogen Programmangebots reduziert werden, wirft ringsum nur noch Fragen nach der Professionalität solcher Verlautbarungen auf. Die Zukunft aller Medien liegt im Internet.

Es wäre ausserdem sicher hilfreich, die je eigene Tonlage zu überprüfen. Man darf davon ausgehen, dass nicht nur das breite Publikum, sondern auch ein relevanter Teil der Politik genug hat vom aggressiven Lobbying, das um sich gegriffen hat. Gefragt sind taugliche, zukunftsfähige Lösungsvorschläge.

Und es müsste bis an höchste Stelle die Einsicht um sich greifen, dass es bei der Mediendebatte, die zu führen ist, nicht immer zuvörderst um das liebe Geld geht, sondern um die Lösung zentraler Herausforderungen und Fragen, die möglicherweise tiefgreifende Änderungen bei der Organisation unserer Medienlandschaft und ihrer Ausstattung nach sich ziehen. Vielleicht macht es mehr Sinn, Gelder zu verlagern als sie einfach wegzusparen. Wir brauchen Innovation, neue Medien mit neuer Vielfalt, professionelle Ausbildung, Medienkompetenz, Flexibilität und Zusammenarbeit.

Nach der No-Billag-Abstimmung kann im Interesse einer lösungsorientierten Diskussion zunächst nur eine Frage im Zentrum stehen: Welchen Bedarf und welche Bedürfnisse, welche legitimen Interessen von Bürgerinnen und Bürgern und von Konsumentinnen und Konsumenten müssen die Medien in der Schweiz decken und befriedigen? Wie ist das im komplexen Übergang zur digitalen Gesellschaft so flexibel zu organisieren, dass Anpassungen an disruptive Entwicklungen möglich bleiben? Und wie sind dieser Prozess und seine publikumsfreundliche Gestaltung zu finanzieren?

Umbau statt Abbau

Der neue Generaldirektor der SRG, Gilles Marchand, hat am (kirchlichen, nicht verlegerischen) Dreikönigstag 2018 im Magazin von «Le Temps» eine äusserst knappe Skizze einer Zukunftsvorstellung für die SRG entworfen. Sie sagt, dass es in den drei grossen Sprachregionen in einer überschaubaren Zukunft vielleicht nur noch je einen Radio- und einen Fernsehkanal geben wird, die vorwiegend für Information und live-Sport – vielleicht auch für Kultur? für Feste? für live-Politik? – dienen könnten. Und dass ansonsten die SRG ihr Angebot auf einer grossen Plattform bereitstellen wird, von der man sich die gewünschten Inhalte holen kann: auf das Fernsehgerät, den Laptop, das Smartphone, die selbstverständlich miteinander vernetzt sein können und sollen.

Das ist keine Sparübung. Das ist ein grosser Umbau. Denn es sagt zunächst nur: Es wird auf überschaubare Zeit beides notwendig sein: das strukturierte «analoge» Fliessprogramm des gewohnten Fernsehens und die Plattform des Computers, mit der die «digital natives» aufwachsen. Das heisst: Es muss auch so etwas wie eine parallele Technologie und eine parallele Organisation – und eine gewisse Anzahl paralleles Personal vorhanden sein. Denn zum Wandel des Publikums, der Nutzerinnen und Nutzer, gehört unter anderem, dass die alte Generation nicht von einem Tag auf den anderen wegstirbt. Und dass es eine gewaltige Herausforderung sein wird, die nachwachsende Generation zu gewinnen für einen Service public, der die Informationen für unsere Entscheidungen und den Zugang zu den verschiedenen Kulturen und die Verbindung durch gemeinsame (Sport-, Kultur-, Politik-) Ereignisse liefert. Medien für direkte Demokratie sind nicht gratis.

Und wenn es gelingen soll, dass die Medienschaffenden im öffentlichen (und im privaten) Service public in dieser neuen Welt die Verbindung zu den Nutzer*innen wiederfinden, die sie verloren haben – denn der Kontakt- und Vertrauensverlust ist eine Tatsache –, dann braucht das eine neue Haltung. Und Zeit und Raum, sie zu entwickeln.

Ich erwarte von den Medienschaffenden des Service public, dass sie herauskommen aus ihren Büros und Sitzungszimmern und ihren Newsrooms und umzäunten Häusern und gewohnten Milieus, mit offenen Augen und offenen Sinnen und einem echten Interesse dafür, was in der Welt der gewöhnlichen Menschen geschieht.

Und meinetwegen auch mit einer gewissen Demut. Aber diese Demut darf, bei Lichte, nicht mehr bedeuten als das Wissen, dass sie nicht alles wissen und schon gar nicht besser. Demut heisst nur: offen sein für neue Erfahrungen, neue Erkenntnisse, neue Begegnungen. Auf echter Augenhöhe.

Und es bedeutet gleichzeitig das Ende der Unterwürfigkeit. Ich möchte einen ganz bestimmten Satz von Mitarbeitenden der SRG nicht mehr hören: «Wir haben Fehler gemacht.» Machen wir alle. Maoistische Selbstkritik führt zu nichts ausser zu falschen Verbeugungen.

Nach der No-Billag-Abstimmung, egal wie klar oder knapp sie ausgeht, möchte ich wahrnehmen können, dass die Menschen aus der SRG mit dem Selbstbewusstsein auftreten, dass es in diesem Land Hunderttausende gibt, die dafür gestimmt haben, dass sie ihre Arbeit weiterführen können.

Das heisst nicht zuletzt, dass die Medienschaffenden uns mit diesem Selbstbewusstsein gegenübertreten und uns mitteilen, was sie nun vorhaben. Und dass sie dann zur Kenntnis nehmen, was die Nutzer und Nutzerinnen bewegt. Und dass sie ihre Vorstellungen dann möglicherweise revidieren. Das wird für die Zukunft entscheidend wichtig. Denn No Billag war ein Zeichen. Ich kenne nicht Wenige, die gegen No Billag gestimmt und sich mit viel Einsatz gegen No Billag eingesetzt haben, obwohl sie sich von der SRG schon fast abgewendet hatten.

Es wird grosse Offenheit brauchen und tiefgreifende, ich möchte fast sagen: revolutionäre Veränderungen, wenn der Service public (der SRG) auch in Zukunft solche Auseinandersetzungen erfolgreich bestehen soll. Es wird sich daran entscheiden, ob dieser Service public dazu beiträgt, dass unsere Gesellschaft eine ausreichend starke, vielfältige und egalitäre demokratische Gemeinschaft ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter der SRG.

Zum Infosperber-Dossier:

SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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4 Meinungen

  • am 3.03.2018 um 12:01 Uhr
    Permalink

    Eine excellente Analyse der Ausgangssituation für die morgige Abstimmung. Gratulation.
    Dr.med. Walter Hugentobler, Gerra-Gambarogno, TI

  • am 3.03.2018 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Würden Sie das Steuer der «Titanic SRG» einer knapp 38 jährigen «First mate», erster Schiffsoffizier, verantwortlich für die nautischen Gewässer und einem schlecht «deutsch» sprechenden Kapitän überlassen? (Die Hauptsprache auf dem Schiff SRG)
    Der Erste Offizier (NEO) auf einem Schiff ist der Verantwortliche für die Seetüchtigkeit, die ordnungsgemäße und sichere Beladung des Schiffes sowie für die Instandhaltung und Wartung des Decksbereiches. Ebenso ist er der/die Vorgesetzte aller weiteren nautischen Offiziere, gemäss Wikipedia.

  • am 3.03.2018 um 16:00 Uhr
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    Danke für diese sehr ausführliche aber auch sehr zutreffende Analyse. Ein Aspekt hat mir noch gefehlt: Pietro Supino vereinigt in seiner Person gleichzeitig das Oberhaupt des teilweise erdrückend dominanten Medienhauses Tamedia als auch des Verbandes Schweizer Medien. Das ist sehr ungesund. Damit im Zusammenhang steht auch der Umstand, dass nie jemand darauf hinweist, dass die Tamedia mit den Portalen von 20 Minuten in drei Landessprachen die mit Abstand grösste Gratiskonkurrenz zu den Websites der abonnierten Tagespresse darstellt. Meine Behauptung: Vor allem deshalb muss die SRG zurückgebunden werden.

  • am 4.03.2018 um 09:52 Uhr
    Permalink

    Wann kommt einmale eine fundierte Diskussion darüber, wer, wie wann von Kommerz (Spiele, Wetten, Concours, Shows etc.) von seriös recherchierten Sendungen (zB. mit ausgewiesene Journalisten vor Ort, auch im Ausland) und von Interessengemeinschaften (durchaus legitim; politisch, gesellschaftlich, Gesundheitswesen etc.) unterscheiden kann und wie die neuen Strukturen in einer neuen Medienlandschaft für alle Bürger entsprechend transparent sein werden/können?! Auch vermisse ich Diskussionen über die Sprachgrenzen hinweg. Es ist zB. «lamentable», wie wenig in Grenzgebieten Sendungen in den anderen Landessprachen angeboten werden (nur ein Sender pro Land wie Frankreich, Italien ua. kann es ja wohl nicht sein.) In den Zeitungen werden ausländische Sendungen entweder gar nicht erwähnt oder sehr stiefmütterlich behandelt.

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