Wie die Schweiz das Klima im Ausland aufheizt
Auf dem Papier glänzt die Schweizer Klimapolitik: Der Ausstoss der relevantesten Treibhausgase CO2, Methan und Lachgas zusammen sank von 1990 bis 2015 um 13 Prozent. 2015 waren es noch 46 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.
Das zeigt das offizielle Treibhausgas-Inventar (siehe erste Grafik), das auf dem Klimaprotokoll von Kyoto basiert. Hinzu kommen noch «synthetische Gase» (rot) im Umfang von weniger als vier Prozent, die wir im Text ausklammern, um die nachfolgenden Vergleiche nicht zu verfälschen. Der Begriff «CO2-Äquivalent» bemisst die Wirkung aller Gase aufs Klima; der Anteil von CO2 allein beträgt heute rund 80 Prozent.
Treibhausgas-Inventar Schweiz von 1990 bis 2015
Zur gleichen Grafik gross.
Den 13prozentigen Rückgang wertet die Landesregierung als Erfolg, zumal im gleichen Zeitraum die Bevölkerung und die Wirtschaftsleistung in der Schweiz gewachsen sind. Diese Abnahme der Treibhausgase im Inland ist auf die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden, Geräten und Motoren, auf die Verlagerung des Energiekonsums von Erdöl auf die weniger CO2-intensiven Energieträger Erdgas und Elektrizität sowie auf die besonders milde Witterung im Wärme-Rekordjahr 2015 zurückzuführen. Die scheinbar positive Wirkung soll sich fortsetzen: So verlangt das seit 2011 gültige Schweizer CO2-Gesetz: «Die Treibhausgasemissionen im Inland sind bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 gesamthaft um 20 Prozent zu vermindern.»
Schweizer Fussabdruck im Ausland grösser als im Inland
Doch das offizielle Treibhausgas-Inventar hat einen grossen Haken. Es erfasst nur die Emissionen, die innerhalb der Landesgrenzen entstehen. Dazu zählt etwa der Ausstoss von CO2 aus unseren Heizungen, Motorfahrzeugen, aus industrieller Produktion oder von Methan aus Erdgasleitungen und Rindermägen. Ausgeklammert wird die Erzeugung von CO2 und andern Treibhausgasen, die der Konsum der inländischen Bevölkerung und die Produktion der inländischen Wirtschaft im Ausland verursachen. Dazu gehören zum Beispiel die klimawirksamen Gase, die bei der Ausbeutung und Umwandlung von Rohstoffen, bei der Produktion von Autos und andern Importgütern entstehen, oder das CO2, das wir bei unseren Auto- und Flugreisen ins Ausland in die Atmosphäre entweichen lassen.
Der Ausstoss von Treibhausgasen, den inländische Konsumentinnen und Produzenten im In- und Ausland zusammen auslösen, ist inzwischen 2,5 Mal so gross wie der vom offiziellen Inventar erfasste Ausstoss im Inland. Das zeigt die jüngste Erhebung über den «Treibhausgas-Fussabdruck» der Schweiz, den das Bundesamt für Statistik (BFS) diese Woche publizierte. Die vollständige Bilanz zeigt die nächste Grafik.
Im Detail: Gemäss Treibhausgas-Inventar (linke Säule) betrug der Ausstoss von CO2, Methan und Lachgas 2015 im Inland 46 Millionen Tonnen. Davon sind die «exportbedingten Emissionen» abzuziehen (mittlere Säule). Zu den verbleibenden 40 Millionen Tonnen im Inland kommen 76 «importbedingte Emissionen», auch «graue Emissionen» genannt. Dabei handelt es sich um Treibhausgase, die der Konsum und die Produktion von Waren und Dienstleistungen der Schweiz ausserhalb der Landesgrenzen auslösen. Zusammen ergibt das einen «Treibhausgas-Fussabdruck» der Schweiz im Umfang von 116 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.
Treibhausgas-Emission 2015, verursacht von der Schweiz im In- und Ausland
Der Anteil der grauen Treibhausgase hat massiv zugenommen. Zur gleichen Grafik gross.
Der Anteil der Treibhausgas-Emissionen, welche die Schweiz im Ausland auslöst, ist heute nicht nur grösser als der inländische Anteil. Er dürfte in den letzten Jahrzehnten und Jahren auch massiv gewachsen sein, weil die internationale Arbeitsteilung zunimmt und die Schweiz energieintensive Industrieproduktionen zunehmend ins Ausland verlagert. So schätzte das Bundesamt für Umwelt in einer im Jahr 2000 veröffentlichten Studie, der Anteil der grauen Treibhausgase, welche Bevölkerung und Wirtschaft ausserhalb der Landesgrenze verursachten, habe in den 1990er-Jahren erst etwa 50 Prozent der inländischen Emissionen ausgemacht. Heute ist dieser Auslandanteil gemäss neuster BFS-Erhebung 1,7 Mal so hoch (76 Mio. t.) wie der im Treibhausgas-Inventar ausgewiesene Inlandanteil (46 Mio. t.)
Das Bundesamt für Statistik erfasst den «Treibhausgas-Fussabdruck» der Schweiz seit dem Jahr 2008 nach der gleichen Methode und kommt zum Schluss: Von 2008 bis 2015 sei dieser Fussabdruck im In- und Ausland zusammen – bei jährlichen witterungsbedingten Schwankungen – um sieben Prozent auf die erwähnten 116 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent gestiegen. Pro Person der Schweizer Wohnbevölkerung ergibt das 2015 eine Summe von 14 Tonnen CO2. Was zeigt: Vom klimapolitischen Fernziel, die klimawirksamen Gase pro Kopf weltweit auf eine Tonne CO2-Einheit zu reduzieren, sind wir sehr, sehr weit entfernt.
Imperiale Lebensweise fördert auch Materialverbrauch im Ausland
Die zunehmende Verlagerung von CO2-Emissionen und andern Abfällen ins Ausland ist nur eine von mehreren Folgen, welche unsere imperiale Lebensweise auslöst. Gleichzeitig muss die unsere Land auch den Grossteil der Energieträger sowie weitere Rohstoffe, Halb- und Fertigfabrikate importieren, um unseren üppigen Konsum zu decken. Pro Jahr benötigt die Schweiz heute rund 140 Millionen Tonnen Rohstoffe (oder 18 Tonnen pro Person). Das zeigt die jährliche Erhebung des BFS über die von der Schweiz ausgelösten Materialflüsse.
Die von der Schweiz beanspruchten Rohstoffe setzen sich zu 15 Prozent aus Biomasse, zu 17 Prozent aus Erzen, zu 44 Prozent aus Mineralien und zu 24 Prozent aus fossilen Energieträgern zusammen. Nur 45 Prozent dieser Stoffe (darunter viel Kies und Holz) werden im Inland gewonnen. Nach Abzug der Exporte muss die Schweiz 55 Prozent der Rohstoffe importieren oder im Ausland verarbeiten lassen, um die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen im Inland zu decken. Innerhalb des gesamten Stoffflusses steigt der Anteil der in die Schweiz importierten Fertigprodukte, während der Importanteil von unverarbeiteten Rohstoffen abnimmt.
Kleine Abweichungen sind möglich
Eine Relativierung der genannten Zahlen ist nötig: Während sich inländische Daten präzis erheben lassen, müssen sich die Statistiker bei der Ermittlung von Materialflüssen im Ausland oder bei der Quantifizierung von Treibhausgasen, welche die Schweiz im Ausland verursacht, teilweise auf Schätzungen abstützen. Dabei wenden sie unterschiedliche Methoden an. Allerdings dürften sich die Abweichungen meist im Bereich von weniger als 20 Prozent bewegen. Das bestätigt die folgende, letzte Grafik. Sie zeigt den Treibhausgas-Fussabdruck im Jahr 2011, erhoben nach drei unterschiedlichen Methoden. Die linke Säule entspricht der Methode, wie sie das Bundesamt für Statistik für die Erhebungen im Jahr 2011 und 2015 verwendete. Beinahe zum gleichen Resultat kam 2011 die OECD (rechte Säule), während das Bundesamt für Umwelt nach einer andern Methode (mittlere Säule) einen um 15 Prozent kleineren Fussabdruck ermittelte.
Treibhausgas-Fussabdruck – Resultate von drei Methoden
Zur gleichen Grafik gross.
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- Siehe: Infosperber-DOSSIER: «Führt Wachstum zu Glück oder zum Crash»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
ich freue mich schon auf den nächsten, grossen vulkanausbruch.
wann hört der mensch endlich auf, sich für derart wichtig/einflussreich zu halten…?
Irgendwie bekomme ich den Eindruck, dass Herr Guggenbühls Formel «Internationaler Handel = Imperialismus» lautet. Das ist meines Erachtens ein sehr negatives, pessimistisches Bild. Eine Umkehr zu wirtschaftlicher nationaler Abschottung wäre zum Schaden aller. Eine Differenzierung wäre wünschenswert, auch wenn der beschriebene Sachverhalt im Grundsatz unbestritten ist.
Es geht im Artikel (respektive bei der neuesten BFS-STatistik) nicht um Abschottung, Herr Roth. Sondern darum, Verantwortung für die (Aus-)Wirkung unseres Handelns und Konsums zu übernehmen. Wenn wir einfach ausblenden, dass unsere Nachfrage Treibhausgase im Ausland in fast doppelter Höhe produziert, ist das wie wenn Sie behaupten würden, Sie produzierten keinen Abfall, nur weil Sie ihn in öfentliche Abfalleimer statt via Abfallsack entsorgen.
Das ist aber genau die (Fehl-)Argumentation des Bundes, wenn es um Klimaverantwortung und insbesondere Klimafinanzierung geht: Gemäss Pariser Übereinkommen müssen die Beiträge an Klimaprojekte in arme Länder nach Verantwortung und Wirtschaftsleistung bemessen werden: Wenn dem aber nur das viel niedrigere inländische THG-Inventar zugrunde gelegt wird, so ist das quasi – um bei der Abfall-Analogie zu bleiben – wie wenn wir die Abfallsack-Gebühren umgehen und die Entsorgungskosten auf andere abwälzen, die für den Abfall nicht verantwortlich sind.