Allein General Min Aung Hlaing hat die Macht
Der heute 62 Jahre alte General Min Aung Hlaing müsste nach burmesischem Militärrecht längst in Rente gegangen sein. Doch daran denkt der erst 2011 zum General Beförderte nicht. Im Gegenteil. Kein Wunder, denn er wurde zum Zeitpunkt des Übergangs von der jahrzehntelangen Militärherrschaft zu einer zivilen Regierung vom damaligen General Nummer 1 Than Shwe befördert. Than Shwe hatte einen Hintergedanken, der – wie sich heute zeigt – nahtlos aufgegangen ist. Than Shwe wollte nämlich sicher gehen, nach seinem Rücktritt rechtlich unantastbar zu sein. So wurde General Min Aung Hlaing 2013 auch noch zum General Nummer 1 erhoben mit der Absicht, ihn bei den für 2015 anberaumten allgemeinen Wahlen formell zum vom Volk abgesegneten Staatspräsidenten zu küren. Diese Rechnung ging allerdings nicht ganz auf, weil die Nationale Liga für Demokratie von Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bei den Wahlen 2015 eine überwältigende Mehrheit errang.
Mord und Totschlag
In den Folgejahren musste General Nummer 1 Min Aung Hlaing nichts fürchten. Die Militärs hatten in der 2008 verabschiedeten Verfassung dafür gesorgt, dass auch bei voller Demokratie Macht und Privilegien der Militärs erhalten blieben. General Hlaing, der sich schon früher mit brutalen Militäraktionen einen Namen gemacht hatte, setzte nach 2014, besonders aber 2017 eine Politik fort, die seit Jahrzehnten in Myanmar üblich war: die Verfolgung der rechtlosen moslemischen Rohingyas im Rakhine-Teilstaat an der Grenze zu Bangladesh. Die Rohingyas – von der überwiegenden Mehrheit der buddhistischen Bevölkerung als illegale bengalische Immigranten verunglimpft – wurden seit einem Angriff der Arakan Rohingya Salvation Army im August 2017 auf eine Polizeistation von Hlaings Soldateska gewaltsam vertrieben. Mord, Totschlag, Brandschatzung, Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Die Militärs stritten alles ab, sprachen von Desinformation. Selbst Staatsrätin und Aussenministerin Aung San Suu Kyi wollte von nichts wissen und wiegelte ausländische Kritik ab.
Flüchtlingslager
Zwischen August 2017 und Anfang Februar 2018 sind rund 700’000 Rohingyas nach Bangladesh geflohen, seit Ende der 1970er-Jahre gar weit über eine Million. Bangladesh selbst – ein armes, übervölkertes Land – hat bislang nur 32’000 Rohingyas offiziell den Flüchtlingsstatus zuerkannt. Alle andern gelten als «Unregistered Myanmar Nationals». Gleich jenseits der Grenze in Bangladesh leben sie in überfüllten, zum grössten Teil improvisierten Flüchtlingslagern unter extrem misslichen Verhältnissen. Zwar haben sich im November die Regierungen von Bangladesh und Myanmar im Grundsatz für eine Rückkehr der Rohingyas nach Burma ausgesprochen. Doch bis heute mangelt es an detaillierten Absprachen.
Rechtlos
Die meisten Rohingyas, die seit Generationen, teilweise seit über zweihundert Jahren in Arakan (dem heutigen Teilstaat Rakhine) ansässig sind, verlangen jedoch vor der Rückkehr weitgehende Zusicherungen. Vor ihrer Flucht waren sie nämlich weder Staatsbürger, noch konnten sie sich in Myanmar frei bewegen, Grundbesitz halten oder Ansprüche auf Erziehung und Gesundheit geltend machen. Die internationale Gemeinschaft hilft, so gut es geht. Die Schweiz hat beispielsweise bereits insgesamt 20 Millionen Franken überwiesen. Doch ansonsten herrscht Hilflosigkeit.
«Friede und Stabilität für die Nation»
Der UNO, welche die Rohingya als die «am stärksten diskriminierte Minderheit weltweit» bezeichnet, sind im UN-Sicherheitsrat die Hände gebunden. China – mit massiven wirtschaftlichen Interessen in Öl- und Gas-Pipelines sowie Tiefseehäfen – verbittet sich unter Berufung der Assoziation Südostasiatischer Staaten ASEAN jede «Einmischung in innere Angelegenheiten» Burmas. Russland wiederum versucht gegen die USA zu punkten. Bei seinem Besuch im vergangenen November liess sich sogar Papst Franziskus vom General Nummer 1 vorführen. Hlaing versicherte dem Papst, in Myanmar gebe es «keine religiöse oder ethnische Diskriminierung», und der Tatmadaw (Armee) wolle nur «Friede und Stabilität für die Nation». Franziskus, der das Wort «Rohingya» in Myanmar geflissentlich vermied, sagte dann immerhin in Bangladesh vor Flüchtlingen, «die Anwesenheit Gottes heisst heute auch Rohingya», und forderte «entscheidende Massnahmen in der Flüchtlingskrise». Von Massnahmen in Form von Spenden aus dem steinreichen Vatikan ist bislang nichts bekannt geworden.
Beliebt
Die burmesischen Militärs haben von ihrem Standpunkt aus wohl richtig kalkuliert. Die einstige Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi ist wegen ihres weitgehenden Schweigens in der Causa Rohingya international als Friedens-Nobelpreisträgerin moralisch diskreditiert. General Nummer 1 hingegen ist national bei der buddhistischen Mehrheit äusserst beliebt, u.a. mit 1,3 Millionen Likes auf Facebook, und wird im Ausland stets auf oberster Ebene empfangen. Buddhistische Mönche können unterdessen unbehelligt weiter gegen Muslime im Allgemeinen und die Rohingyas im Besonderen auf übelste Art hetzen.
Komfortable Situation
General Hlaing befindet sich in einer komfortablen Situation. Die Militärs könnten unter dem Vorwand eines drohenden Staatsstreiches jederzeit mit einem Federstrich die Demokratie abschaffen. Doch das wird nicht nötig sein. Denn die Militärs verfügen über 25 Prozent der Parlamentssitze und können so jede Verfassungsänderung blockieren. Die Militärs bestimmen unter dem Kommando von General Nummer 1 auch die drei wichtigsten Ministerien des Innern, des Grenzschutzes und der Verteidigung und haben das Recht, die Beamten auf allen Ebenen zu ernennen. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft haben die Militärs das Sagen. General Hlaing kommandiert die Union of Myanmar Economic Holding Ltd. und die Myanmar Economic Corporation. Diese beiden Konglomerate machen Geschäfte in Jade, Edelsteinen, Energie, Banking, Telecom, Versicherungen, Transport, Tourismus und IT – vom Schmuggel gar nicht zu reden.
Doch noch Präsident?
General Nummer 1 Min Aung Hlaing wird bei den Allgemeinen Wahlen 2020 wohl doch noch Präsident. Aung San Suu Kyi wird so zur tragischen Figur – sie, die sich so lange und unter schwierigsten Umständen für die Demokratie in Myanmar eingesetzt hat. Die internationale Gemeinschaft – Politik wie Wirtschaft – kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie hat den demokratischen Übergang von 2015 falsch eingeschätzt und überbewertet sowie die seit Jahrzehnten herrschenden Militärs sträflich unterschätzt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.