HomoDeusHitlerStalin

Internationaler Bestseller mit ungewöhnlicher Bezeichnung für zwei Massenmörder © Bundesarchiv/US-Army

«Homo Deus»: «Humanisten» Hitler und Stalin

Kurt Marti /  Yuval Noah Harari bezeichnet in seinem Bestseller «Homo Deus» Hitler und Stalin als «Humanisten». Und fast niemand störts.

Schnurstracks steuerte Angela Merkel am «World Economic Forum» (WEF) auf einen hageren Mann mit spärlichem Haarwuchs zu und sagte: «Ich habe Ihr Buch gelesen.» Die Rede ist vom israelischen Historiker Yuval Noah Harari, dem Autor von «Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen». Am Mittwoch sprach Harari am WEF.


Der Historiker Yuval Noah Harari am WEF (Quelle: Screenshot WEF)

«Homo Deus» verkaufte sich weltweit millionenfach. 2017 war das Buch «Wissensbuch des Jahres» der Zeitschrift «Bild der Wissenschaft». Zudem erhielt das Buch den deutschen Wirtschaftsbuchpreis, der vom Handelsblatt, von Goldman Sachs und der Frankfurter Buchmesse vergeben wird.

Eigentlich hatte ich nicht vor, das Buch zu lesen. Aber als ich es zu Weihnachten geschenkt bekam, warf ich dennoch einen Blick hinein und rieb mir verwundert die Augen über Hararis haarsträubende Kategorisierung des Humanismus.

Nationalsozialismus als «Humanismus»

Hararis Ausführungen zum Humanismus beginnen mit folgendem Zitat:

«Liess die landwirtschaftliche Revolution die theistischen Religionen entstehen, so brachte die wissenschaftliche Revolution humanistische Religionen hervor, in denen die Menschen an die Stelle der Götter traten. Während Theisten theos (griechisch für Gott) verehren, beten Humanisten den Menschen an. Die Grundüberzeugung humanistischer Religionen wie des Liberalismus, des Kommunismus und des Nationalsozialismus lautet, dass Homo sapiens über einen einzigartigen und heiligen Wesenskern verfügt, (…)». (S. 137 f.)

Der Humanismus zerfällt laut Harari in die drei «humanistischen Sekten» des liberalen, sozialistischen und evolutionären Humanismus. Als Beispiel für einen «evolutionären Humanisten» nennt Harari Adolf Hitler und als Beispiel für einen «sozialistischen Humanisten» Josef Stalin. (S. 349)

Im Klartext: Die Massenmörder Hitler und Stalin waren laut Harari «Humanisten», die den «Menschen anbeten» und die der Überzeugung sind, dass der «Homo sapiens über einen einzigartigen und heiligen Wesenskern verfügt».

Laut der «Amsterdam-Deklaration» der «Internationalen Humanistischen und Ethischen Union» (IHEU) ist der Humanismus unter anderem «ethisch und rational, unterstützt Demokratie und Menschenrechte, und besteht darauf, dass persönliche Freiheit mit sozialer Verantwortung kombiniert werden muss».

Babylonische Begriffsverwirrung

Wie zum Teufel ist es also möglich, dass Harari die blutigen Diktatoren Hitler und Stalin als «Humanisten» bezeichnet, für die der Mensch «einzigartig» und «heilig» ist? Wie kommt ausgerechnet ein Historiker angesichts der historischen Fakten (Konzentrationslager und Gulag) zu einem solchen Schluss?

Die Antwort ist einfach: Harari ist das Opfer seiner eigenen babylonischen Begriffsverwirrung geworden, indem er den Begriff des Humanismus nicht nur wie oben mit positiven Inhalten wie «einzigartig» und «heilig» füllt, sondern gleichzeitig auch mit negativen.

Damit Hitler und Stalin in seine «Humanismus»-Schablone passen, interpretiert er den Begriff «evolutionär» beziehungsweise die Evolutionstheorie im anachronistischen Sinne des Sozialdarwinismus, der das Recht des Stärkeren predigt:

«Der evolutionäre Humanismus (…), der selbst fest in Darwins Evolutionstheorie verwurzelt ist, behauptet, Konflikte seien zu begrüssen und nicht zu beklagen. Konflikte sind der Rohstoff der natürlichen Auslese, welche die Evolution vorantreibt. Manche Menschen sind anderen einfach überlegen, und wenn menschliche Erfahrungen aufeinanderprallen, sollten die stärksten Menschen sich gegenüber allen anderen durchsetzen. Die gleiche Logik, welche die Menschen zur Ausrottung wilder Wölfe und zur rücksichtslosen Ausbeutung domestizierter Schafe veranlasst, gebietet auch die Unterdrückung schwächerer Menschen durch stärkere. Es ist gut, dass Europäer Afrikaner unterwerfen (…).» (S. 343 f.)

Ein solcher «Humanismus» ist menschenverachtend und folglich das pure Gegenteil von Humanismus. Hararis «evolutionärer Humanismus» ist ein Widerspruch in sich selbst. Korrekterweise hätte Harari von einem «Inhumanismus» sprechen müssen. Dann wäre allerdings seine sonderbare Kategorisierung des Humanismus wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.

Charles Darwin war übrigens kein Sozialdarwinist, denn die Ideologie des Sozialdarwinismus widerspricht dem Menschen- und Weltbild Darwins, der sich gegen die Sklaverei und die Tierquälerei ausgesprochen sowie den gesellschaftlichen Wert von Altruismus, Kooperation und Solidarität betont hat (siehe dazu: Eve-Marie Engels (Hg): «Charles Darwin und seine Wirkung»).

Zudem steht Hararis sozialdarwinistische Interpretation des Begriffs «evolutionär» im krassen Gegensatz zur gängigen Verwendung in der Philosophie, beispielsweise in der evolutionären Erkenntnistheorie, der evolutionären Ethik oder im evolutionären Humanismus.

Lesen die Rezensenten die Bücher überhaupt?

Die Rezensenten der Schweizer Medien gingen grosszügig über die Begriffsverwirrung Hararis hinweg. Insgesamt 123 Einträge finden sich im Rückblick eines Jahres in der Schweizer Mediendatenbank (SMD) über Harari und sein Buch, aber kein einziger Eintrag erwähnt Hararis skandalöse Bezeichnung Hitlers und Stalins als «Humanisten».

Man muss sich tatsächlich fragen, ob die RezensentInnen die Bestseller überhaupt lesen oder ob sie bloss nachplappern, was andere vorgekaut haben.

Zudem ist die erwähnte Begriffsverwirrung im Buch keineswegs ein Einzelfall, wie die Ausführungen über den freien Willen, den Übermenschen, die Weltkriege als «humanistische Religionskriege», die «Heiligkeit des menschlichen Wesens», die Tatsachenbehauptungen («Gott existiert») sowie über Hunger, Krankheit und Krieg («unter Kontrolle») zeigen.

Zank unter evolutionären Humanisten

Pikanterweise wurde Hararis Buch sogar auf der Internetseite des «Humanistischen Pressedienstes» gelobt, zu dessen Trägerschaft die «Giordano-Bruno-Stiftung» gehört. Diese hat den evolutionären Humanismus im deutschsprachigen Raum geprägt, allerdings im krassen Gegensatz zu Hararis sozialdarwinistischer Interpretation.

Die Laudatio brachte den evolutionären Humanisten Michael Schmidt-Salomon dermassen auf die Palme, dass er in einem geharnischten Kommentar dem Lobredner aus den eigenen Reihen die Leviten las und Hararis Humanismus-Begriff zerpflückte.


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4 Meinungen

  • am 30.01.2018 um 14:56 Uhr
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    Schlimm, dieser Einbezug von Hitler in die Kategorie «Humanismus"!
    Trotzdem bleibt das Buch spannend und weit verknüpfend, ich bin froh, dass es existiert und last, but not least, wer Homo Deus überhaupt liest, scheint mir gegenüber Rassismus, Antisemitismus und Faschismus doch wohl eher immun, hoffentlich!

  • am 30.01.2018 um 18:19 Uhr
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    Dem Autor Harari geht es offensichtlich nicht um wissenschaftliche Information, sonder vielmehr darum, eine nicht-theistische Weltanschauung zu diskreditieren. Dass im Humanismus der Mensch sich selber zum Gott mache, ist eine blosse Behauptung, die davon ablenken soll, dass selbsternannte Propheten und «Gottesknechte» rücksichtslos über Menschen verfügen, angeblich im Namen und auf Befehl einer als Person verstandenen Gottheit. Der wahre Humanist ist sich seiner Verantwortung einer höheren Macht gegenüber wohl bewusst.

  • am 30.01.2018 um 23:45 Uhr
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    Hier geht es offensichtlich um Begriffspolitik, darum, wer den Begriff Humanismus für sich beanspruchen und besetzen kann. Eine kritische Verwendung des Begriffs scheint unerwünscht zu sein. Ob das Buch etwas taugt, kann ich deshalb aus dieser Besprechung nicht entnehmen. Wenn ein Humanismus das Gegenteil eines anderen ist, liegt das vielleicht an einer schwierigen Situation, die sich eben zunächst mal in widersprüchlichen und umstrittenen Begriffen manifestiert. Max Stirner hat den Humanismus von Feuerbach und Konsorten als (Pseudo-) Religion eingestuft und Marx damit so genervt, dass er darüber 500 Seiten schreiben musste und seine Philosophie danach eine andere war als vorher – ich finde, ein gewisser Erfolg. Auch in Heideggers Humanismusbrief oder in Merleau-Pontys «Humanismus und Terror» stecken bedenkenswerte Analysen, die von den Vertretern eines zur Ideologie gewordenen Humanismus schon aus begriffspolitischen Gründen gar nicht mehr wahrgenommen werden können. Aber danke für die Besprechung, hat mich neugierig gemacht auf das Buch!

  • am 5.02.2018 um 19:46 Uhr
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    Danke und bravo, Infosperber, noch erkennen wir sie, die Verdreher bester menschlicher Erkenntnisse. Zum Beispiel in Homo Deus!
    SRF hat in der Sternstunde Philosophie den Autor Yuval Noah Harari 2017 ja auch zu Wort kommen lassen. Der Moderatorin (und auch mir) war es nicht wohl in der Sendung.
    Nein, das Buch habe ich nicht gelesen, werde es auch nicht lesen, Frau Merkel hat es ja für mich getan und den Autor am WEF getroffen!
    Hitler und Stalin, Humanisten, erste «Homo Deus"? Selbsternannte Stellvertreter Gottes. Ich würde kommende Homo Dei nicht zuletzt am WEF vermuten, wo der Autor ja auch – nicht zufällig – auftrat. Homo Deus ein Bestseller! Humbug der kaum noch übertroffen werden kann. Noch haben es wenige gemerkt, wenige, noch! Hütet euch am Morgarten!

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