Sprachlupe: Typografische Tricks als Bedrohung
Es muss eine furchtbare Bedrohung sein: «Die Vervielfachung der orthografischen und syntaktischen Markierungen, die sie mit sich bringt, führt zu zergliederter Sprache mit zusammengewürfelter Ausdrucksweise und bewirkt eine Verwirrung, die an Unlesbarkeit grenzt.» Mehr noch, «angesichts dieser … Abwegigkeit schwebt die … Sprache fortan in Lebensgefahr, wofür unsere Nation ab heute den künftigen Generationen Rechenschaft schuldet». Auch wer noch nicht erraten hat, um welche Sprache es geht, merkt, dass sie eine Nation prägt, mit der kaum die Schweiz gemeint ist.
Diese Sprache gehört freilich auch zu unserem Land, und sie ist mit der «Abwegigkeit» hier nicht allein, sondern sogar eher im Rückstand. Es geht ums Französische, und den zitierten «Alarmruf» hat seine höchste Instanz, die Académie française, im vergangenen Oktober einstimmig erhoben. Und die «Abwegigkeit» (aberration) ist «eine ‹écriture inclusive›, die den Anspruch erhebt, sich als Norm aufzudrängen». Im Deutschen ist sie mit diesem Anspruch schon weiter fortgeschritten, denn es handelt sich um die «geschlechtergerechte Schreibweise», auch etwa «gegenderte» genannt – vom englischen «gender» für soziales oder auch grammatisches, nicht aber biologisches Geschlecht.
Paris und Wien bremsen
Im weiten Feld der «geschlechtergerechten Sprache» ist die Schreibweise nur eine Facette. Französischen Amtsstellen hat der Premierminister kurz nach dem Alarmruf der Akadémie Formen wie «tou·te·s» für «alle» verboten. Der hier verwendete Mediopunkt (·) ist im Deutschen ein Kennzeichen der Leichten Sprache und soll Leuten mit Leseschwäche das Verstehen von Wort·Verbindungen erleichtern; als Mittel zum Gendern ist er mir erst selten begegnet. Genderbewusste SchreiberInnen, Korrektor_innen oder Leser*innen bevorzugen die soeben gezeigten Schreibweisen. Diese sollen nicht nur Männer und Frauen, sondern oft auch geschlechtlich anders oder gar nicht Zuordnungswillige einschliessen, also «inkludieren». Die korrekte Aussprache der Zeichen wäre erst noch zu erfinden.
Auch in Österreich hat, wie die «Wiener Sprachblätter» berichten, eine Amtsstelle solche Schreibweisen abgelehnt: Die Volksanwaltschaft, eine Art Ombudsstelle, hat einer Beanstandung recht gegeben. Es ging um «die Verwendung des Binnen-I und ähnlicher Formen als Beurteilungskriterium an Schulen und Pädagogischen Hochschulen, weil sie in den Rechtschreiberegeln nicht vorgesehen sind. Vollständige Paarformen sind selbstverständlich zulässig.» Aber selbst diese Ausdrucksweise (und andere sprachlich ebenso wie gendermässig korrekte Formen) lückenlos und zwingend vorzuschreiben, widerspricht laut der hohen Amtsstelle dem «Recht jedes Bürgers, sich gemäss (Bundesverfassung) der deutschen Amtssprache zu bedienen».
Auch Männer nur mitgemeint
In der deutschen Sprache wird oft das «generische Maskulinum» verwendet, bei dem das grammatische Geschlecht nicht jenes der genannten Personen bedeutet, sondern alle umfasst. Bei der Feststellung, die Schweiz zähle gut acht Millionen Einwohner, wird kaum jemand auf die Idee kommen, man habe nur (eindeutig) männliche gezählt. Dennoch finden Sprachfeministen jeglichen Geschlechts, zwecks «Sichtbarmachung» müssten auch die Einwohnerinnen genannt oder mit typografischen Mitteln einbezogen werden – und zusätzlich jene, die sich sonst immer noch nicht mitgemeint fühlen oder fühlen wollen.
So kommt man rasch zur Unlesbarkeit. Mit Doppelnennungen, wo sie im Zusammenhang sinnvoll sind, oder mit neutralen Wendungen, wo sie zwanglos möglich sind, lässt sich die beklagte Dominanz männlicher Formen weitgehend vermeiden. Dass diese aber gar nie generisch, also für alle stehen dürfen, ist eine sprachfremde Forderung. Je konsequenter indessen «geschlechtergerechte» Formen verwendet werden, desto mehr könnte sich die Ansicht durchsetzen, wo das Maskulinum stehe, kämen immer nur Männer vor. Dann hätten die «Aktivist*innen» den Zustand herbeigeführt, den sie beklagen und bekämpfen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
Oder wie Suzette Sandoz sagen würde: wir wissen, was ein «pèlerin» ist, aber wie steht es mit der «pèlérine».
Im englischen ist diese Frage oft weniger stringent. Aber in Lawrence of Arabia musste ich feststellen, dass man sehr wohl zwischen einem he-camel und einer she-camel unterscheiden kann.
Zum Glück gibt es Sprachen, wie z.B. Swahili, wo es noch in par grammatikalische Genders zusätzlich gibt.
Wie steht es mit den Koseformen mit «das». Der Kind, die Kind oder das Kind. Immerhin ist klar, «der Mädchen» dürfte auch für Feministen nicht ganz richtig klingen. «Les damoiseaux» hingegen scheinen problemlos.
Lieber Daniel Goldstein: Darf ich mal auf einer ganz grundlegenden Ebene widersprechen?
– Frage 1: Ist es an uns Männern, dem Wunsch unserer Frauen (mit welchen Argumenten auch immer) zu widersprechen, dass wir sie sprachlich nicht mehr unterdrücken? Wäre es also nicht an unseren Frauen, für einmal uns Männern zu sagen, wie sie es haben möchten?
– Frage 2: Was wäre, wenn wir ab sofort immer die weibliche Form benutzen würden (statt wie in den letzten paar Tausend Jahren die männliche), um unser Defizit für eine ganze Weile zu kompensieren?
Kleiner Hinweis: Bis unsere Frauen sich dann zu diesem Thema abschliessend geäussert habe, werde ich unverdrossen ‹Einwohner*Innen› benutzen, im Sinn einer (vielleicht mühsamen, aber aus meiner Sicht angemessenen) Korrektur früheren Missbrauchs der männlichen Formen.
Aus meiner Optik wäre es klug, mal in eine andere Richtung zu denken als in jene, ob etwas ‹praktischer› sein könnte, was tatsächlich wirklich + nachprüfbar sexistisch war (ist) …
–
Lieber Herr Staudacher
Es ist Ihnen selbstverständlich unbenommen, Sternchen zu verwenden. So funktioniert ja Sprachentwicklung gerade, und – von der amtlichen Rechtschreibung abgesehen – auch Schreibentwicklung: Leute probieren etwas aus, und manches setzt sich durch. Aber es gibt da keinen Rechtsweg wie etwa eine Frauenbefragung. Auch die können Sie nur individuell oder in Gruppen durchführen, aber nicht «abschliessend» allgemeingültig. Vielleicht bekommen Sie dabei zu hören, das Anhängsel «-innen» sei diskriminierend, eben weil es ein Anhängsel ist. Ich hoffe, Sie finden wenigstens eine besser geniessbare Aussprache als manche Radiostimmen, die sich im Tempo der Packungsbeilagenverlesung an die «liebn Zuhörernn’n’Zuhörer» wenden.
Aus Ihrer Frage 2 spricht ein eher mechanisches Sprach- und Rechtsverständnis. Wenn Sie eine Korrektur anstreben wollen, schlage ich Ihnen vor, Personenbezeichnungen auf -er ins Neutrum zu setzen und die Endungen «erich» und «erin» zu verwenden, wenn Sie ein biologisches (oder soziales) Geschlecht angeben wollen.
Lieber Daniel Goldstein: Sorry, aber das ist kein gültiger Dialog.
– Ich widerspreche Ihnen inhaltlich, stelle 2 konkrete Fragen.
– Sie antworten formal, ohne auf den Inhalt einzutreten.
Ich meine meine Fragen durchaus ernst, Herr Goldstein.
– Wieso überlassen Sie unseren Frauen für einmal nicht das Vorrecht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln? (Ich erlebe ‹meine Frauen› als durchaus gross genug, sich um ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. Echt …)
– Wieso weichen Sie aus?
Das ist doch absurd.
Ich bin durchaus gross genug, um mich inkludiert zu fühlen, wenn von „den Schweizern“ die Rede ist.
Auch die Begrüssung „liebe Zuschauer“ schliesst mich keineswegs aus (wobei ‚liebe‘ manchmal schon). Statt irgendwann bei Mensch-In und Flüchtling-In zu landen, könnten wir doch mal ernsthaft versuchen, wirklich bestehende Diskriminierungen wie Lohndifferenzen etc zu eliminieren.
Oder wir führen die in den 80er Jahren kreierte „Feminispräch“ ein.
https://www.youtube.com/watch?v=T42FwIfuT0Q (Teil 1)
https://www.youtube.com/watch?v=uBa5qa0j7jo (Teil 2)
Dann könnten sich die Männer diskriminiert fühlen, bis wir irgendwann quitt wären.
Sie sprechen mir aus der Seele, Frau Benz. Man kann es wirklich übertreiben, was vermutlich eher kontraproduktiv wirken dürfte. Die Dinge zu komplizieren, hat wohl noch nie ein Problem gelöst.