Neurontin_Text_links

Swissmedic empfiehlt Neurontin gegen Nervenschmerzen © cc

Swissmedic denkt an Pharma, nicht an Patienten

Urs P. Gasche /  Die Behörde lässt fragwürdige Medikamente zu. Patienten tragen das Risiko. Doch niemand darf der Swissmedic in die Karten schauen.

Anhand von vier Beispielen zeigt Infosperber auf, dass Swissmedic weder die ÄrztInnen noch die ApothekerInnen noch die Öffentlichkeit darüber informiert, aufgrund welcher konkreter Abwägungen sie ein Medikament zugelassen hat. Das Risiko von Fehlentscheiden tragen allein Patientinnen und Patienten, aber sie haben kein Recht auf Information. Das neue Heilmittelgesetz ändert daran nur wenig. SVP-, FDP- und CVP-Politikerinnen und -Politiker gewichteten die Interessen der Pharmaindustrie höher ein als die Interessen der Ärzteschaft und der Patientinnen und Patienten.

Über das Medikament Folotyn hatte Infosperber berichtet («Teures unnützes Medikament für todkranke PatientInnen»). Auch fünf Jahre, nachdem die Zulassungsbehörde Swissmedic Folotyn zuliess, ist noch kein Nutzen dieses Medikamentes erwiesen: Weder eine Verlängerung des Lebens noch ein Stopp des Tumorwachstums noch eine Verbesserung der Lebensqualität in den letzten Wochen des Lebens.

Folotyn
In der Fachinformation der Swissmedic heisst es noch heute: «Ein Nutzen im progressionsfreien Überleben [des Tumors] oder des Gesamtüberlebens ist nicht belegt.» Von der Lebensqualität ist schon gar keine Rede.

Deshalb stellte Infosperber an die Swissmedic
folgende Frage:

  1. «Warum lässt Swissmedic Folotyn immer noch zu, obwohl auch fünf Jahre nach der Zulassung kein Nachweis für eine Lebensverlängerung oder für eine Hemmung des Tumorwachstums vorhanden ist?»

Antwort der Swissmedic:
«Die Indikation beruht auf der Ansprechrate». Wenn der Tumor einer Patientin oder eines Patienten auf Folotyn «anspricht», könne dies «ein sehr relevanter klinischer Nutzen sein».
Nachfragen von Infosperber:

  1. Wie kann eine Indikation [als Voraussetzung der Medikamentenabgabe] auf der Ansprechrate beruhen? Ob ein Patient anspricht, weiss man ja erst, nachdem die Behandlung eingesetzt hat.
  2. Ein Stopp des Tumorwachstums ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Trotzdem könnten einzelne PatientInnen auf Folotyn ansprechen. Ist das gemeint? Würde das als Nachweis eines Nutzens genügen, um ein Medikament zuzulassen?

Antwort Swissmedic:
Swissmedic ging auf die beiden Fragen nicht ein, sondern wiederholte: «Die Zulassung von Folotyn beruht auf der Ansprechrate.» Die behandelnde Fachperson müsse abklären, ob das Medikament «am individuellen Patienten wirksam in der Anwendung ist». Also ist vor der Abgabe von Folotyn keine Indikation nötig.
Die zweite Frage, ob ein solcher «Nachweis» genügt, um ein Medikament zuzulassen, beantwortete Swissmedic nicht.

«Wirkung» im Einzelfall darf für eine Zulassung nicht reichen

Wenn Swissmedic Medikamente ohne wissenschaftlich erwiesenen Nutzen zulässt, weil es in Einzelfällen eine Wirkung haben kann [könnte auch eine spontane Verbesserung ohne Medikament sein], dann könnte Swissmedic noch viele fragwürdige Medikamente zulassen. Wenn diese nicht «ansprechen», müssten sie die ÄrztInnen einfach absetzen.

Ob ein «Ansprechen» auf das abgegebene Medikament zurückzuführen war, bleibt eine Vermutung. Es gibt Tumore, bei denen auch ohne Medikamente spontan eine Wachstumspause eintritt oder der Tumor sogar schrumpft. Aus diesem Grund muss der Nutzen eines Medikamentes gemäss Gesetz und gemäss der Rechtssprechung des Bundesgerichts wissenschaftlich nachgewiesen sein.
Im Falle von Folotyn, das für ein sehr seltenes Erkrankungsbild eingesetzt wird, gewährt das Gesetz einen weniger strengen wissenschaftlichen Nachweis als für ein normales Medikament. Doch nicht einmal ein solch weniger strenger Nachweis ist im Fall von Folotyn vorhanden.
Aufgrund des Öffentlichkeitsgesetzes wollte Infosperber wissen, welche Firmenexperten die eingereichten Studien im Zulassungsprozess positiv beurteilt hatten. Erst nach einem fast fünfjährigen Rechtsstreit, der auch über das Bundesgericht führte, rückte die Swissmedic mit den Namen und beruflichen Lebensläufen dieser Firmenexperten heraus (siehe Infosperber: «Teures unnützes Medikament für todkranke Patienten»).

Lebenswichtige Entscheide hinter verschlossenen Türen

Die Zulassungsbehörde Swissmedic darf Medikamente nur zulassen, wenn die Pharmafirmen wissenschaftlich nachweisen, dass dessen Nutzen grösser ist als dessen Nebenwirkungen und Risiken. Nur dann gelten Medikamente gemäss Gesetz als «wirksam».
Diese für Patientinnen und Patienten lebenswichtigen Entscheide fällt Swissmedic hinter verschlossenen Türen. Aussenstehende dürfen ihr nicht in die Karten sehen. Auch Patienten- und Konsumentenorganisationen nicht. Nicht einmal die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Das zeigen folgende drei weiteren Beispiele.

Neurontin: Geschäfts- und Amtsgeheimnis

Das Epilepsie-Medikament (Generikum Gabapentin) ist seit 1995 kassenpflichtig. Bereits im Jahr 2000 stellte das «New England Medical Journal» fest, dass die Studienresultate, die der Hersteller Pfizer den Zulassungsbehörden eingereicht hatte, mit den Rohdaten der Studien nicht übereinstimmten. Vor allem der Nutzen von Neurontin/Gabapentin gegen Nervenschmerzen war nicht belegt. Auf die Frage, ob Swissmedic über sämtliche Rohdaten von Pfizer verfüge, antwortete die Behörde ausweichend: «Wir verfügen über alle Unterlagen, die im Rahmen eines Zulassungsgesuchs einzureichen sind.» Im Klartext: Swissmedic verfügt nicht über sämtliche Rohdaten, denn diese müssen nicht eingereicht werden.
Die USA haben Neurontin gegen Nervenschmerzen gar nie zugelassen. In der Schweiz ist der Neurologe Professor Christian Hess vom Inselspital überzeugt, dass Neurontin heute gegen Nervenschmerzen nicht mehr zugelassen würde.

Doch die Swissmedic erlaubt die Anwendung gegen «neuropathische Schmerzen» immer noch. Das geht aus dem Kompendium hervor.

Neurontin

Die Kassen müssen Neurontin weiterhin auch bei Nervenschmerzen vergüten. Warum hält die Swissmedic den Nutzen von Neurontin gegen Nervenschmerzen immer noch für gegeben?
Das will die Zulassungsbehörde nicht verraten. Dies sei «Geschäftsgeheimnis» und «zudem ein Amtsgeheimnis», hatte Swissmedic gegenüber der Sonntags-Zeitung erklärt.
«Fragen zu konkreten Bewertungskriterien können wir nicht beantworten.»
Punkt.
Auch aktuell gegenüber Infosperber geht Swissmedic auf ihre Bewertungskriterien nicht ein: «Swissmedic bewertet das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Indikation … im Moment positiv, weil der Wirkstoff in bestimmten Dosen gewissen Patientinnen und Patienten eine spürbare Schmerzlinderung bietet.» Damit ist wohl wieder eine unbestimmte «Ansprechrate» gemeint. Jedenfalls gibt Swissmedic für ihre Darstellung keine wissenschaftliche Studie an.

Nicht einmal Ärzte und Apotheker dürfen die Überlegungen der Swissmedic erfahren. Swissmedic beruft sich auf Artikel 61 und 62 des noch geltenden, alten Heilmittelgesetzes HMG. Artikel 61 auferlegt den Vollzugspersonen eine Schweigepflicht.
Artikel 62 stipuliert jedoch, dass «auf Grund dieses Gesetzes gesammelte Daten» nur dann als vertraulich zu behandeln sind, «wenn an deren Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse besteht».
Schützwürdig ist laut Swissmedic in solchen Fällen das geltend gemachte Geschäftsgeheimnis der Medikamenten-Hersteller.
Die Studien müssen von Dritten reproduzierbar sein, sonst sind sie nicht wissenschaftlich

Klinische Studien dürften auch laut Gesetz nicht als Geschäftsgeheimnisse gelten. Denn das Gesetz verlangt «wissenschaftliche» Studien. Studien sind jedoch nur wissenschaftlich, wenn deren Methoden überprüfbar – und die Studien selber reproduzierbar sind. Reproduzieren kann man sie jedoch nur, wenn sämtliche Daten der ersten Studie öffentlich zugänglich sind.
Die Swissmedic ignoriert diese wissenschaftliche Vorgabe und auch das öffentliche Interesse. Beides muss Vorrang haben, wenn es um Leben, Krankheit und Tod von Patientinnen und Patienten geht.

Abgesehen davon müssen die Patientinnen und Patienten die Medikamente zahlen. Neurontin kostete die Grundversicherung in den letzten sechs Jahren fast 20 Millionen Franken (hochgerechnet aufgrund von Zahlen der Helsana).

Gerd Antjes, Direktor von Cochrane, einem weltweiten Netz von Ärzten und Wissenschaftlern, fordert, dass alle Daten und Zulassungsunterlagen «rasch und in unverfälschter Form» zu Ärzten, Patienten, Behörden, Krankenkassen und politischen Entscheidungsträgern gelangen. Zu den Daten zählt er auch Informationen über Methoden und Details: «Man muss die oft tendenziös dargestellten Berichte unabhängig wissenschaftlich überprüfen können.» Von Ergebnissen der Studien und Zulassungen hänge schliesslich eines unserer höchsten Güter ab, nämlich unsere Gesundheit.

Tamiflu: Trotz halber Unterlagen zugelassen

Wie andere Gesundheitsbehörden hatte die Swissmedic Tamiflu als Influenza-Mittel zugelassen, ohne vom Pharmakonzern Roche alle Unterlagen verlangt, geschweige denn für den Zulassungsentscheid konsultiert zu haben. Die Zulassungsbehörden hatten die Beweise für den angeblich grossen Nutzen von Tamiflu und die angeblich geringen Nebenwirkungen nicht selber gesichtet, sondern sich mit unvollständigen Unterlagen des Pharmakonzerns begnügt. Das geht aus einer detaillierten Dokumentation hervor, die das British Medical Journal BMJ ins Internet gestellt hat. Roche hält wichtige Unterlagen zu Wirkungen und Nebenwirkungen bis heute unter Verschluss (siehe Infosperber).


Tamiflu
Vor sechs Jahren hatte die Swissmedic wahrheitswidrig erklärt, sie verfüge über «alle Unterlagen», namentlich auch über die Roche-Studien, die den behaupteten Nutzen bei Lungenentzündungen betreffen. Kontrollieren konnte dies niemand, da die Swissmedic diese Studien als «Geschäftsgeheimnis» unter dem Deckel hält. Erst Anfang 2013 räumte die Zulassungsbehörde ein, dass «tatsächlich der irreführende Eindruck entstehen konnte, Swissmedic verfüge über alle erwähnten Studien».
Regierungen in aller Welt haben für Tamiflu Milliarden ausgegeben. Sie bezahlten dieses Geld für das Versprechen, dass es ein Medikament ist, das den Anteil der Komplikationen der Grippe verringert und es zu weniger Spitaleinweisungen kommt. Heute zeigen die lange zurückgehaltenen Daten, dass Tamiflu lediglich die Dauer einer Grippe um ein paar Stunden verkürzt. Details im Beitrag «Ben Goldacre will wissen, was wirkt und was nicht» vom 9.6.2016» (nach unten scrollen zum Zwischentitel «Milliarden für Versprechen von Tamiflu»).

Edronax: Swissmedic will es besser wissen

Schon im Jahr 2009 hatte das deutsche «Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen» IQWiG festgestellt, dass der Pharmakonzern Pfizer den Zulassungsbehörden nur Studien mit 1600 Patienten zugänglich machte. Studien mit weiteren 3000 Patienten hielt Pfizer unter Verschluss. Deshalb kam das IQWiG damals zum Schluss, es könne den Nutzen und die Nebenwirkungen von Edronax (Wirkstoff Reboxetin) nicht beurteilen. Die Wirksamkeit sei wegen der unvollständigen Datenlage nicht bewiesen.
Im Jahr 2010 konnten Wissenschaftler des IQWiG die vorher unveröffentlichten Daten für das «British Medical Journal» BMJ auswerten. Die Bilanz war vernichtend: Edronax wirke nicht besser als ein Placebo. Den Patienten blieben nur die Nebenwirkungen. Edronax sei «insgesamt ein unwirksames und potenziell schädliches Antidepressivum». Die von Pfizer publizierten Daten über den Nutzen seien gewaltig übertrieben.
Die Beurteilung des IQWiG wörtlich: «According to a systematic review and meta-analysis by IQWiG, including unpublished data, published data on reboxetine overestimated the benefit of reboxetine versus placebo by up to 115% and reboxetine versus SSRIs by up to 23%, and also underestimated harm, concluding that reboxetine was an ineffective and potentially harmful antidepressant. The study also showed that nearly three quarters of the data on patients who took part in trials of reboxetine were not published by Pfizer until now. Conclusions Reboxetine is, overall, an ineffective and potentially harmful antidepressant. Published evidence is affected by publication bias, underlining the urgent need for mandatory publication of trial data.»


Edronax

Trotz krass unvollständiger Unterlagen hatte Swissmedic Edronax im Jahr 2000 zugelassen. Im Jahr 2001 wurde es kassenpflichtig.
Im gleichen Jahr verweigerte die US-Behörde FDA die Zulassung für Edronax, nachdem amerikanische und kanadische Studien keinen überzeugenden Wirksamkeitsnachweis erbracht hatten.

Die Swissmedic liess sich davon nicht beeindrucken. Sie passte die Fachinformation etwas an, setzte viele Patientinnen und Patienten jedoch weiterhin dem Risiko aus, ein unwirksames Medikament zu erhalten, das zu schweren Nebenwirkungen führen kann.
In der Fachinformation warnt Swissmedic u.a. vor «Selbstverletzungen», «Suizid und suizidalen Gedanken» und sogar vor einer «klinischen Verschlechterung».

Nur Schaden und kein Nutzen? Unterdessen hat die Zulassungsbehörde Swissmedic nach eigenen Angaben «die Indikationen eingeschränkt». Doch noch immer ist das fragwürdige Medikament zugelassen gegen «schwere depressive Episoden» (Swissmedic) oder – nach Pfizers Lesart – allgemein gegen «schwere Depressionen bei Erwachsenen».
An dieser allgemeiner formulierten Zweckbestimmung von Pfizer stört sich Swissmedic nicht: Pfizer habe die genehmigte Indikation lediglich «laienverständlich übersetzt». Solche Formulierungen für Laien seien «keine Therapieempfehlungen». Entscheidend sei, dass Edronax nur von «Ärztinnen und Ärzten mit Erfahrung in der Depressionsbehandlung» verschrieben werden dürfe.

Wiederum die Frage: Warum hält die Swissmedic den Nutzen von Edronax gegen schwere Depressionen immer noch für gegeben und sogar für grösser als die Nebenwirkungen dieses Medikaments?
Wiederum wollte es die Zulassungsbehörde nicht verraten. Sie verwies auf keine neuen Studien. Ihre Überlegungen seien «Geschäftsgeheimnis» und «zudem ein Amtsgeheimnis», hatte Swissmedic der Sonntags-Zeitung erklärt:
«Fragen zu konkreten Bewertungskriterien können wir nicht beantworten.»
Punkt.
Infosperber versuchte es nochmals und fragte Swissmedic:

«Warum hält Swissmedic – im Gegensatz zum IQWiG und dem BMJ – den Nutzen von Edronax gegen schwere depressive Episoden und schwere Depressionen immer noch für gegeben und für grösser als die Nebenwirkungen?»

Das «Warum» beantwortete Swissmedic wieder nicht, sondern wiederholte einfach:

«In der zugelassenen Indikation und bei bestimmungsgemässem Gebrauch liegt ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis vor.»

Die Kassen und die Patientinnen und Patienten müssen Edronax weiterhin zahlen. In den letzten sechs Jahren kostete es die Grundversicherung rund 1,6 Millionen Franken (hochgerechnet aufgrund von Zahlen der Helsana).

Kein Recht auf Information
Die vier Beispiele zeigen, dass Swissmedic weder die ÄrztInnen noch die ApothekerInnen noch die Öffentlichkeit darüber informiert, aufgrund welcher konkreter Abwägungen sie ein Medikament zugelassen hat. Das Risiko von Fehlentscheiden tragen allein Patientinnen und Patienten, aber sie haben kein Recht auf Information.
**************************************************

*************************************************


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20181028um16_43_59

Kontrolle dank Öffentlichkeitsgesetz

Bürgerinnen und Bürger müssen für Transparenz von Regierungen und Verwaltungen stets kämpfen.

Swissmedic

Swissmedic

Diese BAG-Behörde erlaubt alle Medikamente, deren Nutzen grösser ist als der Schaden. Zu viel läuft geheim.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

5 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 9.08.2018 um 10:44 Uhr
    Permalink

    Schöne Darstellung. Kann dem nur zustimmen. Zusammen mit dem Patentgesetz und dem Territorialitätsprinzip der Kassenvergütung hat der Staat es fertig gebracht, das Pharmakartell Réglementation/Sanphar, welches 2001 von der Weko verboten wurde, de facto und mit weitergreifender Wirksamkeit zum Schaden der Konsumenten und Prämienzahler zu ersetzen.

    Die pharmafreundliche Zulassungspraxis der Swissmedic hat Tradition. Zugelassen wird nicht was Wirkung in gesundheitsfördernder Weise zeigt, sondern alles, was nicht direkt der Gesundheit schadet. Und selbst dieses Prinzip wurde nicht immer respektiert, wobei die negativen Auswirkungen im Moment der Zulassung zugegebenermassen nicht immer so klar wie aus dem zeitlichen Rückblick sind.

    Dass Epilepsiepräparate seit Jahren v.a. in der (später nachgelieferten) Indikation Neuropathie angewendet werden war schon immer ein Ärgernis. Aber auch die Anwendung von Schizophrenieheilmitteln (Olanzapin) als simple Schlafpillen bleibt ein solches Ärgernis. Die flächendeckende nicht Kompendium-konforme Anwendung von Esomeprazol und noch schlimmer von Quetiapin sind weitere störende Beispiele einer pharmaorientierten Zulassungs- und Indikationspolitik.

    Da war die Tamiflugeschichte schon fast eine erfreuliche Episode in Pharma-Heimatschutz, da wenigstens die Nebenwirkungen beschränkt blieben.

    Gute Arbeit, weiter so. Das ist leider immer noch dringend notwendig. Zum Glück wird noch nicht alles, was zugelassen wird auch noch kassenpflichtig gemacht!

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 9.08.2018 um 11:43 Uhr
    Permalink

    "Swissmedic nicht in die Karten schauen». Vor ca. 8 oder 9 Jahren wurden dort 4 Chefbeamte entlassen, wohl, weil sie bei Überprüfungen, wie sie U.P. Gasche im Artikel zur Sprache bringt, offenbar allzu langsam «Dienst nach Vorschrift» gemäss dem klassischen Beamtenschema gemacht haben sollen. Einer dieser 4, ein naher Kollege von mir, starb relativ kurze Zeit darauf, hat sich von seiner Entlassung schwerlich erholt. Selbst wenn diese gerechtfertigt gewesen sein sollte, wurde aber über die Hintergründe nie ernsthaft recherchiert. Beim Thema Medizin stelle ich bei Info-Sperber einen im besten Sinn nichtideologischen kritisch überprüfenden Journalismus fest, eigentlich ein Beispiel auch für einige andere Sparten. Solchen Behörden müsste man stärker auf die Finger schauen!

  • am 9.08.2018 um 12:12 Uhr
    Permalink

    Dumme Frage: Ist das neu, dass Swissmedic an die Pharma denkt, nicht an Patienten?
    – Sorry, aber das war ’schon immer› so. Und das geht weit über die oben geschilderten Fälle hinaus.
    – Das Ziel unserer (bürgerlich geprägten) Politik war + ist es diesbezüglich, der Schweizer Pharma mit den (übersetzten) Schweizer Einnahmen die finanzielle Basis für ihr internationales Geschäft zu liefern. Auf dieser finanziellen Grundlage sollte sie international gross werden.

    Was mich wundert: Wieso macht unsere Pharma dieses Vorrecht auch heute immer noch geltend, da sie den Heimmarkt nicht mehr Existenz-begründend braucht?
    – Wie gierig muss man sein, das Sau-dumme Spiel weit über das zuträgliche Masse hinaus weiterzutreiben?
    – Wie abhängig von den Pharma-Spenden müssen unsere bürgerlichen Parteien sein, dass sie (nicht nur ihr, sondern auch anderen grossen Branchen in der Schweiz) solche Zugeständnisse gegen die Interessen ihrer Wähler*Innen machen?
    – Und wie doof sind wir Wähler*Innen, solche Parteien zu wählen + ihnen erst noch zuzugestehen, dass sie ihre Spender + Spenden nicht ausweisen müssen, wenn sie doch klar erkennbar eine neo-liberale Politik gegen unsere Interessen betreiben?

    Versteht Ihr das noch? Also ich längst nicht mehr, seit ich das Spiel durchschaue …

  • am 9.08.2018 um 15:51 Uhr
    Permalink

    Beim Lesen dieses zweifellos gut recherchierten Artikels kann einem Normalbürger schon der Blutdruck steigen. infosperber suggeriert bereits im Titel, dass Swissmedic die Interessen von Patienten und nicht die Interessen der Pharma zu vertreten habe.
    Hier liegt meines Erachtens das erste von zwei Hauptproblemen: 1. Swissmedic hat als Exekutivelement der Schweizer Regierung wenig Chancen, eine übernational agierende Pharmalobby unter Kontrolle zu halten, selbst wenn sie es wollte. Pharma strebt nach Gewinn, nicht nach Gesundheit!
    2. Der Trost vorab: Es gibt bisher kein Gesetz das vorschreibt, dass die Pharmaprodukte von «Patienten» konsumiert werden müssen. Aber: wer zu Arzt geht, verlässt hoch wahrscheinlich die Praxis mit einigen Medikamenten, die angeblich seiner Gesundheit dienen. Ob sie es tun weiss weder der Arzt noch der «Patient». Der Pharma dient der Konsum aber mit Sicherheit. Sterben müssen wir alle. Ob an den Folgen von Medikamentenkonsum oder natürlich, wie noch vor wenigen Jahren, muss und kann der «Patient» in vielen Fällen selbst entscheiden. Gesund sterben, das wäre der Tod der Pharmaindustrie.

  • am 9.08.2018 um 23:32 Uhr
    Permalink

    interessant wäre ergänzend zu erfahren, wer personell bei Swissmedic arbeitet, wie die Organisation strukturell aufgebaut ist, was die gesetzliche Grundlagen ihrer Arbeit ist, wie sie vernetzt ist, etc..

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...