Schweineherzen für Menschen: Novartis kleinlaut
Der frühere Novartis-Konzernchef Daniel Vasella wollte «Leben retten» und ortete gleichzeitig ein riesiges Marktpotenzial: «Wir müssen Organe herstellen für Tausende schwerstkranker Menschen, für die keine menschlichen Spenderorgane verfügbar sind.»
«Einige Millionen Menschen» im Visier
Deshalb hatte Novartis 1996 die britische Firma Imutran gekauft, welche Herzen und Nieren von Schweinen in Affen transplantierte. Das Hauptproblem solcher «Xenotransplantationen» bestand darin, dass die Primaten die fremden Organe entweder sofort oder nach wenigen Tagen abstiessen. Um die Erfolgsaussichten zu verbessern, wurde den Schweinen ein menschliches Gen eingeschleust.
Forscher der Imutran verkündeten schon 1995 einen «Durchbruch» bei der Verpflanzung von Schweineherzen in Menschenaffen. An einer Pressekonferenz prophezeiten Imutran-Forscher, sie würden bereits «innert eines Jahres» im Rahmen von klinischen Versuchen Schweineherzen in Menschen transplantieren. Eine Börsenstudie der Salomon Brothers schätzte das Transplantationspotenzial damals allein in den USA auf «vielleicht einige Millionen älterer, aber bis auf ein krankes Organ gesunde Menschen».
1,5 Milliarden Franken angekündigt
Das riesige Marktpotenzial wollte der Basler Pharmakonzern nicht den beiden US-Konkurrenten «Baxter Healthcare» und «US Surgical» überlassen. Deshalb kündigte Vasella an, anderthalb Milliarden Franken in die Xenotransplantations-Forschung zu stecken. Die darauf spezialisierte und führende britische Biotechfirma Imutran sollte Novartis den Erfolg bringen.
Fast alle grosse Medien berichteten zum Teil euphorisch über das enorme Potenzial von Tierorganen, welche bei Transplantationen menschliche Organentnahmen ersetzen oder ergänzen könnten.
Novartis will nicht mehr antworten
Wer heute auf der Homepage von Novartis nach Informationen über den Stand der Xenotransplantation sucht, erhält kein Resultat. Deshalb hat Infosperber dem Pharmakonzern folgende vier Fragen gestellt:
- Hat Novartis diese Investitionen realisiert?
- Wie viel Geld hat der Novartis-Konzern seither in diese Technologie investiert?
- Das Problem der Schweineviren scheint dank Gentechnologie gelöst. Wann sind erste Xenotransplantationen am Menschen geplant?
- Welches Potenzial sieht Novartis in dieser Technologie heute?
Die ersten beiden Fragen wollte der Konzern-Sprecher nicht beantworten: «Finanzielle Aspekte kommentieren wir nicht.» Es war allerdings Novartis selber, welche grossspurig die Investition von anderthalb Milliarden angekündigt hatte.
Die dritte Frage wollte oder konnte Novartis ebenfalls nicht beantworten.
Einzig zur Frage der Zukunft der Xenotransplantation meinte der Sprecher, das Engagement der Novartis in diese Technologie sei «ausgelaufen»: «Wir begrüssen aber die Bemühungen anderer Organisationen, Technologien zu entwickeln, mit denen ungedeckte medizinische Bedürfnisse von Patienten, wie zum Beispiel der Mangel an Organtransplantaten, angegangen werden können.»
Die Investition entpuppte sich als Flop
Die Novartis-Forschung hatte sich weitgehend als Flop entpuppt, denn die Affen überlebten durchschnittlich nur zwei Wochen. Mindestens sechs Monate sollten sie aber überleben, bevor an erste Versuche mit Menschen zu denken ist. 2001 wurde Imutran geschlossen.
Für ein äusserst dürftiges Resultat mussten viele der 424 Makakenaffen und 49 wild gefangene Paviane fürchterlich leiden und einen grausamen Tod erleben. Das geht aus Dutzenden von firmeninternen Protokollen und Dokumenten aus den Jahren 1996 bis 2000 hervor, die in die Hände der britischen Tierschutzorganisation «Uncaged Campaigns» geraten waren. Zwei Jahre lang hatte sich Novartis juristisch gegen eine Veröffentlichung gewehrt. Ebenso zugänglich wurden weitere «vertrauliche» Imutran-Dokumente, die aus dem britischen Innenministerium stammten.
«Es ist eine Schande, dass so viele Primaten für eine so schlecht fundierte Forschung so lange leiden mussten», kritisierte Dan Lyons, Direktor der Tierschutzorganisation «Uncaged Campaigns». Im Unterschied zu Tierversuchen an Mäusen und Ratten braucht es für Versuche an Affen normalerweise eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein grosser Nutzen für die Menschen resultiert und klinische Versuche mit Menschen kurz bevorstehen. Genau dies hatte Imutran versichert.
Novartis wollte sich zu den Argumenten nicht mehr äussern, mit denen Imutran die Affenversuche vor 1996 bewilligt bekam. Novartis selber habe nie so getan, als ob «Durchbrüche bevorstehen». Was man als «Erfolgsaussicht» deklariere, sei jedoch immer «Ermessenssache».
Die firmeninternen Dokumente zeigten gravierende Verstösse der Novartis-Tochter auf. So geht aus einem Schreiben des Innenministeriums hervor, dass Imutran für ein bestimmtes Experiment 16 zusätzliche Paviane benutzt hat, «ohne Kenntnis, geschweige denn Bewilligung des Ministeriums».
Insgesamt «sechs relevante Verstösse gegen geltende Vorschriften» gab Novartis zu und bedauerte diese «schweren Fehler». Von diesen Verstössen hätte die Öffentlichkeit ohne einen «Whistleblower» nie etwas erfahren. Novartis versprach dann, «alles in unserer Macht Stehende zu tun», um künftig solche Fehler zu vermeiden.
Vom guten Willen der Novartis-Tochter waren einige kritische Mitglieder des britischen «Ausschuss[es] für Tierversuche» nicht überzeugt. Sie warfen Imutran vor, Verstösse gegen Weisungen des Innenministeriums als «Kavaliersdelikt» zu betrachten und zeigten sich laut Protokoll «extrem besorgt», dass sich die Firma mit gleicher Nachlässigkeit um die Haltung und das Wohlergehen der Tiere sorgt.
Tatsächlich ging aus den Dokumenten hervor, dass manche Primaten ziemliche Qualen erleiden mussten und etliche bereits während des Transports nach Grossbritannien starben. Insgesamt starb jeder vierte der 473 Affen «aus technischen Gründen», meistens bei den chirurgischen Eingriffen. Bei einigen waren Überdosen von Anästhesiemitteln schuld, einer wurde irrtümlich tiefgefroren und andere starben wegen sofortigen Abstossens oder Nicht-Funktionierens des transplantierten Organs. Novartis sagte dazu, Operationen seien für manche Tiere «bedauerlicherweise mit bestimmten Risiken verbunden». Man dürfe jedoch nicht vergessen, dass «die Versuche zum Ziel hatten, menschliches Leiden zu lindern und Leben zu retten».
Nach dem Auffliegen dieser fragwürdigen Zustände verlegte Novartis die Xenotransplantations-Forschung von England in die USA, wo sie laut Novartis «in weit kleinerem Rahmen» fortgeführt werde. Der damalige Forschungschef Paul Herrling gab sich «nicht schrecklich optimistisch». Aber Novartis wolle «den Versuch nicht einfach aufgeben». Laut Novartis ging es weiterhin darum, die Überlebenszeiten bei Tieren zu «optimieren» und das Übertragen von fremden Viren auszuschliessen. Bevor diese Probleme gelöst sind, «können keine klinischen Versuche am Menschen beginnen». Novartis gestand damit indirekt ein, dass viel zu grosse Hoffnungen geweckt worden waren. Vor allem aufgrund dieser Hoffnungen hatten die britischen Behörden die Versuche mit mehreren Hundert Affen bewilligt.
Unterdessen hat Novartis die Forschung und Entwicklung der Xenotransplantations-Technologie nach Angaben des Konzernsprechers ganz aufgegeben.
Wieder von Hoffnung die Rede
Neuste Fortschritte in der Forschung mit Tierorganen hätten «das wichtigste Sicherheitsproblem der Xenotransplantation vom Tisch gefegt», schrieb die NZZ im letzten August. Sie bezog sich auf eine im Wissenschaftsmagazin «Science» veröffentlichte Studie. Die Zeit sei reif, die Xenotransplantation im Rahmen von klinischen Studien beim Menschen einzuführen, habe Jörg Seebach, Xenotransplantationsforscher am Universitätsspital Genf, erklärt. Es stünden jetzt gentechnisch veränderte Schweine ohne Retroviren, die vom Schwein auf den Menschen übertragen werden könnten, zur Verfügung. Markus Zimmermann, Theologe und Vizepräsident der Nationalen Ethikkommission, sehe keine grösseren Einwände gegen den Einsatz der Xenotransplantation beim Menschen – vorausgesetzt, die Behandlungstechnik sei ausgereift und sicher.
Anders der Verein zur Abschaffung der Tierversuche: Paviane seien keine Menschen. Die Versuche an diesen Primaten seien «für die Menschen weder zuverlässig noch aussagekräftig».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Keine Einwände zu haben «vorausgesetzt, die Behandlungstechnik sei ausgereift und sicher» ist ein Armutszeugnis für die Nationale Ethikkommission. Diese ist ja eine Fachkommission für den Bereich der Humanmedizin. Sie müsste sich schon eine eigene Meinung zu Ausgereiftheit und Sicherheit bilden, bevor sie sich äussert. Ein o.k. quasi unter der Annahme, dass die ganze Propaganda des Gesuchstellers der Wahrheit entspreche, ist eher ein schlechter Witz.
Ob Markus Zimmermann diese Aussage in dieser Form selbst gemacht hat, ist fraglich. Aus dem Zusammenhang zu schliessen, könnte es auch sein , dass es sich um ein Zitat durch Jörg Seebach, Uni Genf oder aus dem NZZ-Artikel vom letzten August handelt. Zu den beiden letzteren Quellen sind Vorbehalte angebracht. Eine Rückfrage bei Markus Zimmermann könnte sich lohnen.
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