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Fünf nach zwölf, na und? Weltuntergangsgespräch 2

Jürgmeier /  «Meiner Ansicht nach ist es das Schlechteste, gar nichts zu tun.» Gespräch mit Paul Parin

Red. Die Angst geht um. Auch in diesen Tagen. Die Angst, dass Kinder und Kindeskinder keine Zukunft mehr haben könnten. Die Angst vor Krieg und Vertreibung, ökologischen und ökonomischen Zusammenbrüchen, vor dem «Big Bang», wie das in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts genannt wurde. Die Angst vor Weltuntergängen war damals für «Infosperber»-Redaktor Jürgmeier Anlass für die Herausgabe des Buches «Fünf nach zwölf – na und? Sind wir die Endzeit-Generation?» (Nachtmaschine-Verlag, Basel). In dem Jahr, 1983, in dem dieser Sammelband erschien, trat Bundesrat Willy Ritschard zurück und starb kurz darauf, in Deutschland zogen die Grünen erstmals ins Parlament ein, Kanzler war Helmut Kohl, US-Präsident Ronald Reagan, sowjetischer Staats- und Parteichef Jurij Wladimirowitsch Andropow. Es war die Endphase des Kalten Krieges, noch trennte die Mauer Ost und West, ein südkoreanischer Jumbo-Jet wurde auf dem Flug von New York nach Seoul mittels russischer Raketen abgeschossen, US-amerikanische Elitetruppen besetzten die Karibikinsel Grenada, und der Stern blamierte sich mit der Veröffentlichung gefälschter Hitler-Tagebücher.

«Was halten Sie von den Prognosen, die besagen, dass die Lebensgrundlagen auf unserer Erde in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten durch Umweltzerstörung oder Krieg zerstört werden?» Mit dieser Frage eröffnete Jürgmeier 1983 eine Reihe von Gesprächen mit bekannten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen für dieses Buch. Wir veröffentlichen einen Teil von ihnen in loser Folge. Als Erinnerungen an die Zukunft.

Heute: Paul Parin. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war er als Psychoanalytiker der Freudschen Richtung in einer Privatpraxis tätig. Er war nie Mitglied einer politischen Partei, aber seit dem 16. Lebensjahr in antifaschistischen Bewegungen tätig, 1944/45 mit anderen freiwilligen Ärztehelfern der «Centrale Sanitaire Suisse» ein Jahr in der Jugoslawischen Befreiungsarmee (unter Tito) und hat sich, «wenn es mir nötig schien, an ‹fortschrittlichen› oder ‹linken› politischen Aktivitäten beteiligt. Bis zu seinem Tod im Jahre 2009 war er immer auch publizistisch tätig, u.a. «Die Weissen denken zu viel» (zusammen mit Goldy Parin-Matthey und Fritz Morgenthaler), «Fürchte Deinen Nächsten wie Dich selbst», «Der Widerspruch im Subjekt», «Untrügliche Zeichen von Veränderung: Jahre in Slowenien», «Lesereise 1955 – 2005».

Jürgmeier: Was halten Sie von den Prognosen, die besagen, diese Welt werde in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten an ökologischen oder kriegerischen Zerstörungen zugrunde gehen?

Paul Parin: Ich bin seit einigen Jahren davon überzeugt, dass diese Prognosen recht haben, soweit überhaupt historische Prognosen möglich sind, und zwar haben mich gerade die pessimistischen Prognosen überzeugt.
Im Sommer 1981 hat, zu meiner grössten Verwunderung, die Internationale Psychoanalytische Vereinigung – sonst eine höchst konservative Fachgesellschaft – eine Resolution angenommen, welche die Psychoanalytiker der ganzen Welt verpflichtet, die Menschen darüber aufzuklären, dass die Welt innerhalb der nächsten zehn Jahre mit 80% Wahrscheinlichkeit durch eine Atomkatastrophe zugrunde gehe, wenn nicht rechtzeitig eine genügende Aufklärung erfolge. Diese Resolution ist mit grosser Mehrheit angenommen worden, aber, schon die Schweizer Gesellschaft für Psychoanalyse hat sehr lange gezögert, dies ihren Mitgliedern mitzuteilen, obwohl es eine bindende Verpflichtung war.
Das ist ein Signal, wobei die Anmerkung «Wenn sich nicht etwas ändert» zu beachten ist. Da es sich um Psychologen handelt, haben sie gemeint: Das geschieht, wenn sich nicht die psychologische Einstellung der Leute ändert, wenn nicht die Menschen weltweit, und zwar nicht nur die Politiker, sondern auch die Völker sich dieser Gefahren bewusst werden. Es ist nicht gesagt worden, aber man meint natürlich, dass diese hohe Wahrscheinlichkeit geringer werden könnte, wenn man sich dieser Gefahren rechtzeitig bewusst würde.
Die Gefahr der Zerstörung scheint sehr wahrscheinlich, aber, es sind Veränderungen gewisser Faktoren möglich, so dass es allenfalls auch wieder anders kommen könnte.

«Dass die heutigen technischen Möglichkeiten eine physische
Zerstörung der Menschheit ermöglichen, scheint mir eindeutig.»

Es wird immer wieder gesagt, solche Weltuntergangsprophezeiungen hätte es immer schon gegeben, und die hätten sich nachträglich immer als Humbug herausgestellt. Würden Sie sagen, dass die gegenwärtigen Befürchtungen berechtigter sind?

Die Weltuntergangsbewegungen, die es gegeben hat, waren nie aus der Luft gegriffen. Zwar ist nie wörtlich der Untergang der Welt eingetroffen, aber, diese Katastrophenstimmungen waren immer verbunden mit schweren Krisen.
Die Geschichte spricht auf jeden Fall nicht dagegen, dass unsere Weltuntergangsstimmung nicht nur Ausdruck einer Krise ist, sondern zugleich ein sehr ernsthaftes Mahnmal, dass die gegenwärtige Krise in eine totale Zerstörung übergehen könnte. Dass die heutigen technischen Möglichkeiten eine physische Zerstörung der Menschheit ermöglichen, scheint mir eindeutig.

Es wird auch etwa gesagt, diese Krise sei eine typische Krankheit westlicher Intellektueller.

Die herrschenden Machtverhältnisse, die ökonomischen Verhältnisse, der «Sieg» der Naturwissenschaft und der Technik ist meines Wissens so umfassend, dass ich, wenn Sie mich nach anderen Ländern, z.B. Westafrika, fragen, sagen müsste: Die führenden Schichten jener Länder sind nicht nur machtmässig unserer Zivilisation unterworfen, sondern ideologisch so an die jeweils herrschende koloniale oder neokoloniale Macht angeschlossen, dass sie wahrscheinlich ein Ebenbild unserer Meinung bilden, ja, nicht nur ein Ebenbild, sondern eine völlige Übernahme unserer Mentalität und Klassenmentalität. Im Übrigen bestehen diese Befürchtungen nicht nur in einer kleinen Schicht, sondern wir können von einer sehr weitverbreiteten Grundstimmung sprechen, die sich beispielsweise auch in der Zürcher Jugendbewegung gezeigt hat.
Als Psychologe unterscheide ich zwischen zwei Arten von Angst – der Furcht und der Angst. Die Angst kommt von innen. Die Furcht ist ein Signal äusserer Bedrohung. Wenn man mit Leuten der Friedensbewegung oder der Jugendbewegung spricht, dann zeigt sich eine Furcht, die von recht viel Information genährt ist, und ich muss zum Schluss kommen, dass diese Furcht keine irrationale ist. Es ist ein sehr ungeschicktes Argument, zu sagen, diese jungen Leute hätten keinen Durchblick. Es ist eine psychologische Wahrheit, dass der Mensch in keinem späteren Lebensalter so offen für Wahrnehmungen und die Kombination wahrzunehmender Dinge in der Aussenwelt ist wie in der Adoleszenz, in der er eben noch nicht so festgelegt ist.

«Ich glaube also, dass sowohl diese Furcht nicht unsinnig
irrational ist, dass aber auch diese Hoffnungen nicht irrational sind.»

Mich selbst beschäftigt diese Perspektive immer wieder, mich würde interessieren wie Sie selbst damit umgehen – Stichwort Resignation?

Ich mache da – wie viele Menschen – eine Spaltung durch. Ich will das zuerst an einer historischen Erfahrung schildern. Ich habe in meiner Jugend das Heraufkommen des Nationalsozialismus erlebt. Im Jahre 1932, ich war 16-jährig, lebte ich in Graz, einer Stadt, in der es sehr viele Nazis gab. Damals wurde mir übrigens erst richtig bewusst, dass ich Jude bin. Und da habe ich diese Spaltung erstmals erlebt, da war einerseits diese starke Furcht, und andrerseits habe ich eine irrsinnige Aktivität dagegen entwickelt. Das war die beste Psychotherapie.
Heute bemerke ich bei mir selbst und bei einer breiten aufgeklärten Schicht eine ähnliche Spaltung. Einerseits kann man intellektuell diesen Prognosen durchaus folgen. Ich teile auch dieses Gefühl der Furcht, obwohl ich für mein eigenes Leben nicht mehr so viel zu befürchten habe, ich bin ohnehin gut alt geworden, habe aber doch Angst um das, was mir lieb ist an Menschen und an Kulturgütern. Aber, andrerseits werden auch Kräfte mobilisiert, und zwar politische Kräfte im allerweitesten Sinne.
Ich glaube, dass sich heute Gegenkräfte abzeichnen, welche die historische Perspektive allenfalls verändern könnten. Wenn ich undialektisch, wissenschaftlich-naturwissenschaftlich dächte, würde ich sagen: Wenn wir die heutigen Prämissen als Voraussetzungen nehmen, wenn wir die Prognosen ernst nehmen, dann ist in der Tat mit 80% Wahrscheinlichkeit ein weitgehender Untergang der Menschheit in den nächsten Jahren zu erwarten. Wenn wir die menschliche Natur, das Fliessende, und zwar auch in scheinbar erstarrten technischen und politischen Verhältnissen, berücksichtigen, dann glaube ich, dass gerade die Aktivität in solchen nicht resignierten Bewegungen die Möglichkeit mit sich bringt, dass sich diese unglücklichen Wahrscheinlichkeiten wieder verschieben. Ich glaube also, dass sowohl diese Furcht nicht unsinnig irrational ist, dass aber auch diese Hoffnungen nicht irrational sind. Es ist vorstellbar, dass die historische Bewegung weitergeht und vielleicht in einiger Zeit eine andere Konstellation entsteht, die neue Prognosen ermöglichen würde.
Ich habe das jetzt in intellektuellen Worten aufgelöst, aber, man kann aus der Beobachtung der Geschichte sagen, dass Verhältnisse nicht nur theoretisch veränderbar sind, sondern sich auch praktisch schneller ändern, als man merkt, wenn man direkt drin lebt, so dass ich glaube, dass das Prinzip Hoffnung durchaus Gültigkeit hat, weil – wie Marx es sagen würde – jedermann Geschichte macht, ohne es zu wissen. Der Faktor der psychologischen Mobilisierung ist nur einer unter vielen.

«Was soll man zuerst ändern, die Gesellschaft, dann wird sich der Mensch ändern, oder den Menschen, dann wird sich die Gesellschaft ändern?»

Es gibt ja verschiedene Bewegungen als Reaktion auf die heutige Situation, u.a. auch verschiedene neu-religiöse, okkulte oder extreme Psychobewegungen – handelt es sich dabei um reine Realitätsflucht oder allenfalls auch um eine Reaktion auf eine allzu rationalistische eindimensionale Gesellschaft und Linke?

Ich gebe zu, dass ich als Psychotherapeut todunglücklich bin, wenn ich einem Menschen helfen will und er hat sich in irgendeine Sekte eingekapselt; statt nachzudenken, meditiert er; statt zu meditieren, isst er immer weniger, bis er verhungert. Das ist natürlich individuell ein totaler Rückzug. Aber, ich glaube, in einer historischen Perspektive sind solche Rückzüge auch ein Zeichen, ein Symptom der Veränderung, der Veränderung der Lebenseinstellung, des Zusammenlebens, einer Veränderung des gesellschaftlichen Lebens, der menschlichen Verhältnisse, die sich jeweils nicht nur von oben, sondern auch von unten her manifestieren. Nicht nur die Machtapparate und Machtstrukturen ändern sich, sondern auch die Gegenkräfte. Ich glaube, dieser Psychoboom u.a., so ungünstig und gerade widerwärtig ich vieles daran finde, ist auch wieder ein Symptom der Reaktion auf diese von Ihnen genannte Eindimensionalität, das sind die Dinge, welche die bürgerliche Kultur, wie Mario Erdheim sagt, durch «gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit» zum Schweigen zu bringen versucht – menschliche Gefühle, Triebe, Impulse, Bedürfnisse.
In den Achtundsechzigerjahren hat man mich immer wieder um die Beantwortung einer Frage, die mir absurd scheint, gebeten: Was soll man zuerst ändern, die Gesellschaft, dann wird sich der Mensch ändern, oder den Menschen, dann wird sich die Gesellschaft ändern? Das ist eine Frage, auf die man nicht mit Ja oder Nein antworten kann, das sind einander bedingende Prozesse, man kann es auch dialektische Prozesse nennen. Ich habe den Eindruck, dass bei der Achtziger Bewegung eine innige Verquickung von Ändern der Verhältnisse und Ändern der eigenen Persönlichkeit stattgefunden hat, eine Verquickung, von der mit gutem Recht gesagt werden kann: Die wollten beides ändern.

Also eine späte Verwirklichung der Reichschen Theorie, die eine Verbindung von Sexualität und Politik verlangt?

Wilhelm Reich war einerseits ein genial begabter Mann und zugleich ein terrible simplificateur. Aber, ich glaube, er hat etwas Richtiges gesehen: Das eine geht nicht ohne das andere, und ich glaube, dass die heute immer stärker werdende Unterdrückung, gerade in der Industriegesellschaft, die Menschen zu einer Änderung ihres Lebens und damit auch ihres Bewusstseins zwingt. Da ist ein grundlegender Prozess in einem noch relativ bescheidenen Sektor der Bevölkerung in Gang gekommen, aber allzu bescheiden und eng würde ich diesen Sektor auch wieder nicht sehen, wenn Sie z.B. an die Friedensbewegung in der Bundesrepublik denken.

«Die Schweiz ist in Bezug auf Veränderungen
in einer besonders ungünstigen Lage.»

In der Schweiz haben wir ja eine grosse sogenannt schweigende Mehrheit, die sich allzu häufig gegen ihre eigenen Interessen schützend vor die Interessen der Mächtigen stellt – wie könnte diese breite Bevölkerung für die auch in ihrem Interesse liegende Veränderung mobilisiert werden?

Die Schweiz ist in Bezug auf Veränderungen in einer besonders ungünstigen Lage. Ich will nur zwei Faktoren nennen – den strukturellen und den ökonomischen.
Strukturell: Die Schweiz wird ja nicht von einem zentralen Machtapparat beherrscht, sondern von einem dichten Netzwerk verschiedenster Interessengruppen und -grüppchen, und ist auch im politischen Bereich föderalistisch organisiert, und dieses dichte Netzwerk ist strukturell im Prinzip konservativ. Deshalb ist es beispielsweise – ich weiss, es ist ein absurdes Beispiel, aber, ich glaube es stimmt eben doch – der nationalsozialistischen Bewegung in der Schweiz auch nie gelungen, sich als Massenbewegung durchzusetzen. Dieses Netzwerk ist heute noch dichter, und das steht strukturell solchen Veränderungen entgegen.
Das andere ist der ökonomische Faktor: Ich glaube, der hohe Lebensstandard der Schweiz, der durch die Ausbeutung der Dritten Welt durch die schweizerische Geld- und Exportwirtschaft gewährleistet wird, diese Teilnahme am Surplus, am Mehrwert anderer Völker, bei jedem einzelnen, spricht stark gegen eine Veränderung des gegenwärtigen Lebens. Ich wünsche niemandem einen schlechteren Lebensstandard, aber, ich glaube, die Schweiz ist in Bezug auf die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft tatsächlich in einer privilegierten Stellung. Man sieht immer wieder, dass die Unterprivilegierten vor den Privilegierten unzufrieden werden, und wir alle sind – verglichen mit unseren Nachbarn, und zwar nicht nur mit jenen in der Dritten Welt – privilegiert. Deshalb werden wohl Veränderungen in der Schweiz langsamer vor sich gehen als in anderen Ländern.

«Ich halte sehr viel von der Publizistik,
der Aufklärung im weitesten Sinn.»

Zurück zur zentralen Frage, zur Bedrohung unserer zukünftigen Lebensgrundlagen. Sie haben die «Psychoanalytische Gesellschaft» zitiert, die bekräftigt, dass sich etwas ändern müsse – aber, wie können diese Verhältnisse geändert werden?

Ich halte sehr viel von der Publizistik, der Aufklärung im weitesten Sinn. Wenn sich in den realen Verhältnissen heute etwas verändert, eine Gefahr anbahnt, dann hat das noch keinen Einfluss auf die Machtstrukturen, solange es nicht öffentlich bekannt wird, und deshalb glaube ich an die grosse Bedeutung der Information, der Medienpolitik und der Psychologie als wichtige Faktoren für die notwendigen Veränderungen.
Die Atomraketen, beispielsweise, liegen schon seit geraumer Zeit da, aber, die Friedensbewegung wurde erst ausgelöst, als publiziert wurde, wo diese Atomdinger liegen, die man sich eben vorher nicht vorstellen konnte, obwohl man wusste oder wissen konnte, wo sie sind. Das ist ein einfaches Beispiel dafür, dass politische Kräfte erst erwachen, wenn sich die Leute die Bedrohung vorstellen können.
Insbesondere in solchen starr scheinenden, aber sehr labilen Verhältnissen wie den heutigen scheint mir der informativ-psychologische Aspekt eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Ich glaube, dass sowohl die POCH [Progressive Organisationen der Schweiz, linke Partei, 1968 – 1993], also parlamentarische Parteien, als auch transparlamentarische Bewegungen wie die Friedensbewegung, Bürgerinitiativen, grüne Bewegungen – sofern sie nicht in einem stummen Stadium sind, in dem sie sich scheinbar ganz zurückziehen – doch einen wesentlichen Einfluss ausüben können. Ich halte selbst eine so bescheidene Gründung wie die Wochenzeitung nicht nur für ein interessantes Symptom, sondern durchaus auch für wirksam.

«Ich glaube, dass die Mächtigen unter
‹stresshaften› Verhältnissen irrational handeln.»

Aber, Sie würden auch nicht annehmen, dass die Mächtigen mit publizistischen und psychologischen Ansätzen in ihrer Persönlichkeit so weit erschüttert werden könnten, dass sie ihre Macht freiwillig abgeben und von ihrem zerstörerischen Tun abkehren würden?

Als Psychoanalytiker muss ich Ihnen leider recht geben. Man kann zwar von Hitler in seinem Bunker sagen, er sei ein Narr, ein Geisteskranker gewesen, aber, obwohl er sicherlich eine sehr besondere Einzelpersönlichkeit gewesen ist, würde ich denselben Irrsinn als Wirkung von Machtpositionen schlechthin unbesehen einer grossen Mehrzahl von Machthabern zuschreiben, wenn sie in die entsprechende Lage kommen, und zwar unabhängig von ihrer Intelligenz. Ich weiss, es gibt Machthaber, die offensichtlich unintelligent sind, wie Reagan, und es gibt solche, die offensichtlich intelligent sind, wie Helmut Schmidt, das ist zwar ein nicht unwichtiger Faktor, aber kein ausschlaggebender. Ich glaube nach allem, was man aus der Biografie und dem Tun in menschlichen Machtpositionen sieht, dass die Mächtigen unter bestimmten Verhältnissen, mit einem Modewort unter «stresshaften» Verhältnissen, irrational handeln.

D.h. aber auch, dass jene, die eine echte Veränderung anstreben, sich vor der Berührung mit der Macht hüten müssen?

Das ist meiner Ansicht nach eine Frage der Taktik und der Strategie. Vielleicht kann ich meinem Gegner besser beikommen, wenn ich mit ihm an einem Tisch sitze, vielleicht, wenn ich draussen bleibe und ihm eine Scheibe einschlage oder vielleicht nur, wenn ich sein Haus in die Luft sprenge. Bei der weltweiten Verkettung und Verfilzung der Machtapparate halte ich vom Sprengen am allerwenigsten. Ich finde die Taktik der Grünen, die ins Hamburger Stadt- und Bundesparlament eingezogen sind, gar nicht unsinnig. Wenn noch eine Anzahl sozialdemokratischer Politiker und Machthaber wie der Herr Dohnany sich auf diese Weise wochenlang mit den Grünen auseinandersetzen müssen und dabei ebenso viel oder wenig Erfolg haben wie er, dann hat sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in ihrer Führungsspitze und ihrer Gefolgschaft verändert, oder sie ist zumindest auf dem Weg dazu, sich zu verändern. Da sind die verschiedensten Taktiken möglich. Meiner Ansicht nach ist es das Schlechteste, gar nichts zu tun.


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Eine Meinung zu

  • am 4.01.2018 um 17:28 Uhr
    Permalink

    Ich gehe damit einig, dass die Tatsachen so beängstigend, dass man sagen kann, wenn nicht Gegensteuer gegeben wird, wird ein Zusammenbruch geschehen.
    Was muss unternommen werden?

    1. Gegen die atomaren Gefahr:

    Kern der Religionen

    „Was du nicht willst, dass man dir tu,
    Das füg’ auch keinem andern zu.“
    Die hohe Weisheit uns’rer Alten
    In jedem Glauben ist enthalten.

    Würd’ ehrlich man sich stets bestreben,
    Nach dieser Weisheit auch zu leben
    Und alles Trennende weglassen,
    Vorbei wär’ es mit Zank und Hassen.

    Ich hoff’ die Einsicht sei nicht fern,
    Dass jeder strebt nach diesem Kern.

    2. Gegen die Überbelastung der Natur:

    Gute Zukunft winkt

    Maschine auf Überlast
    Funken fliegen
    Kollaps droht
    Überlast muss weg

    Rauch filtern
    Späne wegputzen
    Kein Nutzen
    Überlast muss weg

    Natur auf Überlast
    Artensterben
    Kollaps droht
    Überlast muss weg

    Umwelt-Pflästerchen *1)
    Schutzprogramme
    Naturreservate
    Überlast steigt weiter

    Rio-Versprechen halten *2)
    Regierungsbeschluss
    Für jährliche Senkungsrate
    Überlast sinkt
    Gute Zukunft winkt

    Markus Zimmermann-Scheifele
    6047 Kastanienbaum, 26.2.2011

    *1) Viele Umweltschutzorganisationen und auch Behörden haben gute Projekte, die durchaus etwas bringen und ihre Berechtigung haben, aber fast keinen Effekt Richtung Entlastung der Natur haben,
    *2) Projekte und Entwicklungen, die wirklich Entlastung der Natur bringen, werden vielfach durch den Reboundeffekt und/oder durch Bevölkerungsvermehrung weitgehend zunichte gemacht.

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