Dem Schweizer Medien–Eintopf ein Schritt näher
Kaum zu glauben: Am Samstag, 2. Dezember 2017, brachte Infosperber den Artikel «Schweizer Medien-Horror-Szenario in Sichtweite», in dem drei Bewegungen in den Besitzverhältnissen der Schweizer Medien prognostiziert wurden. Nur gerade fünf Tage später ging die erste dieser Prophezeiungen bereits «in Erfüllung» – leider. Die NZZ und der Verleger der AZ Medien Gruppe gründen eine neue Firma, ein sogenanntes 50/50-Joint Venture, und bringen alle ihre Regionalzeitungen mit ein. Aus Aarau sind das die Aargauer Zeitung, die Solothurner Zeitung, die Basellandschaftliche Zeitung und einige weitere sogenannte Kopfblätter (gleicher Mantelteil, verschiedene Regionalteile). Und natürlich auch die Schweiz am Wochenende, das Fusionsprodukt aus den Samstagausgaben und der Schweiz am Sonntag. Von Seite der NZZ sind das die Luzerner Zeitung und das St. Galler Tagblatt, beide ebenfalls mit etlichen Kopfblättern. Dazu kommen auch die regionalen (nicht-konzessionierten) Radio- und TV-Stationen der beiden Medienhäuser sowie die Zeitschriften der AZ und die Druckereien. Nicht dazu kommen auf Wanner-Seite die Infoplattform Watson und auf NZZ-Seite die Neue Zürcher Zeitung selbst und die NZZ am Sonntag.
An der Medienkonferenz am Donnerstag legte Verleger Peter Wanner besonderen Wert darauf, dass die Regionen ihre eigenen Regionalteile behalten werden, musste aber einräumen, dass natürlich ein gemeinsamer Mantel angestrebt werde. Etienne Jornod, Verwaltungsratspräsident der NZZ-Mediengruppe, sagte gemäss der NZZ seinerseits wörtlich: «Die AZ-Medien und die NZZ-Regionalmedien legen beide ihren strategischen Fokus auf die Publizistik und sind einer liberalen Grundhaltung verpflichtet. Gemeinsam können wir unsere Reichweite erhöhen und Grössenvorteile erzielen.»
Pikantes Detail: Während die AZ den Deal am Freitag als Aufmacher auf die Frontseite ihrer Zeitungen setzte – Headline: «Wir schreiben Geschichte: AZ und NZZ gehen zusammen» – versteckte die NZZ das Gleiche auf Seite 27 im Wirtschaftsteil. Damit hat der NZZ-VRP einmal mehr gezeigt, wie er tickt: Er sagt «Wir legen den strategischen Fokus auf die Publizistik», stuft so eine medienpolitisch für die ganze Schweiz äusserst brisante Umwälzung aber gerade mal als Neben-Thema für das Ressort Wirtschaft ein. Und was er unter «liberal» versteht, wissen wir spätestens, seit er den Chefredaktor der Basler Zeitung, den Blocher-Adlaten Markus Somm, zum Chefredaktor der NZZ machen wollte und erst aufgrund massiver Proteste aus der Leserschaft davon absehen musste – um dann den jetzigen Chefredaktor der NZZ, Eric Gujer, einzusetzen, der ohne Umschweife seinerseits bestätigte, dass die NZZ einen neoliberalen Kurs fahre – fahren wolle.
Frontseiten-Aufmacher der AZ am Freitag, 8. Dezember 2017
Zur künftigen Zusammensetzung der Redaktionen gab es an der Medienkonferenz wenig Präzises. Pascal Hollenstein aus dem Hause NZZ wird publizistischer Leiter des neuen Unternehmens, Patrik Müller bleibt Chefredaktor der bisherigen Blätter aus dem Hause Wanner. Man darf dreimal raten, wer dann einmal Chefredaktor des künftigen gemeinsamen Mantels wird …
«Insgesamt wird das Joint Venture über 80 Medienmarken verfügen. Dazu zählen Bezahlzeitungen, Anzeiger, Zeitschriften, Onlineplattformen sowie Radios und TV-Sender. Aus konzessionsrechtlichen Gründen verbleiben die Regional-Radios Argovia, Radio 24, FM1 sowie Pilatus und die TV-Stationen Tele M1, Tele Bärn, Tele 1 und TVO vorerst bei den Muttergesellschaften.» Das vermeldete die AZ am Freitag.
Fazit des Zusammenschlusses AZ/NZZ: Es ist zu erwarten, dass innert Kürze alle Regionalzeitungen der NZZ und der AZ den gleichen Inland-/Ausland-/Wirtschaft- und Sport-Mantel haben, und dass dieser vom SVP-nahen Chefredaktor aus dem Hause Wanner, Patrik Müller, redaktionell verantwortet wird. Das Schweizer Terrain der Medien unter politischer FDP-SVP-Dominanz wächst kontinuierlich an.
Zum Artikel vom 2. Dezember und den dortigen Prophezeiungen:
Christoph Blocher, der Lehrmeister der Nation
Schweizer Medien-Horror-Szenario in Sichtweite
Gibt es bald nur noch drei Medien-Gruppen? Undenkbar ist das nicht mehr. Noch sind es Gerüchte, doch wo Rauch ist, ist auch Feuer.
Über 300 Zeitungen und Anzeiger gab es damals, in den 1960er und frühen 1970er Jahren, als die Schweiz noch knapp 6 und noch keine 8 Millionen Einwohner hatte. Selbst in kleinen Städten gab es mehr als eine Zeitung. Oft waren es Parteiblätter, freisinnige, katholisch-konservative, sozialdemokratische. Und viele Verleger waren besorgt. Sie beklagten sich, dass «noch bis vor kurzem» eine Druckauflage von 10’000 Exemplaren für ein Überleben genug gewesen waren, dass aber neuste Berechnungen davon ausgingen, dass es eine Auflage von 35’000 Exemplaren brauche, um sicher in die Zukunft zu gehen.
Der dominierende Player, wenn auch mehr hinter den Kulissen, war damals die Publicitas, die bei den meisten Zeitungen für den Inserate-Verkauf zuständig war, den Verlegern etwa beim notwendig gewordenen Kauf einer neuen Druckmaschine ein Darlehen gab und damit die Branche in ihre Abhängigkeit brachte. Und die, nebenbei bemerkt, schon damals eine Filial-Niederlassung in Panama hatte. Die Verleger waren vor allem publizistisch interessiert und engagiert, die «P» aber, wie sie genannt wurde, hatte das wirtschaftliche Know-how.
Aber bereits damals gab es jedes Jahr weniger Zeitungen. Manche gingen einfach ein, andere fusionierten. Der ganz grosse Schock, damals, 1977, war die durch die «P» eingefädelte Fusion der liberal-konservativen Basler Nachrichten und der linksliberalen National-Zeitung zur neuen Basler Zeitung. Basel mit nur noch einer Zeitung! Eine Katastrophe!
Szenenwechsel: Von der Vergangenheit in die Gegenwart
Die Publicitas ist längst weg vom Fenster. Sie wurde von ihrer Muttergesellschaft Publigroupe an das auf Sanierungen spezialisierte deutsche Unternehmen Aurelius verkauft, das wiederum im Umfeld von «Heuschrecken» bekannt ist. Die Aurelius ihrerseits verkaufte die Publicitas vor Jahresfrist ans Management. Die einstmals mächtige «P» hat nur noch wenige kleine Blätter als Pachtkunden und hat auch im Jahr 2017 weitere verloren. In der Branche ist von «stockenden Zahlungseingängen» die Rede und eben hat die Publicitas die verbliebene Rechnungs-Administration nach Bratislava, der Hauptstadt Slowakiens, verlegt. Nur eine Sparmassnahme?
Die verbliebenen namhaften Zeitungsverlage in der Deutschschweiz kann man an den Fingern unserer beiden Hände abzählen: Ringier in Zürich (u.a. mit Blick, SonntagsBlick, Blick am Abend), Tamedia in Zürich (u.a. mit TagesAnzeiger, Berner Zeitung, SonntagsZeitung), NZZ in Zürich (u.a. mit NZZ, NZZ am Sonntag, St.Galler Tagblatt, Luzerner Zeitung), AZ Medien Gruppe in Aarau (u.a. mit azNordwestschweiz und Schweiz am Wochenende), Somedia in Chur (u.a. mit der Südostschweiz), BaZ Holding bis jetzt in Basel (u.a. mit Basler Zeitung und neu mit vielen regionalen Anzeigern), Bieler Tagblatt AG in Biel (u.a. mit Bieler Tagblatt und Journal du Jura) und schliesslich die Meier & Cie in Schaffhausen (u.a. mit Schaffhauser Nachrichten). Dass man als Leser damit noch ausreichend Auswahl habe, ist allerdings schon heute nicht mehr zutreffend, da viele der Zeitungen in ihrem eigenen Einzugsgebiet so ziemlich das Monopol haben – und auch nur deshalb noch existieren.
Szenenwechsel: hinter verschlossenen Türen
Die Werbeumsätze sind nach wie vor stark rückläufig. Überall ist Sparen angesagt. Die Redaktionen verschiedener Blätter werden zentralisiert und redimensioniert. Wird es weitere Fusionen geben? Ja, mit Sicherheit. Wer aber mit wem? «Alle reden mit allen» ist die Standard-Antwort auf konkrete Fragen an die Verleger oder ihre Sprecher.
Einigermassen sicher ist:
Szenenwechsel: morgen
In Sicht ist – so geschätzt für 2020 bis 2022 – ein Horrorszenario:
Ein Horrorszenario? Ja! Nicht nur, weil es dann nur noch gerade drei Medien-Gruppen gibt. Man denke vor allem auch an deren politische Ausrichtung:
Szenenwechsel – und Vorhang: die Hoffnung
Vor allem in Ostmittel- und Osteuropa ist es in den letzten Jahren zur Norm geworden, dass die grossen Medien – nicht nur die Zeitungen, auch die Radio- und Fernsehstationen – einzelnen Oligarchen gehören. Die Medien dienen den Oligarchen zur Stärkung und Absicherung ihrer Macht. Aber auch in den USA geht der Trend in diese Richtung. Eben ist der Time-Verlag mit dem weltbekannten Time Magazine vom Medienhaus Meredith übernommen worden, hinter dem seinerseits die Gebrüder Koch als Geldgeber stehen. Die Gebrüder David und Charles Koch stehen auf der Liste der reichsten Reichen dieser Welt auf Position 8 – mit zusammen rund 100 Milliarden US-Dollar Vermögen. Sie gehören zu den prominentesten Unterstützern der libertären Tea Party, am rechten Rand der Republikaner.
Oder auch in Israel: Die Gratiszeitung Israel HaYom, die 35 Prozent der israelischen Bevölkerung erreicht und damit die meistgelesene Zeitung Israels ist, gehört dem US-amerikanischen Multimilliardär Sheldon Adelson, der im Jahr 2007 auch ihr Gründer war. Sheldon Adelson, ein persönlicher Freund von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, ist mit einem im Immobilien-Sektor von Las Vegas «verdienten» Vermögen von 37 Milliarden Dollar auf der Forbes-Liste der reichsten Reichen der Welt (2017) auf Platz 20. In den USA unterstützt er die Republikaner.
Wird es also auch in der Schweiz so weitergehen?
Ja, es ist zu befürchten, zumal auch die SP (im Hinblick auf die Vollgeld-Initiative) statt Reformen gutzuheissen gerade diese Woche wieder beschlossen hat, den «systemrelevanten» Banken, sprich: den Grossbanken, zu hofieren – in Anbetracht eines Zürcher SP-Ständerats, der in Bern direkt die Interessen des Bankenverbandes vertritt, eigentlich ja auch keine Überraschung mehr. Und die ihre neuste Sammelaktion bei bisherigen Gönnern und Sympathisanten der SP unter dem Motto «Nationaler Zusammenhalt» führt. Wo ist da noch die Differenz zur SVP?
Die Hoffnung stirbt zuletzt, heisst es. Der Autor dieser düsteren Prognose hat vor allem eine Hoffnung: dass er endlich einmal völlig danebenliegt und wenigstens diesmal nicht recht bekommt. In fünf Jahren wissen wir es.
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* Patrik Müller, Superchefredaktor der heutigen AZ Medien, schreibt in seinem neusten Kommentar in der Schweiz am Wochenende vom 25. November 2017 zu den Städten, die (noch) von links-grünen Mehrheiten regiert werden, als Fazit und Schlusssatz wörtlich: «Angesichts der zunehmend weltfremden Ideen der Stadt-Ideologen ist nicht auszuschliessen, dass der Weg, der nach Utopia führen soll, in Absurdistan endet.» Einäugiger geht’s wohl kaum mehr.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war 25 Jahre lang Journalist, zuletzt Chefredaktor der Luzerner Neusten Nachrichten, und 20 Jahre lang Verlagsmanager, zuletzt CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe Solothurn, die 2009 an die AZ Medien Gruppe verkauft wurde. Es gibt keine Interessen-Kollisionen.
Auch wenn ich die Entwicklung nicht so schwarz sehe: Dass die Presselandschaft zunehmend ausgedünnt wird, ist angesichts der Einnahmenentwicklung unvermeidlich. Dass linke Positionen im Bereich der Tagespresse keine Heimat mehr haben, ist allerdings seit über 20 Jahren Tatsache. Viel gravierender ist aber die drohende Abschaffung der Gebühren für TV und Radio. Entweder gibt es dann noch eine Rumpf-SRG die sich aus dem gleichen Werbekuchen finanzieren müsste wie die aktuellen Privatsender. Das würde dann zu einer Radiolandschaft wie vor dem Start von Radio 24 führen und im TV-Markt die noch bestehenden Regionalprogramme mit ihren (bescheidenen) Informationsleistungen ganz an die Wand drücken. Viel wahrscheinlicher ist aber der völlige Wegfall von einheimischen Informationssendungen in Radio und TV – für die Schweiz ein absoluter Super-GAU.
Vielleicht traeumt ja Blocher davon die SRG nach einer allenfalls siegreichen NO Billag iniziative durch die Blocher tv mit nur noch seinen informationssendungen zu ersetzen?
Den neoliberalen FDP-SVP-Medieneintopf boykottiere ich seit über 15 Jahren.