Der Wachstumswahn schlägt die Energietechnik
Die Energiewende findet statt. Auch global. Und jetzt auch in den Papieren der Internationalen Energieagentur (IEA). Das zeigt der neuste Weltenergie-Ausblick (WEO), den die IEA am Dienstag dieser Woche veröffentlichte und die meisten Schweizer Medien ignorierten. Im Zentrum des WEO 2017 steht nicht mehr ein Referenzszenario, das die Entwicklung «Weiter wie bisher» abbildet, sondern das Szenario «Neue Politik». Dieses geht davon aus, dass alle Staaten alle politischen und technischen Massnahmen umsetzen werden, die sie an der Klimakonferenz von 2015 in Paris ankündeten – ohne sich aber verbindlich darauf zu verpflichten.
Prognosen, basierend auf der «Neuen Politik»
Gegenüber der trendmässigen Entwicklung erwartet das IEA-Szenario «Neue Politik» im Zeitraum von 2016 bis 2040 folgende «grossen Veränderungen»:
o Die Steigerung der Energieeffizienz halbiert die Zunahme des globalen Energiekonsums gegenüber der politisch unbeeinflussten Entwicklung. So werde der globale Energiekonsum bis 2040 insgesamt «nur» noch um 30 Prozent zunehmen.
o Der Konsumanteil von Endenergie verlagert sich zwar deutlich, weg von ölhaltigen Brenn- und Treibstoffen, hin zur Elektrizität. Die IEA führt das auf die starke Zunahme von Elektrogeräten, Elektroheizungen und Elektrofahrzeugen zurück. So werde die Zahl der Elektroautos von heute 2 Millionen auf 280 Millionen anschwellen (plus 14 000 %). Prozentual viel weniger, absolut aber stärker wird sich auch die mit Öl- und Gastreibstoffen angetriebene Mobilität vermehren. Denn die IEA geht davon aus, dass sich der weltweite Autobestand bis 2040 auf zwei Milliarden verdoppeln und auch der Flug- und Schiffsverkehr stark wachsen werden. Aus diesen Gründen rechnet die IEA mit einer weiteren Zunahme des Erdöl-Verbrauchs.
o Innerhalb der massiv steigenden Elektrizitätsproduktion (plus 60 % bis 2040) erwartet die IEA ebenfalls eine deutliche Verlagerung, weg von der Kohle, hin zur Nutzung der Wind- und der Solarenergie, gefördert durch eine weitere Verbilligung der Fotovoltaik. Um die Schwankungen der solaren Stromproduktion auszugleichen, setzt die IEA auch auf eine starke Zunahme der Gaskraftwerke.
o Obwohl der Anteil der erneuerbaren Energie sowohl in der Elektrizitätserzeugung als auch insgesamt überdurchschnittlich steigt, werde der Verbrauch aller fossilen Primärenergieträger bis 2040 ebenfalls weiter wachsen, prophezeit die IEA. Bei Kohle rechnet sie mit einer geringen, bei Erdöl einer mittleren und bei Erdgas mit einer starken Zunahme.
Wandel der Energieverbrauch-Zunahme nach Energieträger
(Grafik: OECD/IEA 2017)
o Mit dem weiter steigenden fossilen Energieverbrauch werden auch die energiebedingten Emissionen von CO2 bis 2040 weiter zunehmen, gemäss IEA bis 2040 um rund zehn Prozent. Das ist klimapolitisch relevant. Denn der energiebedingte CO2-Ausstoss ist laut dem Wissenschaftsgremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) Hauptverursacher des von der Menschheit verursachten Klimawandels; sein Anteil an der Wirkung aller Treibhausgase beträgt global rund 70 Prozent. Damit wächst auch die Kluft zwischen den Prognosen der IEA und den Ansprüchen der Klimapolitik (siehe Infosperber vom 9.11.2017: «Die Klimapolitik denkt, der Energiemarkt lenkt»).
Wachstum der Wirtschaft schlägt technischen Wandel
Wenn es trotz globaler Energiewende nicht gelingt, die Zunahme des CO2-Ausstosses zu stoppen, ist das auf eine zentrale Zahl zurückzuführen: 3,4 Prozent. Das Szenario «Neue Politik» der IEA geht davon aus, dass die Weltwirtschaft, gemessen am realen Bruttoinlandprodukt aller Staaten, von 2016 bis 2040 im Schnitt um 3,4 Prozent pro Jahr wachsen wird. Das ergibt in 24 Jahren ein Wachstum von 123 Prozent (!). Der Grossteil dieses Wachstums ist auf Mehrkonsum pro Person zurückzuführen, der kleinere Teil auf die Zunahme der Weltbevölkerung. So rechnet die IEA, dass 2040 neun Milliarden Menschen auf der Erde leben werden, was einer Bevölkerungszunahme von 22 Prozent entspricht.
Das globale Wirtschaftswachstum schlägt damit die von der IEA vorausgesetzte Steigerung der Energieeffizienz und die zunehmende Nutzung von erneuerbarer Energie. Suffizienz, also Genügsamkeit in Produktion und Konsum von Gütern und Dienstleistungen sieht die IEA nicht vor.
Kapitulation vor eigenem Ziel
Im Gegenteil: Die Internationale Energieagentur verfolgt nach eigenem Bekunden fünf «grundlegende Ziele». Das erste: «Die Sicherung des Zugangs der Mitgliedsländer zu einer verlässlichen und umfassenden Versorgung mit allen Energieformen». Das zweite: «Die Förderung nachhaltiger energiepolitischer Massnahmen, die Wirtschaftswachstum und Umweltschutz in einem globalen Kontext antreiben – vor allem in Bezug auf die Reduzierung der zum Klimawandel beitragenden Treibhausgasemissionen». Was zeigt: Der neuste IEA-Weltenergie-Ausblick ist auch eine Kapitulationserklärung gegenüber seinem eigenen «grundlegenden Ziel».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Hanspeter Guggenbühl ist Autor des Buches «Die Energiewende, und wie sie gelingen kann», Somedia/Rüegger-Verlag, 2013.
Das Geschwätz vom Wachstum
In Anlehnung an das gleichnamige Buch von U. P. Gasche und H. Guggenbühl.
Wenn uns’re Wirtschaft gut floriert,
Läuft die Gesellschaft wie geschmiert
Und jeder will vom grossen Kuchen
Das beste Stück für sich aussuchen.
Es tönt der Ruf nach Wachstum laut.
So werden „Links“ und „Rechts“ vertraut.
Wir setzen Wachstum uns als Ziel
Und denken aber gar nicht viel
Darüber nach, was Wachstum bringt,
Was für Ressourcen es verschlingt.
In dem begrenzten Lebensraum
Ist ew’ges Wachstum nur ein Traum.
So steuern wir gerad’wegs los
Auf ein gewaltiges Chaos,
Wenn wir uns nicht sehr bald besinnen
Und diesem Wachstumszwang entrinnen.
Es ist das alberne Geschwätz
Vom ew’gen Wachstum wirklich lätz(1).
(1) schweizerisch für falsch
Markus Zimmermann-Scheifele
Wachstum (Duden) = Entfaltung, Entwicklung, Evolution.
Wachstum (SECO oder Wirtschaft) = „Zentrale Voraussetzung für den Erhalt und die Steigerung unseres Wohlstandes).
Facts/Quintessenz. Wir fördern das Tumorwachstum, resp. verweigern uns den Tatsachen und nehmen unseren Nachkommen die Chance für eine lebenswerte Zukunft.
Ja, und immer öfter sogar grüne Kreise! Die «Décroissance"-Grüne sind eine kleine Minderheit, genau wie Ökonomen, die schon nur an ihre Kinder denken.
Zu dieser Diskussion passt die aus der Renaissance stammende Jüdische Legende des «Golems»: er war eine Figur aus Lehm, belebt durch den Namen Gottes auf seiner Stirn, welche alles Nützliche und Erfreuliche im Haus verrichtet und nur den «kleinen» Nachteil hatte, immerfort zu wachsen. Er konnte das Haus zerstören, nicht aus Bosheit sondern wegen seiner immer wachsenden Grösse. Wenn man mit ihm nichts mehr «göttliches» verband – also den Namen Gottes von seiner Stirn entfernte – fiel er wieder zu einem Lehmklumpen zusammen. Die Legende sagt, ein Mann hatte vergessen das zu tun, der Golem war schon zu gross um dessen Stirne zu erreichen , so befahl ihm der Mann sich niederzubeugen um seine Schuhe auszuziehen – als der Mann den Namen Gottes von der Stirne des Golems tilgte, fiel dieser sofort zusammen, der entstehende Lehmklumpen war aber so schwer, dass er den Mann erdrückte und tötete.