Devisen für Terror: Die Schweiz in Saudi-Arabien
Red. Bernhard C. Schär ist Historiker. Er lehrt und forscht an der ETH Zürich und ist assoziiertes Mitglied am Zentrum Geschichte des Wissens der Universität und der ETH Zürich.
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Laut einer Umfrage neulich im Sonntagsblick fürchten sich fast 40% der Bevölkerung vor Muslimen in der Schweiz. Das Ergebnis ist die Folge einer wochenlangen medialen Debatte über den «radikalen Islam» und die Gefahr, die von sogenannten Hasspredigern ausgehe. Sie bildete die Begleitmusik für eine Volksinitiative zum Verbot der Burka, über die demnächst abgestimmt wird. Völlig ausgeblendet wird in dieser Diskussion, dass die Schweiz die Radikalisierung des Islams zumindest indirekt selber mitfinanziert.
Saudi-Arabien – «einer der wichtigsten Partner der Schweiz»
Wie das? So etwas wie das Gehirn und der Bankier des radikalen Islams ist die Islamische Weltliga. Über Ableger ist sie in der ganzen islamischen Welt präsent. Über verschlungene Netzwerke und Kanäle gelangen ihre Ideen, Geldmittel und Imame auch nach Europa. Ihren Hauptsitz hat die Islamische Weltliga in Saudi-Arabien. Das ist just jene Diktatur ohne Menschenrechte, die laut EDA «einer der wichtigsten Partner der Schweiz» im Nahen Osten darstellt. Konkret heisst das, dass die Schweiz in absoluten Zahlen und erst recht gemessen an ihrer geringen Bevölkerungsgrösse zu den weltweit führenden Direktinvestorinnen, Exporteurinnen und Vermögensverwalterinnen jenes Landes zählt, welches das finanzielle, ideologische und strategische Zentrum des globalen Terrors behütet und nährt.
In Zahlen ausgedrückt: 2010 investierte die Schweiz drei Milliarden Franken, während Schweizer Banken saudi-arabische Vermögen von vier Milliarden Franken verwalteten. Diese Summen werden in naher Zukunft drastisch wachsen. Das Königreich versucht gegenwärtig nämlich, seine Abhängigkeit vom Erdöl zu überwinden und öffnet hierzu seinen Finanzmarkt für den Westen. An vorderster Front beteiligt sind auch die CS, die zu Teilen einem Staatsfonds aus Katar gehört, und die UBS. Die CS investiert zum Aufbau ihres Saudi-Arabien-Geschäfts rund 300 Mio. Franken, wie «Bloomberg» kürzlich meldete. Bereits jetzt verwaltet sie im übrigen Nahen Osten Kundengelder von 70 Milliarden Franken. Saudi-Arabien ist freilich nicht nur für die Finanz-, sondern auch für die schweizerischen Uhren-, pharmazeutischen und Maschinenindustrien ein enormer Wachstumsmarkt. Pointiert gesagt: Während die Schweiz daheim «die Muslime» als Gefahr stilisiert, bald über ein Verbot der «Burka» abstimmt und einzelne «Hassprediger» bekämpfen will, finanziert sie die islamistische Schutzmacht des Terrors mit ungleich grösseren Mitteln aktiv mit.
Menschenrechte und Unterstützung des Terrors
– kein Thema im Geschäft mit Saudi-Arabien
Die Frage, ob die Unterstützung des Terrors in den gegenwärtig laufenden Verhandlungen mit Saudi-Arabien über ein Doppelbesteuerungsabkommen ein Thema sind, wird in hiesigen Medien praktisch nicht gestellt. Die Wirtschaftspresse blendet solche demokratiepolitischen Kontexte meistens aus. Die Inland- und Lokalredaktionen blenden ihrerseits die wirtschaftspolitischen Kontexte aus. Die Folge davon ist, dass die schweizerischen Investoren, Exporteure und Vermögensverwalter, die mit dem Saudi-Arabien-Geschäft reich werden, weitgehend anonym bleiben. Dasselbe gilt für Arbeitnehmende, die ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Gütern für den Export nach Nahost verdienen. Wie sehen sie den Zusammenhang zwischen ihrem Tagesgeschäft, das auf verschlungenen Pfaden zur Finanzierung von «Hasspredigern» in ihrer Nachbarschaft beiträgt, und ihrer Rolle als Bürgerinnen und Bürger einer Gesellschaft, die sich vor «den Muslimen» fürchtet? Wir wissen es nicht.
Empörung über Burka, verweigerten
Schwimmunterricht und Handschlag
Dafür wissen wir detailliert Bescheid über das Innenleben von Moscheen sowie über die feinen Unterschiede zwischen Burkas, Hidschabs und Niqabs. Auch wenn ein paar Halbwüchsige in irgendeiner Gemeinde den Schwimmunterricht oder den Handschlag mit der Lehrerin verweigern, sind wir sofort informiert. Redaktionen, die sich fast ausnahmslos aus Nicht-Muslimen zusammensetzen, berichten obsessiv, kontinuierlich und in epischer Breite für ein Publikum, das ebenfalls zu nahezu 100% aus Nicht-Muslimen besteht. Bedauerlicherweise tun sie das meist in einer Art, welche ihre Schweiz – also die christlich sozialisierte Mehrheitsschweiz – fein säuberlich von der muslimischen Welt abtrennt. Beispielhaft ist die eingangs erwähnte Umfrage im Sonntagsblick. Er wollte wissen, wer «die 400’000 Muslime in der Schweiz als Bedrohung» empfinde. Die Fragestellung impliziert, dass Muslime keine Schweizerinnen oder Schweizer sind. Oder wie soll eine muslimische Schweizerin auf diese Frage antworten – «ja, ich fürchte mich vor mir selbst»? Tatsache ist, dass ein erheblicher Teil der 400’000 «Muslime» hierzulande de jure oder de facto (zweite oder dritte Generation) Schweizerinnen und Schweizer sind. Fakt ist ferner, dass Islamismus und Terror in der Schweiz weniger für Alteingesessene eine Bedrohung sind. Bedrohlich ist der Islamismus viel eher für jene friedliebenden Muslime, deren Fotografien der Sonntagsblick und andere Medien als «Symbolbilder» zur Illustration ihrer pauschalisierenden Artikel über «muslimische Bedrohung» benutzen. Etliche Menschen auf diesen Fotos sind womöglich selber vom Terror in ihren Herkunftsländern geflohen, den die Schweiz indirekt mitfinanziert. Oder aber sie haben Verwandte und Bekannte in solchen Ländern.
Den radikalen Islam bekämpfen, aber mit der Mehrheit der Muslime
Gewiss: Wenn Nicht-Muslime den radikalen Islam bekämpfen wollen, ist dies sicher löblich. Sie müssten es aber nicht gegen, sondern mit der überwiegenden Mehrheit der friedliebenden muslimischen Welt tun. Dazu braucht es einen Perspektivenwechsel. Nicht-Muslime müssten lernen, sich selber aus muslimischer Perspektive zu betrachten und zu verstehen, dass sie mit ihrer Islamophobie und Komplizenschaft mit der islamistischen Schutzmacht selber eine Bedrohung für die islamische Welt darstellen.
Für Redaktionen hiesse dies, zu fragen und zu recherchieren, wer die Profiteure und wer die Opfer der schweizerischen Komplizenschaft mit Saudi-Arabien sind. Für den Bundesrat hiesse dies, dem Beispiel anderer westlicher Regierungen zu folgen, und seinen muslimischen Bürgerinnen und Bürger ein «Merci» auszusprechen. Merci für den riesigen Integrationseffort trotz struktureller Diskriminierung und Rassismus im Alltag. Und merci für die jahrzehntelangen Beiträge zu Wohlstand und Sicherheit im Land. Für Bürgerinnen und Bürger eines hochglobalisierten Kleinstaats hiesse dies, ihr tägliches Brot nicht auf Kosten der Opfer von Diktaturen und Gewaltregimen zu verdienen. – Inschallah.
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Dieser Text ist erstmals auf «Geschichte der Gegenwart» publiziert worden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Danke für diesen erhellenden Klartext, der eine grosse Verbreitung verdient.
Noch haben Frauen in Saudiarabien – auch wenn sie jetzt ab nächstem Jahr Autos fahren dürfen – einen männlichen Vorsteher (z.T. sogar einen eigenen Sohn), der über wichtige Belange ihres Lebens bestimmt (gerade heute morgen auf DRS2 in der Sendung Kontext gehört).
Wie verlogen doch unsere Politik angesichts solcher Tatsachen ist, wenn sie das Burkaverbot als Frauenbefreiung erklärt und Millionengeschäfte macht mit einem Land, wo für Frauen bodenlange Gewänder Vorschrift sind und wo ihre öffentlichen Amtsreden von Schauspielern vorgetragen werden, weil Frauen sich nicht öffentlich an Männer wenden dürfen (ebenfalls in der erwähnten Kontextsendung gehört).
Die CH-Waffenlieferungen an Saudiarabien sind allein auch schon ein Riesenskandal, der einen grossen Aufschrei verdiente.
Das ist ein ausgezeichneter Artikel, der Zusammenhänge aufzeigt, die in der offiziellen Politik und in mainstream-Medien kaum angesprochen werden. Ein Grund ist sicher, dass zu viele einflussreiche Leute finanziell und politisch von diesem Verschweigen profitieren.
In diesem Zusammenhang ist das Buch «Résitance» von Antoine Peillon, Éditions du Seuil 2016, sehr empfehlenswert. Es zeigt aus französischer Sicht genau diese verheerenden wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Verknüpfungen auf, stellt diese Problematik dann aber in einen grösseren Kontext der Geschichte der Résistance und den Möglichkeiten des Widerstandes heute.
Ja, ausgezeichneter Artikel! Danke! Dazu zwei Bemerkungen: Welcher «Volkswille» ist eigentlich verantwortlich für den Waffenhandel der Schweiz mit Saudi-Arabien?
Ob Moslem oder Christ, wenn Islamisten euch in der Schweiz beschiessen werden, sie werden es mit Waffen tun, die im christlichen Abendland produziert und verkauft wurden, bis hin zur Atombombe. Nur die dümmsten Kälber, wählen ihren Metzger selber…