Auf der NZZ-Redaktion geht die Angst um
«Die Umwälzung zeigt sich im Impressum. Nimmt man ein Verzeichnis der MitarbeiterInnen vom Frühling 2015, als Eric Gujer Chefredaktor wurde, und eines vom Herbst 2017, wird deutlich: Bei der ‹Neuen Zürcher Zeitung› wird gerade das Personal ausgewechselt. In nur zweieinhalb Jahren hat rund die Hälfte der Inlandredaktion die Zeitung verlassen, das Gleiche gilt für das Feuilleton. Bei einigen Personalwechseln handelt es sich um Pensionierungen, bei der Grosszahl aber um Entlassungen oder Kündigungen durch die MitarbeiterInnen. Die letzte prominente Entlassung im Feuilleton war die von Uwe Justus Wenzel, der während mehr als zwanzig Jahren für die Geisteswissenschaften zuständig war, auf der Inlandredaktion kündigte Simon Gemperli, unter anderem zuständig für die Aussen- und die Europapolitik. Er hatte als einer der Ersten vor der SVP-Durchsetzungsinitiative gewarnt. – Was ist nur los bei der NZZ, bei der die Zeichnungsberechtigung als Redaktionsmitglied bisher so etwas wie eine Anstellung auf Lebenszeit bedeutet hat?
Auf Nachfrage bei ehemaligen MitarbeiterInnen treffen zahlreiche Absagen ein. Vornehm verfasst, wie es zur 1780 gegründeten NZZ passt. Stilvoll, aber auch enttäuscht, genervt und verzweifelt: Man wolle keine Interna ausplaudern, die Öffentlichkeit solle aber bitte die Zeichen in der Zeitung deuten. Bei jenen, die weiterhin auf der Redaktion arbeiten, ist die Vorsicht noch grösser. Offensichtlich geht an der Zürcher Falkenstrasse die Angst um.»
Das Zitat stammt aus der Wochenzeitung WOZ vom 12. Oktober 2017, aus einem Artikel von Kaspar Surber. Hat er vielleicht etwas übertrieben?
Mitnichten! Nimmt man nämlich als alter Kollege mit einzelnen NZZ-Redaktoren oder -Redaktorinnen privat Kontakt auf (notabene nicht über ihre NZZ-E-Mail-Adresse, man weiss ja, dass heute alles überwacht wird), dann wird diese Angst-Stimmung durchwegs bestätigt. Es gibt auf der NZZ-Redaktion, so hört man dann übereinstimmend, zwei akute Probleme: Man ist politisch nicht mehr frei und getraut sich nicht mehr, zu schreiben, was man für richtig hält, weil weiterer Personalabbau in Sicht ist. Und, zweitens, es herrscht intern klar Nepotismus. Chefredaktor Eric Gujers Ehefrau Claudia Schwartz ist ebenfalls Mitglied der Redaktion und sorgt dafür, dass alle nach der «richtigen» Pfeife tanzen.
Schon am 5. Januar 2017 schrieb das Branchen-Magazin Kleinreport: «Claudia Schwartz, die Ehefrau von Chefredaktor Eric Gujer, suchte kürzlich eine Bildredaktorin auf und bat sie, ein passendes Bild für eine Geschichte zu suchen. Weil die Geschichte aber erst später erscheinen sollte und die Bildredaktorin zuerst ihre tagesaktuellen Suchaufträge erledigen wollte, schob sie den Auftrag von Claudia Schwartz auf ihrer To-do-Liste ganz nach hinten. Was der Gattin des NZZ-Chefredaktors überhaupt nicht passte. Statt das Problem wie Erwachsene von Angesicht zu Angesicht zu lösen, schickte Claudia Schwartz ihren Angetrauten in die Fotoredaktion. Eric Gujer tadelte die Bildredaktorin coram publico. Das liess sich diese nicht bieten und reichte deshalb umgehend die Kündigung ein. – Claudia Schwartz ist auf der NZZ-Redaktion schon länger ein Thema. ‹Vorfälle wie dieser mit der Bildredaktorin zeigen, dass sie ihre Stellung für ihre Zwecke fast schon schamlos ausnützt›, so ein NZZ-Insider.»
Keine Übertreibung
Aufmerksamkeit verursachte in den letzten Wochen vor allem der Rauswurf von Uwe Justus Wenzel, NZZ-Feuilleton-Redaktor seit 22 Jahren und im (kritischen) Alter von 58 Jahren. Aber auch den Ausland-Korrespondenten des Feuilletons wurde gekündigt, darunter Sieglinde Geisel, Joachim Güntner, Samuel Herzog, Andrea Köhler und Marc Zitzmann. Roman Hollenstein und Barbara Villiger-Heilig sind vorzeitig ausgeschieden, Andreas Breitenstein hat das Ressort gewechselt.
Klar, gegen all die Entlassungen hat es auch Protest gegeben. Eben haben um die 70 Hochschulprofessoren einen Brief an den Verwaltungsrat der NZZ geschrieben, wie persoenlich.com, ein anderes Branchen-Magazin, berichtet. Nur, was kümmert das VR-Präsident Etienne Jornod? Zitat aus der WOZ: «Bei seiner Ansprache am Swiss Media Forum, dem jährlichen Stelldichein der Verleger und Chefredaktoren Mitte September in Luzern, verglich Jornod die NZZ mit Real Madrid: ‹Fussballer leben nicht ewig. Journalisten auch nicht. Wir alle stellen uns temporär in den Dienst einer Sache. Wenn wir die Leistung nicht mehr bringen, müssen wir der Sache zuliebe das Spielfeld verlassen.›.»
Der Vergleich des NZZ-Verwaltungsratspräsidenten, wonach Journalisten gleich funktionieren sollen wie Fussballer, zeigt dessen eigenes intellektuelles Niveau: Jeder Fussballer weiss, dass er mit Fussball nur relativ wenige Jahre Geld verdienen kann, weil seine Leistungsfähigkeit zwingend mit seiner körperlichen Fitness zusammenhängt, die früher oder später einbricht. Ein Journalist dagegen profitiert von Erfahrung, von Know-how und Belesenheit, seine journalistische Leistungsfähigkeit nimmt im Verlauf seines beruflichen Lebens tendenziell eher zu. Was also versteht Etienne Jornod unter «Leistung»? Die physische Fitness kann es nicht sein. Die berufliche Erfahrung kann es auch nicht sein. Es kann nur eines sein: Leistungsfähig ist der Journalist, der sich dem Befehlsgefüge anzupassen weiss – oder auf gut Deutsch: der seinem Vorgesetzten den Arsch leckt und blind vor sich her malocht.
Dass es mittlerweile auch Myriam Käser, der für die Beantwortung von Medienanfragen zuständigen Kommunikationschefin der NZZ, in diesem Personalzirkus nicht mehr wohl ist, ist bestens nachvollziehbar. Auch sie verlässt die NZZ.
Wie reagieren andere Medien auf die Vorgänge bei der NZZ?
Eine echte, unabhängige Medienkritik gibt es im Schweizer Blätterwald kaum mehr. Die Medienkritik war eines der ersten Opfer der Sparmassnahmen der grossen Medienhäuser. Und da mittlerweile alle Zeitungen angefangen haben, die ehemals scharfe Grenze zwischen redaktionellen Texten und PR-Beiträgen zu verwischen, so auch die NZZ, zum Beispiel mit kommerziellen Beilagen im Redaktionslook, ist gegenseitige Schonung angesagt. Dazu kommt, dass die Schere im Kopf der Journalisten funktioniert wie noch selten: Da alle Angst vor dem nächsten Personalabbau haben und – zu Recht – befürchten, dass die Auswahl der zu Entlassenden nicht zuletzt nach dem Kriterium der Linientreue zum Verlag getroffen wird, wagt kaum einer mehr eine eigene Meinung zu vertreten, die dem Verleger vielleicht nicht passt.
Ein Beispiel für gegenseitige Schonung?
Die Schweiz am Wochenende aus dem Haus der AZ Medien schrieb in ihrer Ausgabe vom 14. Oktober unter der Rubrik «Bundesplatz»:
«Erst zog die Weltwoche den Zorn der Linken auf sich, als Roger Köppel übernahm. Dann die Basler Zeitung, als der Einstieg von Christoph Blocher bekannt wurde. Nun ist die NZZ ins Sperrfeuer von links geraten. Diese Woche gleich zweimal: Erst schoss die Wochenzeitung eine Breitseite gegen die FDP-nahe Zeitung ab, darauf folgte ein Protestbrief von rund 80 linken und linksliberalen Uni-Dozenten, die bei der NZZ eine ‹politische Öffnung am rechten Rand› wittern. Doch ist die Sache so eindeutig? Die NZZ musste nämlich auch von rechts Kritik einstecken. Weltwoche-Verleger Roger Köppel warnt in der aktuellen Ausgabe vor dem EU-Rahmenvertrag und schreibt: ‹Unternehmer und Manager aufgepasst: Euer Hausblatt NZZ liegt falsch.›»
Soweit sind wir heute in der Schweiz: Dass ein Milliardär, Vordenker einer rechtspopulistischen Partei mit fast 30-Prozent-Stimmenanteil bei Abstimmungen, ganze Tageszeitungen und Wochenblätter käuflich übernimmt, um sie politisch auf rechts zu trimmen – die osteuropäischen Oligarchen machen es vor – wird kritiklos zur Kenntnis genommen. Und wenn das traditionelle Intelligenzblatt von der Zürcher Falkenstrasse interne Säuberungen vornimmt, dann ist ein Protestbrief von Uni-Professoren bereits unangebracht. Der politische Kurs der Zeitung, so der Tenor, ist ja ok., das Blatt wurde schliesslich auch schon von Roger Köppel von der Weltwoche, also von rechts, kritisiert…
Von der politischen Vielfalt zum neoliberalen Einheitsbrei
Die sozialdemokratischen Zeitungen und die katholisch-konservativen – christlich-sozialen – Zeitungen der Schweiz sind schon vor Jahrzehnten eingegangen beziehungsweise von der freisinnigen Konkurrenz übernommen worden. Die ganze Medienlandschaft ist heute fest in FDP- und SVP-Händen. Jetzt muss nur noch das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen demontiert werden – die No-Billag-Initiative steht vor der Tür – dann haben wir eine Medien-«Vielfalt» nach perfekter Schweizer Art: Alles fest in den Händen der Reichen und Reichsten. Zum Wohl ihrer selbst.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Christian Müller war 25 Jahre lang Journalist, Redaktor und Chefredaktor und 15 Jahre lang Verlagsmanager, zuletzt 2003 bis 2009 CEO der Vogt-Schild Mediengruppe Solothurn, die nach seiner Pensionierung an die AZ Medien Gruppe verkauft wurde.
Auch bei uns im Tessin ist dieser «Rechtsrutsch» im vollem Gange. Die grösste Tageszeitung bei uns, der «Corriere del Ticino» selbsternannter Quotidiano indipendente (= unabhängige Tageszeitung sic….) ist voll auf Anti-Billagkurs mit scharfen Angriffen auf die RSI (Radio e Televisione della Svizzera Italiana). Der CEO der CdT-Gruppe mit Teleticino ist ein ehemaliger Redaktor der Berlusconizeitung «Il Giornale». Gottlob haben wir im Tessin noch die Zeitung «La Regione», dieses Blatt fährt einen Mitte-Linkskurs. Was die Herren Blocher, Frei, Köppel, Somm und & Co. in der deutschen Schweiz planen und auch ausführen macht im Tessin die CdT-Gruppe.
In einem Klima der Angst kann kaum objektiver Journalismus betrieben werden. Wäre eigentlich ein Grund, das Abonnement zu kündigen.
Danke für den Artikel. Ich habe nicht gewusst, dass Journalisten bei der NZZ dreissig Millionen wert sind und Leute, die der FDP nahe stehen, in dieser Art Vergleiche zur Wirklichkeit anstellen.
Chefredaktor Gujer war nur zweite Wahl, erste Wahl und Wunsch des VR war Somm. Wahrscheinlich war es Auflage des VR an Gujer dass er den Somm macht! An sich ein Detail die NZZ ist nicht mehr eine Zeitung die man zwingend braucht, zu stark auf rechten Applaus und nicht liberalen Applaus aus.
Wirklich beängstigend ist die Tatsache dass zwischen TAmedia, NZZ-Gruppe, Wanner-Gruppe und Ringier die Verbandelung so gross ist dass journalistische Unabhängigkeit
nicht mehr gegeben ist und gegenseitig nur mit der Schere im Kopf geschrieben wird. Hat leider auch damit zu tun dass es immer weniger wirklich profilierten Nachwuchs gibt und Journalisten sich immer mehr als Zeilenlieferanten dann als Informations- und Meinungsbeschaffer verstehen!
Interessanter Artikel, gut gemacht Christian Müller! Allerdings kommt der Rechtsrutsch bei der NZZ nicht zum Vorschein, eher Opportunismus. Also keine Angst liebe Genossen und Genossinnen. Die Personalpolitik interpretiere ich vielmehr als Ausdruck der Unsicherheit. Die NZZ hat Angst vor der SVP und deshalb sucht die FDP immer wieder den Schmusekurs mit der SP.
Wow! Jetzt bin ich aber wirklich unsicher. Ich war eigentlich gegen die Billag-Initiative, bin aber, nachdem ich den Report über die SRG gelesen hatte (Swiss Propaganda Research: Eine Analyse am Beispiel des Schweizer Radios und Fernsehens) unsicher geworden, denn eine weitere Desinformationsquelle brauche ich wirklichl nicht. Und jetzt soll also die SRG als letzte Bastion gegen Blocker und Co. verteidigt werden… Dieses Nein an der Urne wird mir wohl nur noch SRF 2, Classic, Jazz etc versüssen können.