Warum müssen die Kassen auch das Teure zahlen??
Schon lange kritisiert der Preisüberwacher, dass das Bundesamt für Gesundheit BAG die Kassen zwingt, unter völlig identischen Medikamenten auch die unwirtschaftlich teureren zu vergüten. Das Beispiel des Cholesterinsenkers Crestor und Crestatatin ist nur eines von mehreren Hundert. Swissmedic veröffentlicht eine ganze Liste.
Laut Gesetz müssen Krankenkassen ein Medikament nur zahlen, wenn es 1. wirksam, 2. zweckmässig sowie 3. auch wirtschaftlich ist (WZW-Kriterien). Zwillingsmedikamente wie Crestor und Crestatatin sind gleich wirksam, in gleichem Mass zweckmässig, aber nicht gleich wirtschaftlich. Das teurere Crestor erfüllt das zwingende Kriterium der Wirtschaftlichkeit nicht.
«Kassen sollten sich für die Interessen der Prämienzahlenden einsetzen»
Statt dass die Krankenkassen auf die klaren gesetzlichen Vorgaben pochen und unter identischen Arzneien nur den Preis der günstigeren zahlen, unterwerfen sie sich pharmafreundlichen Verordnungen des BAG, welche das Gesetz aushebeln.
Einige Kassen sollten den Mut haben, die Vergütung solcher unwirtschaftlichen Medikamente zu verweigern.
Ärzte und Apotheken, welche dann trotzdem unter identischen Medikamenten die teureren abgeben würden, erhielten von den Kassen nur den Preis der günstigeren vergütet. Diese Ärzte und Apotheken müssten dann versuchen, ihre Forderung gegenüber den Krankenkassen auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Oder das BAG würde gegen diese Kassen vorgehen, weil diese sich nicht an die Verordnung halten.
In beiden Fällen könnte ein Gericht feststellen, dass die bundesrätliche Verordnung gesetzeswidrig ist. In andern Bereichen hat das Bundesgericht auch schon Verordnungen des Bundesrates aufgehoben, weil sie nicht dem übergeordneten Gesetz entsprachen.
Vor zwei Jahren hatte der «Kassensturz» ausgerechnet, dass es bei den «Co-Marketing»-Produkten jedes Jahr um rund 75 Millionen Franken geht, welche die Kassen zu viel zahlen.
Dazu Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz SKS: «Es ist an der Zeit, dass die Kassen für die Interessen der Prämienzahlenden einmal auf die Barrikaden gehen.»
Beispiele von 2015 im Kassensturz: Preisunterschiede von 29 bis 97 Prozent
SRF-«Eco»: «Die Tricks der Pharmabranche»
Im ersten Teil einer dreiteiligen Serie über «Tricks der Pharmabranche» zeigte Wolfgang Wettstein am 9. Oktober 2017 in der SRF-Sendung «Eco» das Preisbeispiel der Cholesterinsenker «Crestor» und «Crestatatin». Die Pillen beider Schachteln werden auf der gleichen Maschine von der gleichen Firma identisch hergestellt. Man nennt solche Medikamentenpaare «Co-Marketing»-Produkte (im Unterschied zu Generika, bei denen die Hilfsstoffe unterschiedlich sein können).
Crestor (100 Pillen à 20 mg) kostet die Kassen 188 Franken, das identische Crestatatin nur 68 Franken.
Die «sehr erfolgreiche Strategie» der Pharmakonzerne bestehe darin, dass der Hersteller kurz vor Patentablauf seines Medikaments das gleiche unter einem etwas anderen Namen zu einem günstigeren Preis anbietet, erklärte Andreas Schiesser des Krankenkassenverbands Curafutura. Ziel sei es, Konkurrenzfirmen das Lancieren eines ebenfalls günstigeren Generikums zu erschweren. Von «Schlaumeierei» sprach Guido Klaus der Kasse Helsana in der Sendung «Eco».
Unhaltbare Argumentation des BAG
Schon seit Jahren verteidigt das BAG die gesetzwidrige Verordnung des Bundesrats nicht etwa juristisch, sondern mit einer opportunistischen Behauptung: Müssten die Kassen die teureren «Originale» unter identischen Medikamenten nicht mehr vergüten, würden die Pharmafirmen gar keine günstigeren Co-Marketing-Medikamente mehr auf den Markt bringen.
BAG-Vizedirektor Thomas Christen nimmt in der SRF-Sendung «ECO» Stellung: «Co-Marketing»-Produkte seien die einzige Möglichkeit, noch vor Patentablauf eine Kosteneinsparung zu erzielen. Dies sei «im Interesse der Prämienzahlenden». Klar anderer Ansicht sind der Preisüberwacher, die SKS und die Krankenkassen.
Die Argumentation des BAG ist wenig überzeugend:
- Erstens lancieren die Hersteller von Originalpräparaten die günstigeren «Co-Marketing»-Medikamente erst kurz vor Ablauf der Patentfrist mit dem Zweck, den Herstellern von Nachahmerprodukten (Generika) zuvorzukommen bzw. sie abzuschrecken. Ohne «Co-Marketing»-Produkte gäbe es mehr Generika.
- Zweitens beweist das Ausland das Gegenteil: Auch in andern Ländern vertreiben zwei oder mehrere Firmen das identische Medikament unter verschiedenen Markennamen als «Co-Marketing»-Produkte, obwohl dort das «aut idem»-Prinzip gilt: Das heisst, die Kassen müssen in praktisch allen andern Ländern Europas nur den Preis der günstigsten zahlen.
Oder es herrscht Vertragsfreiheit wie in den Niederlanden, so dass die Kassen mit den Pharmafirmen Preise aushandeln und die günstigsten auswählen können.
Ärzte und Apotheken profitieren
Wenigstens «bestraft» das BAG einige der unwirtschaftlichen Medikamente wie zum Beispiel «Crestor» oder «Sortis» mit einem höheren Selbstbehalt von 20 statt 10 Prozent wie sonst üblich. Trotzdem aber verkaufen sich die teureren, unwirtschaftlichen weiterhin gut.
Grund: Das gleiche BAG fördert den Verkauf der teureren Medikamente: Das Bundesamt hat die Margen der selbstdispensierenden Ärzte und der Apotheken so festgelegt, dass diese bei der Abgabe der teureren, unwirtschaftlichen Medikamente mehr verdienen können. Die Stiftung für Konsumentenschutz SKS und der Preisüberwacher fordern schon seit Jahren vergeblich, dass die Margen in Franken wenigstens gleich hoch sind, ob nun ein günstiges oder teures Medikament abgegeben wird («Leistungsorientierte Einheitsmargen»).
Auch hier unternimmt das BAG mit Bundesrat Alain Berset an der Spitze nichts, um finanzielle Anreize (!) zur Steigerung der Kosten und der Prämien abzuschaffen – zur Freude der Pharmaindustrie, der Apotheker und aller selbstdispensierenden Ärzte.
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- DOSSIER: Die Preise von Medikamenten
- DOSSIER: Die Politik der Pharmakonzerne
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Offensichtlich haben die Krankenkassen gar kein Interesse daran, Medikamenten- und Behandlungskosten zu senken. Höhere Preise/Kosten bedeuten mehr Umsatz = mehr Gewinn = höhere Managementlöhne bzw. -Boni.
Ein anderes Beispiel, wie Preise – in Übereinkunft mit den Krankenkassen (!) – künstlich hoch gehalten werden: Beim Bezug eines Medikamentes in der Apotheke wird mir empfohlen, ein günstigeres Generika zu verwenden. In der Abrechnung der Krankenkasse (von der Apotheke see ich nie eine Rechnung) sehe ich dann, dass die Apotheke zusätzlich eine Gebühr von 15 Franken verrechnete. Erste auf Nachfrage in der Apotheke erfahre ich dann, dass diese 15 Franken für den Wechsel vom Originalmedikament auf das Generika verrechnet wurde. Die Gebühr werde im Einverständnis mit den Krankenkassen erhoben.
Genau aus diesem Grund gehe ich nur in eine Apotheke, welche keine solchen Mätzchen macht und keine sog. «Apotheker-Gebühren» neben dem üblichen Verkaufspreis verrechnet. Ich habe meiner Apotheke gesagt, wenn sie da nicht zustimmen, werde ich alle Medikamente bei einer Versandapotheke beziehen.
Auch bezahle ich die Medikamente bar direkt in der Apotheke und sende dann die Kassenquittungen an meine Krankenkasse ein zur Rückvergütung. – Klappt alles wunderbar!
Das Problem liegt immer noch im Art. 52 KVG, welcher vom Parlament gewollt und im Widerspruch zum Kostengünstigkeitsprinzip des KVG steht. Gesetzliche Schizophrenie ist der Vorname des Parlaments. Aber die Pharma ist doch so herzig.
Seit Anfang der 90er Jahre wird dieses Problem diskutiert. Herr Cueni und seine Pharmalobby haben hier offensichtlich gewonnen. Die Gegner in der Verwaltung sind alle zu (familienreduzierten) AHV-Rentnern geworden, die Pharma profitiert aber weiterhin vom OKP-Monopol der garantierten Staatsrenten. Pharma-Lex und Territorialitätsprinzip haben den Liberalismus der Parlamentarier ersetzt.
Wir haben ja wohl diese Leute ins Parlament gewählt. So scheint es doch normal, dass wir auch die Dividenden ihrer Freunde finanzieren.
Artikel 52 KVG sieht vor, dass die Liste der kassenpflichtigen Medikamente «auch die mit den Originalpräparaten austauschbaren preisgünstigeren Generika enthalten» muss. Von den völlig identischen Co-Marketing-Medikamenten ist nicht die Rede, bei denen das teurere per se nicht wirtschaftlich sein kann.
Zu den Generika: Der gleiche Artikel 52 stipuliert ausdrücklich, dass Originalpräparate und Generika «höchstens» nach den angegeben Tarifen verrechnet werden dürfen. Das Bundesgericht müsste entscheiden, ob die Kassen nicht auch hier gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit verstossen, wenn sie ohne medizinischen Grund ein Originalpräparat zu einem höheren Preis vergüten.
Die Kassen könnten wie folgt vorgehen:
1. Vergütung zurückstellen
2. Mit Standardbrief eine schriftliche Begründung für die Abgabe des teuren Originalpräparates verlangen.
3. Zahlung erfolgt nach Eingang der Begründung.
Aerzte und Apotheker würden sich rasch umgewöhnen um dem administrativen Mehraufwand zu entkommen.