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Winzige Fasern: Diese Polystyrol-Partikel in einem Wasserfloh sind weniger als 50 Nanometer lang. © Corin Liddle

Plastikmüll im Leitungswasser

Daniela Gschweng /  Mikroplastik ist überall, auch im Trinkwasser. Erstaunlich ist nicht nur, dass das erst jetzt auffällt.

Sie wurden in Flüssen und Seen gefunden, in Bier, in Honig und in der Antarktis. Dass sich winzige Plastikpartikel nun auch im Leitungswasser finden, ist keine Überraschung. Dass das erst jetzt auffällt, liegt daran, dass die staatlichen Kontrolleure fast nie nach Kunststoff-Rückständen im Trinkwasser gesucht haben.

Eine Studie des Journalistennetzwerks Orb, das in Zusammenarbeit mit der Universität Minnesota 159 Wasserproben aus aller Welt überprüfte, ging in den letzten Wochen durch internationale Medien. Das Ergebnis: 83 Prozent des Leitungswassers weltweit sind mit Mikroplastik belastet. Den höchsten Wert erreichten Proben aus den USA, wo in 94 Prozent der Proben Mikroplastik gefunden wurde. Im Trinkwasser Europas ist in 72 Prozent der Proben Mikroplastik gefunden worden.

Alles nur Panikmache?

Gesucht und gefunden wurden durchschnittlich 3,6 bis 9,6 Partikel pro Liter Wasser in der Grössenordnung ab 2,5 Mikrometer, schreibt der «Guardian». Ein Teil der Analysen erfasste Mikroplastik erst ab einer Grösse von 100 Mikrometer. Als Mikroplastik werden Partikel bezeichnet, die kleiner als fünf Millimeter sind.

Eine Untersuchung der deutschen «Bild»-Zeitung erfasste durchschnittlich fünf Partikel pro Liter deutschem Trinkwasser. Das seien so wenige, beschwichtigten Fachleute des deutschen Umweltbundesamts, dass es in den Bereich eines «Grundrauschens» falle. Zudem kritisierten sie die Messmethode der Wissenschaftler in Minnesota, die anfällig für Verunreinigungen sei. Eine wirklich zuverlässige Methode zur Bestimmung der winzigen Fasern gebe es noch nicht.
Menge und Langzeitfolgen sind unbekannt
Für die Schweiz gibt es keine genauen Werte, Trinkwasser wird nicht systematisch auf Mikroplastik untersucht, da die Gefahr, dass es ins Trinkwasser gelangt, vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) als gering eingestuft wird. Derzeit geht man davon aus, dass Grundwasser bei der Filtration durch verschiedene Erdschichten grösstenteils von Mikroplastik befreit wird oder dass das durch Filtration bei der Trinkwasseraufbereitung geschieht.
Dass Plastik nicht ins Trinkwasser gehört, ist eine Sache. Ob und wie es der menschliche Körper aufnimmt, ist noch nicht erforscht.

«Es kommt auch auf die Menge an», meint Peter Wenk, Kantonschemiker Basel-Land. Nur: Genau diese kennt man nicht. Im Grunde, gibt Wenk zu, wisse man über die Schädlichkeit der kleinen Plastikpartikel noch sehr wenig und vergleicht Mikroplastik mit Asbest. Chemisch gesehen ist Asbest eher harmlos, Asbestfasern jedoch sind schädlich und verursachen Krebs – aber nur, wenn man sie einatmet. Bis Folgen auftreten, kann es Jahrzehnte dauern. Wie gefährlich Mikroplastik auf längere Sicht ist, weiss noch niemand.

Immerhin: Dass Mikroplastik unbemerkt als Vehikel für schädliche Mikroorganismen oder Chemikalien dient, die dadurch in den Körper gelangen könnten, sei auszuschliessen. «Wenn sich ein vermehrungsfähiger Mikroorganismus im Trinkwasser befindet oder eine Chemikalie, finden wir sie. Ob sie sich an einen Plastikpartikel anheftet oder nicht», versichert der Chemiker.

Bafu und BLV halten Mikroplastik für wenig schädlich

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schätzt Mikroplastik im Trinkwasser nach einer Untersuchung der Wasserversorgung Zürich von 2014 als «geringes gesundheitliches Risiko» ein. Eine 2016 vom Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich angefertigte Studie untersuchte neben Klärwerken und Oberflächengewässern drei Grund- und Trinkwasserproben auf Mikroplastik ab acht Mikrometer und fand keine Partikel. Die eingangs erwähnte «Orb-Studie» erfasste Mikroplastik ab 2,5 Mikrometer.

Das BLV geht davon aus, dass die winzigen Fasern und Krümel vom Körper einfach wieder ausgeschieden werden. «Da im vorliegenden Fall keine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit besteht, braucht es kein Vorsorgeprinzip», erklärte das BLV gegenüber «Infosperber». Nur: Es geht bei kleinsten Plastikteilen nicht um eine «unmittelbare» Gefährdung, sondern um gesundheitliche Risiken, wenn sie vom Körper über lange Zeit aufgenommen werden.

Kleinste Plastikstücke im Nanometerbereich sind so winzig, dass sie in menschliche Zellen eindringen könnten, sagt Anne Marie Mahon vom Galway-Mayo Institute of Technology in Irland, die dort eine Untersuchung über Mikroplastik in Trink- und Quellwasser durchgeführt hat. «Das wäre besorgniserregend», findet sie. Nur sind die Nanopartikel so klein, dass sie nicht erfasst wurden. Bei Feinstaubpartikeln in der Stadtluft war das ähnlich. Inzwischen weiss man, dass gerade die kleinsten davon den grössten Schaden anrichten.
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts des Journalistennetzwerks Orb und anderer Quellen erstellt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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