Facebook entdeckt verborgene Familienbande
Wenn Sie nicht wissen, ob Sie unbekannte Verwandte in irgendeinem Winkel der Welt haben, sollten Sie bei den Freundschaftsvorschlägen auf Facebook genauer hinsehen. Da lässt sich im Vorbeigehen oder -klicken vielleicht so manches Familiengeheimnis entdecken.
So ging es zumindest der Journalistin Kashmir Hill, die ihre Erfahrung in dem Tech-Blog «Gizmodo» beschrieben hat.
Ungefähr 160 Freundschaftsvorschläge («Personen, die du kennen könntest») bekommt sie täglich, hat sie gezählt. Der Name einer älteren Frau aus Ohio fiel ihr auf.
Unbekannte Blutsverwandte auf Social Media
Hills Vater hatte erst als Erwachsener erfahren, dass er adoptiert worden war. Hills biologischer Grossvater spielte in seinem Leben und dem seiner Tochter keine Rolle. Aber sein Name war Porter – wie der der Unbekannten. Hill schickte der Frau eine Facebook-Message und fragte. «Ja», kam die Antwort, man sei verwandt. Hill, oder besser: Facebook hatte eine Grosstante entdeckt. Die Unbekannte ist mit dem Bruder von Hills biologischem Grossvater verheiratet.
Erfreulich, aber unheimlich, fand die Journalistin, die sich schon länger mit dem Thema Freundschaftsvorschläge auf Facebook beschäftigt. Vor einem Jahr berichtete sie über eine Psychiaterin, deren Patienten einander als Freunde vorgeschlagen wurden. (Infosperber berichtete: «Facebook weiss, wer zu Ihrem Arzt geht»). Zwischen ihr und der Unbekannten gab es keinerlei Verbindung.
Facebook ist nicht allwissend, aber…
Hills Vater kannte die Frau aus Ohio nicht, die seiner Tochter als Facebook-Freundschaft vorgeschlagen wurde. Seinen Vater hatte er nur einmal wiedergesehen, auf der Beerdigung seiner Mutter. Dort traf er auch dessen Bruder, den Ehemann von Rebecca Porter. Die Männer tauschten Adressen aus. Keiner von beiden hat einen Facebook-Account.
Was, fragte sich Hill, hatte Facebook dazu gebracht, ihr eine Blutsverwandte zu präsentieren, die nicht einmal ihr Vater kannte? Aufgewachsen ist sie am anderen Ende der USA, in Florida. Merkmale wie gemeinsame Bekannte, Schulen, Universitäten oder gemeinsame Vorlieben schieden aus. Andere Personen mit dem gleichen Nachnamen wurden Hill nicht vorgeschlagen.
Unbekannter Algorithmus
Darüber, wie genau Facebook auf Freundschaftsempfehlungen kommt, ist so gut wie nichts bekannt. Neben den offensichtlichen Punkten könnten es Übereinstimmungen in politischer Haltung, finanzieller Situation oder sexueller Präferenz sein, die Facebooks Algorithmen aus dem Nutzerverhalten errechnen können.
Hill vermutete, dass Facebook externe Daten aufkauft und diese in die Berechnung einfliessen lässt. Facebook selbst gibt an, solche Daten nicht zur Berechnung von Freundschaftsvorschlägen zu verwenden.
100 Merkmale – woher?
Fast noch interessanter als Hills Artikel sind die Kommentare dazu. Ein Nutzer berichtet von einer ähnlichen Erfahrung, was sich freilich nicht überprüfen lässt. Aus einem einzigen zufälligen Zusammentreffen darauf zu schliessen, hier müsse ein Mechanismus am Werk gewesen sein, sei etwas gewagt, findet ein anderer.
Ein Sprecher von Facebook sagt, der Auswahlprozess bestehe aus 100 Merkmalen. Meist träfen mehrere zu. Bereits fünf bis sechs Merkmale reichten in der Regel aus, um eine Person gut zu charakterisieren und wiederzufinden.
In der Kommentarspalte wird spekuliert, woher die Information kommen könnte, die zu Hills Grosstante geführt hat: WhatsApp- oder Instagram-Daten, GPS, IP-Adressen, Gesichtserkennung. Facebook wisse es selbst nicht, schreibt einer. Bei hundert Merkmalen, von denen nur wenige öffentlich sind, machten schliesslich die Algorithmen die Arbeit.
Deren genaue Programmierung dürften nur wenige kennen (siehe auch Infosperber: «Facebook: Die politische Macht des Tech-Giganten»).
Daten, bei denen niemand weiss, woher sie stammen
Ein Nutzer berichtet, er habe eine Person vorgeschlagen bekommen, von deren Arbeitgeber er gerade erst eine E-Mail bekommen hatte. Zuvor habe er nie Kontakt mit dem Unternehmen gehabt, ja, noch nicht einmal davon gehört.
«Ich habe keinen wirklichen Facebook-Account», schreibt ein anderer. Sein Fake-Profil benutze er, um ein Online-Spiel zu spielen. Der falsche Nutzer habe keinen realen Namen, keine Freunde und keine gespeicherte Information über seine Person. Er nutze das Profil selten. Trotzdem schlage Facebook ihm regelmässig Personen vor, die er wirklich kenne, wie Arbeitskollegen, Freunde und Familie.
Die Vermutung, Facebook lege Schattenprofile von Nutzern an, die gar kein Facebook-Konto haben, wird seit längerer Zeit diskutiert. Facebook selbst gibt dazu keinen Kommentar ab.
Hill fragt sich nun jedes Mal, wenn sie Freundschaftsvorschläge von Facebook bekommt, ob hinter einem Profilbild jemand steht, den sie nicht kennt, aber «kennen sollte».
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts von «Gizmodo» und anderer Quellen erstellt. Grosse Medien in der Schweiz haben bisher nicht darüber berichtet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine