Stahel_Bitzer

Krebsspezialist Rolf A. Stahel (Unispital ZH) / Johannes Bitzer, Sexualmediziner (Frauenspital BS) © ESMO/IBSA

Zwei Chefärzte: 129’000 Franken von der Pharma

Otto Hostettler/Sylke Gruhnwald /  Die Transparenz lässt zu wünschen übrig. Doch zahlte die Industrie 14 Millionen an Ärzte und Ärztinnen und 141 Millionen an andere.

Red. Der Beobachter, das deutsche Recherchenetz Correctiv und die Stiftung für Konsumentenschutz SKS haben Zahlen, die 56 Pharmaunternehmen je separat veröffentlichten, aufwändig zusammengefasst, aufbereitet und lesbar gemacht. Der folgende Beitrag erschien am 14. August im Beobachter.
Der Doktor und sein Sponsor

Rund 155 Millionen Franken zahlten Pharmafirmen in der Schweiz im vergangenen Jahr an Ärzte, Spitäler und Gesundheitsorganisationen. Das sind gut 16 Millionen Franken mehr als im Vorjahr. Solche Pharmazuwendungen an Ärzte sind problematisch. Sie beeinflussen den Entscheid, welche Medikamente verschrieben werden. Das haben verschiedene Studien klar nachgewiesen.
Die 59 in der Schweiz tätigen Pharmafirmen haben den sogenannten Pharma-Kooperations-Kodex unterzeichnet. Darin verpflichten sie sich, alle Geldzahlungen an medizinisches Personal und Einrichtungen offenzulegen. Mit diesem Kodex kamen sie einer gesetzlichen Regelung zuvor. Jetzt wurden die Zahlen zum zweiten Mal publiziert.
Doch wer wissen möchte, ob sein Arzt oder sein Spital Zahlungen von der Pharma entgegengenommen hat, muss fast 60 Websites aufrufen und sich durch jede einzelne durchackern. Denn jede Firma publiziert die Zahlen für sich. Aus diesem Grund hat der Beobachter in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Konsumentenschutz und dem deutschen Recherchenetzwerk Correctiv alle Zahlen, Namen und Bezeichnungen zusammengetragen. In der Datenbank kann man die Schweizer Zahlen ab sofort nachschlagen (siehe dazu «Das sind die grössten Empfänger»).


Diese zehn Pharmafirmen zahlten im Jahr 2016 am meisten Geld an Ärzte, Fachgesellschaften, Spitäler und Medizinalfirmen. Grössere Auflösung der Grafik hier.

Ärzte kassieren Millionen

9,4 Millionen Franken flossen 2016 direkt an insgesamt fast 5000 Ärzte, welche dies transparent machen.
Novartis, Pfizer, Roche & Co. zahlten etwa Gebühren für Fachtagungen oder übernahmen Reise- und Übernachtungskosten sowie andere Spesen. Geld gab es auch, wenn Ärzte als Referenten auftraten oder Pharmafirmen beraten haben – zum Beispiel in einem sogenannten Advisory Board, einem Beirat.
Wie viele Ärzte an der Transparenzoffensive mitmachen und die Pharmagelder veröffentlichen lassen, ist allerdings unklar. Die Industrie regelt das so kompliziert, dass es nicht rekonstruiert werden kann. Bekannt ist nur, dass zusätzlich 4,6 Millionen Franken an geschätzt 3500 namentlich nicht genannte Ärzte fliessen. Sie weigerten sich, mit ihren Namen zu den Geldern zu stehen.
Rund ein Viertel der Ärzte wollte ihren Namen geheim halten, sagt der Branchenverband Scienceindustries. Die Auswertungen des Beobachters und des Konsumentenschutzes legen aber den Schluss nahe, dass dieser Anteil höher ist. Demnach dürfte fast jeder dritte Arzt nicht mit seinem Namen dazu stehen, dass er von der Pharmaindustrie Geld nimmt.
Jürg Granwehr, Leiter Pharma bei Scienceindustries, zieht trotzdem ein positives Fazit: «Was den Anteil der Zuwendungsempfänger betrifft, die ihren Namen veröffentlichen, stellen wir eine positive Entwicklung fest. Trotzdem sind wir noch nicht flächendeckend am Ziel. Nach wie vor müssen wir Überzeugungsarbeit leisten.»

Das sind die grössten Empfänger

  • 72’000 Franken kassierte Johannes Bitzer letztes Jahr von der Industrie. Damit ist der Professor und ehemalige Chefarzt der Frauenklinik des Unispitals Basel der Arzt, der 2016 am meisten Pharmageld bekam. Heute ist Bitzer «Kaderarzt Sexualmedizin» am Universitätsspital Basel. Seine vielen von der Pharmaindustrie (mit-)finanzierten Tätigkeiten im Jahr 2016 hat Bitzer vorbildlich transparent und detailliert bekannt gegeben (siehe ganz unten).*
  • 57’000 Franken kassierte Rolf A. Stahel, Onkologieprofessor und Leiter des Krebszentrums am Unispital Zürich. Er ist an zweiter Stelle der Rangliste.
  • 35’000 Franken kassierte Matti Aapro, Westschweizer Krebsspezialist der Privatklinik Genolier. Im Vorjahr hatte er von Pharmafirmen noch 97’000 Franken «Beratungs- und Dienstleistungskosten» eingenommen. Im 2016 war er auf den 8. Platz gerutscht.
Öffentliche Datenbank
Wollen Sie wissen, ob sich auch Ihr Arzt von Pharmafirmen bezahlen lässt – sofern er seine Daten offenlegt? In der
Datenbank (nach ganz unten zum Suchfeld scrollen)
von Beobachter/Correctiv/SKS können Sie die Namen von Ärzten, die Postleitzahl oder die Bezeichnungen von Gesundheitseinrichtungen (wie zum Beispiel ein Ärztenetzwerk oder ein Spital) suchen.
Der Beobachter hat zusammen mit der Stiftung für Konsumentenschutz und dem deutschen Recherchezentrum Correctiv alle Zahlungen an Ärzte, Fachpersonal, Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen aufbereitet, welche die Pharmabranche in der Schweiz offengelegt hat. Immer noch ein Drittel der Ärzte verbietet allerdings das Veröffentlichen ihrer Namen und Pharma-Einnahmen.

Sponsorengelder für Institutionen

Der grösste Teil der Gelder – 92 Millionen Franken – ging aber an Spitäler sowie an Organisationen wie Ärztenetzwerke, Weiterbildungsveranstalter oder Patientenorganisationen. In den meisten Fällen handelt es sich um sogenannte Sponsorengelder. Wofür sie genau eingesetzt wurden und wer im Einzelnen davon profitiert hat, ist nicht klar. Immerhin sind bei 4148 Zahlungen die Institutionen namentlich aufgeführt. In über 900 Fällen aber haben Organisationen verhindert, dass ihr Name publik wird.
Das führt teils zu skurrilen Situationen. So legt Pfizer Sponsorenbeiträge an Spitäler und Institutionen im Umfang von über 3 Millionen Franken nur anonymisiert offen. Und der Schweizer Ableger der Pharmafirma Servier zahlte einer nicht bekannten Institution 123’394 Franken Reisekosten und Übernachtungsspesen. Ob für eine oder mehrere Personen, ist unbekannt.
Mit Transparenz hat das wenig zu tun. Das findet auch Walter Reinhart, ehemaliger Chefarzt des Kantonsspitals Graubünden. «Wenn die Reisespesen das Zehnfache des Vortragshonorars betragen, wirft das Fragen auf», sagt der Vorsitzende der Kommission Zusammenarbeit Ärzteschaft – Industrie der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Er engagiert sich seit vielen Jahren für mehr Transparenz. Trotzdem will Reinhart der Selbstregelung der Pharmaindustrie die Chance zugestehen, sich zu verbessern. Er erwarte grundsätzlich vollständige Transparenz, sagt er. Aber: «Wenn sich der Anteil der offengelegten Zahlungen nicht verbessert, wird die Transparenzinitiative zur Alibiübung.»

Leidiges «Forschungsgeheimnis»

Die Pharmaindustrie macht nur halbherzig mit. Nur bei rund 85 der 155 Pharmamillionen legt sie die Empfänger offen. Denn in den Listen der Industrie gibt es neben den anonym ausgewiesenen Geldern für Ärzte und Gesundheitseinrichtungen eine weitere Rubrik: «Forschung und Entwicklung». Darunter fallen 48,7 Millionen Franken, die an nicht namentlich bekannte Spitäler, Organisationen und Institutionen geflossen sind.
Bei der Pharmabranche heisst es dazu, man könne das wegen des Forschungsgeheimnisses nicht einzeln offenlegen. Unter «Forschung und Entwicklung» fallen aber nicht nur klinische Studien, sondern auch die für Marketingzwecke gern benutzten ärztlichen «Erfahrungsberichte» oder «Anwendungsbeobachtungen» – sprich: unwissenschaftliche Erhebungen.
Dabei erkundigen sich die Ärzte bei ihren Patienten im Zuge einer Therapie nach Wohlbefinden und Nebenwirkungen. Was die Patienten oft nicht wissen: Den Fragebogen liefert die Pharmafirma, der Arzt wird entschädigt. Wie viel Geld in wissenschaftliche Studien und wie viel in Marketingerhebungen fliesst, verschweigen die Pharmafirmen.
Auch wenn Zuwendungen an Institute und Organisationen gehen, bleiben Fragen offen. Die Europäische Lungenliga (ERS, in Lausanne) etwa erhält 2,3 Millionen Franken, die Europäische Krebs-Gesellschaft (ESMO, in Lugano) gar 10,3 Millionen. Welche Ärzte profitieren letztlich davon? Werden mit diesen Geldern Kongresse und Tagungen für Ärzte vergünstigt? Oder Beratungs- und Referentenhonorare an Mediziner verschleiert?

Furcht vor dem Transparenzgesetz

Jürg Granwehr vom Branchenverband Scienceindustries sagt dazu lediglich: «Wir sehen gewisse Herausforderungen.» Man wolle mit «adäquatem Aufwand möglichst grosse und verlässliche Transparenz» schaffen. Der Branchenverband prüfe, die eigene Regelung zu «optimieren».
Einige Pharmafirmen beginnen umzudenken. Sie sprechen nur noch Gelder, wenn Ärzte und Spitäler namentlich dazu stehen. Das tun sie nicht ganz freiwillig. Im Hintergrund droht eine gesetzliche Regelung, falls mit der Selbstregulierung keine wirksame Transparenz durchsetzbar ist. Wie etwa in den USA, wo alle Pharmazuwendungen in einer zentralen Datenbank veröffentlicht werden. Einer solchen Regelung möchten Pharmafirmen in der Schweiz zuvorkommen.
Die Stiftung für Konsumentenschutz hat eine klare Forderung. «Die Pharmafirmen müssen alle Empfänger aufführen, auch wenn diese nicht einverstanden sind», verlangt Ivo Meli, Leiter Gesundheit. «Leider hat die Selbstregulierung zu viele Schlupflöcher.» Deshalb müsse der Bund nun eine verbindliche Regulierung einführen. Intransparente Geldflüsse im Gesundheitswesen seien besonders heikel, weil nicht nur die Gesundheit von Patienten betroffen sein könne, sondern auch die Sozialkosten der Allgemeinheit.
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Mitarbeit: Oleg Lavrovsky (Datalets.ch), Stefan Wehrmeyer (Correctiv), Anina Frischknecht, Elio Bucher, Romain Ghibellini (Stiftung für Konsumentenschutz)
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*Im Gegensatz zum Krebsspezialisten Rolf A. Stahel vom Universitätsspital Zürich hat uns Professor Johannes Bitzer auf Anfrage offen und transparent mitgeteilt, wofür er im Jahr 2016 von Pharmafirmen insgesamt 72’000 Franken ausbezahlt erhielt:
Ich habe von folgenden Firmen Zahlungen erhalten:
Bayer Health Care, MSD, Teva, Gedeon Richter, Exeltis, Actavis, HRA, Mithra, Libbs

Die Zahlungen erfolgten gemäss vertraglichen Vereinbarungen für folgende Leistungen:

Beratertätigkeit in Advisory Boards zu folgenden Themen
a) Care. Entwicklung von Betreuungsprogrammen für Adoleszente im globalen Kontext unter Berücksichtigung von kulturellen Unterschieden (2 Tagessitzungen in Berlin) Bayer
b) Aware. Entwicklung von Unterrichtsmaterial (english) zur Betreuung von Frauen mit Androgen Excess (2 bis 3 Tagessitzungen in Berlin) Bayer
c) Advisory Board: Entwicklung einer neuen reinen Gestagenpille 2 Tage ( Madrid Exeltis)
d) Advisory Board : Ergebnisse der Entwicklung eines neuen Kontrazeptiven Pflasters (Sitzung in Mexico City) Bayer
e) Advisory Board: Entwicklung einer neuen Pille mit Estetrol ( Mai Basel im Zusammenhang mit dem ESC Kongress) Mithra
f) Advisory Board: Ulipristal. Notfallkontrazeption
g) Advisory Board MSD: Entwicklung von Material für die kontrazeptive Sprechstunde
(Good contraceptive counselling, Risikoberatung)
h) Advisory Board Gedeon Richter Schweiz: Esmya zur Behandlung von Myomen

Die Bezahlung erfolgte gemäss Vertrag mit Bezahlung pro Stunde von 200-350 CHF bzw. Tagessätze Durchschnitt 2 600 CHF.

Vortragstätigkeit und Lehrtätigkeit an nationalen und internationalen Kongressen sowie Einzelveranstaltungen:
a) Januar 2016: Vorträge Lissabon und Porto zu der Entwicklung eines neuen Verhütungspflasters (Vortrag auf Portugiesisch) Gedeon Richter (2 Vorträge mit Anreise)
b) Februar: Vorträge am ISGE Kongress in Florenz:
• Die Bedeutung verschiedener Gestagene in Verhütungsmitteln (Actavis)
• Blutungen unter hormoneller Kontrazeption (Teva)
• Hyperandrogenismus bei Frauen (Bayer )
c) März 2016: Vortrag in Riga (Lettland) zum neuen Verhütungspflaster (Gedeon Richter)
d) April 2016: Vortrag Kaunas (Litauen ) Verhütungspflaster (Gedeon Richter)
Gleichzeitig Betreuung einer Doktorandin in Kaunas
e) Mai 2016: Leitung und Vortrag eines Symposiums zum Thema: Mythen und Fakten zur Kontrazeption (Bayer) im Rahmen des Europäischen Kongresses der European Society of Contraception and Reproductive Health Care
f) Mai 2016: Vortrag in Linz bei der Oesterreichischen Gesellschaft für Gynäkologie. Neue Entwicklungen in der hormonellen Verhütung (Gedeon Richter)
g) Juni 2016: Vortrag in Kiew: Kontrazeptive Beratung. Wie findet Frau die beste Methode (english) Bayer
h) Juni 2016: Vortrag in Warschau: Die Notfallkontrazeption (HRA Pharma)
i) Juni 2016: Vortrag in Florenz: Verhütung bei Jugendlichen (Gedeon Richter)
k) August 2016: Vortrag Sao Paolo beim Kongress der Gynäkologen von Sao Paolo.
Mythen und Fakten zur Kontrazeption (portugiesisch) (Libbs)
l) September 2016: Vortrag in Prag: Blutungen und Eisenmangel bei prämenopausalen Frauen (Pierre Fabre)
m) Oktober 2016: Vortrag Pau (Frankreich): Daten zum neuen kontrazeptiven Patch (französisch)
n) Oktober 2016: Vortrag Budapest: TEVA Summit. Kontrazeption und Sexualität. (TEVA)
o) Oktober 2016: Vortrag Worclaw Polen: Behandlung des PCO Syndroms ( Bayer )
p) Oktober 2016: Vortrag Taormina (Sizilien): Good clinical practice in kontrazeptiver Beratung (italienisch) (Bayer)
q) November 2016: Vortrag Mexico City (Nationaler Congress): Langzeitkontrazeption (spanisch) Bayer
r) November 2016: Vortrag Tokyo: Presseveranstaltung zur Bedeutung von Hormonen in der Gynäkologie (Nutzen und Risiken) Bayer
s) November 2016: Vortrag Glarus: Neues zur Kontrazeption (Bayer)

Die Bezahlung erfolgte gemäss Vertrag als Honorar pro Stunde oder Tagessatz
Durchschnitt 2’400 CHF

Telefonische Beratertätigkeit und Webcast:
ca. 3 000 Euro
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Siehe auch:

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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Eine Meinung zu

  • am 22.09.2017 um 14:21 Uhr
    Permalink

    Einfache Frage: warum sind unsere Ärzte nicht bei MEZIS?
    MEZIS steht für «Mein Essen zahle ich selbst» oder im englischsprachigen Raum:
    "No free lunch org» oder auf russische oder chinesisch entsprechend. Nur die
    die Schweiz fehlt (oder hat sich vor kurzem etwas geändert?). Einige Schweizer
    Ärzte haben sich aber Mezis angeschlossen.
    Als Mezis vor Jahren in der Schweiz vorgestellt wurde, hiess es dann in der Presse:
    "interessant, die Schweizer Ärzte haben keine Zeit dafür, sie sind politisch anders
    beschäftigt».
    Und ein Journalist schrieb mir auf die Anregung, weiter davon zu berichten:
    "er bekomme dafür keinen Platz in der Zeitung».
    MEZIS stellen der Schweiz gerne Unterlagen zur Verfügung.
    Wir Konsumenten können natürlich bei jedem Arztbesuch fragen: «Herr / Frau Doktor,
    sind Sie bei Mezis? Wo ist der Aufhänger?

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