Wasserzins-Debatte: Strom-Lobby mit direktem Draht
Der offene Angriff der Stromwirtschaft auf die Wasserzinsen der Gebirgskantone setzte Anfang Jahr ein, als der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV), der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und die «Swisselectric» ihr sogenanntes «Flexibilisierungsmodell» präsentierten, mit dem sie eine massive Senkung der fixen Wasserzinsen von heute 550 auf rund 200 Millionen Franken forderten, ergänzt durch einen flexiblen Anteil, falls die Marktpreise dies erlauben.
Stromverband klatscht dem Bundesrat Beifall
Auf das Donnergrollen der Stromlobby folgte nur wenige Monate später das Unwetter des Bundesrats: Am 22. Juni stellte Energieministerin Doris Leuthard die Gesetzesvorlage zur Anpassung des Wasserrechtsgesetzes vor: In einer Übergangszeit bis 2022 sollen die Wasserzinsen von 550 auf 400 Millionen Franken sinken und danach gemäss Flexibilisierungsmodell auf 250 Millionen. «Ein Schritt in die richtige Richtung», klatschte der VSE Beifall.
Die Stromlobby hatte es geschafft, beim Bundesrat beziehungsweise beim federführenden «Bundesamt für Energie» (BFE) bereits in der Vernehmlassung, die noch bis Mitte Oktober dauert, mehr als eine Halbierung der Wasserzinsen zulasten der Gebirgskantone aufzugleisen. Ein Meisterstück des Lobbyings!
Der Coup war von langer Hand geplant: Bereits vor drei Jahren verlangte die nationalrätliche Energiekommission Urek mit einer Motion vom Bundesrat, die Wasserzinsregelung nach 2019 «zügig an die Hand zu nehmen». Wer die Idee eingebracht hatte, blieb im Dunkeln. Über die Urheber «wird nicht kommuniziert», erklärte Urek-Sekretär Sébastien Rey auf Anfrage.
Wasserwirtschaftsverband und Swisselectric ziehen die Fäden
Mehr verraten die Jahresberichte des SWV, dessen Mitglieder die Stromkonzerne Axpo, Alpiq, BKW, Repower und EnAlpin sind und der von SVP-Präsident Albert Rösti präsidiert wird. Der Jahresbericht 2014 zeigt, wie das Wasserzins-Lobbying ablief:
«Im Rahmen der Koordination mit der ‚Gruppe Bern‘ hat sich die ‚Hydrosuisse‘ mit diversen parlamentarischen Vorstössen beschäftigt und Positionen beziehungsweise Ampeldokumente erarbeitet. Im Berichtsjahr betraf dies unter anderem die Motion der Urek Nationalrat zur ‚Neuregelung der Wasserzinsen ab 2019‘.»
Die «Hydrosuisse» ist eine Fachkommission des SWV und die «Gruppe Bern» wird von der Swisselectric, einem weiteren Lobbyverband der Stromwirtschaft, organisiert. Im Interessenregister des Nationalrats gibt es allerdings keine «Gruppe Bern», höchstens eine «Arbeitsgruppe Swisselectric». Mitglied dieser Arbeitsgruppe war der damalige Urek-Präsident und Aargauer SVP-Nationalrat Hans Killer.
Erstaunliches Einfühlungsvermögen des Bundesrats
Die Motion traf im BFE auf offene Ohren und wurde mit Hochdruck bearbeitet: Schon drei Monate später gab der Bundesrat seine Zustimmung bekannt und machte sich für das Wunsch-Modell der Strombranche stark: «Das in der Motion vorgeschlagene System der Flexibilisierung der Wasserzinsen wird ebenfalls als mögliche Variante geprüft.» Das war aus zwei Gründen erstaunlich: Erstens war im Motionstext gar nicht explizit von einem Flexibilisierungsmodell die Rede. Zweitens war diese Motion ohnehin überflüssig, weil die bisherige Wasserzinsregelung auf Ende 2019 befristet ist und der Bundesrat per Gesetz für eine Neuregelung ab 2020 sorgen muss.
Das erstaunliche Einfühlungsvermögen des Bundesrats gegenüber den Wünschen der Stromwirtschaft ist brisant, insbesondere wegen einer personellen Verflechtung: Natalie Beck Torres, die damalige Leiterin der BFE-Sektion Wasserkraft, sass nämlich gleichzeitig im Vorstand des SWV, der damit sozusagen über einen direkten Draht ins BFE verfügte. Auch sonst war Beck Torres bestens mit der Stromwirtschaft vernetzt: Von 2001 bis 2006 arbeitete sie für die BKW und von 2008 – 2012 für den Alpiq-Konzern.
Nach dem grünen Licht des Nationalrats und des Bundesrats legte sich die ständerätliche Energiekommission quer, indem sie sich dagegen aussprach, «bereits Massnahmen zur Flexibilisierung der Wasserzinsregelung in den Vordergrund zu stellen». Im Dezember 2015 stimmte der Ständerat dieser Forderung zu und im März 2016 auch der Nationalrat. Damit war der parlamentarische Auftrag klar: Keine Fokussierung auf das Flexibilisierungsmodell.
Bundesamt für Energie sieht «keinen Interessenkonflikt»
Gleichzeitig nahm das Lobbying des SWV in Bern weiter Fahrt auf. Im Jahresbericht 2016 ist von «zahlreichen Verhandlungsrunden» und von der «Teilnahme an runden Tischen des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK» die Rede. Inzwischen hatte Christian Dupraz die Nachfolge von Beck Torres als BFE-Leiter Wasserkraft angetreten. Wie Beck Torres sass auch Dupraz im SWV-Vorstand und hatte früher für die BKW gearbeitet.
Obwohl der Chefbeamte Dupraz an den runden Tischen den Beamten- und den Lobby-Hut trug, kann das BFE auf Anfrage «keinen Interessenkonflikt» erkennen und behauptet allen Ernstes, Dupraz habe sich im SWV-Vorstand «vorwiegend mit administrativen Dossiers wie Budgets» befasst. Auch SWV-Geschäftsführer Roger Pfammatter sieht keinen Vorteil für den SWV. Manchmal scheine ihm «sogar eher das Gegenteil der Fall zu sein».
Bezüglich der aktuellen Mitgliedschaft von Dupraz sind sich SWV und BFE nicht einig: Während BFE-Sprecherin Marianne Zünd erklärt, Dupraz habe das SWV-Mandat «mit Schreiben vom Februar 2017 niedergelegt», hält SWV-Geschäftsführer Pfammatter fest, Dupraz sei noch «bis im September 2017 im Vorstand des SWV vertreten». Danach habe das BFE «im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen 2017 – 2020 auf die weitere Einsitznahme verzichtet».
Uvek-Bericht ist «missverständlich formuliert»
Während die Stromlobby hinter den Kulissen an den runden Tischen punktete, setzten sich die Gebirgskantone sogar für Subventionen zugunsten der Strombranche ein, in der Hoffnung, diese in der Wasserzins-Frage milde zu stimmen. Vergeblich, wie jetzt die Wasserzins-Vorlage zeigt. Wie schon in der Vergangenheit, verfolgten die Strombarone ihre eigenen Interessen: Solange die Stromkonzerne Milliardengewinne einfuhren, war nämlich die Flexibilisierung der Wasserzinsen kein Thema. Doch jetzt steht ihnen das Wasser bis zum Hals, unter anderem weil sie einen Teil der Wasserkraftgewinne im Ausland verzockt haben.
Obwohl sich das Parlament im März 2016 ausdrücklich gegen die Fokussierung auf das Flexibilisierungmodell ausgesprochen hatte, tauchte das Modell der Stromwirtschaft mit dem Start der Vernehmlassung im Juni erstaunlicherweise wieder im Bericht des Bundesrats auf, der sich dabei ausgerechnet auf die längst überholte, vom Parlament abgeänderte Motion der Urek des Nationalrats abstützte.
Trotzdem will das BFE von einer Missachtung des parlamentarischen Auftrags nichts wissen. Der Bericht sei zwar «missverständlich formuliert», aber der Auftrag des Parlaments sei «jederzeit erfüllt» gewesen. Zur Begründung verweist das BFE auf Gespräche mit der Energiewirtschaft und den Gebirgskantonen, die «in den Grundzügen ähnliche Modelle» verfolgt hätten. In der Tat haben sich die Gebirgskantone gutgläubig auf Verhandlungen mit der Stromwirtschaft zur Flexibilisierung der Wasserzinsen eingelassen und damit den Auftrag des Parlaments unterlaufen.
Den Gebirgskantonen fehlte der direkte Draht
Diesen taktischen Fehler wusste die Stromlobby voll zu nutzen. Denn nicht nur bezüglich des Wasserzins-Fixums liegt der Bundesrat sehr nahe bei den Vorstellungen der Strombranche, sondern auch bezüglich der Behauptung, die Wasserkraft sei nicht rentabel. Obwohl dies höchst umstritten ist, stimmt der Bericht des Bundesrats vorbehaltlos ins Krisen-Lied der Strombranche ein. Die Ergebnisse kritischer Studien aus dem Umfeld der Gebirgskantone hingegen sucht man darin vergeblich. Hier fehlte offenbar der direkte Draht.
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Dieser Artikel ist in einer gekürzten Fassung im «Beobachter» vom 4. August 2017 erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Geschäftsleiter (1994 - 1996), Beirat (1996 - 2012) und Redaktor (1996 - 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Es lässt sich belegen, dass sich die Gebirgskantone (jedenfalls Graubünden) in der Zeit hoher Strommarktpreise selbst die Flexibilisierung der Wasserzinsen ins Nest gelegt haben — quasi als Kuckucksei. Die Flachlandkantone und ihre Stromkonzerne brüten es nun, bei tiefen Marktpreisen, genüsslich aus. Im Strombericht 2008 des Wirtschaftsforums Graubünden, also aus der Zeit sehr hoher Strompreise, wird eine besonders konsequente (oder dreiste) Variante der Flexibilisierung, genannt Ressourcenrentensystem, angepriesen (ab S.58; das «Handlungsfeld Wasserzinsen» und die Flexibilisierung derselben grundsätzlich ab S. 52). Der Bericht ist online: http://bit.ly/stb2008. So viel zur Urheberschaft.
Welches Modell, flexibel oder steif, für die Gebirgskantone besser oder schlechter ist, wäre ein anderes Thema. Nur die Zukunft weiss es.
Und, ob einzelne Gemeinden und Kantone berechtigt sein sollten, überhaupt eine Wasserkraftrente abzuschöpfen, oder ob diese nicht besser an den Bund bzw. gleichberechtigt an alle Individuen (des Bundes) gehen sollte, ist eine weitere Frage. Kleiner Irrtum vorbehalten habe ich meine entschiedene Meinung dazu schon in einem Kommentar zu einem anderen Artikel auf Infosperber erläutert. Aber in Kürze: Gemeinden und Kantone sollten kein solches Recht besitzen.