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Krebsmittel Ibrance: Teuer, aber keine Vorteile

Red. /  Medizinprüfer sehen «keinen Zusatznutzen» für das neue Brustkrebs-Medikament Ibrance, das im Monat über 4000 Franken kostet.

Das neue Medikament Ibrance sollte ein Meilenstein sein in der Behandlung von fortgeschrittenem Brustkrebs mit Metastasen. Vollmundig versprach der US-Hersteller Pfizer «qualitativ wertvolle Lebenszeit ohne ein Fortschreiten der Krankheit» und schürte Hoffnung bei vielen Brustkrebs-Patientinnen, für die keine weitere Chemotherapie, Strahlentherapie oder Operation mehr in Frage kommt. Ibrance kann den Krebs zwar nicht heilen, doch bremst oder stoppt es vorübergehend das Wachstum von Tumoren. Dass die betroffenen Frauen deswegen länger leben, konnte Pfizer nicht nachweisen.
In der Schweiz ist der neue Wirkstoff Palbociclib seit Februar 2017 zugelassen. Seit Anfang März müssen Krankenkassen das neue Krebsmittel Ibrance vergüten. Wie alle neuen Krebspräparate ist Ibrance vor allem eines: extrem teuer. Eine Packung mit 21 Tabletten kostet in der Schweiz 4145 Franken. Nur einen Monat nach der Zulassung durch die Swissmedic hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Ibrance in die Liste der kostenpflichtigen Medikamente aufgenommen. Unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt ist der Blitzentscheid des BAG schwer nachvollziehbar.
Zur Zulassung genügte es, dass Ibrance mit dem Wirkstoff Palbociclib die Vergrösserung des Tumors um durchschnittlich 6,6 Monate hinauszögerte («progressionsfreies Überleben»). Ob eine Patientin mit Ibrance aber tatsächlich länger lebt, ob es ihr besser geht, ob der Tumor anschliessend schneller wächst, ob starke Nebenwirkungen auftreten – all dies geht aus der Dokumentation von Pfizer nicht hervor.
Bei der Nutzenbewertung durchgefallen
Deutsche Wissenschaftler haben jetzt starke Zweifel, dass Ibrance den Frauen besser hilft als bisherige, viel kostengünstigere Therapien, berichtete das ARD-Magazin «Plusminus». Möglicherweise verursacht das teure, neue Krebsmittel sogar mehr Schmerzen, Übelkeit und Durchfall als ältere Präparate.
Unabhängige Wissenschaftler haben die Studien von Pfizer zu Ibrance analysiert. Ihr Urteil ist vernichtend: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der in Deutschland den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung festlegt, kam zum Schluss, dass sich für Ibrance bisher «kein Zusatznutzen» für Patientinnen belegen lasse. Und zwar «weder bei der Lebenszeit noch hinsichtlich der Lebensqualität», wie der G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken gegenüber «Plusminus» ausführte.


«Ibrance hat gegenüber den bisherigen Therapieoptionen für Frauen mit Brustkrebs keinen Zusatznutzen» (Quelle: ARD)
Das fachlich unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln hatte zuvor zwei Studien ausgewertet und stellte fest, der neue Wirkstoff habe «keine Vorteile» gegenüber der Standardtherapie mit dem Medikament Letrozol. Bisher habe Pfizer in keiner Studie nachgewiesen, dass Patientinnen mit Ibrance länger leben als Patientinnen, die ein herkömmliches Präparat bekamen. Zudem traten bei 78 von 100 Frauen mit Ibrance schwere Nebenwirkungen auf, dazu gehören Schmerzen, Übelkeit, Durchfall, Haarausfall und Blutbildungsstörungen. Beim älteren Präparat war nur jede vierte Frau von Nebenwirkungen betroffen.
Standardtherapie: 300 Euro – Ibrance: 66’000 Euro
Ibrance ist in Deutschland seit November 2016 zugelassen. Kassen zahlen für eine Monatspackung 5425 Euro, das sind rund 66‘000 Euro pro Jahr und Patientin. Diesen Preis hat Pfizer bei der Einführung des neuen Medikaments festgelegt. Zum Vergleich: Die ebenso wirksame Standardtherapie mit Letrozol kostet gerade einmal 300 Euro im Jahr.
Allein in Deutschland könnten bis zu 70‘000 Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs Ibrance erhalten. Bei den jetzigen Kosten würde das die Krankenkassen mit bis zu 5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich belasten, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) errechnet. Nach der negativen Bewertung von Ibrance werde Pfizer zukünftig einen erheblich niedrigeren Preis akzeptieren müssen, meint deshalb Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Bis Ende 2017 muss in Deutschland entschieden werden, wie viel die Kassen künftig für das neue Brustkrebsmittel bezahlen.
Für den Hersteller ist die negative Bewertung von Ibrance in Deutschland ein herber Dämpfer. Pfizer Deutschland teilte «Plusminus» schriftlich mit, «der Beschluss stehe im Widerspruch zu den Einschätzungen zahlreicher medizinischer Fachgesellschaften». Der US-Hersteller hat das Krebsmittel Ibrance als potenziellen «Blockbuster» auf den Markt gebracht – es sollte ein Milliardengeschäft werden für den Pharmariesen und seine Aktionäre. Jetzt muss Pfizer – zumindest in Europa – mit empfindlichen Umsatzeinbussen rechnen.
Neue Krebsmittel bringen selten Vorteile
Das Brustkrebs-Medikament Ibrance ist kein Einzelfall. Bei vielen Krebsmitteln, die neu auf den Markt kommen, können Hersteller nicht konkret nachweisen, welchen effektiven Vorteil – Verlängerung des Lebens oder Verbesserung der Lebensqualität – die neuen Medikamente haben. Doch obwohl der Nutzen nicht bekannt ist, erteilen Behörden die Zulassung lediglich aufgrund des verzögerten Wachstums des Tumors. Von den meisten neuen Präparaten profitieren die Patienten kaum. Nur jedes sechste neue Krebsmittel verlängert das Leben der Patienten um mehr als hundert Tage. Das zeigt eine Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts in Wien.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Chul Kim vom Nationalen Krebsinstitut der USA und Vinay Prasad von der Universität Oregon in Portland. Die Wissenschaftler werteten den Nutzen von neuen Krebsmedikamenten in den USA über einen Zeitraum von fünf Jahren aus. Bei nur 15 von 54 Medikamenten konnten die Hersteller belegen, dass die Präparate das Leben der Patienten verlängern. Bei 39 Medikamenten wiesen die Hersteller lediglich nach, dass der Tumor langsamer wuchs. Vier Jahre nach der Zulassung zeigte sich: Von diesen 39 Medikamenten verlängerten nur 5 das Leben der Patienten um mehr als hundert Tage. Bei den übrigen Mitteln stellte sich heraus, dass es keinen Vorteil für Patienten gibt oder es ist immer noch unklar, ob die Patientinnen von den Mitteln profitieren.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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