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Die Recherchierer von Correctiv.org haben die bekannten Pharmazahlungen zusammengestellt. © correctiv

Novartis ködert Ärztinnen und Ärzte am meisten

Markus Grill und Stefan Wehrmeyer /  Oft verschreibt ein Arzt nicht das geeignetste Medikament , sondern eines, für das ihn die Pharma speziell bezahlt.

upg. Pharmakonzerne müssen in den USA seit 2013 alle Zahlungen an Ärzte, Spitäler und Patientenorganisationen offenlegen. Im Internet kann jede Frau und jeder Mann den Namen eines Arztes oder einer Ärztin eingeben und erfährt dann, wie viel Geld der Gesuchte von Pharmakonzernen entgegen genommen hat, und für welche Zwecke. Eine vergleichbare gesetzliche Vorschrift in europäischen Ländern wollen die Pharmafirmen mit allen Mitteln verhindern und geben deshalb «freiwillig» einige Zahlen bekannt.
Zum Beispiel erhalten viele Ärzte Geld, wenn sie ihren Patientinnen ein bestimmtes Medikament verordnen und anschliessend einen Fragebogen etwa zur Verträglichkeit zu Handen der Herstellerin ausfüllen. Die Patienten wissen meistens nichts davon. Für solche «Anwendungsbeobachtungen» erhielten Ärzte letztes Jahr in Deutschland 100 bis 200 Millionen Euro. Genauer sagen es die Pharmakonzerne nicht, weil sie den Posten «Anwendungsbeobachtungen» mit dem Posten «klinische Studien» zusammenfassen. Markus Grill, Stefan Wehrmayer, Irene Berres, Heike Le Ker und Christina Elmer vom unabhängigen Recherche-Zentrum correctiv.org haben die von den Pharmakonzernen in Deutschland freigegebenen Zahlen aufgearbeitet. Novartis hat die grössten Summen verteilt.

Nur jeder vierte Arzt legt offen, was er von Pharmafirmen erhält
Im Jahr 2016 haben die Pharmakonzerne 562 Millionen Euro an Mediziner und Kliniken in Deutschland gezahlt. Als die Firmen anschliessend gefragt haben, ob sie diese Zuwendungen veröffentlichen dürfen, hat nur jeder vierte Arzt zugestimmt. Im Jahr zuvor waren es noch 31 Prozent mit einer Veröffentlichung einverstanden.
2016 finanzierten die Pharmaunternehmen Tausenden Ärztinnen und Ärzten Besuche auf Kongresse, bezahlten sie für ihre Vorträge bei Tagungen, erstatteten ihnen Hotelrechnungen und zahlten Honorare für Studien. 54 Pharmafirmen, die nach eigenen Angaben 75 Prozent des Gesamtmarktes abdecken, haben ihre Zahlungen grob offengelegt.
Sie allein haben 2016 insgesamt rund 66’000 Ärzte, Apotheker und andere Gesundheitsberufler sowie rund 6’020 Institutionen wie Kliniken und Praxen finanziell unterstützt. Die Zahlungen beliefen sich auf insgesamt 562 Millionen Euro. Sie teilten sich wie folgt auf:

  • 356 Millionen Euro erhielten die Empfänger für sogenannte Anwendungsbeobachtungen (AWB) und klinische Studien;
  • 105 Millionen Euro bekamen einzelne Ärzte, Apotheker und Heilberufler für Vorträge, Fortbildungen und Beratung;
  • 101 Millionen Euro empfingen Krankenhäuser und andere Einrichtungen für Sponsoring, Beratung und Veranstaltungen.

Nicht jede Verbindung zwischen der Industrie, Kliniken und Ärzten ist zu verteufeln. So ist es zum Beispiel wichtig, dass praktizierende Ärzte Pharmafirmen bei der Entwicklung neuer Medikamente beraten. Anders als bei Medizinern steht bei den Firmen jedoch nicht allein das Wohl der Patienten im Mittelpunkt, sondern auch das Streben nach einem möglichst grossen Gewinn.
Diese verschiedenen Interessen können die unabhängige Urteilskraft von Ärzten beeinflussen, müssen es aber natürlich nicht.

  • Studien haben allerdings gezeigt, dass Mediziner mit vielen Verbindungen zur Pharmaindustrie Gefahr laufen, Nebenwirkungen eher herunterzuspielen oder eher teure Medikamente verschreiben.

Die US-Regierung reagierte bereits 2010 auf die Problematik und schuf ein Gesetz, das die Offenlegung aller Pharma-Zahlungen an Mediziner seit 2013 vorschreibt. Um eine solche Regelung in Deutschland zu verhindern, starteten die Lobbyorganisationen VfA und FSA 2015 den Transparenzkodex. Dieser sieht vor, dass die 54 Mitgliedsunternehmen neben Gesamtsummen jeweils eine Liste mit den Namen einzelner Ärzte und den an sie gezahlten Leistungen veröffentlichen.
Das Mitmachen der Ärzte ist freiwillig
Das Problem: Die Firmen nennen die Namen nur, wenn Zahlungsempfänger der Veröffentlichung zugestimmt haben. Im vergangenen Jahr waren dazu 31 Prozent der Empfänger bereit, in diesem Jahr lag die Quote nur noch bei 25 Prozent – also nur bei jeder vierten Person, die Pharmaleistungen empfangen hat. Anders gesagt: Drei Viertel aller Betroffenen wollen die Zahlungen geheim halten. Trotz des geringen Anteils liefern die Dokumente die Namen von mehr als 16’500 Personen, die zusammen Leistungen im Wert von knapp 24 Millionen Euro erhalten haben.

Um auf Basis dieser Daten eine grösstmögliche Transparenz zu schaffen, hat Correctiv gemeinsam mit dem Datenteam von «Spiegel Online» die Informationen aus den Dokumenten zusammengefasst und die Datenbank «Euros für Ärzte» 2016 erstellt. Darin lassen sich die Summen für jene Ärzte und Fachkreisangehörige suchen, die einer Namensnennung zugestimmt haben. Auch die Institutionen, Organisationen und Kliniken sind auffindbar samt erhaltener Summe. Ausserdem gibt es so genannte «Null-Euro-Ärzte», die Pharmazahlungen laut eigenen Angaben ablehnen. Ärzte können sich selber eintragen.

Die meisten der aufgeführten Ärzte und sogenannten Fachkreisangehörigen bekamen weniger als 1000 Euro, wie die folgende Auflistung verdeutlicht:

  • 9,1 Prozent erhielten unter 100 Euro;
  • 47,4 Prozent erhielten unter 500 Euro;
  • 70,4 Prozent erhielten unter 1000 Euro.

Daneben gab es jedoch auch Einzelpersonen mit enorm hohen Beträgen. Rund 1,3 Prozent der Ärzte kam auf mehr als 10’000 Euro. Dem Spitzenreiter der Liste liessen Pharmafirmen sogar eine Summe von fast 200’000 Euro zukommen. Er ist allerdings der einzige Arzt in der Datenbank, bei dem die Summe die 100’000-Euro-Marke überstieg. Gezahlt wurden die Gelder vor allem für Beratungs- und Dienstleistungshonorare sowie Reise- und Übernachtungskosten im Zusammenhang mit Fortbildungen.

Folgende Pharmafirmen zahlten 2016 die grössten Geldsummen an Mediziner, Fachkreisangehörige und Institutionen:

  • Novartis Pharma: 23,6 Millionen Euro
  • Bayer: 17 Millionen Euro
  • MSD: 12,1 Millionen Euro
  • Berlin-Chemie: 11,7 Millionen Euro
  • Bristol-Myers-Squibb: 11,2 Millionen Euro

Die im vergangenen Jahr zum ersten Mal aufgeschlüsselten Daten bedeuten eine Zäsur. Noch nie erhielt die Öffentlichkeit einen so detaillierten Einblick in die finanziellen Verbindungen von Medizinern, Kliniken und der Industrie. Dennoch krankt das aktuelle System neben dem Prinzip der Zustimmung für eine Offenlegung noch an einem weiteren Punkt: Es klammert einen Grossteil der Zahlungen aus.

Umstrittene Anwendungsbeobachtungen
Die detailliert aufgeschlüsselten Angaben umfassen aktuell nur Leistungen im Zusammenhang mit Beratung, Fortbildung oder etwa Sachspenden. Welche Personen und Institutionen wie viel Geld im Zusammenhang mit Forschungsprojekten bekommen haben, halten die Unternehmen weiterhin geheim. Damit verschweigen sie Details über eine Summe von 356 Millionen Euro – mehr als 60 Prozent der Gesamtzahlungen.

Kritiker sehen darin Kalkül, da die Unternehmen so Ausgaben für eine umstrittene Praxis verschweigen können. Neben wichtigen klinischen Studien, bei denen potenzielle neue Medikamente vor ihrer Zulassung erprobt werden, enthält die Summe von 356 Millionen auch Zahlungen für sogenannte Anwendungsbeobachtungen. Dabei erhalten Mediziner Geld, wenn sie ihren Patienten ein bestimmtes Medikament verordnet haben und anschliessend einen Fragebogen etwa zur Verträglichkeit ausfüllen.

Die wissenschaftliche Qualität der Anwendungsbeobachtungen sei äusserst schlecht, wird oft kritisiert. Statt dem Wohl der Patienten dienen sie demnach vor allem dazu, die Ärzte für die Verordnung des neuen Mittels zu bezahlen und die Behandelten langfristig an das Präparat zu binden. Die Unternehmen hingegen rechtfertigen die Untersuchungen als wichtige Praxisprobe – und wollen deshalb auch bei der Veröffentlichung der Zahlen keine Unterscheidung zwischen diesen und gesetzlich vorgeschriebenen klinischen Studien machen.
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Diese Recherche beruht auf einem gemeinsame Datenprojekt von «SpiegelOnline» und dem Recherchezentrum Correctiv.org. Den direkten Link zur Datenbank «Euros für Ärzte» finden Sie hier.
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Eine Meinung zu

  • am 18.07.2017 um 16:32 Uhr
    Permalink

    Schon seltsam: Da verlangt man von Ärzten marktwirtschaftliches Handeln, und dann tun die das auch noch!

    Die Unterstellung, dass Ärzte weniger geeignete Medikamente verordnen, wenn sie dafür bezahlt werden, finde ich aber dennoch ziemlich gewagt. Ich denke nicht, dass diese Behauptung vor Gericht bestehen würde, wenn Sie Namen genannt hätten.

    Ich finde, wer seinem Arzt so ein Handeln zutraut, sollte schlicht den Arzt wechseln. Ich würde ja auch nicht zu einer Werkstatt gehen, von der ich vermute, dass sie mir schlechte Ersatzteile und schlechte Pneus verkauft, weil sie dafür bestochen wird.

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