U-Boot-Affäre: Netanyahu gerät ins Visier
«Police Detained Netanyahu’s Senior Aid in Submarine Corruption Case» titelte gestern die Jewishpress.com. Das in New York angesiedelte Newsportal steht politisch weit rechts und verteidigt im allgemeinen Netanyahus Politik auf der ganzen Linie. Wenn die Redaktion sich gezwungen sieht, unter Berufung auf die israelische Tagespresse die unangenehme Tatsache zu vermelden, dass erneut im engeren Umfeld von Netanyahu ermittelt wird, dann ist zu folgern, dass dicke Luft herrscht hinter den politischen Kulissen in Tel Aviv.
Sieben Festnahmen wegen Korruptionsverdacht
Es geht unter anderem um den Verkauf von Patrouillenbooten und U-Booten der sogenannten Dolphin-Klasse, die der Stahlkonzern Thyssen-Krupp in seiner Werft in Kiel für Israel baut. Israel besitzt bereits fünf dieser Schiffe. Drei weitere sollen nun geliefert werden. Die U-Boote können mit Atomwaffen bestückt werden.
Der Deal ist seit Monaten überschattet von Korruptionsvorwürfen. Trotzdem hat die deutsche Bundesregierung Ende Juni beschlossen, die Lieferung freizugeben. Deutschland übernimmt, wie schon bei vorhergehenden Lieferungen, einen Drittel des Preises, was die deutschen Steuerzahler in diesem Fall erneut 1,5 Milliarden Euro kostet.
Im Zuge der Korruptions-Ermittlungen hat die israelische Polizei am Montag sieben Personen festgenommen. Darunter befindet sich der Rechtsanwalt David Shimron, ein Verwandter und persönlicher Rechtsberater von Premier Netanyahu. Weitere festgenommene Verdächtige sind der Geschäftsmann Miki Ganor, Vertreter von Thyssen-Krupp in Israel, Eliezer Marom, ehemaliger Oberkommandierender der israelischen Marine, und Avriel Bar-Yosef, ehemaliger Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates.
Die Vorwürfe lauten auf Betrug, Bestechung, Steuerhinterziehung und Geldwäscherei.
U-Boot-Deal gegen den Willen der Armee
Die Affäre ist am Kochen seit der israelische Verteidigungsminister Moshe Ya’alon im letzten Jahr unter Protest zurücktrat, weil er die Geschäfte mit Thyssen-Krupp nicht billigte. Er erklärte, die Beschaffung von weiteren U-Booten sei für die Sicherheit Israels nicht notwendig. Ya’alon fordert seither lückenlose Aufklärung und droht, er werde auspacken, wenn nicht auch gegen Netanyahu ermittelt werde.
Netanyahu drückte den Deal mit Thyssen-Krupp offenbar gegen den Willen der israelischen Armee durch. Als dann bekannt wurde, dass Netanyahus Anwalt Shimron eine beratende Funktion bei Thyssen-Krupp hat, leitete Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit im November 2016 die Ermittlungen ein.
Gegen Netanyahu wird nicht direkt ermittelt. Das ändert aber nichts am starken Verdacht, dass er sehr wohl über schmutzige Geschäfte Bescheid wusste. Er selbst war es, der sich in grosser Lautstärke für die Anschaffung weiterer U-Boote einsetzte und die Sicherheit Israels davon abhängig machte.
Nährboden für florierende Rüstungsindustrie
Israelische und US-amerikanische Regierungsbeamte haben im Oktober 2003 eingeräumt, dass israelische U-Boote der Dolphin-Klasse mit Cruise Missiles vom Typ Harpoon bestückt werden können, die Atomsprengköpfe tragen. Das berichteten damals übereinstimmend der britische Guardian und die Los Angeles Times. Die Enthüllung war wohl kein Versehen, sondern kalkulierter Teil der Droh- und Abschreckungspolitik der damaligen Regierung unter Präsident George W.Bush. Strategie-Experten gehen davon aus, dass Israel über 150 bis 200 Atomsprengköpfe verfügt.
Israel ist der viertgrösste Waffenexporteur der Welt. Im israelischen Militärapparat sind Wirtschaft und Politik der nationalen Sicherheit quasi zu einer geballten Ladung konzentriert. Die Ideologie der permanenten Bedrohung durch die arabischen Nachbarn ist der notwendige Nährboden für eine florierende Rüstungsindustrie, die wiederum eng verbunden ist mit den Rüstungsfirmen der NATO-Staaten.
Der israelische Deal mit Thyssen-Krupp stösst in der deutschen Öffentlichkeit seit vielen Jahren auf Entrüstung. Kritiker monieren, Deutschland verstosse mit dem Milliarden-Geschäft gegen deutsche Gesetze, die Waffenlieferungen in Spannungsgebiete untersagen, wie auch gegen internationale Verträge über die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen. Die Bundesregierung argumentiert, man verkaufe die U-Boote ohne Waffen und habe keinen Einfluss darauf, in welcher Form Israel sie als Träger von Nuklearwaffen umrüste.
Thyssen-Krupp hat mitgeteilt, man habe keine Unregelmässigkeiten beim Erwerb der U-Boote durch Israel feststellen können.
Rüstungsgeschenke für Israel
Israel erhält gemäss einem Vertrag, der 2018 ausläuft, von den USA jährlich rund drei Milliarden Dollar Militärhilfe. Die Regierung Obama hat in einem neuen Abkommen diesen Betrag aufgestockt. Von 2019 bis 2028 zahlt Washington Israel 38 Milliarden Dollar für die Aufrüstung, also 800 Millionen Dollar mehr pro Jahr (NZZ, 15. Sept. 2016).
Man kann dieses rekordhohe Rüstungsgeschenk als ein Zückerchen der Beruhigung für Premier Netanyahu ansehen. Netanyahu lief Sturm gegen das Atomabkommen zwischen dem Iran und den USA. Er hatte landauf landab verkündet, der Iran werde nun innert zehn Jahren im Besitz der Atombombe sein und Israel angreifen.
Saudiarabien argumentierte ähnlich und stiess bei Präsident Trump auf offene Ohren. Damit ist eine gigantische Aufrüstungsspirale programmiert, die den kriegsversehrten Nahen und Mittleren Osten noch weiter destabilisieren wird.
Abschreckung ohne politischen Preis
Der Eiertanz um die israelische Atombombe dauert seit einem halben Jahrhundert. Der israelische-amerikanische Historiker Avner Cohen hat geschrieben, das entsprechende Agreement sei im September 1969 bei einem Treffen zwischen Präsident Richard Nixon und der israelischen Premierministerin Golda Meir geschlossen worden. Seitdem gilt der politische Taschenspieler-Trick: Israel hat die Bombe, zeigt aber auf der Bühne nur leere Taschen. Die USA machen die drei Affen: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.
Die Spitze des Zynismus bei dieser Aufführung besteht darin, dass Israel nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag verstösst: Es hat ihn nie unterschrieben. Die Dialektik dieser Politik ist offensichtlich: Israel kann und soll nicht offiziell als Bedrohung für seine arabischen Nachbarn verantwortlich gemacht werden. Andererseits sollen diese Nachbarn sehr wohl wissen, dass sie es mit einer Atommacht zu tun haben. Die Strategie heisst: Abschreckung ohne politischen Preis.
Der ehemalige Knesset-Sprecher Avraham Burg hatte schon vor Jahren genug von diesem Versteckspiel. Auf einer Konferenz in Haifa sagte er im Dezember 2013, Israel habe «nukleare und chemische Waffen», die Politik der Zweideutigkeiten sei «überholt und kindisch».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Helmut Scheben war von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter im «Schweizer Fernsehen» (SRF), davon 16 Jahre in der «Tagesschau».
"Der israelische Deal mit Thyssen-Krupp stösst in der deutschen Öffentlichkeit seit vielen Jahren auf Entrüstung."
Hoffen wir, dass der Ent-rüstung die Ab-rüstung folgt … 😉