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Synes Ernst, Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Keine Lust, ein «Mistkäfer» zu sein

Synes Ernst. Der Spieler /  Wer darf ein Spiel beginnen? Beim Lesen von Spielanleitungen begegnet man zum Teil grösstem Unsinn. Und verkrampfter Fröhlichkeit.

So ein Mist! Da lag eben noch eine schöne Anzahl Würfel in drei Reihen auf meinem Tableau. Jetzt sind schon wieder ein paar weg, und futsch ist die Wertung, von der ich mir doch ein paar Siegpunkte erhofft habe. Wirklich, so ein Mist! schimpfe ich insgeheim vor mich hin, und fast bin ich geneigt, alle, die mir meine Würfel klauen und mir auf diese Weise einen Strich durch meine Rechnung machen, als «Mistkäfer» zu bezeichnen. Was in diesem Fall sogar passend wäre: Wir spielen «Mistkäfer», ein vor kurzem erschienenes Würfelspiel, in dem gegenseitiges Ärgern grossgeschrieben ist, was aber der Emotionalität und der Intensität des Spielerlebnisses nur zuträglich ist.

Ich mag Spiele mit hohem Ärgerfaktor. «Mistkäfer» hat mir aus diesem Grund auf Anhieb gefallen. Gleichzeitig mich aber auch geärgert, was jedoch nicht mit dem Spiel selber zusammenhängt, sondern mit einem winzigen Detail, das die Redaktion zu verantworten hat. Wie in den Spielanleitungen üblich, steht auch hier, wer Startspieler ist. Ich lese: «Der ‹grösste Mistkäfer› unter den Spielern beginnt.» Da im allgemeinen Sprachverständnis ein Mistkäfer nicht als das gilt, was er in Wirklichkeit ist, nämlich ein Saubermacher, sondern exakt das Gegenteil, beginnt am Spieltisch nun die schwierige Suche nach dem «grössten Schmutzfink». Hat man ihn gefunden, darf dieser das Spiel eröffnen. Ob das für einen solcherart disqualifizierten Mitspieler dann noch eine Ehre ist, wage ich zu bezweifeln.

Kinder wollen nicht «Schmutzfink» sein

Nun, man sollte das nicht allzu ernst nehmen. Schliesslich hat man sich zum Spielen an den Tisch gesetzt und nicht zu einer Vorstandssitzung. Einverstanden. Man stelle sich aber vor, was passieren könnte, wenn ich beim Erklären des Spiels «Mistkäfer» in einer Runde von erwachsenen Menschen nach dem «grössten Schmutzfink» fragen würde. Im besten Fall käme es zu einem Riesengelächter, im schlechtesten aber würde ich mich absolut lächerlich machen: «Da kommt einer und will uns ernsthaft zeigen, wie gut, wichtig und schön Spielen ist, und dann ein solcher Schwachsinn!» Für eine solche Reaktion hätte ich grösstes Verständnis, und ich könnte auch problemlos nachvollziehen, warum ein Kind heulend vom Tisch aufsteht und nicht mehr mitspielen möchte, nur weil alle in der Runde finden, es sei der «grösste Mistkäfer» sprich: «grösste Schmutzfink». Kein Kind will das sein, auch nicht im Spiel.

Die Art und Weise, wie man in «Mistkäfer» den Startspieler bestimmt, ist missglückt. Damit ist das Spiel allerdings nicht allein, oh nein. Das Spielerportal «Spiele-Check» hat vor nicht allzulanger Zeit unter dem Titel «Originelle Ideen zur Startspielerbestimmung» eine Infoliste zusammengestellt. Sie umfasst rund 200 Spiele und vermittelt so einen hervorragenden Überblick über eine Thematik, die in den Verlagsredaktionen vermutlich als so so la la betrachtet wird. Dazu eine kleine Auswahl:

«Wer am häufigsten auf dem Mond war, beginnt. Bei Gleichstand entscheidet der Zufall.»
«Der Spieler, der am besten das Geräusch eines röhrenden Hirsches nachmachen kann, beginnt.»
«Wer am längsten die Luft anhalten kann, beginnt.»
«Der Spieler, der mehr Kleingeld in der Tasche hat, beginnt.»
«Diese Phase wird in der ersten Spielrunde vom Spieler mit der feurigsten Wange eröffnet.»
«Der Spieler mit den zittrigsten Händen beginnt.»
«Der Spieler, der die längste Haftstrafe hinter sich hat, beginnt.»
«Es beginnt der Spieler, dessen Namen am altertümlichsten klingt.»
«Der tollpatschigste Spieler beginnt.»
«Der Spieler, der zuletzt in der Bibel gelesen hat, beginnt.»
«Es beginnt der Spieler mit den grössten Händen.»
«Wer als letzter in der Runde seine Milchzähne verloren hat, beginnt.»
«Der grösste Esel in der Runde wird zum Startspieler bestimmt.»
«Der dreckigste Spieler fängt an.»
«Der am stärksten tätowierte Spieler beginnt.»
«Startspieler ist, wer am nächsten am Wasser gebaut ist.»
«Der Spieler mit den grössten Ohren beginnt.»
«Der Spieler mit dem gehässigsten Blick wird Startspieler.»
«Der Spieler, der das breiteste Allgäuerisch spricht, ist Startspieler.»
«Wer das höchste Gewicht hat, beginnt.»
«Wer zuletzt einen Regenwurm gegessen hat …»
«Der Besitzer des Spiels beginnt.»

Passend zum Thema

Zur Ehrenrettung jener, die das zu verantworten haben, ist beizufügen, dass sie sich in der Regel darum bemühen, den Startspieler oder die Startspielerin so zu bestimmt, dass es zum Spielthema passt. «Der grösste Esel» macht den Anfang in einem Spiel namens «Eselsbrücke». «Wer die Luft am längsten anhalten kann», darf «Aquarium» beginnen, und «Auf Teufel komm raus» heisst das Spiel, in dem die Person mit der «feurigsten Wange» den ersten Zug macht. Die thematische Einbindung ist zwar gut, kann aber jene Peinlichkeiten nicht verhindern, wie ich sie eingangs am Beispiel «Mistkäfer» demonstriert habe. Ich finde das nicht lustig, und manchmal geben mir die verkrampfte Fröhlichkeit und die gesuchte Originalität richtig auf den Wecker.

Bisweilen führen die Redaktionen das ganze Brimborium um die Startspielerbestimmung selber ad absurdum. Wenn es heisst, «Der kleinste Zwerg darf beginnen. Wenn ihr euch nicht einigen könnt, beginnt der älteste Spieler», bedeutet das doch im Klartext: «Macht was ihr wollt. Es ist doch eh egal, wer das Spiel beginnt.»

Erfreulicherweise begegnet man heute in den Spielanleitungen immer mehr der Formulierung: «Ein Startspieler oder eine Startspielerin wird ermittelt.» Somit ist es der Runde überlassen, wie sie das handhaben will. Wer sich davon überfordert fühlt, kann sich ja immer noch eine Startspieler-App auf sein Smartphone laden, die einem auch noch diese Aufgabe abnimmt … Ein simpler Würfel täte es auch, immer noch der beste Zufallsgenerator.

Zum Schluss noch dies: Ginge es nach der Startspielerbestimmung, müsste eigentlich «Impossum» mein Lieblingsspiel sein. Dort beginnt nämlich der Spieler «mit dem merkwürdigsten Vornamen».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied.

Zum Infosperber-Dossier:

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