FortunatoImSpital

Fortunato M., Januar 2014, während einer Notfallbehandlung im Universitätsspital von Parma © cc

«Dieser Gerichtsentscheid ist ein Todesurteil»

Frank Garbely /  Professor und Chirurg Giovanni Ussia will Fortuna M. dringend operieren. Doch wieder lehnt das italienische Gericht ab.

upg. Nachdem die italienische Justiz und die Direktion des Mafia-Gefängnisses in Parma dem inhaftierten angeblichen «Mafia-Boss aus Brig» in den Jahren 2010 bis 2015 mehrmals dringende medizinische Behandlungen verweigerten, verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Fortunato M. in jüngster Zeit lebensbedrohlich. Im Folgenden die Fortsetzung der Recherchen des Journalisten Frank Garbely (erster Teil am 3. Mai 2017zweiter Teil am 8 Mai 2017).

Für Professor Giovanni Ussia kommt der jüngste Gerichtsentscheid von Bologna einem Todesurteil gleich: «Fortunato M. braucht ganz dringend eine Therapie. Es ist aber ausgeschlossen, eine solche Therapie im Gefängnis anzuwenden.» Der Chirurg weiter: «Falls Fortunato M. nicht sofort therapiert wird, befällt der Krebs sehr schnell das umliegende Gewebe und es bilden sich anschliessend im ganzen Körper Metastasen, was zu grossen Schmerzen und schliesslich zum Tod führt.»
Bologna, 16. Juli 2016
Eine Rückblende: Es hatte über ein Jahr gedauert, bis das Gericht in Bologna sich wieder einmal mit der Akte Fortunato M. befasste. Vor der Krebsdiagnose litt Fortunato M. an den Folgen eines Leistenbruchs. Am 16. Juli 2016 dann die denkwürdige Gerichtsverhandlung, während der Fortunato M. sein Hemd aufriss und den Richtern seinen nackten Bauch mit der riesigen Geschwulst zeigte. Ausser dass der Gerichtspräsident angeekelt wegsah und die Gerichtsverhandlung vorzeitig beendete, brachte auch dieser Protest nicht die geringste Veränderung.
Woche für Woche, Monat für Monat verstrichen, aber weder die Gefängnisleitung noch die Justizbehörden liessen sich erweichen und unternahmen keinerlei Anstrengung, dem kranken Häftling zu helfen.
Fortunato M. wurde immer verzweifelter. Mit jedem Monat nämlich verschlimmerte sich sein Gesundheitszustand. Die Geschwulst des Leistenbruchs wuchs kontinuierlich, sie war inzwischen so gross wie zwei Gesässbacken eines jungen Mannes. Und alle paar Wochen machte sich seine Blasenerkrankung bemerkbar. Seit Herbst 2016 hatte er plötzlich wieder Blut im Urin und musste zeitweise sogar Windeln tragen.
Suzanne, seine Frau, die – wie schon seit bald sieben Jahren – jeden Freitag aus der Schweiz anreiste, versuchte, Fortunato wieder aufzurichten. Das gelang immer seltener.
Aber Suzanne M. liess nichts unversucht. Obwohl extrem knapp bei Kasse, holte sie zusätzlich Rat bei zwei weiteren Anwälten. Sie rief Anwalt Mario Marcuz vom bekannten Gefangenen-Hilfswerk «Antigone» zu Hilfe. Und auf Rat eines Zellennachbarn ihres Mannes zog sie später auch noch Anwalt Antonio Piccolo bei. Beide versprachen, die Akte Fortunato M. zu prüfen, erklärten sich danach sogar bereit, anwaltschaftlich tätig zu werden. Aber auch sie vermochten bisher nichts auszurichten.

Rechtsanwalt Mario Marcuz
Nur ein Mal gelang es Suzanne, ihrem Fortunato richtig Mut zu machen. Das war im Sommer des letzten Jahres, als sie ihm von Professor Giovanni Ussia berichtete. Der Professor war Chirurg in Bologna und hatte zudem viele Jahre in Grossbritannien gelehrt. Er bot an, den Leistenbruch von Fortunato M. zu behandeln: Er wollte ihn in Bologna operieren. Doch das Gericht lehnte ab. Dagegen reichte Anwalt Mario Marcuz sofort Beschwerde ein.
Mitte Januar 2017, ein halbes Jahr später
Fortuna M. wurde ins Universitätsspital von Parma gefahren, wie immer in einer Ambulanz, unter Polizeischutz und mit Blaulicht. Er musste zur Kontrolle. Erstmals seit zwei Jahren untersuchten die Ärzte seine Blase. Gegen Mittag war er wieder zurück in seiner Zelle und rief sofort seine Frau an: «Musst dir keine Sorgen machen, ist alles palletti.»
Offenbar hatte er nicht gut zugehört, als ihm die Ärzte den Untersuchungsbefund mitgeteilt hatten. «Plötzlich hat es geheissen, die Ärzte hätten in der Blasenwand ein Geschwür in der Grösse von etwa 3 Zentimetern gefunden», erzählt Suzanne M.
Mitte März war Fortunato M. zurück im Spital. Er wurde operiert. Ein Chirurg entfernte ihm das Geschwür in der Blase. Nur drei Tage nach der Operation brachte ihn eine Ambulanz zurück ins Gefängnis. Das war voreilig. Kaum zurück in der Zelle, begann Fortunato M. zu bluten und klagte über heftige Schmerzen. Er rief die Wärter, bat sie, den Gefängnisarzt zu holen. Aber auf ihn hörte keiner. Weder kam der Arzt noch erhielt er Medikamente. Jeden Tag wurde es schlimmer. Die Betttücher waren voll Blut, obwohl Fortunato M. inzwischen Windeln trug. Er rief immer lauter nach einem Arzt. Sogar Zellennachbarn begannen aufzubegehren. Erst zehn Tage später, am 27. März, kam endlich der Arzt. Der erkannte sofort, wie schlimm es um Fortunato M. stand, und liess ihn notfallmässig ins Spital einliefern. Die Ärzte setzten ihm einen Blasenkatheter, noch bevor sie ihn in den Operationssaal brachten. Nach kurzer Zeit gelang es ihnen, die Blutungen zu stoppen.
Keiner der Ärzte klärte Fortunato M. auf, warum es nach der Operation zu Komplikationen gekommen war. Vielleicht brachte keiner den Mut auf, ihm die wahre Ursache der Blutungen zu nennen. Seine Frau Suzanne M. legte sich darum ihre eigene Erklärung zurecht: «Wahrscheinlich war die Operationswunde aufgebrochen», vermutet sie.

«Wir haben strikte Anweisungen»
Nach der Notoperation vom 27. März kam es zu einem lauten Wortwechsel zwischen Spitalpersonal und den Gefängniswärtern, die Fortunato begleiteten. Im Gefängnistrakt des Spitals waren sämtliche Betten belegt, darum ordneten die Ärzte an, dass Fortunato M. auf die allgemeine Abteilung der Chirurgie verlegt werde. Dem widersetzten sich die Gefängniswärter. «Das dürfen wir aus Sicherheitsgründen nicht zulassen, wir haben strikte Anweisungen», erklärte der Chefwärter und erteilte die Order, Fortunato M. abzuführen und zurück ins Gefängnis zu bringen. Erst nachdem ein Oberarzt einschritt und erklärte, der frisch Operierte müsse mindestens 48 Stunden zur Observation im Spital bleiben, gaben die Gefängniswärter Fortunato M. wieder frei. Er durfte schliesslich doch in ein Zimmer auf der allgemeinen Abteilung, aber nur für drei Tage – und streng bewacht: Rund um die Uhr standen zwei Wärter am Fusse des Krankenbettes und zusätzlich zwei weitere Polizisten vor der Zimmertür.
Die Anwälte waren empört. Sie setzten alle Hebel in Bewegung, damit Fortunato M. endlich eine menschenwürdige Pflege erhalte, und beantragten einmal mehr Hausarrest.
Die jüngsten Nachrichten über Fortunato M.’s Leiden, so machte es den Anschein, schockierten selbst die hartgesottenen Richter in Bologna. Vielleicht hatte das damit zu tun, dass sich beim Tribunale di Sorveglianza ein neues Richterteam mit der Akte Fortunato M. beschäftigte. Maisto Francesco, der das Richterteam bisher präsidiert hatte, war inzwischen in Rente, an seine Stelle trat eine Frau, Dottoressa Manuela Mirandola.
In der Vergangenheit hatte es meist mehrere Monate gedauert, einmal sogar fast ein ganzes Jahr, bis das Gericht einen Verhandlungstermin festgesetzt hatte. Diesmal konnte es nicht schnell genug gehen. Die nächste Gerichtsverhandlung sollte noch vor Ostern stattfinden, am 11. April. Und in dieser extrem kurzen Zeit mussten alle Unterlagen beigebracht werden. Die Gutachten der Ärzte: Operationsbericht des Universitätsspitals, Bericht des Gefängnisarztes, Gutachten des Privatarztes. Vor allem aber mussten auch alle Abklärungen für einen Hausarrest getroffen werden.
Vor Jahren hätte Fortunato im Falle eines Hausarrestes eine kleine Wohnung in der Nähe von Domodossola beziehen können. Seine Frau Suzanne hatte über ein Jahr Miete bezahlt. Inzwischen war die Wohnung weitervermietet worden. Für den jetzt beantragten Hausarrest schlugen die Anwälte eine neue Wohnung vor. Nicht mehr in Domodossola, von Brig aus schnell erreichbar, sondern in La Spezia, 40 Autominuten südlich von Genua. Dort wohnt nämlich seit vielen Jahren Fortunato M.’s älteste Schwester Maria.
Das Gericht hatte zeitgerecht veranlasst, dass die Polizei sowie der Sozialdienst von La Spezia Maria M. überprüften und abklärten, ob ihre Lebens- und Wohnverhältnisse alle gesetzlichen Auflagen für einen Hausarrest erfüllten. Das schien der Fall zu sein, wie ein Gutachten der Amtsstelle U.E.P.E dem Gericht bestätigte: «Die Eignung der Wohnung ist gegeben. Die Schwester ist in der Lage, ihren Bruder Fortunato M. aufzunehmen. Sie ist zudem bereit, ihm finanziell zu helfen. Eine finanzielle Unterstützung zugesichert haben weiter seine Frau, seine alten Eltern in Kalabrien sowie die übrigen Geschwister.»
Wie jeden Freitag besuchte Suzanne M. ihren Mann auch am Freitag vor dem grossen Gerichtstermin. Fortunato M. war schon fast euphorisch. «Vielleicht verbringen wir Ostern gemeinsam bei meiner Schwester in La Spezia», tagträumte er. «Freu dich nicht zu früh, bisher hat das Gericht jedes Gesuch für Hausarrest abgeschmettert.» «Nein», widersprach Fortunato, «diesmal klappt es, sogar einer der Richter teilt diese Meinung.» Tatsächlich hatte zwei Tage zuvor einer der Richter aus Bologna Fortunato in seiner Zelle aufgesucht und ihn ausführlich über seine Beschwerden sowie die medizinische Betreuung befragt. Zum Abschied hatte sich der Richter klar für Hausarrest ausgesprochen. So jedenfalls hatte ihn Fortunato M. verstanden.
Beim Verlassen des Gefängnisses begegnete Suzanne M. einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes. «Unser Dienst unterstützt den Antrag Hausarrest», rief ihr die Sozialarbeiterin zu und wünschte viel Glück. Jetzt begann auch Suzanne M. daran zu glauben.
Hoffnung auf Hafterleichterung

Dann kam der 11. April, der Tag der grossen Hoffnung. Bereits um 6:00 Uhr wurde Fortunato M. aus der Zelle geholt und zur Ambulanz im Gefängnishof geführt. Zwei schwer bewaffnete Sicherheitsbeamte stiegen zu, setzten sich rechts und links neben Fortunato M., Minuten später ging das Gefängnistor auf. Eskortiert von zwei Polizeiautos mit Blaulicht und Sirene schoss die Ambulanz über die Autobahn Richtung Bologna.
Rechtzeitig zum Gerichtstermin lieferten die Polizisten Fortunato M. beim Gericht ab. Die Verhandlung war auf 9:30 Uhr angesetzt. Suzanne M. sass in Brig in ihrer Wohnung und wartete ungeduldig auf den Ausgang der Verhandlungen. Gegen 11:00 Uhr rief sie Anwalt Antonio Piccolo an. Sie platzte vor Neugier. Von ihm erfuhr sie, dass die Sitzung immer noch nicht begonnen hatte. Anwalt Piccolo hatte trotzdem gute Nachrichten. «Das Gericht hat alle Unterlagen erhalten», berichtete er Suzanne M. und fuhr fort: «Ich konnte kurz mit einem Richter reden. Ich habe ein gutes Gefühl, diesmal klappt es.»
Suzanne M. war beruhigt, das Warten fiel etwas leichter, sie glaubte weiter an eine schnelle Freilassung ihres Mannes.
Erst gegen 17:00 Uhr kam der nächste Anruf. Es war Fortunato, ihr Mann. Er war inzwischen wieder zurück im Gefängnis von Parma. «Es ist alles sehr gut gelaufen, aber leider hat das Gericht sein Urteil noch nicht bekannt gegeben», sagte Fortunato. Suzanne M. spürte eine leichte Enttäuschung. Eigentlich hatte Fortunato damit gerechnet, er würde am Schluss der Gerichtsverhandlung freigelassen. «Aber sein Glaube, das Gericht werde Hausarrest anordnen, war ungebrochen», erzählt Suzanne und weiter: «Er war fest überzeugt, dass er vielleicht schon in ein paar Stunden, aber spätestens in zwei, drei Tagen nach La Spezia zu seiner Schwester gebracht werde.»

Rechtsanwalt Antonio Piccolo
Anwalt Antonio Piccolo meldete sich erst gegen 20:00 Uhr. Suzanne war überrascht. Sogar der sonst so spröde und übervorsichtige Anwalt geriet ins Schwärmen, als er ihr den Hergang der Gerichtsverhandlung schilderte.
Sämtliche Gutachten hätten sich zugunsten einer Hafterleichterung ausgesprochen, berichtete der Anwalt. Alle Ärzte, der Sozialdienst, sogar der Gefängnisdirektor, kurz sämtliche Sachverständigen empfahlen, dem Antrag Hausarrest zuzustimmen. Besonders bewegend für Anwalt Piccolo: Eine Sozialarbeiterin hatte den Richtern aus privater Initiative einen Brief geschrieben und sie gebeten, den kranken Häftling Fortunato endlich anständig zu verarzten. Ausschlaggebend für die Euphorie des Anwaltes aber war der Standpunkt des Staatsanwaltes gewesen: «Nicht nur sämtliche Sachverständigen, sondern sogar der Staatsanwalt verlangte Hausarrest; es gab nicht eine einzige Stimme, die sich gegen eine Hafterleichterung ausgesprochen hätte». Anwalt Antonio Piccolo hatte darum nicht den geringsten Zweifel: Das Gericht würde dem Antrag Hausarrest nur zustimmen können. Er rechnete damit, dass das Urteil noch vor Ostern schriftlich zugestellt werde.
In der Osterwoche fuhr Suzanne M. bereits am Gründonnerstagabend und nicht erst am Karfreitagmorgen nach Parma. Diesmal hatte sie nicht nur eine Reisetasche dabei, sondern einen grossen Koffer. «Kann ja sein, dass Fortunato morgen schon entlassen wird», hatte sie überlegt und darum für Fortunato ein paar neue Kleider, frische Unterwäsche und sogar Sonnenbrillen eingepackt, dazu eine grosse Schachtel Pralinen für Schwägerin Maria in La Spezia.
Gegen 23:00 Uhr traf sie in Parma ein. Die paar Schritte vom Bahnhof zum Hotel legte sie, trotz schwerem Koffer, zu Fuss zurück. Der Concierge begrüsste sie wie eine alte Bekannte. Sie hatte es eilig, auf ihr Zimmer zu kommen. Seit ihrer Abreise in Brig war sie ohne Internet-Zugang. Sie klappte ihren PC auf und checkte sofort ihre E-Mail-Box. Ihre Töchter hatten geschrieben. Die waren ganz aus dem Häuschen und sahen ihren Papa bereits in La Spezia.
Als erstes öffnete sie die E-Mail von Anwalt Antonio Piccolo. Der Anwalt tönte nicht mehr so ausgelassen wie zuvor am Telefon, sondern äusserte sich überraschend knapp und schon fast geheimnisvoll: «Angeheftet der Entscheid aus Bologna. Corragio!» «Corragio?», wiederholte Suzanne M. laut. Sie konnte es nicht erwarten, bis der Gerichtsentscheid heruntergeladen war. Dann der grosse Schreck. Das Unfassbare war eingetroffen. Die Richter hatten den Antrag auf Hausarrest abgelehnt. «Poverino Fortunato», stammelte Suzanne M. und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Es dauerte Minuten, bis sie sich etwas gefasst hatte und in der Lage war weiterzulesen. Der Gerichtsentscheid umfasste drei Seiten.
Suzanne trocknete ihre Tränen und rannte hinunter zum Empfang, um sich den Entscheid der Richter Gnadenlos ausdrucken zu lassen. Zurück im Zimmer begann sie die Ordinanza Nummer 949/17 genau zu lesen.
«RIGETTA», weist zurück. «In Übereinstimmung mit dem Oberstaatsanwalt weist das Tribunale di Sorveglianza den (…) Antrag auf Hausarrest und Hafterleichterung zurück». Auf Seite drei fand Suzanne M. die Begründung der Zurückweisung. Bei der Urteilsfindung dürfe das Gericht nicht nur auf den Gesundheitszustand des Antragstellers abstellen, sondern es müsse zugleich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sowie die Gefährlichkeit des Antragsstellers gegeneinander abwägen, hiess es da. Und bei dieser Abwägung hatte Fortunato M. ganz schlecht abgeschnitten. Die Richter stuften ihn für derart gemeingefährlich ein, dass er, obwohl todkrank, nicht in Hausarrest entlassen werden könne. «Wir haben es mit einem Individuum zu tun, das wegen schwerer Vergehen verurteilt wurde: Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung des Typs Mafia sowie anderer gemeiner Verbrechen.» Nicht genug, die Richter setzten noch einen drauf. «Erschwerend kommt hinzu», schrieben sie über Fortunato M., «er war nie, nicht einmal ansatzweise, bereit, sich von den kriminellen Mafia-Aktivitäten zu distanzieren oder diese wenigstens kritisch zu hinterfragen. Im Gegenteil, er fährt schlicht und einfach fort, diese rundweg abzustreiten, obwohl ein letztinstanzliches Urteil vorliegt.»
Suzanne war schockiert, wie die Richter ihren Mann als gemeingefährlichen Mafia-Gangster hinstellten. Sie blätterte zurück und begann von vorne zu lesen.

Jetzt noch die Krebsdiagnose
Plötzlich stockte ihr der Atem, die Buchstaben begannen vor ihren Augen zu tanzen. Dass der Antrag auf Hausarrest entgegen der Empfehlung sämtlicher Sachverständigen zurückgewiesen wurde, war schlimm genug, doch das war nicht alles. Es kam noch dicker. Der Gerichtsentscheid ging ausführlich auf die diversen Ärztegutachten ein. Darunter befand sich auch ein Bericht der Spitalärzte von Parma. Mitte März war Fortunato im Universitätsspital von Parma zwei Mal operiert worden. Über den wahren Befund hatten die Spitalärzte bisher weder Fortunato M. noch seine Frau oder Anwälte informiert, wohl aber das Gericht. Und die Richter zitierten jetzt in ihrem Entscheid ausführlich daraus: «Ohne lange drum herum zu reden, (…) die Verletzungen stammen von einem hochgradig bösartigen Krebsgeschwür.»
Die Krebsdiagnose traf Suzanne M. völlig unvorbereitet. Es war wie ein Stich ins Herz. Trotz eines «hochgradig bösartigen Krebsgeschwürs» lehnten die Richter eine Hafterleichterung ab. Sie begann wieder zu weinen, kämpfte gegen den Gedanken, dass ihr Fortunato das Gefängnis nicht lebend verlassen würde. Irgendwann schlief sie über die paar Blätter des Gerichtsentscheids gebeugt ein. Nie hatte sich Suzanne M. hilfloser und verlassener gefühlt als in dieser Nacht in Parma.
Für Professor Giovanni Ussia kommt der Gerichtsentscheid von Bologna einem Todesurteil gleich: «Fortunato M. braucht ganz dringend eine Therapie. Es ist aber ausgeschlossen, eine solche Therapie im Gefängnis anzuwenden.» Professor Ussia weiter: «Falls Fortunato M. nicht sofort therapiert wird, befällt der Krebs sehr schnell das umliegende Gewebe und es bilden sich anschliessend im ganzen Körper Metastasen, was zu grossen Schmerzen und schliesslich zum Tod führt.»
Inzwischen sind bereits mehr als vier Wochen vergangen, seit die Ärzte bei Fortunato M. ein hochgradig bösartiges Krebsgeschwür festgestellt haben, aber noch immer wird er nicht behandelt. Seit über zwei Jahren verweigern ihm die italienischen Justizbehörden eine Operation des Leistenbruchs, jetzt sogar die Behandlung seines Blasenkrebses.

Frank Garbely

Der Journalist Frank Garbely verfolgt das Schicksal von Fortunato M. weiter.
——————————————


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Polizei1

Justiz, Polizei, Rechtsstaat

Wehret den Anfängen, denn funktionierende Rechtssysteme geraten immer wieder in Gefahr.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • am 12.05.2017 um 12:22 Uhr
    Permalink

    Rechtsstaat oder Rächerstaat? Dieser Bericht spricht für sich selbst.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...